Inklusion auf dem Abstellgleis – Eltern protestieren vor UN-Gebäude

Laut UN-Behindertenrechtskonvention müssen Kinder mit Behinderungen die Möglichkeit haben, an einer normalen Schule unterrichtet zu werden. Die Realität sieht aber anders aus.
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Von 28. August 2023

Am 29. und 30. August muss die Bundesregierung in Genf zum Thema Inklusion Stellung beziehen. Denn an diesen Tagen steht eine Staatenprüfung zur Behindertenrechtskonvention an. In der UN-Konvention hat sich Deutschland unter anderem dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem auf- und Förderschulen abzubauen, damit Schüler mit Behinderung am Wohnort gemeinsam mit anderen Schülern unterrichtet werden. Doch seit Jahren hagelt es Kritik.

Der Verein Mittendrin aus Köln stellt der deutschen Regierung ein regelrechtes Armutszeugnis aus. „Auch 14 Jahre nach Rechtsgültigkeit der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es kein planvolles Vorgehen von Bund und Ländern für inklusive Bildung“, heißt es vom Verein.

Die meisten Bundesländer würden den Auftrag, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen, nicht annehmen. „Der Bund schaut weg. Im Ergebnis wird Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention nicht umgesetzt. Nüchtern betrachtet, ist dies der Bruch eines internationalen Vertrages.“

Aus Protest würden sich daher Eltern aus acht Bundesländern an diesen zwei Tagen vor dem UNO-Gebäude versammeln und aufzeigen, wie wenig Deutschland dafür tut, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in allgemeinen Schulen unterrichtet werden. „Die Eltern wollen während der gesamten zweitägigen Staatenprüfung dort ausharren“, so der Verein.

Bereits bei der ersten Staatenprüfung im Jahr 2015 sei Deutschland unangenehm aufgefallen. Nun versuche die Regierung „dieses Versagen hinter Ausflüchten zu verbergen“. Um dem Bericht ein Gegengewicht zu verleihen, hat der Verein Mittendrin eine Stellungnahme an den UN-Fachausschuss übersandt. Daraus wird deutlich, wie Inklusion staatlich vermieden statt gefördert wird.

Hohe Hürden für Regelbeschulung

Wollen Eltern eine inklusive Bildung für ihre Kinder verwirklichen, ist eine Beschulung am Wohnort nach Angaben des Vereins oft nicht möglich. Eltern müssen sich selbst um notwendige Schulassistenz und die Bewältigung des Schulwegs kümmern und jährlich Anträge bei den Behörden stellen. Eine Garantie, dass sie eine Unterstützung erhalten, gibt es nicht, kritisiert der Verein. Auf Dauer führe der Schultransport meist zu einer erheblichen Belastung, weil er den Eltern überlassen bleibe.

Im Gegensatz dazu gebe es keine Schwierigkeiten, eine Sonderschule zu finden. Diese seien meistens gut ausgestattete Ganztagsschulen mit medizinisch-therapeutischer Versorgung – und der Schultransport sei kostenlos.

Der Verein spricht sogar von einer massiven Rückwärtsentwicklung. Mehrere Bundesländer würden den Neubau zusätzlicher Sonderschulen vorbereiten.

Erziehungswissenschaftler regt offene Debatte an

Der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm kam in einer im Juni 2022 veröffentlichten bildungsstatistischen Analyse zu dem Fazit, dass das Land beim Abbau des „exklusiven“ Unterrichts in Förderschulen nur sehr langsam vorankommt.

„Vor diesem Hintergrund sind die Planungen der Bundesländer, die – ohne dies explizit zu machen – den weiteren Aufbau eines inklusiven Schulsystems stoppen, bedenklich. Hier bedarf es einer offenen Debatte dazu, ob sich Deutschland tatsächlich von der vereinbarten Zielsetzung der UN-Konvention verabschieden sollte“, so Klemm.

„Nixklusion“ – Erfahrungen einer Mutter

Über den Spießrutenlauf einer Mutter, die ihr Kind mit Behinderung in eine inklusive Beschulung geben wollte, berichtete „news4teachers“. Nach langem Hin und Her wurde sie an einer Privatschule fündig. Die tägliche Fahrzeit beschränkte sich auf zweimal 30 Minuten und die monatlichen Kosten auf 150 Euro.

„Die besonderen Kinder seien mittendrin und könnten so optimal profitieren. Jedes Kind könne nach eigenem Tempo lernen und das wäre überhaupt der beste Ansatz“, freute sie sich anfangs. Doch die Realität sah anders aus. „Die besonderen Kinder durften nicht im Klassenraum bei den anderen sein, sie wurden separiert.“ Statt sich mit Lesen und Schreiben zu befassen, wurde ihnen im Foyer von einem Erwachsenen vorgelesen oder sie waren im Werkraum oder auf dem Außengelände.

Das Schlimmste jedoch sei gewesen, dass ihr Sohn als geistig beeinträchtigt eingestuft wurde, damit die Schule mehr Geld bekommt. „Wie wir hinterher erfahren haben, sind wir leider kein Einzelfall“, schildert die Mutter.

Nach einem Gespräch mit der Schule und dem Hinweis auf fehlende Kapazitäten für eine Beschulung ihres Kindes zog die Mutter nach einem Jahr die Reißleine und nahm das Kind von der Schule. In Eigenregie brachte sie ihrem Sohn das Lesen und Schreiben bei – und der Junge ist stolz auf das, was er kann. Gleichzeitig gibt sie zu bedenken: „Wenn ich mal zusammenrechnen würde, was wir an Lernmaterialien für unser Kind auf eigene Kosten gekauft haben, geht das in die Tausende.“

Später scheiterte ein erneuter Versuch, das Kind in eine inklusive Schule zu geben. Was blieb, war „ganz viel Frust und Kampf, es gibt definitiv zu wenig Lehrer, zu wenig Räume, zu wenig Schulbegleiter, viel Gegenwind“.

Das Fazit der Mutter: „Ich habe noch nie in meinem Leben einen Anwalt gebraucht, seit unser Sohn die Schule besucht, mussten wir viermal einen einschalten, um seine Rechte wahrzunehmen. Von den unzähligen Stunden, die wir mit Recherche und Telefonaten mit Ämtern und Beratungsstellen zugebracht haben, ganz zu schweigen. Sehr traurig und auch ärgerlich.“



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