Grand Hotel Toblach: Bewegte Geschichte, lebendige Gegenwart

Im ehemaligen Grand Hotel Toblach begegnet man einzigartiger Architektur und Kultur, der Natur des Pustertals – und der Musik Gustav Mahlers, dem berühmtesten Gast Toblachs.
Titelbild
Das Ensemble des ehemaligen Grand Hotel Toblach wird vielfältig genutzt.Foto: Renate007 - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31959746
Von 8. November 2023

Einst stand das stattliche Gebäudeensemble fast allein auf weiter Flur – in seinem Rücken die Dolomiten und der Eingang zum romantischen Höhlensteintal, seine Fassade dem Dorf Toblach zugewandt.

Damals wie heute führt eine eingleisige Bahnlinie an ihm vorüber durch das Pustertal. Schon auf frühen Fotografien kann man sie und das schmucke Bahnhofsgebäude in der sich weitenden Ebene des Tals, dem sogenannten Toblacher Feld, in den Wiesen zwischen Dorf und Grand Hotel erkennen.

Blick vom Dorf Alt-Toblach auf Pustertal und die Dolomiten um das Jahr 1900. Auf der anderen Seite des Tals erkennt man Bahnhof und Grand Hotel. Foto: unbekannter Autor, public domain

Pragmatisch, visionär und kreativ

Eröffnet vor über 150 Jahren, im Jahr 1871, bereitete diese Ost-West-Eisenbahnverbindung seiner Bauherrin, der kaiserlich königlich österreichischen Südbahngesellschaft, aber schon nach wenigen Jahren Kopfzerbrechen. Zu weit blieb die Auslastung hinter den Erwartungen zurück.

Julius von Schüler, der Generaldirektor der Bahngesellschaft, suchte deshalb nach einer kreativen Lösung dieses wirtschaftlichen Problems und fand sie in der Vision eines repräsentativen Hotelbaus nahe der Bahnstation Toblach. Nach Vorbild des bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hoch entwickelten Schweizer Tourismus sollte nun das Pustertal, das sich bisher nur zaghaft ersten Reisenden öffnete, zum attraktiven Reiseziel werden.

Der ideenreiche Generaldirektor der k.und k. Südbahngesellschaft, Julius von Schüler, auf einer Lithografie von 1878. Foto: public domain

Visionär und pragmatisch zugleich beauftragte Julius von Schüler 1877 die bahneigene Hochbauabteilung mit der Planung. Schon am 22. August desselben Jahres erfolgte der erste Spatenstich, im darauffolgenden Frühjahr arbeitete man bereits mit Hochdruck an der Inneneinrichtung und mit Beginn der Sommersaison 1878 nahm das Grand Hotel seinen Betrieb auf.

Sowohl perfekte Planung als auch fachliches und gestalterisches Können machten dieses geradezu atemberaubende Tempo möglich. Wilhelm Flattich, der Architekt des Großprojekts, hatte schon zahlreiche Bahnhofsgebäude für seinen Arbeitgeber realisiert und griff nun bei Entwurf und Umsetzung des Grand Hotels auf einen reichen Erfahrungsschatz in kostengünstigem und doch qualitätvollem Bauen zurück.

Büste des Architekten Wilhelm von Flattich auf dem Gelände des Grand Hotel Toblach. Foto: Montepiana, CC0 

Die Bahngesellschaft wiederum handelte unternehmerisch klug und dachte in Bauabschnitten, um das finanzielle Risiko so gering wie möglich zu halten.
 So umfasste der erste Gebäudekomplex alle Räumlichkeiten, die für einen gut funktionierenden Hotelbetrieb nötig waren. Weitere Bauabschnitte sollten nur bei Erfolg dieses Pilotprojekts folgen.

Baukunst mit Ausstrahlung

Mit der Mischung aus solider Ingenieurbaukunst und alpenländisch anmutenden, dekorativen Gestaltungselementen aus Holz gelang es Wilhelm Flattich einen Gebäudetypus zu erschaffen, der sich in die malerische Landschaft des Pustertals einfügt und doch eine ganz eigene Ausstrahlung entfaltet.

Der ehemalige Haupteingang des Grand Hotels zeigt die klassisch solide Bauweise und die Freude an alpenländisch anmutender Ornamentik. Foto: Ermell, CC BY-SA 4.0

Im Bozener Pächterehepaar Überbacher hatte die Bahngesellschaft kompetente und passionierte Hoteliers gewonnen. Die Erfolgsgeschichte des Grand Hotel Toblach nahm ihren Lauf – die kluge Rechnung der Bahngesellschaft ging auf und erwies sich als richtungsweisend für die gesamte Region.

Aus den heißen, staubigen Städten Deutschlands und Österreichs, vor allem aber aus Wien, fuhren von Jahr zu Jahr immer mehr sogenannte Sommerfrischler per Bahn ins angenehme Sommerklima des Pustertals.

Nun wird das Ensemble Schritt für Schritt, Bauabschnitt um Bauabschnitt erweitert. Die begabten Pächter erwerben 1887 das „Südbahnhotel“ und setzen die Bautätigkeit unter der bewährten Leitung von Wilhelm Flattich fort.

Nach Tirol – wie Kaiserin Sissi

Ein wahres Reisefieber, das durch sommerliche Aufenthalte der österreichischen Kaiserin Sissi in Tirol aufkommt, gibt ihnen zusätzlich Rückenwind.

Statue von Kaiserin Elisabeth, einer berühmten Tirolreisenden des späten 19. Jahrhunderts, in einem Park Merans. Foto: johanvanbetsbrugge, CC BY 3.0

Immer mehr wohlhabende und adelige Gäste werden auf die Region und so auch auf das Grand Hotel Toblach aufmerksam. Künstler und Musiker suchen hier die Ruhe der Natur und sommerliche Erholung. Am Beginn der heißen Monate reisen sie an und bleiben oft wochenlang bis in den Herbst.

Im hier besonders kalten Winter ruhen dann Tal und Hotel, bis beide im Frühjahr wieder aus ihrem Winterschlaf erwachen. 1910 ist das Halbrund des charakteristischen Gebäudeensembles mit 300 Zimmern, Speisesälen, Spiel- und Musiksalons, Freiflächen und Tennisplätzen zum größten Alpenhotel Österreichs geworden.

Liebe zur Heimat und zur Musik

Der gebürtige Toblacher Hansjörg Viertler steht heute, 113 Jahre später vor dem eindrucksvollen Baudenkmal und schöpft aus seinem immensen Wissensschatz, wenn er von der Geschichte dieses faszinierenden Ortes erzählt.

Dr. Hansjörg Viertler vor dem sogenannten Fürstenbau des früheren Grand Hotels, in dem man wieder übernachten kann. Foto: privat

Nach mehreren Berufsjahren kam er Ende der 1970er-Jahren aus dem damaligen Westberlin in sein Heimattal zurück. Seit dieser Rückkehr in die Landschaft seiner Kindheit und Jugend hat er die Geschicke Toblachs wesentlich mit beeinflusst.

Als Tourismusdirektor ist er im Jahr 1980 zusammen mit weiteren Kultur- und Musikbegeisterten treibende Kraft einer Initiative, die dem berühmtesten Gast Toblachs, dem Komponisten Gustav Mahler, ein musikalisches Denkmal setzen möchte.
 Und tatsächlich kommt es 1981 zur Gründung der Gustav Mahler Musikwochen.

Aufführungen Mahlerscher Werke finden zuerst in der Toblacher Pfarrkirche, in Turnhallen und auch in Mahlers ehemaligem Sommerdomizil, dem abgelegenen Trenkerhof statt. Dort spielen Streicher bei geöffneten Fenstern. Die Zuhörer lauschen im Garten des Bauernhofs.

Suche nach Stille und Inspiration

Im Grand Hotel, das in den drei Sommern von Mahlers Aufenthalt 1908 bis 1910 den Höhepunkt seiner Beliebtheit erfährt, hat der Komponist, so berichtet Hansjörg Viertler, jedoch nie logiert.
 Den Trenkerhof, habe Mahler bewusst gewählt, um sehnlich erhoffte vollkommene Abgeschiedenheit und innere Ruhe zu finden.

Erst ein schlichtes, hölzernes Komponierhäuschen, das Mahler in fußläufiger Nähe zum Hof errichten lässt, erfüllt ihm aber diese Sehnsucht.
 Hier inmitten der Natur und fern aller Pflichten eines erfolgreichen Dirigenten kann er sich ganz in seine eigene Musikwelt versenken.

Gustav Mahlers bescheidenes Komponierhäuschen nahe Toblach. Foto: SchiDD, CC BY-SA 4.0

„Sonne, liebe Sonne, erbarme dich, laß meines Herzens Trauer dann endlich schmelzen“, heißt es im „Lied der Erde“, das er hier komponiert.
 Auch Mahlers Neunte Symphonie und seine unvollendete Zehnte Symphonie entstehen im Toblacher Komponierhäuschen.

„Hier ist es wunderherrlich und repariert ganz sicher Leib und Seele“, schreibt Gustav Mahler, der nach dem tragischen Tod seiner kleinen vierjährigen Tochter Maria im Jahr 1907 zusammen mit Frau Alma und Tochter Anna in der Natur des Pustertals Trost suchte und zu neuer Schaffenskraft fand.

Mit gelegentlichen Besuchern spaziert er ab und zu zum Grand Hotel. Das Ehepaar Mahler trifft dort auch den Münchner Komponisten Richard Strauß, der hier mit seiner Frau auf der Reise durch das Pustertal Station macht. Meist drängt es Gustav Mahler jedoch zu weiten Spaziergängen und Wanderungen – wenn er nicht wie besessen arbeitet.

Gustav Mahler auf einer Radierung aus dem Jahr 1902 von Emil Orlík. Foto: public domain

Katastrophe bahnt sich an

Was niemand ahnt: Nur wenige Jahre trennen die Menschen und die Welt von der Katastrophe des Ersten Weltkriegs.

 Gustav Mahler wird die grausamen Umwälzungen nicht mehr erleben. Von einer schwelenden Ehekrise und schwerer Krankheit, seelisch und körperlich geschwächt, stirbt er, bis zuletzt arbeitend, im Jahr 1911.

1914 endet auch die scheinbar unaufhaltsame Erfolgsgeschichte des Grand Hotel Toblach. 
Die Gäste des Sommers 1914 verlassen bei Kriegsausbruch geradezu fluchtartig das friedliche Tal. Im Frühjahr des Jahres 1915 tritt Italien schließlich aus dem Dreierbündnis mit Deutschland und Österreich aus und erklärt der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg.
 Plötzlich liegt das österreichische Toblach an der Frontlinie zwischen den Kriegsparteien.

Nach Kriegsende wird Südtirol und mit ihm das Pustertal Italien zugeschlagen. Die Verbindungen zu Österreich und Wien sind für lange Jahre gekappt. Es folgen die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg und mit ihm das endgültige, traurige Ende des, von der Familie Überbacher mit Herzblut geleiteten Hotelbetriebs.

Rufe nach Abriss und plötzliche Wende

Staatliche und kirchliche Jugendorganisationen übernehmen nun die Gebäude, die seitdem – auch nach den Wirren des zweiten großen Krieges – nur notdürftig instand gehalten werden. Das Schicksal des ehemals glanzvollen Grand Hotels scheint besiegelt. Stimmen nach Abriss des heruntergekommenen Ensembles werden immer lauter.

Mit den Südtiroler Wahlen im Jahr 1989 ändert sich die aussichtslose Lage jedoch schlagartig.
 Der frisch gewählte Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder, ein gebürtiger Pustertaler, erkennt die historische Bedeutung und das unschätzbare Potenzial des Ensembles und macht dessen Rettung zur Chefsache.

Nicht unwesentlichen Anteil an dieser überraschenden Wende zum Guten haben die Gustav Mahler Musikwochen. Immer erfolgreicher und inzwischen international anerkannt, waren sie auf der Suche nach einem festen Aufführungsort für die Werke Gustav Mahlers, die nun dem Ort, an dem der Komponist Trost und Inspiration fand, einen wertvollen Teil seines historischen Glanzes zurückschenken.

Allgemeiner Gewinn und grandioser Klang

Im in die Anlage geschickt und stilsicher integrierten Gustav Mahler Konzertsaal genießen Publikum und Musiker nun seit 1999 außergewöhnliche Konzerte und grandiose Akustik.

Der Gustav Mahler Konzertsaal ist für seine hervorragende Akustik bekannt. Neben hochkarätigen Konzerten finden hier auch Tonaufnahmen internationaler Interpreten statt. Foto: privat

Alle Gebäudeteile des früheren Grand Hotel wurden liebevoll und aufwendig restauriert. Neben dem großen Saal sind nun eine Musikschule, das Naturparkhaus Drei Zinnen, eine Jugendherberge und ein Gästehaus in den einzelnen Gebäuden untergebracht. Gehobene Gastronomie findet der Besucher in einem zeitgenössischen Pavillon, der sich dezent in die großzügige Freifläche integriert.

Jahrelang leitete Hansjörg Viertler das Kulturzentrum Grand Hotel, das nach seiner Pensionierung zur Stiftung „Euregio-Kulturzentrum Gustav Mahler Toblach-Dolomiten“ wurde. Zufrieden und stolz kann er auf die Früchte des gemeinsamen Engagements für Toblach und sein einzigartiges historisches Erbe blicken – ein Erbe, zu dem Generationen von Menschen guten Willens und großer Begabung beigetragen haben.



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