Im „Hotel der Spione“
Bereits von weitem ist der realsozialistische Wabenbau an der Ostseepromenade Warnemündes zu erkennen. Seit 1971 gehört das 5-Sterne-Hotel Neptun zur Skyline des Ostseebades wie der alte Leuchtturm und der „Teepott“, ein DDR-Relikt, das an eine Strandmuschel erinnert und heute Gastronomie beherbergt.
Das erste Haus am Platze verfügt über 337 Meeresblick-Zimmer, selbst die greifbar nahe Ostsee kommt ins Haus. Über ein spezielles Leitungssystem gelangt sie ins Pool und in die Behandlungswannen des hauseigenen Thalasso-Zentrums.
Das Neptun versteht sich als Ferien- und Tagungshotel mit Gesundheitsangeboten, seit kurzem ist es offizielles Golfhotel des Arosa Golf Park Warnemünde.
Der langjährige Direktor Klaus Wenzel (1971 bis 2007) verstand es, das einstige Ferienhotel des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) erfolgreich von der sozialistischen Planwirtschaft in die kapitalistische Marktwirtschaft zu überführen.
Zu DDR-Zeiten erfand er das „Neptun-Geld“, eine Hotelwährung, die primär für den Devisenerwerb gedacht war und von west- und ostdeutschen Gästen 1:1 getauscht werden musste.
Wirtschaftsdeals für den Fortbestand der SED-Diktatur
Die Panorama-Bar im 19. Stock des Hotels, deren Dach sich bei schönem Wetter öffnen lässt, ist jedoch nicht die einzige Besonderheit des Neptun. Während der Zeit des Kalten Krieges trafen sich hier neben FDGB-Feriengästen auch zunehmend Politiker, West-Journalisten und Geschäftsleute aus dem Nicht-sozialistischem Ausland (NSA), um bis heute geheim gehaltene Deals mit der DDR-Wirtschaft abzuwickeln.
Das Neptun als Devisenquelle stellte für die marode DDR-Wirtschaft gerade in den 80iger Jahren eine wichtige Überlebenshilfe dar und fungierte somit auch als Garant für den Fortbestand der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland.
Fidel Castro, DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn und Gregor Gysi stehen auf der Hotel-Referenzliste. Die beiden Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Uwe Barschel und sein Nachfolger Björn Engholm, ebenfalls Gäste zu DDR-Zeiten, sucht man dort jedoch vergebens.
„Birthler-Behörde“: „Viele Neptun- Mitarbeiter waren der Stasi verpflichtet“
Aufgrund der delikaten Gästestruktur aus FDGB-Urlaubern und „Klassenfeinden“ war, neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU), der „Birthler Behörde“ zufolge, das bis zu 800 Mitarbeiter zählende Hotel mit einem hohen Prozentsatz von Stasi-Spitzeln durchsetzt.
Es galt nicht nur Kontakte zwischen DDR- und Bundesbürgern zu unterbinden, sondern auch gezielt Informationen über Gäste aus dem Lager des „Klassenfeindes“ und über oppositionelle DDR-Bürger mit allen geheimdienstlichen Mitteln zu gewinnen. Viele der Gäste wurden von Informellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gefilmt, beschattet und in Ihren Zimmern abgehört.
Über die im Volksmund auch „Stasi-Hotel“ genannte heutige Nobel-Herberge wurde gar eine Diplomarbeit an der juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche über akustische und visuelle Personenüberwachung angefertigt. Leitende Mitarbeiter in Schlüsselstellung, wie der langjährige Hotel-Direktor Klaus Wenzel alias IM „Wimpel“, standen dem MfS bei der Auswahl geeigneter Zimmer zum Einbau von Überwachungstechnik zum gezielten „Abschöpfen“ der Gäste zur Verfügung. Andere IM`s sorgten unter anderem dafür, dass ausreisewillige DDR-Gäste ihre Anträge zurück zogen. Als im Jahr 1988 ein US-Diplomat im Neptun mit seiner Familie urlaubte, wurden bei einer konspirativen Zimmerdurchsuchung durch das MfS sogar Geruchsproben der Leibwäsche der Gäste genommen.
Das „Hotel der Spione“ am“ Meer des Friedens“
Der sonst so aufgeschlossene damalige Hoteldirektor Wenzel stand für ein Interview für die NDR-Produktion „Das Hotel der Spione“ von Wolfram Bortfeld und Friderike Pohlmann aus dem Jahre 2006 zu diesem Thema nicht zur Verfügung.
Beim Neptun verweist man heute lieber auf die hohe soziale Verantwortung des Chefs, dem es gelang, die meisten Mitarbeiter in leitender Stellung nach der friedlichen Revolution zu übernehmen oder in Tochterbetrieben unterzubringen.
Das Neptun wird heute von der DSR-Gruppe geführt, einst die staatliche Reederei der DDR, deren Flotte weltweit im Einsatz war.
„Obwohl von uns Erkenntnisse zur Stasiverpflichtung nicht weniger Hotelmitarbeiter vorliegen, steht es der Privatwirtschaft frei, sich daran zu orientieren. Die Neptun-Beschäftigten halten zusammen wie eine Familie,“, sagt Dr. Volker Höffer, stellvertretender Leiter der BStU Rostock. Immerhin sind 60 der 210 Mitarbeiter, die 70 Auszubildenden nicht einbezogen, schon seit über 25 Jahren im Neptun beschäftigt.
Neptun-Verkaufsleiterin Ina Neutschel und Bankettleiterin Katrin Buller begannen ihre Hotel-Karriere ebenfalls lange vor der „Wende“ im Neptun und sind sich einig: Hinweise auf MfS-Zuarbeit einzelner Mitarbeiter habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Die Zeiten, in denen Werktätige für 310 DDR-Mark zwei Wochen Urlaub im Neptun machen konnten, sind indes längst vorbei. Tatsächlich gibt es jedoch kaum ein Hotel an der Deutschen Ostseeküste mit einem so vielschichtigen Angebot in vergleichbarer Lage.
Meeresrauschen dringt in die Zimmer und weckt die Sehnsucht nach Freiheit.
Eine Sehnsucht, die vielen DDR-Bürgern zum Verhängnis wurde, da sie ihre Flucht über die Ostsee, von der SED ideologisch verbrämt „Meer des Friedens“ getauft, mit dem Leben oder jahrelangem Zuchthaus bezahlten. Das Wort „Frieden“ wurde in der DDR arg strapaziert, nannten sich die MfS-Spione doch „Kundschafter des Friedens“ und arbeiteten nach dem Leitsatz: “Ein Tschekist hat einen kühlen Kopf, saubere Hände und ein reines Gewissen…“
PR-Managerin Silke Greven will von diesen alten Geschichten nichts mehr hören und verweist zu Recht auf die wohltuenden Erholungsmöglichkeiten, die das Hotel damals wie heute dem Gast bietet. Sie trägt unter ihrem Jackett eine weiße Rüschenbluse mit Trompetenärmeln und einen Moment hat es den Anschein, als sei die Vergangenheit zumindest visuell zurückgekehrt, in die dunkle Empfangshalle des Neptun-Hotels.
Glossar:
FDGB: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, DDR Einheitsgewerkschaft, organisierte Erholungsurlaube für die werktätige Bevölkerung.
BStU: Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, auch „Birthler-Behörde“, verwaltet und bearbeitet Stasi-Akten.
MfS: Ministerium für Staatssicherheit, auch „Stasi“, Geheimpolizei der DDR.
Tschekist: Selbstbezeichnung für Geheimdienstler des Ostblocks.
Thilo Gehrke (41) ist Journalist für Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitspolitik, Autor und Fotograf in Hamburg und Mitglied im Wissenschaftlichen Forum für Internationale Sicherheit an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er hat die Deutsche Wiedervereinigung unter sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Aspekten medial begleitet.
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