25 Millionen Datensätze für ein Jahr: DataMiner David Kriesel zur Pünktlichkeit der Deutschen Bahn
Nach eigenen Erfahrungen mit der Deutschen Bahn hat der Datenwissenschaftler David Kriesel ein Jahr lang „jeden einzelnen Halt jeder einzelnen Zugfahrt auf jedem einzelnen Fernbahnhof in ganz Deutschland“ erfasst und analysiert. 50.000 Halte pro Tag.
In 25 Millionen Datensätzen fand der gebürtige Bonner nicht nur, welche Züge am häufigsten ausfallen, sondern auch, dass er offensichtlich am falschen Ort wohnt und dass die Bahn nicht immer ehrlich ist. So tauchen ausgefallene Züge in der eigenen Pünktlichkeitsstatistik nicht auf. Zudem fand er einige praktische Reisetipps, um Zeit und Geld zu sparen.
Ein großes Lob an die Deutsche Bahn
Zuerst einmal gilt der Deutschen Bahn aber ein großes Lob, sagt er in einem Vortrag zu seinen Ergebnissen. Sie befördert jeden Tag etwa sieben Millionen Menschen – und das, über das ganze Jahr 2019 konstant, an 98 bis 99 Prozent aller Halte mit einer maximalen Verspätung von 15 Minuten. Viele (Fern-)Reisende haben dennoch das Gefühl, dass die Bahn „sowieso immer zu spät“ kommt, oder ausgerechnet ihre Zugverbindung „immer“ ausfällt. Das stimmt nicht. Aber es gibt Züge und Bahnhöfe, die besonders häufig betroffen sind.
Fünf Minuten und 59 Sekunden – so viel Verspätung erlaubt die Deutsche Bahn einem Zug maximal, um noch als „pünktlich“ zu gelten, trotzdem kommt gefühlt jeder zweite Zug zu spät. Die Bahn gibt die Pünktlichkeit der Fernzüge im Dezember mit 79,1 Prozent an. Lediglich im Februar und im Mai 2019 lagen die Werte minimal darüber. Um die Datenmassen in Grenzen zu halten, beschränkte sich Kriesel auf die Fernzüge. Zudem übernahm er die Definition von Pünktlichkeit der Deutschen Bahn.
Besonders spät kommen demzufolge Eurocity-Züge (EC), „davon sind nicht mal 70 Prozent nach der Bahn-Definition pünktlich“ erklärte Kriesel in seinem Vortrag auf dem 36. Chaos Communication Congress (kurz 36C3). Diese Zugart sei jedoch sehr international unterwegs und bringt manchmal Verspätung mit nach Deutschland. Die Deutsche Bahn „kann […] da nichts für.“
Intercity-Züge (IC) und Intercity-Express-Züge (ICE) sind laut Kriesels Statistik in über 76 Prozent (IC) und über 75 Prozent (ICE) pünktlich. Das entspricht den offiziellen Zahlen der Deutschen Bahn aus dem Jahr 2019 von 75,9 Prozent.
Interessanterweise fehlen in der Statistik der Bahn jedoch Zugausfälle. Diese Zahl hat Kriesel daher selbst errechnet und stellt fest, dass ICEs überdurchschnittlich oft ausfallen.
456 Minuten Verspätung und die Scheuer/Pofalla-Wende
Durchschnittlich fallen über fünf Prozent der ICE-Halte aus, beim IC sind es gut drei Prozent, beim EC etwas über zwei Prozent – dafür ist letztgenannter weniger oft pünktlich. Ein ICE taucht also „in einem von 20 Mal einfach nicht auf“, so Kriesel. Außerplanmäßig eingesetzte Ersatzzüge konnte der Bonner Datenwissenschaftler nicht explizit erfassen. Eine „der fettesten, nicht ausgefallenen Verspätung […] war der ICE 576 von Stuttgart nach Hamburg, und zwar am 17. Oktober 2019. Der hatte 456 Minuten Verspätung.“
Um solche Verspätungen zu vermeiden, nutzt die Bahn einen Trick und bessert mit Zugausfällen – die nicht erfasst werden – ihre Pünktlichkeitsstatistik auf. Zeichnet sich ab, dass ein Zug am Zielbahnhof deutlich zu spät ist und die nächste Fahrt bereits mit Verspätung beginnen müsste, lässt die Bahn unter Umständen den oder die letzten Bahnhöfe ausfallen. Mit einem neuen Startbahnhof kann der Zug dann zumindest die folgende Fahrt pünktlich beginnen.
Dadurch entfallen zwei oder mehr verspätete Stopps und werden daher nicht erfasst. Jeder ausgefallene, verspätete Halt, verbessert damit die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn. Diese, wahlweise nach Bundesverkehrsminister oder DB-Vorstandschef benannte, Scheuer/Pofalla-Wende der Züge, wird „immer im Sinne der Mehrheit der Fahrgäste abgewogen“, schreibt die Bahn.
Berücksichtigt man in der Pünktlichkeitsbetrachtung auch ausgefallene Züge – statistisch gesehen also alle Bahnhöfe, an denen Züge pünktlich waren, statt alle Bahnhöfe, an denen Züge zu spät waren – beträgt die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn 72,5 Prozent.
Ab 40 Minuten Verspätung wird ein Zug „aufgegeben“
Doch nicht immer kann die Deutsche Bahn etwas für Zugausfälle und Verspätungen. Ähnlich wie die „importierte Verspätung“ der ECs beeinflussen Wind und Wetter den Bahnverkehr: Als im März 2019 Orkan Eberhardt über Deutschland fegte, fielen deutschlandweit 22 Prozent aller Fernzüge aus, örtlich fielen bis zu 50 Prozent der Züge aus. Und als die Temperaturen Ende Juli in die Höhe kletterten, fielen 17 Prozent der Züge aus.
Aus Kriesels Daten wird ebenfalls erkenntlich, dass Züge im Hochsommer und im Winter verhältnismäßig oft ausfallen, allen voran die ICEs. Außerdem sind Züge, die weite Strecken zurücklegen – die längsten Direktverbindungen der DB sind über 1.000 Kilometer lang –, tendenziell weniger pünktlich.
Nach acht Stunden Fahrt sind unter 60 Prozent pünktlich, sagte Kriesel und nimmt die Bahn in Schutz. Viele Untersuchungen beziehen sich nur auf Fahrten zwischen weit entfernten Metropolen. Diese machen die Bahn schlechter, als sie ist, da sie durch die Auswahl Verbindungen nur den Teil mit den hohen Verspätungen betrachten. Zu Beginn der Fahrt sind über 92 Prozent der Fernzüge pünktlich.
Es ist nicht so, dass die Bahn Verspätungen einfach so hinnimmt oder Züge willkürlich ausfallen lässt. In der Auswertung, wie viele Züge im Laufe ihrer Fahrt Verspätung wieder abbauen, zeichnet sich jedoch eine Stufe bei 40 Minuten Verspätung ab. Kriesel spricht davon, dass Züge ab diesem Wert „aufgegeben“ werden. 50 bis 65 Prozent aller Züge mit maximal 40 Minuten Verspätung verringern ihre Verspätung bis zum Zielbahnhof. Ab über 40 Minuten sind es lediglich gut 40 Prozent der Züge, je größer die Verspätung, desto unwahrscheinlicher ist, dass sie weniger wird.
Besondere „Problemzonen“ und der Vergleich mit Japan
Bezüglich Pünktlichkeit gelten die japanischen Hochgeschwindigkeitszüge des Shinkansen als unübertroffen, doch schon der Name, zu deutsch „Stammstrecke“, lässt vermuten, dass sich die Deutsche Bahn damit nicht messen kann.
Während der Shinkansen lediglich etwa 100 Städte verbindet, fährt die Deutsche Bahn allein im Fernverkehr etwa 350 Bahnhöfe an. Im Nahverkehr sind es über 6.500 Bahnhöfe, zudem teilen sich der deutsche Güter-, Nah- und Fernverkehr dasselbe Streckennetz. Der Shinkansen fährt im Allgemeinen auf separaten Gleisen. Diese sind speziell für Höchstgeschwindigkeiten von über 300 km/h ausgelegt und durch bauliche Maßnahmen wie Zäune, Schneefänge und Ähnliches geschützt.
IN Deutschland sind durch das gemeinsame Streckennetz Züge in Ballungszentren häufiger verspätet als in weniger dünn besiedelten Gegenden. Besonders betroffen sind Bahnhöfe im Ruhrgebiet (Essen Hbf, Düsseldorf Hbf, Köln Hbf) sowie Hamburg (HH-Dammtor) und München (M-Ost, M-Pasing). An all diesen Bahnhöfen halten jährlich über 250.000 Züge. In Köln hielten 2019 bis zu 380.000 Züge. Außerdem für Verspätungen prädestiniert ist Kriesels Heimatbahnhof Bonn Hbf, an dem etwa 59 Prozent der Züge pünktlich sind.
Die größten Verspätungsverursacher, also Streckenabschnitte vor und nach einem Bahnhof, die besonders viel Verspätung (über 50.000 Minuten im Jahr) generieren, sind Hamburg, Köln, Frankfurt (Main) Flughafen und Mannheim. Unangefochtener Spitzenreiter ist jedoch Frankfurt Hbf, der dem Streckennetz 2019 über 93.000 Minuten Verspätung bescherte.
Auf der anderen Seite funktionieren Bahnhöfe wie Bremen, Berlin Hbf und Berlin Spandau so gut, dass sie bis zu 20.000 Verspätungsminuten abbauen können. Weniger Großstädte und eine geringere Verkehrsdichte führen dazu, dass Züge im Osten tendenziell pünktlicher sind als im Westen. Überdurchschnittlich pünktlich sind zudem die Fernzüge in Niedersachsen und Bayern (außer in München).
Kostenloses Upgrade: Praktische Tipps für Bahnreisende
Diese Erkenntnisse können Reisende für ihre Buchungen nutzen. Aus den zuvor genannten Gründen warnt Kriesel vor bestimmten Bahnhöfen, „vor ICEs im Allgemeinen“ sowie „vor ICEs im Sommer im Speziellen“. Außerdem sollten Reisende beachten, wie lange ihre Züge bereits unterwegs waren, oder ob ihre Start-, Umsteige- und Zielbahnhöfe am Streckenanfang oder -Ende liegen. Auch Verspätungen ab 40 Minuten gilt es im Auge zu behalten.
Keine „bahnbrechende“ Erkenntnis ist, dass Reisende nach Möglichkeit Direktverbindungen buchen sollten. Je seltener man umsteigen muss, desto geringer ist das Risiko, seinen Anschluss zu verpassen.
Doch Kriesels Daten offenbaren auch eine interessante Möglichkeit zu sparen. Wer ein Zug-Ticket bei der Bahn bucht, hat die Auswahlmöglichkeit zwischen (Super-)Sparpreis und Flexpreis. Der wesentliche Unterschied neben dem Preis ist die Zugbindung bei Sparpreisen. Sprich, wer günstig fährt, darf nur die gewählte Verbindung nutzen.
So steht in den Angebotskonditionen der Spar-Tickets: „Mit dem Sparpreis können Sie nur auf der gebuchten Verbindung reisen. […] Bei einer zu erwartenden Verspätung von mindestens 20 Minuten am Zielort können Sie die Fahrt auf der gleichen Strecke oder über eine andere Strecke fortsetzen, die Fahrt zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen oder einen anderen, nicht reservierungspflichtigen Zug nutzen.“
Das heißt, fällt der Zug aus oder ist am Ziel voraussichtlich deutlich zu spät, ist die Zugbindung aufgehoben und das Spar-Ticket wird zu einem Flex-Ticket. Dies traf im vergangenen Jahr auf 12,4 Prozent aller Fernzug-Halte zu. Insgesamt fand Kriesel fast 500 Kombinationen von Zügen, Bahnhöfen und Wochentagen, in denen Züge mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit mehr als 20 Minuten zu spät sind. Sonntags in Hamburg sind sogar bis zu 90 Prozent aller Fernzüge betroffen.
Reisende auf diesen Strecken bekommen mitunter schon vor Fahrtantritt ein kostenloses Flex-Upgrade. Trotzdem sollten Reisende ihre Zugverbindung stets im Auge behalten, denn sollte ein Zug wider Erwarten doch pünktlich sein, bleibt die Zugbindung bestehen. Außerdem, so Kriesel abschließend, keine Verspätung heißt, dass die Bahn was verbessert. „Seit nett zur Bahn mit ihren Fehlern, wir haben nur diese Eine.“
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