Maximal 19 Grad: Darf ich streiken, wenn es im Büro zu kalt wird?

Die Energiesparmaßnahmen der Regierung wirken sich für einige bereits spürbar auf die tägliche Arbeit aus. Betroffene haben nur wenige Optionen.
Darf ich streiken, wenn es auf Arbeit zu kalt ist?
19 Grad sind künftig in öffentlichen Gebäuden im Büro angesagt. In privaten Unternehmen ist das schwieriger durchzusetzen.Foto: iStock
Von 8. Oktober 2022

Bis dato wurde die Frage angemessener Temperaturen bei der Arbeit meist im sommerlichen Kontext diskutiert. Dabei ging es zum Beispiel um die Frage, wann es zu heiß zum Arbeiten sei oder ob kurze Hosen im Hochsommer in Ordnung sind. Die Energiekrise bereitet Beschäftigten plötzlich gegenteilige Sorgen. Angesichts der seit September geltenden bundesweiten Energiesparverordnungen stehen viele Arbeitnehmer nun vor der Frage, ab wann es zu kalt zum Arbeiten ist – und ob man, weil man friert, den Dienst quittieren darf.

Beamte müssen sich bereits an Mindesttemperatur halten

Seit 1. September ist Energiesparen in öffentlichen Gebäuden hierzulande Pflicht – in deutschen Amtsstuben wurde die Temperatur bereits herabgesenkt. Die vorerst auf sechs Monate befristete „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung durch kurzfristig wirksame Maßnahmen“ (EnSikuMaV) schreibt in betroffenen Büros Höchsttemperaturen von 19 Grad vor und unterschreitet damit bestehende Empfehlungen, die bei 20 Grad liegen.

Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder andere soziale Einrichtungen sind von der Regelung, die vorerst auf sechs Monate beschränkt ist, ausgenommen. Der Begriff „öffentliche Gebäude“ wurde in der Energiesparverordnung allerdings bewusst weit gefasst. Es handelt sich demnach um jene „im Eigentum oder in der Nutzung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts“. Damit sind Unternehmen gemeint, die „öffentliche Aufga- ben der Daseinsvorsorge“ erbringen und „unter der finanziellen oder politischen Kontrolle von einer Gebietskörperschaft“ stehen. Das trifft beispielsweise auf Sparkassen zu.

Mindesttemperatur für Mieter ausgesetzt

Als Dienstherr seiner Beamten hat der Staat kurze Wege, um Anordnungen dieser Art zu treffen. Komplizierter wird es in der Privatwirtschaft. Hier hat die Verordnung Klauseln in Wohnungsmietverträgen vorübergehend ausgesetzt, die Mieter zum Heizen auf eine bestimmte Mindesttemperatur verpflichtet hatten.

Für Ladenlokale im Einzelhandel enthält die Verordnung bundesweit verbindliche Vorschriften zum Energiesparen. Diese beziehen sich auf Ladentüren und Eingangssysteme, die potenziell Heizwärme abgeben. Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Arbeitsschutzrichtlinie (ASR), die diese konkretisiert, sind bis dato jedoch nicht betroffen.

Diese kommen in den meisten privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen zur Anwendung – vom Büro bis zur Großbaustelle. Was die angemessene Raumtemperatur am Arbeitsplatz anbelangt, spricht die Arbeitsstättenverordnung von einer, die „gesundheitlich zuträglich“ sein soll. Was das konkret bedeute, sei mit Blick auf die Art der Tätigkeit der Betroffenen und ihrer Belastung zu bestimmen.

Die Arbeitsschutzrichtlinie nimmt wiederum auf technische Standards Bezug. Wie dieser Stand aussieht, ermittelt ein Fachgremium, der Ausschuss für Arbeitsstätten. Er stimmt seine Festlegungen und etwaige Änderungen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ab. Hält ein Arbeitgeber die dort beschriebenen technischen Standards ein, kann er davon ausgehen, die Anforderungen zu erfüllen. Abweichen darf er nur, wenn seine Lösung mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Schutz seiner Beschäftigten gewährleistet.

Leichte sitzende Arbeit im Büro verlangt 20 Grad Raumtemperatur

Was die Lufttemperaturen anbelangt, die demzufolge über die gesamte Nutzungsdauer hinweg einzuhalten sind, gilt in den Sommermonaten eine Höchsttemperatur von 26 Grad. Diese bezieht sich auf geschlossene Räume. Was eine Mindesttemperatur in der kalten Jahreszeit anbelangt, differenziert die Richtlinie nach Art der Tätigkeit und der damit verbundenen körperlichen Belastung.

Eine seit 2010 geltende Vorschrift zur Raumtemperatur definiert für leichte Tätigkeiten im Sitzen eine Mindesttemperatur im Raum von 20 Grad als angemessen. Das ist ein Grad über dem Standard, den Minister Habeck für die Arbeit in öffentlichen Räumen als Maximalwert verordnet hat. In der Privatwirtschaft wäre das aufgrund der technischen Regel nur bei mittelschwerer Arbeit im Sitzen zulässig.

Abweichende Bestimmungen gelten für Arbeit im Stehen und Gehen. Hier müssen Räume mindestens auf 19 Grad geheizt werden, wenn die Tätigkeit eine leichte ist. Bei einer mittelschweren Arbeit liegt die Mindesttemperatur bei 17 und bei schwerer körperlicher Arbeit bei 12 Grad. Pausen- und Sanitärräume müssen noch stärker beheizt werden als Räume für leichte Tätigkeiten im Sitzen.

Für spezielle Verhältnisse wie auf Baustellen, in Kühlräumen oder Arbeit unter dauerhaft ungünstigen Bedingungen greifen Sonderregelungen. Hier müssen Dienstgeber besondere Pausenregelungen beachten oder entsprechende Schutzkleidung oder Ausrüstung bereitstellen.

Kein grundsätzliches Recht auf Arbeitsverweigerung

Was die Definition von leichter, mittel- schwerer oder schwerer Arbeit anbelangt, weist die IG Metall darauf hin, dass im Zweifel eine Einzelfallabwägung stattzufinden hat. Wo es einen Betriebsrat gibt, kommt diesem ein Mitspracherecht zu. Der Grad der körperlichen Belastung und Faktoren wie das Heben von Lasten spielen dabei eine zentrale Rolle.

Fällt die Temperatur unter die Richtwerte, sind Arbeitgeber verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch hier hat ein Betriebsrat, wo ein solcher vor- handen ist, ein Mitspracherecht hinsichtlich der Angemessenheit.

Darf nun die Arbeit verweigert werden? Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Eigenmächtig die Arbeit niederlegen dürfen Beschäftigte nicht ohne Weiteres, wenn der Arbeitgeber nichts gegen zu tiefe Temperaturen unternimmt. Dies kann erst zulässig sein, wenn Beschwerden des Arbeitnehmers selbst oder Interventionen des Betriebsrats zu keinen Maßnahmen des Arbeitgebers führen.

Voraussetzung dafür ist, dass die Temperaturen so niedrig sind, dass die Gesundheit des Arbeitnehmers gefährdet wäre. Die Beweislast dafür trifft diesen selbst.

Allerdings könnte eine Interessenabwägung gerade im Bereich der Büroarbeit auch andere Lösungen nahelegen. In manchen Fällen haben Arbeitgeber von sich aus Beschäftigten die Wahl zwischen kühlerem Büro und Homeoffice angeboten. Im letztgenannten Fall hätte der Arbeitnehmer den Vorteil, selbst entscheiden zu können, bei welcher Raumtemperatur er arbeiten möchte. Allerdings trägt er auch selbst etwaige zusätzliche Heizkosten. Anspruch auf Zuschüsse hat er nicht. Steuerlich kann jedoch eine Homeoffice-Pauschale zum Tragen kommen.

Wer kontrolliert am Ende Heizungen und Durchlauferhitzer?

Die Grundlage der Verordnung ist § 30 Absatz 1 des Energiesicherungsgesetzes. Für den Vollzug sind in diesem Fall die Länder verantwortlich. Diese haben auch „die personellen, materiellen und organisatorischen Voraussetzungen zur Durchführung der Maßnahmen“ zu schaffen.

Im Regelfall gilt das Zuwiderhandeln gegen Verordnungen, die aufgrund des Energiesicherungsgesetzes ergangen sind, als Ordnungswidrigkeit. Allerdings können in bestimmten Fällen auch Haftstrafen von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen drohen. Dies ist unter anderem bei „beharrlichen“ Wiederholungen oder „schwerer“ Gefährdung der Versorgung vorgesehen. Außerdem kann es zu strafrechtlichen Konsequenzen führen, wenn jemand eine „außergewöhnliche Mangellage“ zur Erzielung bestimmter Güter „zur Erzielung von bedeutenden Vermögenswerten ausnutzt“.

Die Verfolgung von „Heizsündern“ wird also am Ende des Tages den Behörden vor Ort obliegen. Im Regelfall werden sie auf eine entsprechende „Zuarbeit“ angewiesen sein – beispielsweise durch besorgte Bürger, die sich berufen sehen, einen Verdacht mitzuteilen. Auch die Grundlage für mögliche anlasslose Kontrollen durch die Polizeibehörden vor Ort müsste in einer eigenen Verwaltungsvorschrift geschaffen werden.

Es liegt die Annahme nahe, dass diese als politisch besonders heikel wahrgenommen würden. Entsprechend wird die Entscheidung, auf solche zurückzugreifen, auch vom Fingerspitzengefühl der Verantwortlichen vor Ort abhängen.

Die Energiesparvorgaben der Bundesregierung sorgen seit Wochen für Diskussionen. Am Anfang stand der Entwurf eines Notfallplanes der EU- Kommission. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kündigte im August an, auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes maximal 19 Grad verbindlich zu machen. Am 1.9.2022 trat die vorerst auf sechs Monate befristete Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung durch kurzfristig wirksame Maßnahmen in Kraft.

Auch das Erwärmen mittels Durchlauferhitzern oder Boilern ist nicht mehr erlaubt, wenn diese nur dem Händewaschen dienen. Für zentrale Wassererwärmungsanlagen, etwa solche für Duschwasser, gelten auch Untergrenzen, um die Verbreitung von Legionellen zu vermeiden.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 65, vom 08. Oktober 2022.



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