Urvogel Archaeopteryx lithographica mit vier Flügeln?

Titelbild
Der Archaeopteryx.Foto: Naturkundemuseum Berlin
Epoch Times19. Oktober 2006

Der Urvogel Archaeopteryx lithographica und insbesondere das am besten erhaltene Berliner Exemplar steht immer wieder im Mittelpunkt wissenschaftlicher Untersuchungen. Derzeit wird diskutiert, welche Funktion die Federn an den Hinterbeinen hatten und wie flugtauglich das Tier war. In National Geographic wird derzeit unter der Schlagzeile „Urvogel flog mit vier Flügeln“ eine neue These von Nick Longrich, Paläontologe der Universität Calgary, Kanada (publiziert im Fachjournal Paleobiology) diskutiert: Welche Funktion haben die Federn an den Hinterbeinen des Urvogels Archaeopteryx lithographica und wie gut konnte er fliegen?

Von den zehn bisher gefundenen Exemplaren des ca. 150 Millionen Jahre alten Urvogels Archaeopteryx lithographica aus den Solnhofener Plattenkalken ist das 1876 gefundene Berliner Exemplar mit seinen ausgebreiteten Flügeln das am besten erhaltene und schönste Fossil. Kein Wunder, dass Wissenschaftler aus aller Welt immer wieder Untersuchungen an dem Tier vornehmen, um neueste Erkenntnisse z.B. zur Evolution der Vögel und zur Flugfähigkeit dieses Urvogels zu gewinnen.

Helmut Tischlinger und David Unwin, damaliger Kurator für fossile Vögel am Berliner Museum für Naturkunde fanden kürzlich heraus, dass die Federrelikte an den Flügeln sich z.T. als dünner Film einer sich schwarz abzeichnenden Substanz im UV-Licht abzeichnen. Seit langem ist bekannt, dass der Berliner Urvogel auch kleine Federn an den Hinterbeinen besaß. Diese sind besonders gut im UV-Licht an der Gegenplatte des Fossils und an einem alten Abguss zu sehen. Vergleicht man Gegenplatte bzw. Abguss mit dem Original fällt auf, dass trotz mehrfacher Präparation mit dem Ziel, die Knochenstruktur freizulegen, die Befiederung am Original noch sehr gut erhalten ist.

Seit der vierflüglige Dinosaurier Microraptor aus China bekannt wurde entbrannte die Diskussion um die Funktion der Federn an den Hinterbeinen des Archaeopteryx lithographica neu. Per Christiansen und Niels Bonde beschrieben bereits im Jahre 2004 in „Comptes Rendus Palevol“ diese Beinfedern, die symmetrisch an den Hinterbeinen angeordnet, aber kleiner und nicht so gut organisiert sind wie Flugfedern. Nach Bonde & Christiansen erlaubt der Erhaltungszustand der Federn nicht die sichere Schlussfolgerung, dass die Körperfedern den Konturfedern der heutigen Vögel ähneln. Die Federn an den Beinen könnten einfache Konturfedern mit offenen Fahnen und ohne Häkchen (Hamuli) gewesen sein, die nicht zum Fliegen geeignet waren.

Im Gegensatz dazu interpretiert Longrich die bislang für Wärmeisolationsfedern gehaltenen Beinfedern als Flugfedern. Bislang war unklar, ob Archaeopteryx ein Gleitsegler war, der an Bäumen hochkletterte und von dort aus startete, oder ob er von der Erde aus starten konnte. Laut Longrich scheint damit die Gleitflug-Theorie bestätigt, Archaeopteryx flog seiner Meinung nach ähnlich wie ein Flughörnchen. Die hinteren Flugfedern scheinen insbesondere Stabilisierungsfunktion gehabt zu haben. Die ausschließliche „tree-down“ Interpretation ist in der Fachwelt jedoch noch umstritten.

Die wissenschaftliche Diskussion bringt Archaeopteryx lithographica und insbesondere das ausgezeichnet erhaltene Berliner Exemplar wieder zurück in den Mittelpunkt der Untersuchungen. Wir können gespannt sein, welche Meinungen sich in Zukunft durchsetzen werden. Eines ist jedoch unumstritten: Archaeopteryx hatte nicht vier Flügel, wie manche Schlagzeile in der Presse verkündete, sondern zwei Flügel und Federn an den Hinterbeinen, ähnlich den heutigen Raubvögeln, bei denen die Beinfedern bei der Wärmeisolation und beim Bremsvermögen eine Rolle spielen.

Museumsbesucher konnten bisher nur eine Kopie des Berliner Urvogels in der Ausstellung sehen. Im Rahmen der gegenwärtig durchgeführten Neugestaltung der Ausstellung ist geplant, den Berliner Archaeopteryx in die Dauerausstellung zu integrieren. Vorgesehen ist die Präsentation ab Sommer 2007 in einer von dem Berliner Geschäftsmann Hans Wall gespendeten Hochsicherheitsvitrine. Damit wird der Berliner Urvogel erstmals in seiner Geschichte für die Öffentlichkeit in einer seiner Bedeutung angemessenen Präsentation zugänglich und entfacht hoffentlich auch die Diskussion unter den Museumsbesuchern neu.  

Dr. Gesine Steiner – Humboldt-Universität zu Berlin



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