Deutscher Putsch im Vatikan? Benedikt-Biografie gewährt Einblicke in Ablauf des II. Konzils

Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hatte als Berater des Kölner Kardinals Frings eine Schlüsselrolle während des II. Vatikanischen Konzils. Was er als Erneuerung angestrebt hatte, sollte jedoch einen anderen als den erwünschten Verlauf nehmen.
Titelbild
Papst Benedikt XVI. (R) und sein persönlicher Sekretär Georg Ganswein vor seiner letzten Generalaudienz auf dem Petersplatz am 27. Februar 2013 im Vatikan.Foto: Franco Origlia/Getty Images
Von 30. August 2020

In der im Mai dieses Jahres erschienenen, umfangreichen Biografie „Benedikt XVI. – Ein Leben“ des Journalisten Peter Seewald über den emeritierten Papst und früheren Kardinal Josef Ratzinger präsentiert der Autor auch eine Vielzahl an Hintergrundinformationen über die Vorgeschichte und den Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Beitrag des damaligen Bonner Theologieprofessors sowie des deutschen Klerus zu dem Ereignis, das folgenschwere Auswirkungen auf das Gefüge der Römisch-Katholischen Kirche haben sollte.

„Katholischer Frühling“ nach dem Krieg

Josef Ratzinger wechselte nach seiner Habilitation und einem kurzen Gastspiel an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising im Jahr 1959 auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an der Universität Bonn.

Einige seiner Aufsätze hatten zu diesem Zeitpunkt bereits breite Aufmerksamkeit erregt. Einer davon war der Text „Die neuen Heiden und die Kirche“, der erstmals im Oktober 1958 in der Zeitschrift „Hochland“ erschienen war. In diesem beklagte Ratzinger die Situation der Kirche in ihren Stammgebieten, insbesondere auch in Deutschland.

Die Schrecken der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkrieges sowie die Bedrohung durch den Kommunismus hatten in der Adenauer-Republik einen „katholischen Frühling“ zur Folge. In dieser Phase machte sich die Gegnerschaft der Katholischen Kirche zu totalitären säkularen Ideologien der Moderne bezahlt, indem diese ein zuvor in Deutschland seit 1871 nicht gekanntes Maß an Anerkennung und Einfluss in den Institutionen des Gemeinwesens genoss.

Ratzinger sprach schon damals von Entweltlichung

Mit der institutionellen Größe ging jedoch keine Renaissance des Glaubens in der Breite der Bevölkerung einher. Vielmehr pflegten viele Katholiken wie schon vor dem Krieg einen säkularen Lebensstil und auch im Klerus wurde die Tradition beschworen, aber nicht gelebt, diagnostizierte Ratzinger. Zwar ging mit dem Glaubensverlust in Europa schon damals ein erheblicher Zustrom an Gläubigen in Ländern der sogenannten Dritten Welt einher, die Institutionen der Katholischen Kirche waren jedoch von Klerikern der Alten Welt dominiert.

Dass im Oktober 1958 Papst Pius XII. verstarb, sorgte für zusätzliche Unsicherheit über die Zukunft der Kirche. Nicht nur Ratzinger, sondern auch eine Vielzahl anderer Theologen und Kleriker sprachen in jener Zeit von tiefgreifenden Reformen, die in der Kirche erforderlich seien und die bröckelnde Glaubenssubstanz wiederbeleben sollten. Was darunter zu verstehen sei, darüber gingen die Vorstellungen auseinander.

Ratzinger sprach bereits damals von einer „Entweltlichung“, womit er unter anderem meinte, die Kirche solle weniger angepasst gegenüber der Welt sein, weniger Wert auf Prunk und materielle Repräsentationsgüter legen – und es sollten höhere Anforderungen an den Empfang der Sakramente gestellt werden. Auf diese Weise könnte die Kirche wieder zu einer „Gemeinschaft der Glaubenden“ werden und das „Heidentum mit Taufschein“ zurückdrängen.

„Ja, ja. Ein Konzil.“

Der Theologe Ratzinger war mit dieser Einschätzung, die im etablierten Klerus und im Vatikan selbst auf Argwohn stieß, nicht allein. Zu seinen Weggefährten zählten unter anderem der Jesuitenpriester und spätere Kardinal Henri de Lubac oder weitere Vertreter einer neuen Generation von Klerikern, Kirchenhistorikern und Theologen von Karl Rahner oder Hubert Jedin über Heinrich Schlier bis zu Hans Küng.

Der Staatssekretär von Papst Johannes XXIII., Kardinal Domenico Tardini, war es, den dieser fragte, wie in einer Zeit der Spaltung der Welt im Zeichen des Kalten Krieges und der Gefahr einer atomaren Eskalation die Kirche ein Beispiel für Frieden und Eintracht geben könne. Dabei soll Johannes XXIII. halblaut vor sich hin die Worte „Ein Konzil“ gemurmelt haben. Der in der Kurie einflussreiche Tardini soll unmittelbar darauf mit dem Kopf genickt und geantwortet haben: „Ja, ja. Ein Konzil.“

Als dieses 1962 einberufen wurde, stellte Europa 40 Prozent der Bischöfe, die daran teilnahmen, 14 Prozent aus Nordamerika. Von den Klerikern, die aus dem kommunistischen Machtbereich geladen waren, konnte nur ein Bruchteil anreisen.

Die unterschiedlichen Lesarten des „Aggiornamento“

Ratzinger war zu Beginn nur inoffizieller Berater, bald danach wurde er jedoch vom Kölner Kardinal Josef Frings als persönlicher Berater in Konzilsangelegenheiten verpflichtet.

Das Konzil selbst hatte sich im Unterschied zu den vorhergehenden diesmal nicht selbst vorgenommen, eine bestimmte Frage zu klären. Papst Johannes XXIII. hatte es unter das Motto des „Aggiornamento“ gestellt, des „Neu-in-die-Zeit-Bringens“ der Una Sancta. In einer Welt der Unsicherheit solle die Kirche ihre Aufgaben justieren.

Modernisten verstanden den Begriff des Aggiornamento jedoch von Beginn an als „Anpassung an moderne Lebensverhältnisse“ und eine Abkehr von der Kritik an der Moderne, die noch die Ära der Päpste Pius X. bis Pius XII. geprägt hatte – und die Katholische Kirche anders als den Hauptstrom des deutschen Protestantismus immerhin auf Distanz zu den totalitären Heilsideen hielt.

Die Bestimmung der Tagesordnung und die Zusammensetzung der Kommissionen sollten, wie Seewald schreibt, vorentscheidend dafür sein, welchen Verlauf das Konzil nehmen würde. Und was das anbelangt, hatte es zum einen eine modernistische Gruppe aus belgischen, niederländischen und französischen Teilnehmern mit Pater Edward Schillebeeckx und Yves Congar gegeben, die sich als sehr gut organisiert zeigte.

Zum anderen aber hatte auch die deutsche Delegation, unter anderem mit den Kardinälen Döpfner und Frings, aber auch mit Theologen wie Küng, Hans Urs von Balthasar oder eben auch Ratzinger das Netzwerken beherrscht und wirkte bisweilen gezielt zusammen, um die etablierten Kräfte im Vatikan rund um Vertreter wie Kardinal Ottaviani auszubooten.

„Anima“ als Drehscheibe deutscher Konzilsregie

Die Kirche Santa Maria dell’Anima in Rom und das dazugehörige Priesterkolleg, in dem die deutschen Teilnehmer untergebracht waren, wurde schon bald zu einem Koordinationszentrum, in dem Kardinal Frings mit seinen Beratern und Mitstreitern Strategien erörterte, Vorgehensweisen abstimmte, Papiere in Umlauf brachte und strategische Entscheidungen vorbereitete.

Einigen Klerikern fiel die Rolle der „Anima“ auf und sie argwöhnten bereits über eine deutsche Verschwörung, deren Ziel es wäre, die Ergebnisse des Ersten Vatikanums zu revidieren. Ratzinger bestritt diese Rolle und dass es „aufrührerische Gedanken“ gegeben habe, die den Treffen zugrunde gelegen hätten. Es habe auch keinen progressiven Block als geschlossene Fraktion gegeben, die den Weltepiskopat überrumpelt und ihre Agenda durchgedrückt hätte.

Tatsächlich war es jedoch die Koordinationsarbeit von Frings, der sich im Konzilskollegium als Reformer inszenierte, die es ihm und seinen Verbündeten ermöglichte, die Vorschläge der etablierten Garde des Vatikans zu Tagesordnung, Wahlordnung und Kommissionszusammensetzung gleich zu Beginn zu Fall zu bringen.

Dies hatte einen Autoritätsverlust und ein Medienecho zur Folge, das es den modernistischen Kräften erlaubte, durch eine offensive Pressearbeit und einen entsprechenden Spin das Bild des Konzils und seiner Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu prägen. Vor allem der später mit einem Entzug der Lehrerlaubnis bedachte Radikalmodernist Hans Küng nutzte damals schon die Medienarbeit als Ventil, um seine Botschaft und seine Sichtweise des Konzilsgeschehens zu verbreiten.

Progressive kontrollierten das öffentliche Bild vom II. Vatikanischen Konzil

Ratzinger räumte später ein, seine Vorstellungen vom „neuen Weg positiven Denkens und Sprechens“, wie ihn das Konzil ebnen sollte, seien andere gewesen als die, welche später dessen Image in den Medien und dessen Außenwahrnehmung prägte. Die modernistischen Kräfte hatten eines der signifikantesten Beispiele für Message Control geliefert.

Obwohl sich spätere Päpste wie Paul VI., Johannes Paul II., aber auch Ratzinger selbst als Leiter der Glaubenskongregation und späterer Papst Benedikt XVI. um Schadensbegrenzung bemühten, sollte das Zweite Vatikanische Konzil zu einem beispiellosen Niedergang des kirchlichen Lebens und des katholischen Milieus vor allem in Europa und weiten Teilen Nordamerikas führen.

Was als Streben nach Erneuerung hin zu mehr Authentizität gedacht war, endete vielfach als offenes Tor zur Beliebigkeit. Der deutsche Klerus hatte daran einen entscheidenden Anteil.



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