Peru: Archäologen entdecken Massengrab mit mehr als 300 geopferten Kindern und Lamas

In einem Massengrab im Norden Perus haben Archäologen die Überreste von mehr als 140 Kindern und 200 jungen Lamas gefunden. Sie vermuten, dass es sich um Überreste des größten Kinderopfer-Rituals der Welt handelt.
Titelbild
Mehrere der über 500 Jahre alten Skelette an ihrem Fundort Huanchaquito-Las Llamas.Foto: Gabriel Prieto/National Geographic/dpa
Epoch Times29. April 2018

In einem Massengrab im Norden Perus haben Archäologen aus Peru und den USA die Überreste von mehr als 140 Kindern gefunden. Dabei könnte es sich um Überreste des größten Kinderopfer-Rituals der Welt handeln, heißt es in einem Beitrag der Zeitschrift „National Geographic“.

Mord im Schatten der Hauptstadt

Mehr als 140 Kinder und 200 junge Lamas scheinen in einem einschneidenden Ereignis rituell geopfert worden zu sein. Vor 550 Jahren  wurden sie auf einer windgepeitschten Klippe, im Schatten der damaligen Hauptstadt des Chimú-Reiches geopfert. Die wissenschaftlichen Untersuchungen des internationalen Teams unter der Leitung von Gabriel Prieto und John Verano dauern noch an.

Aus spanischen Chroniken der Kolonialzeit sind bereits seit längerer Zeit Menschenopfern bei den Azteken, Maya und Inka bekannt. Viele moderne wissenschaftliche Ausgrabungen konnten zudem die Schriftquellen bestätigen.

Doch die Entdeckung dieses großangelegten Kinderopfers aus der wenig bekannten peruanischen Chimú-Zivilisation ist beispiellos in Amerika, wenn nicht sogar in der ganzen Welt.

„Ich hätte das nie erwartet“, sagt Verano, ein Anthropologe, der seit mehr als drei Jahrzehnten in der Region arbeitet. „Und ich glaube auch nicht, dass jemand anderes es getan hätte.“

Bereits 2011 entdeckte man die ersten Überreste

Die Opferstätte, die offiziell als Huanchaquito-Las Llamas bekannt ist, befindet sich auf einer niedrigen Klippe, nur dreihundert Meter vom Meer entfernt. Weniger als eine halbe Meile östlich des Geländes befindet sich das UNESCO-Weltkulturerbe Chan Chan, das alte Verwaltungszentrum Chimús.

Zu seiner Blütezeit kontrollierte das Chimú-Reich ein etwa 1.000 Kilomter langes Territorium entlang der Pazifikküste und umfasste die heutigen Länder Peru und Ecuador. Nur die Inka besaßen ein größeres Imperium als die Chimú im alten Südamerika, und setzten ihnen um 1475 ein Ende.

Huanchaquito-Las Llamas sorgte 2011 erstmals für Schlagzeilen, als die Überreste von 42 Kindern und 76 Lamas bei einer Notgrabung entdeckt wurden. Die Wissenschaftler gruben einen 3.500 Jahre alten Tempel aus, dessen Straße an der Opferstätte vorbeiführte. Anwohner hatten kurz zuvor die menschliche Überreste gefunden und die Archäologen auf den Fund aufmerksam gemacht.

Als die Ausgrabungen 2016 in Las Llamas abgeschlossen wurden, waren mehr als 140 Kinderreste und 200 junge Lamas auf dem Gelände entdeckt worden. Die in den Bestattungen gefundenen Seile und Textilien datieren laut Radiokarbondatierungen zwischen 1400 und 1450.

Ein gewaltsames Ritual

Die Skelettreste der Kindern und Lamas zeigen sowohl Schnitte am Brustbein als auch Verrenkungen der Rippen. Dies deutet laut den Forschern darauf hin, dass die Brust der Opfer aufgeschnitten und auseinander gezogen wurde. Möglicherweise erleichterten sie sich so die Entfernung des Herzens. Viele der Schädel weisen zudem eine rötliche Verfärbung auf, die höchstwahrscheinlich zum Ritus gehörte.

Weiterhin wurden die Überreste von drei Erwachsenen, ein Mann und zwei Frauen, in unmittelbarer Nähe der Kinder und Tiere gefunden. Ihre Knochen zeigten Anzeichen für ein stumpfes Schädeltrauma und auch ihre Niederlegung enthielt kaum Beigaben. Die Erwachsenen könnten möglicherweise ebenso eine Rolle bei dem Opferungsereignis gespielt haben.

Die 140 geopferten Kinder waren im Alter von etwa fünf bis 14 Jahren, die meisten jedoch zwischen acht und zwölf Jahren. Der Großteil von ihnen wurde nach Westen hin mit dem Blick auf das Meer begraben. Bei den Lamas handelte es sich um weniger als 18 Monate alte Tiere. Diese liegen in der Regel nach Osten, in Richtung der hohen Gipfel der Anden, ausgerichtet.

Eine Spur von Abdrücken, in der Zeit eingefroren

Die Forscher vermuten, dass alle menschlichen und tierischen Opfer in einem einzigen Ereignis rituell getötet wurden. Diese Vermutung basiert auf einer getrockneten Schlammschicht, die im östlichen Teil gefunden wurde. Die Störungen sind vermutlich während des Aushebens der Grabgruben und des nachfolgenden Opferereignisses entstanden.

Archäologen entdeckten die Abdrücke von Schuhen, Hunden, barfüßigen Kindern und jungen Lamas, die in der Schlammschicht konserviert waren. Tiefe Spuren zeugen von widerwilligen Vierbeinern, die gewaltsam zum Opferplatz gebracht wurden.

Ein weltweiter Ritus?

Das bislang größte Massenereignis für Kinderopfer war der Ritualmord und die Bestattung von 42 Kindern auf dem Templo Mayor in der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán.

Außerhalb Amerikas debattieren Archäologen an Orten wie der antiken phönizischen Stadt Karthago, ob dort gefundene Überreste von Kindern ebenso rituelle Opfer darstellen. Auch steht zur Debatte ob derartige rituelle Ereignisse im Laufe von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten stattfanden.

Verano betont, dass solche eindeutigen Beweise für vorsätzliche, singuläre massenhafte Opferereignisse, wie sie in Las Llamas nachgewiesen wurden, im archäologischen Kontext äußerst selten zu finden sind.

Menschenopfer sind aus verschiedenen Zeiten und aus fast allen Teilen der Welt bekannt. Die Wissenschaftler glauben, dass dieses Ritual eine wichtige Rolle bei der Entwicklung komplexer Gesellschaften gespielt haben könnte.

Die meisten gesellschaftlichen Modelle, die sich mit Menschenopfern befassen, basieren jedoch auf dem rituellen Töten von Erwachsenen, sagt Joseph Watts, von der Universität Oxford. „Ich denke, es ist definitiv schwieriger, Kinderopfer zu erklären“, sagt er und hält dann inne. „Auch auf einer persönlichen Ebene.“

Verhandlung mit übernatürlichen Kräften

Eine Massenopferung fast ausschließlich von Kindern und jungen Lamas scheint jedoch ein Phänomen zu sein, das in den archäologischen Aufzeichnungen bisher unbekannt war. Es stellt sich die Frage: Was hat die Chimú dazu bewegt, eine solche Tat zu begehen?

Prieto räumt ein, dass dies oft die erste Frage ist, der er begegnet, wenn er von seiner Forschung in Las Llamas berichtet. „Wenn die Leute hören, was passiert ist und wie groß das Ausmaß ist, fragen sie immer zuerst, warum.“

Forscher sagen, die Schlammschicht, die sie bei Ausgrabungen gefunden haben, könnte einige Hinweis liefern. Sie vermuten, dass dies auf starke Regenfälle und Überschwemmungen an der im Allgemeinen trockenen Küste zurückzuführen ist und wahrscheinlich mit einem Klimaereignis im Zusammenhang mit El-Niño steht.

Erhöhte Meerestemperaturen, die ebenfalls für El Niño charakteristisch sind, hätten die Meeresfischerei in der Region gestört. Zeitgleich hatten die Menschen mit Überschwemmungen an der Küste und mit Problemen in der Landwirtschaft zu kämpfen.

Wenn „Erwachsenenopfer“ nicht mehr ausreichten

Haagen Klaus, Professor für Anthropologie an der George Mason University legt nahe, dass Gesellschaften an der nördlichen peruanischen Küste sich aus einem Grund dem Opfern von Kindern zugewandt haben könnten. Nämlich dann, wenn das Opfern von Erwachsenen nicht ausreichte, um die wiederholten Störungen von El Niño abzuwehren.

„Die Menschen opfern das, was ihnen am meisten und größten Wert ist“, erklärt er. „Sie haben vielleicht gesehen, dass „Erwachsenopfer“ unwirksam waren. Der Regen kam immer wieder. Vielleicht gab es einen Bedarf für eine neue Art von Opfern.“

„Es ist unmöglich, das alles ohne eine Zeitmaschine zu wissen“, sagt Klaus und fügt hinzu, dass die Entdeckung von Las Llamas insofern wichtig ist, als sie zu unserem Wissen über rituelle Gewalt und Variationen über Menschenopfer in den Anden beiträgt.

„Es gibt die Idee, dass rituelles Töten vertraglich ist. Das es durchgeführt wird, um etwas von übernatürlichen Gottheiten zu bekommen. Aber es ist tatsächlich ein viel komplizierterer Versuch, mit diesen übernatürlichen Kräften und deren Manipulation durch die Lebenden zu verhandeln.“

Möglicherweise ist die aktuelle Entdeckung nur die Spitze eines Eisberges

Das Team, dass die Opfer von Las Llamas untersucht, unternimmt nun die mühsame Arbeit, die Lebensgeschichten der Opfer zu entschlüsseln: Wer waren die Toten und woher kamen sie?

Obwohl es in einem so jungen Alter schwierig ist, das Geschlecht anhand von Skelettresten zu bestimmen, zeigt eine vorläufige DNA-Analyse, dass sowohl Jungen als auch Mädchen Opfer waren. Zudem zeigt die Isotopanalyse, dass sie nicht alle Teil der lokalen Bevölkerung waren. Viele stammten wahrscheinlich aus verschiedenen ethnischen Gruppen und Regionen des Chimú-Reiches.

Seit der Entdeckung in Las Llamas hat das Forscherteam weitere archäologische Beweise für ähnliche, zeitgleiche Massen-Kinder-Lama-Opferstätten gefunden. „Las Llamas ist schon einzigartig in der Welt, und man fragt sich, wie viele andere Orte in der Gegend für zukünftige Forschungen da sind“, sagt Prieto. „Dies könnte nur die Spitze des Eisbergs sein.“ (dpa/ls)



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