Das vergessene Organ: Der Thymus und seine Wirkung auf unser Immunsystem

Die Thymusdrüse ist ein wichtiges Organ für die Entwicklung unseres Immunsystems. Allerdings wissen nur wenige Menschen, dass es sie gibt. Dabei erfüllt sie sehr viele wesentliche Funktionen im Körper.
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Der Thymus befindet sich im oberen Teil des Brustkorbs, direkt hinter dem Brustbein und zwischen den Lungen.Foto: iStock
Von und 17. Juni 2023

Über sie rätselten Wissenschaftler und Gelehrte seit Jahrhunderten – die Thymusdrüse. Sie ist ein wichtiges lymphatisches Organ und eine endokrine Drüse, die eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems spielt. Wenn sie nicht richtig funktioniert, kann dies die Lebensqualität drastisch beeinträchtigen.

Die Thymusdrüse, auch Thymus genannt, wächst im Laufe der Kindheit und bildet sich nach der Pubertät zurück. Im Erwachsenenalter ist sie bereits deutlich verkleinert. Deshalb halten viele sie für ein „geschrumpftes“ oder „nutzloses“ Organ.

Tatsächlich zeigen jedoch immer mehr Forschungsergebnisse, dass der Thymus auch im Erwachsenenalter noch wichtige Funktionen in vielen Bereichen des Körpers erfüllt.

Von der Seele und Lebenskraft

Der Ursprung des Namens der Thymusdrüse ist nicht eindeutig. [1] Möglicherweise stammt er von der Pflanze Thymus vulgaris, besser bekannt als Thymian. Einige Forscher führen den Namen aber auch auf das griechische Wort θυμός „thymos“ zurück, das „Seele“, „Lebenskraft“, „Erregung“ oder „Willenskraft“ bedeuten kann. [2]

Tatsächlich glaubten die alten Griechen, dass der Thymus die Seele beherbergt, da er sich in der Nähe des Herzens befindet – im oberen Teil des Brustkorbs, direkt hinter dem Brustbein und zwischen den Lungen [3].

Der Thymus ist sehr wichtig für das Immunsystem, das für die Überwachung und den Schutz vor Krankheitserregern, Antigenen und Tumoren zuständig ist. Essenziell dabei sind die T-Zellen. Diese Reifen in der rosa-grauen Thymusdrüse, was ihnen das T im Namen verleiht.

Das Trainingslager für T-Zellen

Die T-Zellen sind die stärksten adaptiven Immunzellen im menschlichen Körper und essenziell für das Überleben. Die Zerstörung von T-Zellen bedeutet die Zerstörung der adaptiven Immunität. Das macht sich zum Beispiel das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) zunutze: Es macht die T-Zellen unschädlich, indem es zuerst eine wichtige Untergruppe der T-Zellen ausschaltet.

Bevor T-Zellen heranreifen und vollständig ausdifferenziert sind, müssen sie zuerst in der Thymusdrüse auf Herz und Nieren geprüft werden.

Der Thymus ist speziell dafür ausgelegt, T-Zellen in verschiedenen „Kammern“ zu trainieren. [4] Dort fallen 98 Prozent der sich entwickelnden T-Zellen durch und werden aussortiert [5]. Dennoch produziert die Thymusdrüse immer noch genügend T-Zellen, um sich gegen nahezu alle bekannten Krankheitserreger zu schützen.

Die zwei Prozent der T-Zellen, die das Thymus-Trainingslager erfolgreich durchlaufen, sind hochgradig trainiert und übernehmen spezialisierte Aufgaben in den peripheren Lymphknoten oder andere Aufgaben. Als vernünftige Killer sind T-Zellen in der Lage, schädliche externe Eindringlinge effektiv von gesunden menschlichen Zellen zu unterscheiden.

Wenn der Thymus jedoch nicht richtig funktioniert, wird der Körper anfälliger für Infektionen. Schlecht ausgebildete T-Zellen erhöhen auch das Risiko einer Autoimmunerkrankung – das Immunsystem greift dabei den eigenen Körper an.

Der Thymus funktioniert ein Leben lang

Bei der Geburt ist die Thymusdrüse am aktivsten, aber schon im zweiten Lebensjahr nimmt ihr Arbeitspensum ab. [6] Das liegt daran, dass der Thymus jedes Mal, wenn der Körper auf einen Krankheitserreger trifft, T-Zellen ausbildet, um mit diesem fertig zu werden. Sobald eine T-Zelle ausgereift ist, muss sie nicht mehr trainiert werden, sondern kann sich dann einfach selbst klonen.

Nachdem die Drüse alle Krankheitserreger abgearbeitet hat, gibt es für sie nur noch wenig zu tun. Nach der Pubertät schrumpft sie – ein Prozess, der als „altersbedingte Involution oder Atrophie“ bezeichnet wird. Er beschreibt, wie sich der Thymus in „nutzloses“ Fettgewebe verwandelt. [7]

Trotz seiner Schrumpfung ist er jedoch keineswegs nutzlos und spielt auch im Erwachsenenalter eine wichtige Rolle.

Der Thymus produziert wichtige Hormone

Neben der Ausbildung der T-Zellen ist die Thymusdrüse eine endokrine Drüse, die aktive Botenstoffe bildet. Das sind Hormone, die zur Regulierung des Immunsystems beitragen und weitere Funktionen erfüllen.

Zu diesen Hormonen gehören 

  • Thymosin und Thymulin, die bei der Bildung spezialisierter T-Zellen helfen, 
  • Thymopoietin, das die T-Zellen-Produktion ankurbelt und die Hypophyse (eine Hormondrüse im Gehirn) anweist, Hormone freizusetzen, 
  • und die thymusabhängigen humoralen Bestandteile, die das Immunsystem am Laufen halten. 

Diese systemischen Funktionen spiegeln die vielfältigen und wichtigen Aufgaben des Thymus wider.

Das Hormon Thymosin fördert dabei nicht nur die Produktion von T-Zellen, sondern hat auch noch viele andere Aufgaben. Bislang wurden nur zwei Formen von Thymosin künstlich hergestellt: Thymosin alpha-1 und Thymosin beta-4.

Thymosin alpha-1 als Regulator für das Immunsystem

Thymosin alpha-1 ist ein Protein, das viele Aufgaben parallel erledigt. Dabei kann es die Homöostase (Gleichgewicht der physiologischen Körperfunktionen) des Immunsystems, angepasst an den Gesundheitszustand, wiederherstellen [8].

Der Körper produziert Thymosin alpha-1 auf natürliche Weise. Die künstlich hergestellte Version kommt zum Einsatz, wenn das Immunsystem reguliert werden muss und einige spezifische Krankheiten zu behandeln sind, darunter akute und chronische Virusinfektionen wie Hepatitis B und C und HIV. [9, 10]

Es wird auch zur Stärkung der Immunfunktion eingesetzt. So zeigte es positive Effekte bei der Behandlung von Krankheiten, die das Immunsystem schwächen, wie Krebs und Autoimmunkrankheiten. [11]

Eine Besonderheit der Thymosin-Behandlung besteht darin, dass sie eine gestörte Immunität auf ausgewogene Weise repariert, ohne die Produktion von Endzündungsmediatoren (Zytokinen) übermäßig zu stimulieren. [12]

Thymosin beta-4: Von der Wundheilung bis zur Muskelreparatur

Thymosin beta-4 ist ein Peptid. Es kann neue Blutgefäße entwickeln und die Gewebereparatur und -regeneration unterstützen. [13]

Es hat auch entzündungshemmende Eigenschaften. Dadurch eignet es sich ideal, um Hautverletzungen wie Verbrennungen oder Schnittwunden zu behandeln.

Ferner kann es auch die Zellmigration anregen und die Entwicklung von spezialisierten Zellen fördern, die an der Gewebereparatur beteiligt sind. [14, 15] Studien zufolge steigert das Molekül außerdem das Muskelwachstum und die Muskelreparatur. Das hilft bei der Behandlung von Herzerkrankungen. [16]

Forschungsergebnisse deuten zudem darauf hin, dass Thymosin beta-4 einige Zellen des Knochenmarks empfindlicher für ein Wachstumshormon macht. Das fördert ihr Wachstum und ihre Entwicklung zu Blutzellen. [17]

Je mehr man über die kurz- und langfristigen Wirkungen des Thymus lernt, desto mehr zeigt sich, wie eng alles im menschlichen Körper verbunden ist. Es ist ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen Hormonen, Nervenimpulsen und der Gesundheit des Immunsystems.

Der Thymus und das Immun- und Hormonsystem

Studien zufolge produziert der Thymus verschiedene Hormone, die das Wachstum, den Stoffwechsel und die Gehirnchemikalien beeinflussen. Zu diesen Hormonen gehören Insulin, Cortisol und Melatonin. [2]

Unter dem Einfluss von schilddrüsenstimulierenden Hormonen kann die Thymusdrüse auch Hormone wie Trijodthyronin (T3) absondern. [18] Interessanterweise zeigen Studien, dass sich verschiedene Hormone innerhalb des Immunsystems gegenseitig regulieren können und ein hormonelles Netzwerk bilden. [19]

Einige Hormone haben sogar entzündungshemmende Eigenschaften und können zum Schutz vor bestimmten Krebsarten beitragen.

Die Thymusdrüse beeinflusst das Immun-, Hormon-, Nerven- und Verdauungssystem sowie die Emotionsregulation. Sie fungiert als lebenswichtiger Kommunikationsknotenpunkt, der das Immun-, das endokrine und das neurologische System miteinander verbindet, um die Funktionen des Körpers zu regulieren.

Verlangsamt den Alterungsprozess

Des Weiteren ist die Thymusdrüse ein bemerkenswertes Organ, das Hormone produziert, die den Alterungsprozess verlangsamen und die Lern- und Erinnerungsfähigkeit im Alter erhalten können. [2]

Dieser Prozess wird von der Zirbeldrüse beeinflusst, einer winzigen endokrinologischen Drüse im Gehirn, die Melatonin ausschüttet, um unter anderem den Schlaf- und Wachzyklus zu steuern. 

Laut Wissenschaftlern arbeiten die beiden Drüsen eng miteinander zusammen. [20] Ihr Zusammenspiel war und ist der Forschungsgegenstand vieler Studien.

Schützende Rolle bei Diabetes und Fehlgeburten

Darüber hinaus produziert der Thymus, wie man bereits aus Tierversuchen weiß, bei schwangeren Mäusen Immunzellen, die wichtig sind, um Schwangerschaftsdiabetes und Fehlgeburten zu verhindern. [21]

Wie Forscher in verschiedenen Studien feststellten, können Schäden an der Thymusdrüse bei Versuchstieren unter anderem zu Typ-1-Diabetes führen. [22]

Der Thymus erfüllt in jungen Jahren viele essenzielle Aufgaben. Wenn wir altern, schrumpft diese Drüse zwar, doch schützt sie den Körper weiterhin: Der Thymus produziert immer noch T-Zellen, die für die Gesundheit und die Immunität wichtig sind. Auch schüttet er Hormone aus, die die Funktionen des gesamten Körpers, einschließlich Alterung und Wachstum, regulieren. 

Viele dieser Aufgaben sind derzeit erst wenig erforscht. Zudem existieren wahrscheinlich noch weitere Funktionen, von denen die Forscher aktuell noch nichts ahnen. Es gibt also noch viel über den vergessenen und oft als „nutzlos“ angesehenen Thymos zu entdecken.

Quellen und Literatur

[1] Miller, J. F. (2002); doi.org/10.1034/j.1600-065x.2002.18502.x

[2] Csaba, György (2016); doi.org/10.1556/030.63.2016.2.1

[3] Remien und Jan (2002): Anatomy, Head and Neck, Thymus.

[4] Thapa und Farber (2019); doi.org/10.1016/j.thorsurg.2018.12.001

[5] Murphy und Weaver (2018); doi.org/10.1007/978-3-662-56004-4_8

[6] Holländer et al. (2010); doi.org/10.1016/j.coph.2010.04.008

[7] Zdrojewicz et al. (2016); doi.org/10.17219/acem/58802

[8] Matteucci et al. (2017); doi.org/10.2217/fmb-2016-0125

[9] Goldstein und Goldstein (2009); doi.org/10.1517/14712590902911412 

[10] Naylor, P. H. (1999); doi.org/10.1517/13543784.8.3.281

[11] Wei et al. (2023); doi.org/10.1016/j.intimp.2023.109744

[12] Tuthill und King (2013); doi.org/10.4172/2161-1459.1000133

[13] Kleinman und Sosne (2016); doi.org/10.1016/bs.vh.2016.04.005

[14] Goldstein et al. (2005); doi.org/10.1016/j.molmed.2005.07.004

[15] Goldstein et al. (2011); doi.org/10.1517/14712598.2012.634793

[16] Bock-Marquette et al. (2004); doi.org/10.1038/nature03000 

[17] Moscinski et al. (1993); doi.org/10.1016/0162-3109(93)90068-2 

[18] Csaba und Pállinger (2009); doi.org/10.1007/s00011-008-8076-8

[19] Csaba und Pállinger (2007); doi.org/10.1007/s00011-007-7021-6 

[20] Rezzani et al. (2020); doi.org/10.3390/ijms21228806

[21] Paolino et al. (2020); doi.org/10.1038/s41586-020-03071-0

[22] Geenen et al. (2013); doi.org/10.3389/fnins.2013.00187

Über die Autoren

Dr. Yuhong Dong ist Ärztin mit einem Doktortitel in Infektionskrankheiten. Sie ist wissenschaftliche Leiterin und Mitbegründerin eines Schweizer Biotech-Unternehmens und ehemalige leitende medizinisch-wissenschaftliche Sachverständige für die Entwicklung antiviraler Arzneimittel bei Novartis Pharma in der Schweiz.

Makai Allbert ist Biomediziner und Medizinredakteur aus New York.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „Neither Shrunken Nor Useless: Thymus Remains Essential to Long-Term Health“ (redaktionelle Bearbeitung as)



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