Dr. Gerhard Scheuch: „Frisch Geimpfte atmen mehr Aerosole aus als Nicht-Geimpfte“

Aerosolwissenschaftler Dr. Gerhard Scheuch glaubt nicht an die Theorie von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dass von einem frisch Geimpften ein relativ geringes Infektionsrisiko ausgeht.
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Der Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz beinhaltet, dass die Bundesländer wieder Maskenpflichten verhängen dürfen. Symbolbild.Foto: iStock
Von 28. August 2022

Dr. Gerhard Scheuch ist Physiker und Aerosolwissenschaftler und berät seit Beginn der Corona-Pandemie Institutionen wie das Robert Koch-Institut zur Ausbreitung von SARS-CoV-2 in geschlossenen Räumen. Eine Studie von ihm kommt zu dem vorläufigen Ergebnis, dass frisch geimpfte Menschen mehr Aerosole ausstoßen als nicht geimpfte. Von einer Maskenpflicht hält er jedoch nichts, auch nicht an Schulen. Um Infektionen zu verhindern, sollten seiner Meinung nach mehr Lüftungsanlagen installiert werden. Die Epoch Times hat mit ihm gesprochen.

Herr Dr. Scheuch, Sie halten eine Maskenpflicht für nicht sinnvoll. Warum?

Es gibt einen ganz interessanten Artikel aus der „New York Times“, den ich immer wieder gerne zitiere. Die Überschrift lautet: „Warum Masken helfen, Masken-Pflichten aber nicht. Das hört sich zunächst schizophren an. Sofern man darüber nachdenkt, ist es vernünftig.

Sehr lange habe ich mich mit der Effektivität von Masken auseinandergesetzt und Literatur gelesen. Es kommt eindeutig heraus: Ja, Masken schützen und helfen, die Dosis der eingeatmeten Viren deutlich zu reduzieren. Auf null kriegt man sie nicht, aber Masken schützen.

Eine Maskenpflicht schützt meistens nicht. Warum? Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen tragen Menschen die Maske locker und nicht richtig, wenn sie dazu gezwungen werden. Die Person trägt dann eine Maske, nur ist die Schutzwirkung nicht gegeben, wenn sie an der Maske vorbeiatmen. Menschen müssen die Maske aufsetzen wollen, die Maske muss richtig sitzen und zur Gesichtsform passen. Es nützt beispielsweise nichts, einem Kind eine Maske für Erwachsene aufzuziehen.

Daher halte ich persönlich von einer Maskenpflicht nicht viel, bin aber durchaus Befürworter der Maske, wenn man sich unsicher ist und sich selber und andere schützen möchte. Ich halte allerdings nichts von der Regel, von Oktober bis Ostern Maske tragen zu müssen. Das ist aus epidemiologischer Sicht völliger Unsinn. Das Virus hält sich nicht an Jahreszeiten, wie wir jetzt im Sommer gesehen haben.

Generell halte ich die Maskenpflicht für übertrieben, überzogen und sie bringt wenig.

Der Justizminister Marco Buschmann hatte in Sachen der Maskenpflicht gesagt: „In Kultur, Freizeit, Sport und Gastronomie muss es Ausnahmen für getestete, frisch geimpfte und frisch genesene Personen geben.“ Wie bewerten Sie das?

Die Ausnahmeregelungen sind uns schon mal auf die Füße gefallen. Im Herbst hatten wir 2G- und 3G-Regelungen. Dadurch ist etwas Ungewolltes passiert: Die Geimpften und Genesenen fühlten sich sicher, obwohl wir wissen, dass insbesondere Geimpfte wieder ansteckend sein können.

Ich halte die Ausnahmeregelungen für schädlich, denn sie suggerieren den Menschen eine Sicherheit, die nicht da ist. Sie denken: „Ich bin ja geimpft, deshalb bin ich nicht ansteckend und kann überall hingehen.“ Das stimmt nicht und ich halte es für gefährlich.

Solche Ausnahmeregelungen sollten auf keinen Fall in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen eingeführt werden. Es ist bekannt, dass die Impfung Ansteckungen nicht verhindert. Sollte es zukünftig einen Impfstoff geben, der vor Ansteckung schützt, sähe es anders aus. Zurzeit halte ich das für falsch.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat gesagt: „Von einem frisch Geimpften geht selbst dann ein relativ geringes Infektionsrisiko aus, wenn er keine Maske trägt.“ Gibt es einen zeitlichen Unterschied in dem Ausstoßen von Aerosolen, ob Menschen frisch genesen oder frisch geimpft sind?

Dazu haben wir gerade eine Studie beendet und die Daten werden ausgewertet. Wenn ich sie richtig interpretiere, ist es sogar vermehrt so, dass frisch geimpfte Menschen mehr Aerosole ausatmen, als nicht geimpfte. Aufgrund unserer vorläufigen Ergebnisse glaube ich an die Theorie von Herrn Lauterbach nicht. Allerdings sind die Hersteller offenbar zu anderen Ergebnissen gekommen, denn in ihren Zulassungsstudien gibt es Hinweise darauf, dass man kurz nach der Impfung weniger ansteckend sei.

Wie lange der Schutz hält, wissen wir nicht. Ob es einen Monat, drei oder sechs Monate hält, ist sehr variabel. Der Aussage stehe ich außerdem kritisch gegenüber, da wir wissen, dass die Impfung nicht zu 100 Prozent schützt und Menschen sich weiterhin anstecken. Solange es keine eindeutigen Daten gibt, dass die Impfung tatsächlich eine Ansteckung verhindert, wäre ich vorsichtig.

Herr Lauterbach pocht immer auf wissenschaftliche Daten. In diesem Punkt ist er anscheinend etwas großzügig. Ich würde auf die wissenschaftlichen Daten bestehen und auf einen Impfstoff warten, der tatsächlich eine sterile Immunität verschafft.

Herr Lauterbach und die Politiker sagen: „Wir machen das, weil wir die Leute quasi zum Impfen drängen wollen. Wir wollen sie motivieren, sich impfen zu lassen.“ Das halte ich persönlich für eine völlig falsche Motivation für eine Impfung. Eine Impfung soll die Person vor Ansteckung schützen. Sie sollte nicht andere motivieren, sich impfen zu lassen.

Wurde sich in der Studie nur auf Geimpfte bezogen oder auch auf Genesene? Gibt es da einen Unterschied?

Es gibt über Genesene weniger Daten. Wir wissen, dass Genesene sich auch wieder infizieren. Es gibt Berichte, dass sich Leute schon 2-, 3-, 4-mal infiziert haben. Das spricht dafür, dass auch Genesene diesem Phänomen unterliegen.

Waren die Genesenen auch geimpft oder waren sie nur genesen?

Das ist ganz variabel. Es gibt welche, die sind nur genesen. Es gibt welche, die sind einmal geimpft, zweimal geimpft, geboostert und trotzdem genesen. Die Datenlage ist diesbezüglich sehr dünn, weil die Variablen immer größer werden.

Jetzt müsste untersucht werden: War die Person zuerst genesen und dann geimpft? War sie einmal geimpft und dann genesen? War sie zweimal geimpft, dann genesen? War sie dreimal geimpft, dann genesen oder war sie nur genesen? Es gibt sehr viele verschiedene Variablen. Dann eine klare Aussage zu treffen, ist sehr schwierig.

Es ist aber zu erkennen, das bestätigten mir auch mehrere Intensivmediziner, dass Genesene fast nie auf der Intensivstation liegen. Auf Intensivstation liegen viele Ungeimpfte und auch mehrfach Geimpfte, aber fast keine Genesenen. Das heißt, wenn man einmal von der Erkrankung genesen ist, scheint man zumindest gegen schwere Verläufe einen sehr guten und lang anhaltenden Schutz zu haben.

Leider wird nicht offen diskutiert, dass gerade Genesene einen sehr hohen Schutz gegen schwere Verläufe haben.

Was halten Sie davon, dass an Schulen die Maskenpflicht angeordnet werden kann, sofern es erforderlich ist? Erachten Sie das für sinnvoll?

Die Maskenpflicht an den Schulen ist ein Thema. Zum einen haben wir jetzt in einer Studie festgestellt, dass Kinder sehr viel weniger Aerosolteilchen ausatmen als Erwachsene. In einer Studie untersuchten wir auch, wie viele Aerosol-Partikel mit Corona infizierte Kinder ausatmen. In unserer Studie haben wir kein einziges Kind gefunden, welches zu einem sogenannten „Super-Spreader“ geworden ist.

Wir haben keine Kinder gefunden, die mehr als 1.000 Teilchen pro Liter ausatmen, selbst wenn sie mit Corona infiziert waren. Bei Erwachsenen finden wir bei etwa 15 Prozent aller Corona-Infizierten mehr als 5.000 Aerosol-Teilchen pro Liter. Was heißt das? Das scheint zu bedeuten, dass Kinder viel weniger infektiös sind als Erwachsene.

Sind sie überhaupt nicht infektiös? Nein: Sie stecken durchaus ihre Eltern oder Geschwister an, wenn sie lange mit ihnen zusammen sind. Aber Kinder brauchen sehr viel länger, um jemanden anzustecken als Erwachsene. Wenn wir also über Maskenpflicht an Schulen reden, ist mein Standpunkt: Lehrer müssen Masken tragen, nicht die Kinder. Denn die Lehrer stecken wahrscheinlich viel häufiger die Kinder an als umgekehrt. Die Lehrer gehören zu der infektiöseren Gruppe. Es bringt ihnen nichts, wenn sie geimpft sind. Denn auch Geimpfte atmen sehr viele Aerosol-Teilchen aus und sind infektiös.

Zudem zeigen viele Daten, dass die Maskenpflicht an Schulen nur einen geringen Effekt auf das Infektionsgeschehen hat. Deswegen würde ich an Schulen zu anderen Maßnahmen greifen.

Um Infektionen zu verhindern, sollten mehr Lüftungsanlagen installiert werden. Außerdem sollten CO2-Messgeräte zur Pflicht gemacht werden, um die Luft in der Klasse kontrollieren zu können. Auch Raumluftfilter halte ich für eine gute Investition, die sich lohnt, wenn nicht viel gelüftet werden kann. Mit ihnen können Viren aus der Zimmerluft entfernt werden. Es reichen günstige Geräte, um die Viruslast im Raum zu minimieren.

Welche Umsetzungen würden Sie zukünftig in der Gesellschaft noch befürworten?

Nach der Grippe 1918 sind in Amerika Plakate aufgehängt worden mit der Aufschrift: „Versucht möglichst viele Aktivitäten ins Freie zu verlagern, lüftet eure Zimmer ordentlich.“ Es sind sogar Heizkörper entwickelt worden, die bei offenem Fenster funktionierten und die Wohnung im Winter beheizen konnten. Das heißt also:

Man hat gelernt, dass man frische Luft benötigt, um gesund zu sein und zu bleiben – das sollten wir jetzt auch.

Wir sollten uns die Maßnahmen sorgfältig angucken und lernen, was etwas gebracht hat. Welche Maßnahmen sind sinnvoll und welche Maßnahmen sind nicht sinnvoll? Mit dem Wissen sollten wir uns vorbereiten. Dazu gehören beispielsweise Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln. In Zukunft sollte ein Augenmerk auf die Raumluftqualität gelegt werden. Dafür können raumlufttechnische Anlagen installiert werden, die mit Wärmerückgewinnung ausgestattet sind, damit keine Energie verschwendet wird. Wir stecken uns in Innenräumen an und dort, wo viele Menschen zusammenkommen. Deshalb muss man sich in Zukunft um die saubere und gesunde Luft in Innenräumen kümmern. Wir trinken doch auch kein verseuchtes Wasser.

Wenn wir uns schützen wollen, müssen wir in den Bereich der Innenräume eingreifen. Es nützt nichts, Masken im Freien zu tragen und Veranstaltungen im Freien zu verbieten.

Herr Scheuch, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sarah Kaßner.

Über den Autor:

Dr. Gerhard Scheuch ist Physiker und Aerosolwissenschaftler und promovierte 1991, woraufhin er 1993 den Kenneth T. Whitby Award der Amerikanischen Aerosolgesellschaft AAAR erhielt. Von 2009 bis 2011 war er Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin (ISAM). Seit Beginn der Corona-Pandemie berät er Institutionen wie das Robert Koch-Institut zur Ausbreitung von SARS-CoV-2 in geschlossenen Räumen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 59, vom 27. August 2022.



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