Kunsthistoriker Wichmann über den unnatürlichen Tod Ludwig II. (Teil 2)

Der alte Mann und der König - Nach 28 Jahren Forschung veröffentlicht Siegfried Wichmann neue Fakten zum Mord an Ludwig II.
Titelbild
Ludwig II von Bayern. (Wikipedia)
Von 25. April 2008

Fortsetzung des historischen Krimis um König Ludwig II., erzählt von Prof. Wichmann.

Was bisher geschah: Die Begegnung mit einer bis dato unbekannten Gemälde-Skizze Hermann Kaulbachs, die den toten König Ludwig II. abbildet, veranlasste Kunsthistoriker Prof. Siegfried Wichman dazu, die wahren Todesumstände des letzten und berühmtesten bayerischen Monarchen zu erforschen. Um Beweismaterial sicherzustellen, kaufte er auf einer Versteigerung im Bieter-Wettstreit mit dem Wittelsbacher „Geheimen Hausarchiv“ den Nachlass von Ludwigs Leibarzt und Vertrauten, Dr. Schleiss von Löwenfeld, für „den Preis eines Eigenheims“.

Die autobiografischen Aufzeichnungen Löwenfelds, verfasst in verkürzter Sütterlin-Schrift, waren für Laien unlesbar. Sie dokumentieren, was am Abend des 13. Juni 1886 am Ufer des Starnberger Sees tatsächlich geschah.

Der 87-jährige Professor erzählt:

„Mein Quellenmaterial kaufte ich 82/83. Da hatte ich das Kaulbach-Bild von 1967 noch ganz deutlich in Erinnerung. Ich hatte das Foto, dass sogar in die bayerischen Staatsgemäldesammlungen eingetragen war. Sie müssen sich mal vorstellen, welche Sicherung das ist – öffentlich! Ich habe das Bild an den Fotografen übergeben, den ich namentlich benennen kann und seine Frau hat dann ins Register eingetragen, wann und wo es aufgenommen wurde; sowas gibt es quellenkundlich so sicher überhaupt nicht mehr.

Ich bin spezialisiert auf die Zeit der 1880er Jahre. Ich schreibe jetzt gerade an einem neuen Buch über Hermann Kaulbach. Darin weise ich rein stilkritisch nach, wie er malte. Ich habe das ganze Leben des Malers Kaulbach durchforstet, weil das in der Ludwig-Forschung noch ganz neu ist, dass der Kaulbach den König begleitete, die letzten Tage mit ihm verbrachte, ihn zeichnete und malte.“

Die sehr persönliche Beziehung zwischen Ludwig II. und Kaulbach habe sich aus dem letzten Bauvorhaben Ludwigs ergeben, der Planung für Schloss Falkenstein. Kaulbach sei vom König mit der Gestaltung der Fresken beauftragt worden, über deren Inhalte sie in intensivem Austausch standen, als die dramatische Entwicklung ihren Lauf nahm, erklärt Wichmann.

Missglückte Flucht

„Sie wollten ja eigentlich den König befreien und ihm zur Flucht verhelfen, der Schleiss von Löwenfeld im Boot mit den beiden Stallmeistern Gebrüder Hornig und dem Maler Kaulbach. Sie kommen einfach fünf Minuten zu spät. An der Stelle wo der König erschossen wurde war der Irrenarzt Bernhard von Gudden, ein Mann der alles wusste. Er war auch informiert, dass der König zu Tode kommen musste. Er hat ihn an die Stelle geführt, wo der Schütze ihn dann umgelegt hat. An einer Ruhebank, zwanzig Meter vom Seeufer gelegen, die Zeichnung hab ich hinzugefügt. Der Schleiss von Löwenfeld war der Leibarzt des Königs gewesen, der war kaltgestellt worden, von dem Gudden, seinem Konkurrent.“

Dr. Maximilian Schleiss von Löwenfeld kannte Ludwig II. von Kindesbeinen an und war 20 Jahre lang sein „Leibchirurg“ gewesen. Noch am 10. Juni 1886, dem Tag nach der Entmündigung des Königs, telegrafierte er an die Allgemeine Zeitung in München:

„Zur Berichtigung: Von der Existenz eines schweren Leidens welches seine Majestät, Ludwig II. an der Ausübung der Regierung dauernd verhindert, ist durchaus nicht überzeugt Dr. Schleiss von Löwenfeld, Leibchirurg Seiner Majestät.“

Später wurde auch er von der Clique der Königsmörder bedroht und musste seine Aussage dementieren.

Ein Psychiater als Werkzeug der Verschwörer

„Der Gudden hatte mit Ludwigs Bruder Otto I. von Bayern zu tun gehabt, der ja tatsächlich diesen Irrsinn aus der preußischen Linie geerbt hatte, die in Bayern eingeheiratet hatte. Gudden hatte in Fürstenried ein richtiges Zentrum eingerichtet, wo er nachweisen konnte und wollte, wie diese Krankheit des Irrsinns nun Otto erfüllte. Der Ludwig musste daran teilnehmen, denn er wurde ja immer von Gudden darüber unterrichtet. Und dabei fand der König, wie der Gudden ihn ansah, dass er so einen scharfen Blick mit einem unwahrscheinlichen Hintergedanken hatte.

Der tote König – noch am Tatort gemalt von H. Kaulbach. Im Jahr 1967 von Siegfried Wichmann fotografiert. (Siegfried Wichmann)
Der tote König – noch am Tatort gemalt von H. Kaulbach. Im Jahr 1967 von Siegfried Wichmann fotografiert. (Siegfried Wichmann)

Der Psychiater Gudden war so eitel: Welche Stellung würde er von Freiherr von Lutz bekommen, wenn er der Gruppierung der Verschwörer nachweisen konnte, dass der König auch unheilbar krank war! Der König sollte also durch die Papiere, die die Stallknechte lieferten, so angegriffen werden, dass ihm die Königswürde genommen werden könnte und er in der Öffentlichkeit als „unheilbar krank“ dargestellt werden konnte. Das hatten sie vor.

Bei diesen nächtlichen Konspirationen, den Treffen zwischen Lutz und Gudden in der Amalienstraße, war Löwenfeld teilweise auch dabei – deshalb kann er das berichten. Ohne dass er das wollte, war er mit in diese Tötung einbezogen.“

Durch diese unfreiwillige Nähe zu den Verschwörern wird laut Wichmann erklärbar, warum Dr. Schleiss von Löwenfeld mit den anderen Unterstützern Ludwigs direkt am Tatort eintreffen konnte. „Denn als sie da landeten am Seeufer, um den König abzuholen, damit er fliehen konnte, kamen sie genau zu der Stelle, wo der König niedergeschossen worden war.

„Der Gudden war damit beschäftigt, die Wunde mit Alaun zu schließen, die blutete ja enorm, das durfte ja überhaupt nicht bekannt werden. Der Lutz, der ein ganz gemeiner Kerl gewesen ist, hatte vorher noch gesagt – und das ist auch durch Schleiss von Löwenfeld überliefert: Ein kurzer Tod wäre ihm lieber als eine lange Flucht. Wenn der König geflohen wäre, wäre er nach Österreich gegangen und was meinen Sie, wäre da los gewesen in der Presse! Das wäre ungeheuerlich gewesen in ganz Europa.“

Von langer Hand geplant

„Am Vormittag des Tötungs-Tags ist der Irrenarzt Gudden schon mit dem König den Weg zum Tatort gegangen. Und warum ist er dann am Nachmittag noch einmal mit ihm hingegangen? Dieser Spaziergang war die Generalprobe für das, was am Abend passierte. Er hatte die beiden „Pfleger“, die immer mitgehen mussten, 400 Meter hinter sich gehabt. Als er abends um sechs aufbrach zu diesem entscheidenden Weg, hat er die Pfleger zurück geschickt – er hat sie nicht mitgehen lassen.

Aber wer lenkte die Tötung am Tage in Schloss Berg? Das war der Washington, ein hoher Offizier, der diese Aufgabe hatte und meines Erachtens völlig informiert war, und tat, als wüsste er nicht, was geschehen ist.“

Dafür spricht laut Wichmann auch die Tatsache, dass auf Schloss Berg nach dem Fund der Leichen Ludwigs und Guddens sofort Tragbahren und Leichenabdecktücher zur Hand waren, es war also vorgesorgt worden – nicht nur für einen Toten. Allerdings hatten die Freunde Ludwigs die eigentlichen Planung der Verschwörer mit ihrer Erdrosselung Guddens jäh durchkreuzt. Eilig musste eine alternative Lüge für die Öffentlichkeit ersonnen werden: Die Legende, Ludwig habe zuerst Gudden ertränkt und dann selbst im See den Tod gesucht, wurde vom Grafen Holnstein und Lutz noch in der Mordnacht proklamiert.

„Es ist keiner dabei gewesen dann – da ist eben eine Lücke. Ich schließe mit meiner Forschung eigentlich nur an den Willen, den die Freunde des Königs hatten an“, fasst der Professor seine Bemühung um die Aufklärung des Falles zusammen.

Kunsthistoriker Siegfried Wichmann. (Mihai Bejan/ETD)
Kunsthistoriker Siegfried Wichmann. (Mihai Bejan/ETD)

Die Vorahnung des Königs

Die zuerst schleichende, dann immer aggressivere Verfolgung Ludwigs durch seine Feinde, hinterließ bei ihm Spuren, die man bis heute anhand der vielen Portraits des Königs nachvollziehen kann. Professor Wichmann nennt hier die Arbeiten des Fotografen Joseph Albert besonders eindrucksvoll.

„Es hat bisher noch kein Kunsthistoriker den Versuch gemacht, die 40jährige Schilderung dieses Königs durch den Fotografen Albert zu untersuchen; ich habe in meinem Buch gezeigt, wie er am Schluss eigentlich schon tot war. Mein ganzer Aufsatz mit dem Hermann Kaulbach, und dem Schloss Falkenstein zeigt ja ganz deutlich, wie die ganze Situation ablief und der König schon bereit war, zu sterben, sonst hätte er diese Ruine Falkenstein gar nicht gekauft. Er wollte da eigentlich eine Erinnerungsstätte für sich selbst, weil er einfach aus diesem Todesgeschehen nicht herauskam.“

Lügen und Erniedrigung

„Diese ganze Entwicklung war so brutal gewesen, dass man sie kaum darstellen kann und es war nicht anderes als eine Verschwörung gewesen, eine echt Verschwörung.

In der Gruppe der Feinde stand Minister Lutz an erster Stelle, dem man nachweisen kann, wie zufrieden er war, dass der Gudden auch noch umkam, weil er dann einen Zeugen weniger hatte.

Außerdem war noch eine ganze Menge Minister beteiligt, Handlanger aller Art, zum Beispiel der Staatsrat Pfitzermeier, der später den Schleiss von Löwenfeld gezwungen hat, zu sagen, dass der König ganz krank gewesen sei.“

„In jedem Fall war die Brutalität mit der der König gefangen genommen, mit der er gegriffen wurde und welche Schmerzen er dabei hatte – das war alles ungesetzlich gewesen. In der Zeit wäre das bei einem ganz normalen Ablauf von einem Vergehen überhaupt nicht möglich gewesen, solche Isolierungen durchzuführen. Dass er abgeführt wurde, dass er belauscht wurde mit Gucklöchern in den Türen, dass ihm morgens die Kleidung nicht gegeben wurde – ihm wurde klar gemacht, dass er ein Gefangener tiefsten Ranges war und das muss man sich mal bei der Gestalt dieses Mannes vorstellen…“

„Der König ist ein ganz anderer Mann, als wie er in den Schmutz gezogen wurde. Das finde ich so ekelhaft, wie man ihn in die Gosse herunterbrachte. Ich muss sagen, die Asiaten haben den König immer besser verstanden als die nachfolgenden Europäer. Sie haben ihn viel ehrlicher und menschlicher gesehen. Diese Verkitschung, die heutzutage passiert, ist ein Jammerspiel und nicht im Sinne dieses Mannes, der ganz andere Ziele hatte…“

Teil 1: 28 Jahre Forschung: Wichmann ersteigert das geheime Hausarchiv der Wittelsbacher für den Wert eines Eigenheims.

Teil 3: Neue Forschungsergebnisse über Ludwig II.: „Der König war ein genialer Mann“

 

28 Jahre intensive Forschungsarbeit und einige „unwahrscheinliche Zufälle“ führten den weltweit anerkannten Kunstexperten Prof. Siegfried Wichmann zu seinen Erkenntnissen über Leben und Sterben König Ludwigs II. von Bayern. Seine Annäherung an die historischen Tatsachen veröffentlichte er 2007 im Selbstverlag unter dem Titel: „Die Tötung des Königs Ludwig II. von Bayern“ Das Buch ist für 75 Euro erhältlich (ISBN 978-3-00-022234-4).

Erschienen in The Epoch Times 9/08



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