Die Macht des Unbewussten: Gewohnheiten wider Willen

Gewohnheiten langfristig zu ändern, ist gar nicht so einfach. Es klappt jedoch leichter, wenn wir einen bestimmten Teil unserer Psyche nutzen: das Unterbewusstsein.
Gewohnheiten
Laut Forschungsergebnissen braucht man mehr als 50 Tage, um eine Gewohnheit zu formen.Foto: iStock
Von 12. September 2023

Wie oft haben Sie sich schon vorgenommen, etwas in Ihrem Leben zu ändern, nur um nach ein paar Wochen wieder aufzugeben – trotz detaillierter Pläne und überschwänglicher Motivation? Denn Veränderungen fallen schwer. Und wie viele andere Dinge auch, ist es noch schwieriger, sie aus eigener Kraft zu erreichen. 

Doch anscheinend gibt es einen unsichtbaren Akteur, der hinter den Kulissen arbeitet und eine große Rolle bei unseren Gewohnheiten spielt – im Guten wie im Schlechten. Es ist unser Unterbewusstsein.

Wenn wir lernen, mit diesem verborgenen Partner zusammenzuarbeiten, können wir Studien zufolge besser die Veränderungen erreichen, die durch Willenskraft allein unmöglich erscheinen.

Wie lange dauert es, Gewohnheiten zu formen?

Die gängige Meinung ist, dass sich Gewohnheiten in 21 Tagen bilden. Doch dem ist nicht so. Laut einem Artikel, der im Jahr 2012 im „British Journal of General Practice“ erschien, wird die Zahl von 21 Tagen auf Patienten zurückgeführt, die sich nach einer plastischen Operation an ihr neues Aussehen gewöhnen.

Eine 2009 im „European Journal of Social Psychology“ veröffentlichte Studie liefert ein klareres Bild. Die Forscher untersuchten 96 Teilnehmer und stellten fest, dass die durchschnittliche Zeit bis zum Erreichen der „Automatik“ – wenn Handlungen automatisch werden und nur noch wenig bewusste Anstrengung erfordern – 66 Tage beträgt. Die Spanne reichte jedoch von 18 bis 254 Tagen.

Eine andere Studie, die 2021 im „British Journal of Health Psychology“ erschien, bestätigte diese Zahl in etwa. Die Teilnehmer erreichten den Höhepunkt der Automatik nach durchschnittlich 59 Tagen.

Das Zusammenspiel zwischen bewusst und unbewusst

Der Geist ist kompliziert. Es gibt verschiedene Modelle, die beschreiben, wie er funktioniert. Einer gängigen Ansicht zufolge ist das bewusste Selbst für das analytische, lineare Denken zuständig: Das Ego erlebt das Bewusste.

Laut Psychiater Dr. Daniel Lieberman ist das Ego das „Ich“, das wissentlich Sachen erfährt. Er ist Autor des Buches „Spellbound: Modern Science, Ancient Magic, and the Hidden Potential of the Unconscious“ (auf Deutsch etwa: „Verzaubert: Moderne Wissenschaft, uralte Magie und das verborgene Potenzial des Unbewussten“).

Im Gegensatz dazu sei das Unbewusste unerklärlich – es sei der Teil, den wir nicht direkt kontrollieren können, erklärte Dr. Lieberman gegenüber Epoch Times.

„Sie können eine Tabellenkalkulation erstellen, Sie können zum Supermarkt fahren. Das liegt in Ihrer Hand. Aber man kann sich nicht dazu zwingen, kreative Ideen zu haben. Die kommen aus dem Unbewussten“, sagte er.

Die traurige Wahrheit der Neujahrsvorsätze

Reine Willenskraft kann keine dauerhafte Veränderung bewirken. Das könnte erklären, warum die meisten Menschen ihre Neujahrsvorsätze nicht einhalten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2019 hatten nur 20 Prozent der Menschen ihre Neujahrsvorsätze in den Jahren davor nicht gebrochen. 

Bei 27 Prozent der Befragten hielten die Vorsätze mehr als zwei Monate. Bei den meisten Menschen (36 Prozent) hielten sie zwischen einem Tag und einem Monat. Drei Prozent der Befragten brachen sie jedoch schon nach einigen Stunden.

Laut der Fitness-App Strava geben die meisten Menschen ihre Trainingsziele am zweiten Freitag im Januar auf – ein Tag, der als „Quitter’s Day“ („Drückeberger-Tag“) bezeichnet wird.

Wenn es um Gewohnheiten geht, steuere vielen Wissenschaftlern zufolge das Unterbewusstsein das langfristige Verhalten. Erfreulicherweise scheint das Bewusste einen entscheidenden Einfluss auf das Unbewusste zu haben.

Wenn Gewohnheiten die Oberhand gewinnen

Die bewusste Entscheidung, eine Gewohnheit zu bilden, legt Nervenbahnen im Unterbewusstsein an. Dies geht aus einem Modell für den Geist hervor, das 2017 in einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift „Annals of the New York Academy of Sciences“ beschrieben wurde. Es erläutert, wie das Gehirn Automatismen bevorzugt.

Eine automatische Reaktion erfolgt ohne aktive Beteiligung des Bewusstseins, schrieb die Autorin Efrat Ginot. Das führe dazu, dass der präfrontale Kortex – die für die kognitiven Funktionen auf höherer Ebene zuständige Hirnregion – etablierte Muster starr und wiederholt aktiviert.

Infolgedessen können unbewusste Muster Vorsätze außer Kraft setzen und sich gegen den bewussten Willen durchsetzen. Wer seine Gewohnheiten ändern möchte, setzt sich normalerweise Ziele und fasst Vorsätze. Forschungsergebnissen zufolge funktioniert es besser, wenn man dazu sein Unterbewusstsein nutzt.

Im Jahr 2011 erschien im „Journal of Experimental Social Psychology“ ein Bericht über zwei Studien. Darin hieß es, dass „kontextuelle Hinweise“ eine größere Rolle als gesetzte Ziele spielen. Das heißt, dass Gewohnheiten normalerweise durch bestimmte unbewusste Trigger ausgelöst und nicht bewusst geformt werden.

Eine Metaanalyse von 47 Experimenten kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Intentionalität hat nur einen begrenzten Einfluss auf die tatsächliche Verhaltensänderung. Wer künftig sein Verhalten ändern wolle, sollte unbewusste Verhaltensweisen stärker berücksichtigen, schrieben die Autoren. Die Studie erschien im Jahr 2006 im „Psychological Bulletin“.

Um eine dauerhafte Veränderung zu erreichen, schlägt Dr. Lieberman einen zweiteiligen Ansatz vor. Man sollte die unbewusste „tierische“ Seite nutzen und die „göttliche“, indem man einem höheren Ziel folgt.

Unser inneres „Tier“ trainieren

Um unser inneres, unbewusstes „Tier“ zu trainieren, sind laut Dr. Lieberman Beständigkeit und Rituale der Schlüssel. Ein besonderes Augenmerk legt er auf die Geduld. Denn der Mensch lernt einige Dinge auf die gleiche Weise wie ein Tier – durch Wiederholungen.

Eine Studie aus dem Jahr 2015, die im „Journal of Behavioral Medicine“ erschien, fand Folgendes heraus: Wer sechs Wochen lang vier Tage pro Woche Sport treibt, macht das Sporttreiben zu einer Gewohnheit. Einfache Routinen und eine positive Lebenseinstellung fördern dies.

Laut Dr. Lieberman funktioniere das nicht, wenn man sich vornimmt, jeden Tag Sport zu treiben, aber keine bestimmte Zeit dafür festsetzt. Stattdessen sollte man dieselbe Sportkleidung tragen und jeden Tag dieselben Übungen machen. Man sollte dabei jedoch so oft wie möglich Dinge einsetzen, auf die auch Tiere ansprechen, wie zum Beispiel Belohnungen. „Wenn man Tiere trainiert, gibt man ihnen immer dasselbe Leckerli“.

Eine gewisse negative Verstärkung ist jedoch hilfreich. Dr. Lieberman beschrieb das als „Least Reinforcing Syndrom“ oder „Least Reinforcing Scenario“ – die am wenigstens bestrafende Bestrafung. Das ist eine Trainingstechnik, bei der Delfintrainer nach einem Fehler ihrer Schützlinge stillstehen und nicht reagieren. Jede Reaktion fördert das Verhalten, aber keine Reaktion erlöscht es.

„Man bestraft das Tier, aber man bestraft es nur, indem man ihm Belohnungen vorenthält“, so der Psychiater. „Wenn man nicht ins Fitnessstudio geht […] sollte man sich nicht erlauben, sich seine Lieblingsserie auf Netflix anzusehen.“

Eine Gewohnheit aufzubauen ist schwierig; eine zu brechen, ist schwieriger. Um das anzugehen, empfahl Dr. Lieberman, die Vorgehensweise umzukehren: Man sollte sich belohnen, wenn man einer schlechten Angewohnheit widersteht, selbst nach einem halben Tag. Wenn man nicht geraucht oder ungesunde Lebensmittel gegessen hat, sollte man Netflix schauen oder Geld für eine Belohnung zur Seite legen.

Göttliche Intervention

Obwohl die Arbeit mit unserem inneren Tier hilfreich ist, kann die Verbindung zu einer höheren Macht eine tiefere Einbeziehung des Unbewussten bewirken – sei es durch traditionelle Religion oder säkulare Meditation.

„Diese göttliche Seite des Unbewussten ist oft sehr unberechenbar. […] Intuition kommt und geht“, meinte Dr. Lieberman. So könnten Künstler und Wissenschaftler nie vorhersagen, wann die Inspiration kommt.

Die Anonymen Alkoholiker nutzen die Beziehung der Süchtigen zu einer höheren Macht, um den Alkoholismus zu überwinden. Teilnehmer, die täglich die Gegenwart Gottes spüren und an einen universellen Geist glauben, erzielten bessere Ergebnisse bei Suchtverhalten und Stress, heißt es in einer empirischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2016, die im „Journal of Religion and Health“ erschien.

Laut einer 2014 im „Journal of Sport and Exercise Psychology“ erschienenen Studie erhöht Selbstbestätigung, die durch die Konzentration auf ein wertvolles Selbstkonzept entsteht, wie beispielsweise ein ehrlicher Mensch zu sein, die körperliche Aktivität und die positive Einstellung. Manche Menschen nutzen Bekenntnisse, um mit ihrem Unterbewusstsein zu kommunizieren und zwei unterschiedliche, aber stark miteinander verflochtene Teile zu verbinden.

Bessere Selbstregulierung bei religiösen Personen

Im Jahr 2010 erschien in der Fachzeitschrift „Personality and Social Psychology Review“ eine Analyse von 30 unabhängigen Experimenten. Ihr zufolge erleichtern religiöse Praktiken die implizite unbewusste Selbstregulierung im Gegensatz zur expliziten bewussten Regulierung.

Laut einer Studie, die im Jahr 2003 im „Journal of Personality and Social Psychology“ erschien, helfen religiöse Konzepte Menschen unbewusst dabei, Selbstkontrolle bei Versuchungen auszuüben, weil sie verlockende Worte langsamer erkennen.

Religiosität könnte eine einheitliche, verkörperte, auf die ganze Person ausgerichtete Selbstregulierung ermöglichen. Das erklärt das häufig größere Wohlbefinden religiöser Menschen.

Der „innere Ausschuss“

Wenn sich Verhaltensweisen aus Gewohnheiten ergeben, müssen wir unsere Rituale genauer unter die Lupe nehmen. Wenn wir uns Ziele setzen, wie zum Beispiel sich gesünder ernähren, sagt das Ego dem Unbewussten, dass es sich ändern soll.

„Das Ego ist ziemlich einheitlich. Das Unterbewusstsein hat viele, viele Stimmen“, meinte Dr. Lieberman. Mit reiner Willenskraft ließen sich langfristig keine Gewohnheiten einführen – wir müssten mit diesen Stimmen, unseren inneren Antrieben, arbeiten.

Dieser „Ausschuss“ spricht nicht auf Diktate an. Wir können jedoch bessere Ergebnisse erzielen, wenn wir uns mit unseren Beweggründen auseinandersetzen. Auch hilft es, wenn wir gleichbleibende Ritualen haben und einer höheren Macht huldigen.

Über den Autor

Jano Tantongco ist Autor und in der Kreativwirtschaft in New York tätig. Er berichtet über Gesundheit, Kultur und Politik.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „The Secret to Forming Lasting Habits? Your Unconscious Mind“. (redaktionelle Bearbeitung as)



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