Ein ganz anderes Klangerlebnis – natürlich klingende Orgelpfeifen

Begonnen hat alles mit der Liebe zur Musik und dem wachen Blick für erhaltenswerte Schätze. Heute nennt es sich „Institut für Orgelforschung Brandenburg“.
Titelbild
Wolf Bergelt: „Pfeifen werden auf natürliche Weise zum Klingen gebracht. Das ist ein ganz anderes Klangerlebnis als ein elektronischer Sinuston. Bei der Orgel schwingen die ganzen Obertöne mit.“ Kupferstich einer Orgel von Matthias Schurig, 1691/95, Frankfurt/Oder, St. Marien, nicht erhalten.Foto: Wolf Bergelt: Orgelreisen durch die Mark Brandenburg (3. Auflage), Berlin 2017
Von 16. Juni 2023

Ein ganzes Universum blättert sich mit der Orgellandschaft Brandenburg auf. Wolf Bergelt ist studierter Kirchenmusiker, arbeitet jetzt freischaffend und ist Autor mehrerer Bücher über Orgeln und deren Geschichte.

Idealerweise fände sich ein Sponsor, vielleicht ein Großunternehmen, welches sich mit den 1.700 Klangräumen verbinden möchte. Da die Kirchen heute überwiegend leer stehen, liegt es nahe, sie zukünftig als Kulturstätten zu nützen.

Bisher wird die Arbeit für die Orgellandschaft Brandenburg ehrenamtlich betrieben. Doch für die Forschung in den Archiven und an den Orgeln entstehen auch immer wieder Aufwandskosten. Und – es muss einen engagierten Nachfolger geben, der das „Institut für Orgelforschung“ sachgemäß weiter betreiben kann.

Dorfkirche in Greiffenberg/Uckermark mit einer Orgel von Joh. Michael Röder, 1742. Foto: Wolf Bergelt, Orgelreisen durch die Mark Brandenburg, .3. Auflage, Berlin 2016

 

Epoch Times im Gespräch mit Wolf Bergelt.

Herr Bergelt, wie kam es zu der Gründung des Instituts?

Ich war als Kreis-Kirchenmusiker in Prenzlau tätig, wo ich auch die Orgeln zu betreuen hatte. Als ich mir die alten Instrumente ansah, merkte ich plötzlich, dass es sich um echte Schätze handelt, die zum Teil noch original erhalten sind. Denn hier im Land Brandenburg fehlte immer das Geld, Modeströmungen und oft entstellende Umbauten mitzumachen.

Da der Arbeitgeber Kirche nicht mehr zu mir passte, stand ich vor der Frage, wie und wovon ich künftig leben wollte – freischaffend, zu DDR Zeiten. Beinahe blitzartig kam ich auf die Idee, Orgeln zu inventarisieren und eine systematische Feldforschung zu beginnen.

Daraufhin rief ich beim „Deutschen Verlag für Musik“ an. Der sagte, sie kommen wie gerufen. In Sachsen haben wir bereits eine solche Forschung begonnen. Aber wir haben niemanden, der es für Brandenburg macht. Und so hat es begonnen. Das war 1980.

So entstand ein ständig wachsendes Werk, das wir später „Institut für Orgelforschung“ nannten.

Warum hat es einen Wert, so viel wissenschaftliche Arbeit hineinzustecken? 

Das Wissen über die Entstehung und die Eigenart der jeweiligen Orgel darf nicht verloren gehen. Um verfallene Orgeln sachgerecht bewahren, restaurieren oder auch rekonstruieren zu können, braucht man dieses Wissen.

Wenn man Glück hat, lassen sich diese Baupläne in Archiven finden. Denn es gab Verträge zwischen den Orgelbauern und den Auftraggebern. Der Orgelbauer führte in seinen Kostenvoranschlägen detailliert auf, wie die Orgel gebaut werden sollte – mit welchen Registern, welchen Materialien.

Diese Vorlagen und vergleichende Untersuchungen anderer erhaltener Instrumente dienen dann als Grundlage, um das Alte originalgetreu erhalten oder neu bauen zu können.

Welche Qualität zeichnet diese alten Orgeln aus?

Sie sind Ausdruck eines Klanges einer ganz bestimmten Zeit. Der Klang hat sich immer wieder gewandelt. Also hat man immer wieder andere Dispositionen gebaut. Wir haben die Epochenbezeichnungen in der Musik wie in den anderen Künsten auch: Renaissance, Barock, Klassik, Romantik. Und je nachdem, welche Epoche es war, hat sich auch immer das Klangbild der Orgeln gewandelt.

Das romantische Orgelklangbild war eher homogen, mehr orchestral. In der Renaissance spielte die Klangfarbe jedes einzelnen Registers eine bedeutende Rolle, sodass man sie auch besser einzeln nutzen konnte. Es war eine Zusammensetzung von lauter charakteristisch klingenden Farben. Das ist eine völlig andere Klangwelt, mit einer ganz anderen Wirkung.

Gibt es Beispiele dazu?

Wir haben zum Beispiel in der Nachbarschaft des Landes Brandenburg die größte noch existierende Renaissance-Orgel. Eine wunderschöne Orgel in der Stephanskirche in Tangermünde: 1624 gebaut, drei Manuale. Sie hat sogar noch eine praetorianische Stimmung mit rein gestimmten Terzen. Das hat es schon bei Bach nicht mehr gegeben. Wenn man diesen Klang hört, ist man verzaubert.

Geht man beispielsweise in den Berliner Dom, um sich die spätromantische Orgel von Wilhelm Sauer anzuhören, ist das auch beeindruckend, aber etwas vollkommen anderes. Man kann auch auf das Wissen verzichten, es einfach wirken lassen und wird merken, wie verschieden die Wirkungen sind, ohne es vielleicht genauer beschreiben zu können.

Aber wenn das Wissen hinzukommt, weiß man, warum es so ist. Deswegen ist es gut, solches Wissen zusammenzutragen. So hat man diese Geschichte als Bildungsgut weiter verfügbar.

Orgeln sind ein Universum der Baukunst – regional unterschiedlich – in dem sich Klang, Architektur, Bildhauerei, Malerei und andere Handwerkskünste auf eindrucksvollste Weise vereinen. Das ist etwas Einzigartiges, das im Abendland so weit entwickelt worden ist.

Was inspiriert Sie, bei den Orgeln zu bleiben?

Meine lebendige Beziehung zu einem erstaunlichen kunstgeschichtlichen Phänomen, die nicht nur intellektuell und der Bildung verhaftet ist. Ich habe eine schöpferische Beziehung zum Orgelklang. Man imaginiert und gestaltet ihn durch die Registrierung [ziehen unterschiedlicher Register, Anm. der Redaktion] und dem künstlerischen Umgang mit der Zeit. Das ist mit viel Freude und Fantasie verbunden.

Aber es gibt auch eine Ambivalenz, da ich die Orgel und ihren statischen Klang zuweilen auch als zermalmend mächtig erlebe.

In jedem Fall ist die Orgel ein Instrument, welches tiefe emotionale Eindrücke hinterlassen kann. Sie eignet sich gleichermaßen für große Kunst, für Kultus [Gottesdienste und Rituale, Anm. der Redaktion] oder auch für die Musiktherapie. Deshalb sollte dieses großartige Kulturgut weiter gehütet werden und auch wirksam bleiben. Das sollte meiner Meinung nach nicht mit untergehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bergelt!

Dorfkirche in Großkmehlen/Spreewald mit einer Orgel von Gottfried Silbermann, 1718. Foto: Orgelreisen durch die Mark Brandenburg, .3. Auflage, Berlin 2016

 



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