Heidelberger Archäologen: Licht im Dunkel der Zeit vor dem Islam
Archäologen der Universität Heidelberg haben mit Grabungen im Jemen Licht in ein bisher weitgehend unerforschtes Kapitel der Weltgeschichte gebracht. „Unsere Funde in der antiken Ruinenstadt Zafar haben der Zeit unmittelbar vor dem Entstehen des Islam in Altsüdarabien ein Gesicht gegeben“, erklärt Prof. Dr. Paul Yule vom Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients der Ruperto Carola. Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung dieser bislang kaum erforschten und als dekadent angesehenen Epoche sei unterschätzt worden. Die Funde belegen unter anderem, wie stark die Wurzeln des Islam mit dem Judentum und Christentum verbunden sind. Prof. Yule leitete zwölf Jahre lang die Grabungen 130 Kilometer südöstlich von Sanaa, die 1998 begannen und nun beendet wurden.
Das altsüdarabische Reich Himyar mit seiner Hauptstadt Zafar war etwa so groß wie Westeuropa ohne Frankreich und bildete das letzte vorislamische Reich im heutigen Jemen. Sein Aufstieg begann um 110 vor Christus, in der Blütezeit vom 3. bis zum 5. Jahrhundert nach Christus dominierte Himyar politisch und militärisch ganz Arabien. In diese Zeit, in der in der Hauptstadt Zafar 25.000 Einwohner lebten, fiel auch der Wandel vom Mehrgötterglaube zum Judentum und zum Christentum, erst im 7. Jahrhundert gelangte der Islam in die Städte, als Himyar bereits untergegangen war. Die bisherigen Forschungen zu Altsüdarabien beschäftigten sich hauptsächlich mit der Frühzeit ab 900 vor Christus, wie Prof. Yule erklärt: „Die Spätphase vor dem Islam war eine dunkle Periode, aus der man nur wenige Quellen hatte.“
Das änderte sich mit den Grabungen der Heidelberger Forscher. Als Paul Yule 1998 mit den Arbeiten in dem auf 2.800 Meter Höhe gelegenen Zafar begann, ging die Forschung noch davon aus, dass dort wenig zu finden sei, weil nahezu alles zerstört worden sei. Tatsächlich erwiesen sich die 120 Hektar Grabungsfläche in den zwölf Jahren als wahre Fundgrube: „Das war für mich eine goldene Brücke – ich musste sie nur betreten“, sagt Yule, der außerplanmäßiger Professor an der Philosophischen Fakultät der Ruperto Carola ist.
Unter Schuttschichten fanden die Forscher rund 400 Maueranlagen, Gräber, Brunnen und Gebäude sowie rund 200 Inschriften und etwa 900 Reliefs. Diese belegen, dass die Hauptstadt Zafar eine Stadt mit großen Prachtbauten war: „Jedes Gebäude hatte Bauschmuck“, berichtet Prof. Yule. Aus den Funden lasse sich schließen, dass Himyar über eine gediegene Architektur und Kunstindustrie mit sehr viel Bilderkunst sowie über eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft mit strengen Regeln verfügt habe.
Der spektakulärste Fund war 2008 eine 1,70 Meter große Königsfigur – die einzige erhaltene frühchristliche Skulptur Altsüdarabiens. Zudem tauchten Fundstücke mit jüdischem Hintergrund auf, etwa ein Siegelring mit aramäischer Inschrift. „Die Funde sind Hinweise, dass das Judentum in Altsüdarabien früher vertreten war, als man bisher dachte, wahrscheinlich schon vor dem 4. Jahrhundert vor Christus“, erklärt Prof. Yule. „Außerdem glauben wir, dass Polytheismus, Judentum und Christentum längere Zeit nebeneinander in dieser Region existierten.“ Während der Hochphase des Reichs gab es offenbar eine jüdische Oberschicht und verschiedene christliche Sekten, die sich untereinander bekämpften. Fehden zwischen den verschiedenen Religionsgruppen und Stammesgesellschaften sowie Epidemien und eine Pandemie führten im 6. Jahrhundert schließlich zum Niedergang des himyarischen Reichs.
„Wir haben versucht, in Zafar eine wenig bekannte, aber wichtige Phase der Weltgeschichte zu erfassen“, erklärt Prof. Yule. „An dieser zentralen Stelle konnten wir die Strukturen erforschen, aus denen später der Islam hervortrat.“ Schon 1980 hatte das Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients linguistische Untersuchungen in der Region aufgenommen. Die insgesamt elf Grabungskampagnen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Auswärtigen Amt, dem Deutschen Archäologischen Institut und verschiedenen Stiftungen unterstützt. Wegen der Verschärfung der Sicherheitslage im Jemen mussten die Archäologen das Land jetzt aber als letztes Grabungsteam verlassen. Mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung konnte zum Abschluss ein Stahldach über einer steinernen Hofstruktur errichtet werden, um diese vor den Witterungseinflüssen in der regenreichsten Gegend Arabiens zu schützen.
Das Grabungsprojekt wird mit einer Monographie und einer Ausstellung abschließen, außerdem sollen Fundstücke bald in einem virtuellen Museum im Internet zu sehen sein. In der Bilddatenbank der Heidelberger Universitätsbibliothek dokumentieren bereits jetzt 4.500 allgemein zugängliche Fotos die Funde. Angehende Vermessungsingenieure der Fachhochschule Mainz kartierten zudem neun Jahre lang das Grabungsgelände und fertigten auf dieser Grundlage virtuelle Computersimulationen an. Dazu gehört auch ein Rundflug über den Grabungsort, wie er im 5. Jahrhundert ausgesehen haben muss. (idw-online / sfr)
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