„Wenn ich online lerne, dann schwänze ich nicht“ – Freie Dorfschule Lübeck kämpft gegen Schließung
Die Freie Lübecker Dorfschule, eine kleine Privatschule auf der Gutsanlage Mori im Nordwesten Lübecks direkt zwischen Groß Steinrade und der Gemeinde Stockelsdorf (Kreis Ostholstein), hat es in die Schlagzeilen geschafft.
Der Anlass ist brisant. „Ministerin schließt Deutschlands schlimmste Schwänzer-Schule“, titelt die „Bild“. Doch ganz so ist es nicht. Das Kieler Bildungsministerium hatte per E-Mail am 19. Mai den Widerruf der Schulgenehmigung angekündigt, mit einer Umsetzungsfrist von einer Woche. Hiergegen geht die Schule gerichtlich vor. „Wir sind weiterhin im Schulbetrieb“, erklärte Schulleiterin Andrea Buchholz am 23. Mai.
Seit Beginn des Schuljahres 2022/23 sind laut Ministerium mehrere Hinweise über gravierende Defizite im Schulbetrieb gemeldet worden. Die Behörden machten sich sodann ihr eigenes Bild mit „wenig pädagogischem Feingefühl“, wie es von der Schule heißt.
Zwei Familienklassen vor dem Aus
In der kleinen Privatschule lernen aktuell 48 Kinder von fünf bis 20 Jahren in zwei Familienklassen jahrgangsübergreifend in den Klassenstufen eins bis elf. Eine davon am Vormittag, eine am Nachmittag. Das hat das Ministerium nach Angabe der Schulleitung so genehmigt.
Bei dem jetzigen Streit habe das Ministerium jedoch nur die Vormittagsklasse im Blick, kritisiert die Schule. Im Raum steht der Vorwurf, dass regelmäßig weniger als die Hälfte der angemeldeten Schüler anwesend gewesen seien. Außerdem würden die Schulräume als unzureichend bezeichnet, obwohl genau diese von den Behörden so genehmigt wurden. Das Ministerium bemängelte weiter, dass regelmäßig lediglich zwei Lehrkräfte vor Ort waren, obwohl laut Plan mehr Pädagogen hätten im Dienst sein müssen. Laut der Schule sind 17 qualifizierte Lehrkräfte angezeigt.
„Diese Häufung von Ungereimtheiten hat unser Ministerium dazu veranlasst, die Genehmigung der Schule zu widerrufen“, erklärte Bildungsministerin Karin Prien (CDU). „Unser Schulgesetz erlaubt Privatschulen, aber wir schauen sehr genau hin. Wenn wir Hinweise bekommen, dass es nicht ordentlich läuft, schließen wir eine solche Schule.“
Prien betonte weiter, dass guter Präsenzunterricht für Kinder und Jugendliche wichtig sei. „Hier drängt sich der Verdacht auf, dass Eltern ihre Kinder an dieser Schule angemeldet haben, um die Schulpflicht zu umgehen.“
Knackpunkt Präsenzpflicht
Am Abend des 23. Mai fand eine von der Schulleitung einberufene Pressekonferenz statt. Den vielen Anfragen von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen konnte man nach der „Bild“-Berichterstattung nicht anders beikommen – zumal sich Schüler gerade in der „heißen Phase“ vor den Prüfungen befinden. Im Dreh- und Angelpunkt des Streits mit dem Ministerium steht nach Aussage von Schulleiterin Andrea Buchholz eine wesentliche Frage: Wann ist die Präsenzpflicht erfüllt?
Man müsse schon genau unterscheiden zwischen Gebäudepräsenz und Onlinepräsenz, so wie es zu Corona-Zeiten gebräuchlich war, schildert die Schulleiterin. In der Freien Dorfschule Lübeck geht man davon aus, dass auch digitales Lernen die Präsenzpflicht erfüllt.
Wenn ich online lerne, dann schwänze ich nicht. Es geht darum, dass alle diese Lernformen in unserer Gesellschaft anerkannt und gleichgestellt werden“, betont Buchholz.
Zudem beinhalte das Schulkonzept digitales Lernen und Lernen an außerschulischen Lernorten. Die Behauptungen, dass Schüler und Lernbegleiter nicht anwesend seien, sei demnach falsch, heißt es weiter von der Schule. Das Ministerium habe lediglich einen Ort des Lernens kontrolliert, aber niemals alle.
Die Schüler und Lernbegleiter würden „weder blau machen noch schwänzen, sondern mit erheblichem persönlichen Einsatz individuell auf die konzeptionellen Lernsettings eingehen, was über den Aufwand des Unterrichtens vor einer Klasse weit hinaus geht“.
Konkret bedeute das, dass die Freie Dorfschule Lübeck die Eins-zu-eins-Begleitung in vielen Lernsituationen, insbesondere der Prüfungsvorbereitung, biete. „Dies ist ein Fakt, mit dem die Freie Dorfschule Lübeck den Regelschulen nicht nachsteht, sondern innovativ weit voraus ist.“ Aber genau dieser individuelle Ansatz werde vom Ministerium übersehen.
Aus Fehlern lernen
Gleichzeitig räumt die Schulleitung auch Fehler ein. Denn die vielen Lernsituationen der Kinder wurden zu wenig dokumentiert. Dies sei dem Umstand geschuldet, „dass wir fortlaufend in intensiven Gesprächen mit allen Beteiligten sind und damit auch viel Zeit investieren, die einzelnen Kinder individuell zu betreuen“. Mit anderen Worten: „Die Zeit für die Dokumentation war zu knapp.“ Zwar seien die Lernfortschritte dokumentiert worden, „aber nicht so, wie Behörden das brauchen“, so die Schulleiterin. Behörden würden nun einmal Daten benötigen, die man auch auswerten kann.
Ab sofort wird es daher jede Woche einen Stundenplan mit den vielseitigen Präsenzangeboten geben und die Lerndokumentation darf nicht länger individuell erfolgen, sondern auf einem von der Schule herausgegebenen Vordruck.
„Nur, weil ich anders lerne, heißt das nicht, dass ich nicht lerne“, so Buchholz. „Wir stehen für Schulpflicht und für Bildungspflicht.“ Das Lernen müsse aber angepasst werden an die heutigen technischen Möglichkeiten und Lebensrealitäten der Menschen. Neben einer Schulgebäudeanwesenheitspflicht brauche man eine weitere Option für „kontrolliertes präsentes Lernen frei von physischer Anwesenheitspflicht im Gebäude“.
Dass das Schulkonzept aufgeht, zeigt eine lange Warteliste. „Die Anfragen sind nach der Pandemie noch in die Höhe geschnellt. Wir sind bereits über Jahre ausgebucht“, heißt es von der Schule. Dass eine Schließung seitens des Ministeriums mitten in der Prüfungsphase angeschoben wird, sei schlichtweg „pädagogisch unverantwortlich“.
Die Schulleitung sieht in dem Vorgehen eine „eher politische Motivation“. Aus Sicht der Schule ist das Ministerium nicht an einer pluralistischen Schulwelt in Schleswig-Holstein interessiert. Die Gründung von Freien Schulen sei derzeit sehr erschwert bis unmöglich.
Die Schule hofft, dass das Ministerium den „unverhältnismäßigen Einschnitt“ in die Lebenswelten der betroffenen Schüler durch eine Schulschließung verhindert. Die bessere Lösung wäre, mit der Schule zusammen an dem Konzept und vor allem an dessen Umsetzung zu arbeiten, sodass alle damit leben können.
Zuschüsse seit März gestrichen
Besonders bitter für die Schule: Im März 2023 wurden überraschend von den Behörden die Zuschüsse gestrichen. Dagegen sei man gerichtlich vorgegangen. Eine Entscheidung liege aber noch nicht vor, so die Schulleitung.
Seit der Streichung der Gelder hält sich die Schule durch Vorauszahlungen von Schulgeld, Verzicht auf Lohn und Spenden über Wasser. Über Crowdfunding wird zudem Geld gesammelt. Ziel sind 25.000 Euro. Bislang sind 364 Euro (Stand 24. Mai) zusammengekommen.
Politiker fordern Erklärung
Anfang Juni steht die Freie Dorfschule Lübeck auch als Tagesordnungspunkt auf der Agenda des Bildungsausschusses des Landes Schleswig-Holstein. Die FDP-Landtagsfraktion hat einen Regierungsbericht eingefordert. „Eine solche Schulschließung durch das Ministerium ist eine sehr harte und äußerst seltene Maßnahme“, erklärte der Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt. „Dieser Vorgang wirft auch durch seine ungewöhnliche Verkündigung via Boulevardpresse einige Fragen auf, die das Ministerium in der nächsten Sitzung des Bildungsausschusses am 8. Juni beantworten muss.“
Sollten die Vorwürfe des Ministeriums zutreffend sein, stelle sich sodann auch die Frage, warum das Ministerium erst so spät tätig geworden sei, sagte Vogt. „Da die Schulleitung den heftigen Vorwürfen des Ministeriums öffentlich sehr deutlich widerspricht, wollen wir auch ihre Sichtweise im Ausschuss hören.“
Nach Angaben des Ministeriums gibt es in Schleswig-Holstein etwa 87 private allgemeinbildende Schulen, darunter Waldorfschulen, Schulen in kirchlicher Trägerschaft sowie die Schulen der dänischen Minderheit. Insgesamt werden dort rund 16.400 Schülerinnen und Schüler beschult.
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