Proteste wegen Raffinerie Schwedt: „Hier wird die ganze Region sterben“

Die Öl-Pipeline „Druschba“ zählt zu den größten der Welt und liefert Rohöl aus Russland nach Schwedt. Die Bundesregierung schließt die Pipeline zum 31.12. – dagegen regt sich Protest.
Am 1. Adventssonntag haben sich auf dem Theaterplatz in Schwedt rund 350 Demonstranten zusammengefunden. Gemeinsam protestieren sie für den Erhalt der Druschba-Pipeline und den Bezug von Rohöl aus Russland. Foto: Erik Rusch / Epoch Times
Am 1. Adventssonntag haben sich in Schwedt rund 350 Demonstranten zusammengefunden. Gemeinsam protestieren sie für den Erhalt der Druschba-Pipeline und den Bezug von Rohöl aus Russland.Foto: Erik Rusch / Epoch Times
Von 29. November 2022

Sie schwenken deutsche und russische Fahnen. Plakate mit der Aufschrift „Raus aus NAhTOd“, „Mittelstand und Industrie erhalten“, „Wir bewahren Identität gegen unfähige Politiker“ oder „Ami go home“ werden hochgehalten. Dazwischen ein paar Reichs- und Preußenflaggen – und nicht zu überhören, gibt eine Trommlergruppe ihr Bestes und kommentiert die Rednerbeiträge auf ihre Weise mit Trommelwirbel.

Baerbock will keine Energie aus Russland

Rund 350 Protestler haben sich nach Polizeiangaben am 1. Adventssonntag in Schwedt auf dem Theaterplatz zusammengefunden. Gemeinsam protestieren sie bei winterlichen Temperaturen für den Erhalt der Druschba-Pipeline. Das russische Wort bedeutet übersetzt ins deutsche „Freundschaft“.

Sie versorgt seit 1963 die PCK-Raffinerie in Schwedt mit russischem Rohöl aus Sibirien. Zum Jahresende wird sie von der deutschen Regierung aus politischen Gründen abgestellt.

Buhrufe und Johlen erntet ein Video auf der Projektionsfläche auf dem Theaterplatz  mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Es wird wiederholt, wie sie im Mai 2022 in Kiew sagte: „Deshalb reduzieren wir mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf Null – und zwar für immer!“

Ähnlich ergeht es Aufnahmen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Habeck war in den letzten Monaten mehrmals in Schwedt, einer Kleinstadt inmitten einer wirtschaftsschwachen Region. Dabei musste er sich den rund 1.100 Mitarbeitern von Deutschlands viertgrößter Raffinerie stellen und ihre sorgenvollen Fragen zur Zukunft des Unternehmens beantworten. Erneut bricht ein lautstarker Sturm der Entrüstung unter den Versammlungsteilnehmern los. Kopfschüttelnd wird geschimpft und in Richtung des Grünen-Politikers wild gestikulierend geflucht.

Im September stellte die Bundesregierung in einer De-facto-Enteignung den 54-prozentigen Anteil des russischen Rohölimporteurs Rosneft Deutschland an der Raffinerie unter Treuhandverwaltung. Habeck begründete dies im September im Bundestag damit, dass „niemand oder immer weniger“ russisches Rohöl haben wollen. Ringsum hört man zu diesem Argument nur Gelächter.

„Hier wird die ganze Region sterben“

Jürgen Jonas (67), Treppenbauer aus dem Berliner Umland, hat heute Nachmittag bereits am Autokorso in Schwedt teilgenommen. Nun treffe ich ihn bei der Kundgebung auf dem Theaterplatz. Er erklärt: „Alle, die hier sind, sind sich einig, dass unsere Regierung Schindluder mit der Wirtschaft treibt.“ Und dass man regierungsmäßig angestiftet werde, mit Russland Feind zu sein. „Da machen wir einfach nicht mit.“

Man wolle ein Freund von Russland sein. „Wir wollen auch, dass die Gas- und Ölleitungen aufgemacht werden beziehungsweise weiter aufbleiben. Wir wollen von Russland billig Rohstoffe kaufen und nicht teuer vom Ami.“ An der Verteuerung der Energie sei nur unsere Regierung schuld, nicht Putin. „Die lügen sich nur einen ab.“

Der Brandenburger Ralf Lechelt organisiert sonst regelmäßig Autokorsos in Berlin „für Frieden, Freiheit und unsere Selbstbestimmung“, wie er erklärt. Und das – nach eigenen Angaben – schon seit Januar 2021. Heute ist er als Redner und Versammlungsleiter eines Autokorsos, der vor der Kundgebung in Schwedt stattfand, in die Kleinstadt gereist.

„Hier wird die ganze Region sterben, wenn die Raffinerie nicht mehr effektiv arbeiten kann“, ist sich der im Bauhandwerk tätige Berliner sicher. „Und das wird definitiv eintreten.“ Denn die Reserveleitung aus Rostock schaffe nur 50 bis 60 Prozent der jetzigen Ölfördermenge.

„Partnerbetriebe sind auch gefährdet“

Mit den Organisatoren und Teilnehmern des Autokorsos und der Kundgebung ins Gespräch zu kommen, war einfach. Schwieriger stellt sich dies bei den Anwohnern dar. Sobald ich Menschen in der Stadt anspreche, sie ein Mikrofon sehen oder ich mich als Pressevertreter zu erkennen gebe, werden die meisten zurückhaltend.

Angst und Unsicherheit ist bei ihnen zu spüren. Obwohl alle deutlich machen, dass sie den Protest heute unterstützen, wollen sie weder aufgenommen werden, noch ihren Namen nennen.

Warum das Thema Raffinerie viele Menschen in der Region bewegt, erklärt mir dann ein Betriebsingenieur, der dort arbeitet und heute am Protest teilnimmt.

Neben den 1.100 PCK-Arbeitsplätzen würden noch 1.500 bis 2.000 weitere Stellen, die gefährdet sind, hinzukommen. Denn Partnerbetriebe, Dienstleister, Lieferanten und Weiterverarbeitungsbetriebe wären eng mit der Großraffinerie verbunden, so der zugezogene Schwedter.

Damit sei die Raffinerie der größte und wichtigste Arbeitgeber für die Region. „Und in der Stadt gibt es nur vier Großbetriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern.“

„Es gibt Momente, in denen Ungehorsam eine Pflicht sein kann“

Während unseres Gesprächs geht die Kundgebung weiter. Auf der improvisierten Leinwand – der Seite eines weißen Transporters – erscheint nun ein Video von Kanzlerin Merkel.

Man sieht die damalige Kanzlerin, wie sie zum Feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2019 in Berlin zu den Soldaten schwer atmend spricht: „Es gibt Momente, in denen Ungehorsam eine Pflicht sein kann.“ Momente, in denen man nur dann Anstand und Menschlichkeit wahre, wenn man sich gegen einen Befehl, gegen den Druck von Vorgesetzten oder auch den Druck der Masse auflehne und gegenhalte.

Auf einer Projektionsfläche zeigt man die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU), wie sie zum Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2019 in Berlin zu den Soldaten spricht. Foto: Erik Rusch / Epoch Times

„Es gibt Momente, in denen der Einzelne die moralische Pflicht hat, zu widersprechen und sich zu widersetzen.“ Das erkenne auch unsere Verfassung an. Im Artikel 20 unseres Grundgesetzes sei das Recht zum Widerstand festgeschrieben, und zwar „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen (…), wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.

Das Publikum raunt. Angela Merkel wuchs in der Uckermark auf und ging hier bis zum Abitur zur Schule.

Kurzarbeit auf unbestimmte Zeit

Ich frage Lechelt, was für ihn hinter der Druschba-Schließung steht. Seine Antwort: Man brauche ja nur zu schauen, wer die Profiteure wären. Da bräuchte man bloß über den Großen Teich gucken, erklärt er mir.

Es würde darauf hinauslaufen, dass man amerikanisches Öl kaufen soll, genau wie beim Erdgas. Dies würde teilweise weltweit gestohlen. „Wie aktuell gerade in Syrien, wo jeden Tag Unmengen an Öl den Syrern aus einem militärisch besetzten Gebiet entwendet wird.“ Deutschland solle jetzt Hehler spielen und dieses dreckige Öl kaufen. „Wir haben in Russland einen verlässlichen Partner – schon seit Jahrzehnten.“ Russland habe Deutschland nie enttäuscht. „Darauf können wir bauen.“

Ab 5. Dezember 2022 gilt in Deutschland ein von der EU im Sommer aufgrund des Ukraine-Kriegs beschlossenes Importverbot für russisches Rohöl über den Seeweg. Ab 5. Februar 2023 gilt dann auch ein Verbot für Produkte aus russischem Rohöl wie Diesel. Ölimporte über Leitungen an Land bleiben weiter möglich. Ungarn und Tschechien setzten sich dafür ein.

Doch die Bundesregierung wird ab Ende Dezember ganz auf russisches Öl, auch über Landverbindungen, verzichten. Daher das Aus für die Druschba-Pipeline.

PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer erklärte, dass ab 1. Januar 2023 die Arbeit der Raffinerie weiter geht, doch nur mit einer eingeschränkten Produktionskapazität. Für viele Mitarbeiter bedeutet dies dann Kurzarbeit auf noch unbestimmte Zeit. Der Ausbau der Lieferkapazität über Rostock brauche Zeit. Und Erdöl aus Kasachstan könne frühestens in sechs Monaten kommen, heißt es aus Regierungskreisen.

„Es ist so, dass die Menschen hier Stabilität gewohnt waren, und diese Stabilität wird mit Sicherheit nicht mehr da sein“, zitiert der Länderrundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) Schairer aus einer Gesprächsrunde.

„Ohne Frieden können wir auf der Welt nichts bewegen“

Für Robert Volker aus Neubrandenburg ist eines unverständlich. Für ihn sei die wichtigste Grundlage für alle – der Frieden. „Ohne Frieden können wir auf der Welt nichts bewegen und auch nicht miteinander leben und weitere Dinge voranbringen.“

Dass Sanktionen oder weitere Verschärfungen gegen Russland ausgesprochen würden, vergrößere den Graben nur immer weiter. Es fehlten Gesprächsangebote und ein aufeinander Zugehen.

„Zum Beispiel könnte man die Nord-Stream-Pipelines wieder reparieren“, so der Mecklenburger. Über Zusammenarbeit und Kontakt und über Miteinander sprechen könnten die Menschen wieder zueinander finden und Konflikte bewältigen, ist er sich sicher.

Konflikte würden immer die Ängste zweier Parteien darstellen. „Wir sollten dafür sorgen, dass diese Parteien wieder miteinander reden.“ Man sollte nicht Waffen liefern, und so den Konflikt noch verschärfen.

Unsicherheit liegt wie eine Glocke über der Stadt

Die daraus resultierende Unsicherheit spürt man deutlich. Sie liegt wie eine Glocke über die hübsch zurechtgemachte Stadt. Viele Häuser sind sauber, in freundlichen Tönen gestrichen, Straßen und Wege aufgeräumt.

Häufig trifft man ältere Menschen in der mit rund 30.000 Menschen einwohnerreichsten Stadt im Landkreis Uckermark (Brandenburg). Mittlerweile liegt der Altersdurchschnitt bei 51,4 Jahren. Zum Vergleich: In Berlin liegt er bei 42,7 Jahren. 1990 wohnten hier noch mehr als 50.000 Einwohner, der Altersdurchschnitt lag um fast zehn Jahre tiefer.

Die Jungen zieht es weg. Der Zuzug an Asylbewerbern und Flüchtigen, auch von älteren Menschen aus der Umgebung in die Pflege- und Altersheime der Stadt, kann dies nicht ausgleichen.

Doch warum ist nur eine überschaubare Gruppe von Menschen bei der Kundgebung, wenn das Thema so existenziell für die Region ist? Beim heutigen Autokorso waren es rund 130 Fahrzeuge, die teilnahmen. Anhand der Kennzeichen konnte man jedoch erkennen, dass sie manchmal aus weit entfernten Regionen anreisten.

„Mit Geld ruhiggestellt“

Für den Versammlungsleiter der Kundgebung auf dem Theaterplatz, Frank Bornschein, der auch die regelmäßigen Montagsdemonstrationen in Schwedt organisiert, ist dies klar.

„Ich bin Stadtverordneter in Schwedt und weiß, wie viel Geld über Einkommensteuer und Umsatzsteuer in die Stadtkasse fließt.“ Für die Stadt Schwedt sei das, was jetzt passiert, ein langsames Sterben.

Durch die gut bezahlten Arbeitsplätze habe die Stadt immer gesicherte Einnahmen gehabt. „Jetzt wird sie eine ganze Reihe von Investitionen nicht mehr tätigen können.“ Sozialleistungen zur öffentlichen Daseinsvorsorge oder zur Fürsorge könnten so nicht mehr sichergestellt werden.

Statistisch gesehen habe die Stadt das zweithöchste Bruttoeinkommen pro Kopf im Land Brandenburg. „Die Bürger hier haben ein sehr hohes Durchschnittseinkommen.“ Die Geschichte habe gezeigt, dass das Materielle das Bewusstsein bestimmt.

Ein altes Sprichwort besage, dass erst, wenn jemandem das trockene Brot weggenommen würde, er auf die Straße ginge, so Bornschein.

Demonstranten bei der Kundgebung gegen die Schließung der Druschba-Pipeline in Schwedt. Foto: Erik Rusch / Epoch Times

Die Stadt Schwedt habe ein sehr hohes Hilfspaket von Land und Bund bekommen: „480 Millionen Euro bekommt die Region für den sogenannten Transformationsprozess.“

Das beinhalte auch entsprechende Ausgleichszahlungen für die Mitarbeiter. Abfindungen würden an die älteren Mitarbeiter, die kurz vor der Rente stehen, gezahlt. Es hieße: „Du bekommst also eine Abfindung und dann bekommst du deine Rente.“ Und auch die jungen Leute würde man mit Geld ruhigstellen.

„Sie bekommen erst mal relativ viel Geld. Zudem gibt man ihnen eine Beschäftigungsgarantie für ein Jahr nach § 613 BGB, den sogenannten Weiterbezahlungsparagrafen.“ So lange sei der Besitzstand dann gesichert. Die jungen Menschen würden sich dann sagen: „Wenn ich keinen Job mehr habe, gehe ich in den Westen. Dort bekomme ich 20 Prozent mehr.“

Doch das würde nicht aufgehen, weil die gesamte Branche der fossilen Raffinerien betroffen sei, so der Unternehmer. „Geld ist ein probates Mittel, um Menschen ruhigzustellen. So macht man es.“

Leerstand in den Häusern sichtbar

Jetzt am Abend ist der Leerstand in den Häusern offensichtlich. Neben weihnachtlich hell erleuchteten Fenstern gibt es etliche, die dunkel und trostlos wirken. Nur vereinzelt gibt es jetzt noch Verkehr auf den Straßen. Und auch die Fußgänger sind rar geworden.

So wirkt es dann fast surreal, als die schon stark geschrumpfte Versammlungsmenge unter Blaulichtbegleitung im Dunkeln mit Lautsprecherwagen und bunter Trommlergruppe – mit Licht und Getöse – die verlassene vierspurige Lindenallee Richtung Rathaus zieht.

An der Straße rechts und links stehen renovierte DDR-Hochhausblöcke wie Bauklötze aneinandergereiht und rahmen die Szene ein.

Am Rathaus schließlich eine letzte Zusammenkunft, bevor jeder wieder nach Hause fährt. Die letzten Reden des Abends. Ein letzter lautstarker Einsatz der Trommler. Dann hat die abendliche Stille am 1. Adventssonntag die ganze Stadt eingehüllt.



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