Zeitumstellung – Die Uhren in Brüssel ticken langsam
Am letzten Sonntag im März ist es wieder so weit: Die Uhren werden eine Stunde vorgestellt und für das kommende halbe Jahre gilt Sommerzeit. Dabei sollte die Zeitumstellung bereits seit 2021 in Europa Geschichte sein. Allerdings konnte man sich seither nicht einigen, welche Zeit künftig in Europa gelten soll. Sowohl Winter- als auch Sommerzeit haben Vor- und Nachteile.
Wie die Zeitumstellung selbst ist auch die Diskussion um ihre Abschaffung ein saisonales Phänomen, das zuverlässig zweimal im Jahr in zeitlichem Zusammenhang auftritt. Dabei schafft die Zeit etwas, dass der Energiewende bisher missglückt ist: Die Stunde, die im Frühjahr übersprungen wird, gibt es im Herbst zurück – eine Art saisonaler Zeitspeicher. Auf diese Weise kann es passieren, dass im Herbst theoretisch eine Stunde Ostern nachgefeiert werden könnte.
Praktischerweise findet der Zeitsprung zwischen zwei und drei Uhr in der Früh statt, wenn die meisten Menschen schlafen. Ende März werden die Uhren um zwei Uhr auf drei Uhr vorgestellt. Im Herbst werden die Uhren um drei Uhr eine Stunde zurück auf zwei Uhr gedreht. Während Sie sich Ende Oktober also über eine Stunde Zusatzschlaf freuen können, fehlt diese im Frühjahr. Das bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen, wie die DAK in der Vergangenheit – halbjährlich – berichtete.
Wer hat an der Uhr gedreht? Wann und warum?
Die Sommerzeit, wie wir sie heute kennen, gab es erstmals 1916 im Deutschen Kaiserreich als Kriegsmaßnahme. Andere Europäische Länder zogen nach. Später folgten Jahre mit und ohne Sommerzeit sowie Jahre mit der sogenannten „doppelten Sommerzeit“ oder „Hochsommerzeit“. In den USA wurde die Sommerzeit 1918 eingeführt, nachdem Benjamin Franklin sie bereits 1784 ins Gespräch gebracht hatte, weil „das ausgedehnte Nachtleben Energie durch künstliches Licht vergeude. Dagegen helfe früheres Aufstehen und Zubettgehen.“
1980 wurde die Zeitumstellung fast zeitgleich in den beiden deutschen Staaten (wieder) eingeführt. Anlass war die Ölkrise im Jahre zuvor. Von der Einführung der Sommerzeit erhoffte man sich – nach wie vor – , Energie zu sparen, da es abends länger hell blieb. Diese Hoffnung ist heute widerlegt. 1996 machte die EU Winter- und Sommerzeit für alle Mitgliedstaaten verbindlich.
Im Laufe der Jahre beteiligten sich weltweit über 140 Länder an diesem Modell. Weit über die Hälfte hat die Zeitumstellung inzwischen wieder abgeschafft. Auch in der EU hätten die Uhren allerspätestens im Herbst 2021 das letzte Mal umgestellt werden sollen.
Für die Abschaffung stimmten 2018 in einer EU-weiten Umfrage 84 Prozent der Teilnehmer. Insgesamt gingen binnen sechs Wochen über 4,6 Millionen Antworten ein. Andere Umfragen der EU erreichten im besten Fall einige Hunderttausend Menschen.
Daraufhin kündigte der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an, den Willen der Bürger schnellstmöglich umzusetzen. Im März 2019 stimmte das Europäische Parlament mit deutlicher Mehrheit ebenfalls für die Abschaffung: 410 Abgeordnete waren dafür, 192 dagegen, 51 enthielten sich.
Debatte in Brüssel und der Bevölkerung
Das EU-Parlamentsplenum wäre die nächste Instanz gewesen. Im April 2019 sollten der EU-Kommission von den verschiedenen Staaten die Wünsche, welche Zeit (Sommer- oder Winterzeit) dauerhaft bestehen bleiben soll, mitgeteilt werden, mit mäßiger Beteiligung. Im Juni 2019 diskutierten die Verkehrsminister erstmals die Abschaffung der Zeitumstellung. Seitdem herrscht Uneinigkeit und Bedenken. Die Länder bekamen ein weiteres Jahr Zeit, ihre Wünsche zu äußern. Bis zum Jahr 2021 wollte sich das EU-Parlament mit den Mitgliedstaaten einigen. Diese Einigung steht bis heute aus.
„Die Diskussion unter den Mitgliedstaaten wurde noch nicht einmal gestartet“, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber im Oktober 2021, dem Zeitpunkt der eigentlich allerletzten Umstellung. Er kritisierte, dass die EU-Länder sich nicht ernsthaft bemühten, das Projekt weiter zu bringen. Seither heißt es zweimal jährlich:
„Diese Frage zur saisonalen Zeitumstellung ist auch eine saisonale Frage, die wir zweimal im Jahr jeweils vor der Zeitumstellung erhalten“, erklärte zeitgleich ein Sprecher der EU-Kommission. Wie schon sechs Monate zuvor könne er nur wiederholen, was er vor sechs Monaten wiederholt habe: „Der Ball liegt nun im Feld der Mitgliedstaaten.“
Bis heute sehen viele Menschen sowohl Vor- als auch Nachteile in der Zeitumstellung. Vor allem könne man längere Sommerabende und mehr Freizeit genießen. Laut einigen Forschungsergebnissen geht besonders in dieser Zeit die Kriminalitätsrate zurück. Auch der Tourismus profitiert vom Wechsel der Zeit. Andererseits schwinde vielfach nach der Zeitumstellung die Effizienz am Arbeitsplatz. Menschen verschlafen und seien gereizter. In Zahlen betrachtet, überwiegen Kosten und Aufwand: Unfälle häufen sich und in den Sterbefallzahlen ist der Wechsel von Winter- und Sommerzeit taggenau ablesbar.
Nutzen ungewiss, Gesundheitsfolgen eindeutig
So sind sich Chronobiologen, Schlafforscher und Ärzte weiterer Fachdisziplinen indes einig, dass die Zeitumstellung gesundheitsschädlich und lebensverkürzend sein kann. Durch die Umstellung weiche die äußere (soziale) Uhrzeit stärker von der inneren (Körper-) Uhrzeit ab. Die innere Uhr stellt sich nach dem Sonnenstand, die äußere Uhrzeit wird von der Gesellschaft aufgezwungen. Die Folgen der Differenz sind chronischer Schlafmangel und toxischer Stress, beziehungsweise sogenannter sozialer Jetlag.
An die Zeitverschiebung beim Reisen gewöhnt sich die innere Uhr von selbst. Pro Stunde Zeitverschiebung dauert dieser Prozess etwa einen Tag. Aber da die Sonne in Deutschland am nächsten Tag wieder zu zeitig aufgeht und die gesellschaftlichen Verpflichtungen und die Freizeit auch am nächsten Tag erst Nachmittags und Abends in teils völliger Dunkelheit stattfinden, kann sich die Körperzeit eben nicht der sozialen Zeit anpassen.
„Die derzeitige Sommerzeitregelung verlegt unsere sozialen Verpflichtungen einfach noch eine Zeitzone weiter nach Osten, ohne dass wir dabei unsere biologische Zeitzone verlassen. Wir arbeiten sozusagen den Sommer über in Moskau, leben aber eigentlich in Köln oder München“, erklärte der Chronobiologe Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
„Der Beschluss, für sieben Monate das tägliche Leben eine Stunde früher beginnen zu lassen, ändert an der Sonnenzeit nichts, die innere Uhr bleibt daher in der Jetlag-Situation hängen. Zugegeben, der Jetlag ist nur klein, aber chronisch und kann daher gesundheitliche Folgen haben.“
Frauen und Erwerbstätige überdurchschnittlich betroffen
Und auch wenn der Effekt klein ist, seien jedoch viele Menschen betroffen. Wie die „DAK Gesundheit“ in halbjährlichen Umfragen ermittelt, hat zuletzt fast jeder Dritte (32 Prozent) Probleme mit der Zeitumstellung.
Im Oktober 2022 berichteten vor allem Frauen, Ostdeutsche und Personen zwischen 30 und 44 von gesundheitlichen Auswirkungen. In absteigender Häufigkeit kamen dabei zur Sprache:
- Müdigkeit, Antriebslosigkeit (81 Prozent)
- Einschlafprobleme, Schlafstörungen (69 Prozent)
- schlechte Konzentration (41 Prozent)
- Gereiztheit (30 Prozent)
- depressive Verstimmungen (16)
Bezogen auf die Geschlechter berichteten 40 Prozent der Frauen von gesundheitlichen Problemen. Bei den Männern waren es nur 23 Prozent. Zudem erinnere sich jeder fünfte Erwerbstätige (19 Prozent) daran, schon einmal wegen der Zeitumstellung verschlafen zu haben und nicht pünktlich zur Arbeit gekommen zu sein.
Insofern ist es wenig verwunderlich, dass immer mehr Menschen die Abschaffung von Winter- und Sommerzeit befürworten. Laut FORSA-Umfragen im Auftrag der DAK sank der Anteil der Befragten, die die Umstellung sinnvoll erachten, von 29 Prozent im Jahr 2013 auf nur noch 20 Prozent im Jahr 2022. Zwischenzeitlich erreichte die Zustimmung sogar nur 17 Prozent.
Gleichzeitig glaubten jedoch nur noch 25 Prozent der Befragten daran, dass die Zeitumstellung „in absehbarer Zeit“ abgeschafft werde – Tendenz sinkend, im Frühjahr 2021 waren es noch 33 Prozent. Sollte es doch passieren, werde tendenziell die Sommerzeit bevorzugt. Eine einheitliche Europäische Zeit hielten 68 Prozent der Teilnehmer für wichtig.
Neuere Daten anlässlich der anstehenden Umstellung auf die Sommerzeit lagen bis Redaktionsschluss nicht vor. Eine Veröffentlichung sei jedoch noch vor dem 26. März geplant, teilte ein Pressesprecher der Krankenkasse gegenüber Epoch Times mit.
Gesellschaftliche vs. geografische Zeit
Die heute willkürlich anmutende Zeitumstellung offenbart, dass unsere Zeit ein Konstrukt ist, das einfach verstellt werden kann. Wie die Diskussion in Brüssel zeigt, müssen jedoch alle mitmachen, sonst könnte beispielsweise ein Zug 14:05 Uhr in Offenburg am Rhein losfahren und – nach 20 Kilometern und einer halben Stunde Fahrzeit – bereits 13:36 Uhr in Straßburg ankommen. Auf anderen Kontinenten ist dies gang und gäbe.
Allein innerhalb der USA gibt es sechs Zeitzonen zwischen der Atlantikküste und Alaska. Hinzu kommen drei weitere für die Inseln Hawaii und die Aleuten, für Samoa und für Chamorro. Wer mit dem Flugzeug von New York nach Los Angeles fliegt, reist demnach in der Zeit zurück und kommt nach sechsstündigem Flug bereits drei Stunden später an. Auf dem Rückflug fliegt er dank Jetstream nur fünfeinhalb Stunden, kommt aber aufgrund der Zeitverschiebung erst nach über acht Stunden am Ziel an.
Diese Zeitzonen richten sich neben Landesgrenzen vor allem nach der sogenannten Wahren Uhrzeit oder Sonnenzeit. Diese orientiert sich wiederum am Stand der Sonne und ist damit von der geografischen Lage einer Stadt abhängig. Damit nicht in jeder Stadt eine andere Zeit herrscht, gibt es rings um den Äquator 24 Zeitzonen. Die Zeitzone Null – Greenwich Mean Time GMT, auch UTC +0 – ist am Nullmeridian festgemacht, der durch den Londoner Vorort Greenwich verläuft. Von dort aus ist die Welt in annähernd 15-Grad-Schritten in Zeitzonen eingeteilt. Reist man nach Westen, wird die Uhr zurückgestellt, in Richtung Osten vor.
Das hat zur Folge, dass es wortwörtlich am anderen Ende der Welt eine Grenzlinie zwischen Null Uhr und 24 Uhr desselben Tages gibt. Diese sogenannte Datumsgrenze liegt mitten im Pazifik und sorgt für einige Kuriositäten. Gäbe es dort ausreichend Inseln mit Flughäfen, so könnte man dort mit relativ geringem Reiseweg in vier verschiedenen Zeitzonen Silvester feiern – oder mit einem Schritt zweimal.
Winter-, Sommer- und Sonnenzeit
Zwischen den Azoren und Zypern liegen geografisch betrachtet fünf verschiedene Zeitzonen. Auf dem europäischen Festland beträgt der geografisch bedingte Zeitunterschied immerhin drei Stunden. Die gesellschaftliche Uhrzeit reduziert den Unterschied auf eine Stunde. Eine Abschaffung der Zeitumstellung könnte auch diesen Unterschied verschwinden lassen.
Wenn sich die Länder Europas oder der EU auf eine einheitliche Zeitzone einigen (müssen), hätte das jedoch nicht zur Folge, dass die Uhren überall gleich ticken. Es heißt auch, wenn die Sonne im Osten der Ukraine (Luhansk, 48° 33′ N, 39° 18′ O, Sonnenzeit UTC + 157 Minuten 12 Sekunden) im Winter normalerweise um 8:14 Uhr aufgeht, bleibt sie in Portugals Hauptstadt (Lissabon, 38° 43′ N, 9° 10′ W, UTC – 36 Minuten 40 Sekunden) bis halb zwölf hinter dem Horizont.
Umgedreht, wenn die Sonne in Lissabon im Sommer – wie bisher – um 6:11 Uhr aufgeht, blickt sie in Luhansk bereits seit kurz nach drei Uhr in der Früh über die Baumwipfel. Das könnte ein Grund sein, warum man sich bisher nicht auf Winter- oder Sommerzeit einigen konnte.
Zeitzonen statt Zeitumstellung?
Orientiert man sich an der Wahren Uhrzeit, sind tatsächlich drei bis vier Zeitzonen zu empfehlen. Denkbar wäre beispielsweise eine Unterteilung in die vorhandenen Zeitzonen:
- „Osteuropäische Zeit“ (UTC +2) von Finnland über das Baltikum, die Ukraine bis nach Griechenland
- „Mitteleuropäische Zeit“ (UTC +1) von Norwegen und Schweden über Deutschland bis Italien
- „Westeuropäische Zeit“ (UTC +0) von Großbritannien über Frankreich bis Portugal und Spanien.
Island, die Azoren und die Kanarischen Inseln könnten mit einer neuen „Europäischen Inselzeit“ (UTC -1) die vierte Zeitzone füllen. Geografisch könnte auf den Azoren auch eine „Mittelatlantische Zeit“ (UTC -2) gelten. Für Deutschland würde damit praktisch ganzjährig Winterzeit herrschen, für Polen die Sommerzeit.
Während diese Möglichkeit zwar den Sonnenstand optimal berücksichtigt und gesundheitliche Auswirkungen minimiert, ergeben sich daraus andere Nebenwirkungen. So lägen Korsika und Sardinien in verschiedenen Zeitzonen, wobei Sardinien geografisch weiter nach Westen reicht, aber trotzdem die östlichere Zeitzone hat.
Außerdem würden Reisende nicht nur zwischen Offenburg und Straßburg regelmäßig eine Zeitreise machen. Das Gleiche passiere beim Grenzübertritt beispielsweise zwischen Ungarn und Rumänien oder Polen und Litauen. Grenzpolizisten im Osten dieser Grenzen hätten damit regelmäßig eher Feierabend als ihre Kollegen im Westen, müssten aber dafür auch eine Stunde eher anfangen.
Wann es so weit ist und ob es überhaupt dazu kommt, bleibt abzuwarten. Bis dahin tickt die Uhr weiter und muss zweimal jährlich umgestellt werden … zum Beispiel aus dem Wohnzimmer in die Küche.
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