Epidemiologe Dr. Pürner: „Schulleiter und Lehrer sind keine Ärzte!“

Nach Einschätzung des Epidemiologen Dr. Friedrich Pürner gibt es viel zu tun, um die Corona-Maßnahmen, die sich verselbständigt haben, wieder geradezubiegen – vor allem, wenn es um Kinder geht. Was er damit genau meint, erklärte er im Exklusiv-Interview mit Epoch Times.
Epidemiologe Dr. Friedrich Pürner über die Corona-Politik
Dr. Friedrich Pürner, Facharzt und Epidemiologe.Foto: privat
Von 23. Juli 2022

Schon sehr früh äußerte der Facharzt und Epidemiologe Dr. Friedrich Pürner Kritik an der Corona-Politik und wurde dafür strafversetzt. Etliche Aspekte, die der Mediziner schon im Jahr 2020 öffentlich anprangerte, finden sich nun im Bericht der Evaluationskommission, beispielsweise zur Maskenpflicht und mangelhafte Daten.

Herr Dr. Pürner, als Kritiker der Corona-Maßnahmen wurden Sie Ihres Amtes als Leiter des Gesundheitsamts in Aichach-Friedberg enthoben. Nun liegt der Evaluationsbericht vor. Fühlen Sie sich in Ihrer Kritik bestätigt?

Ja, natürlich. Der Evaluationsbericht beinhaltet Aspekte, die ich schon vor zwei Jahren hinterfragt habe, wie beispielsweise zu Masken, Lockdowns und die Datenschwäche – aber auch das Anbringen von Kritik. All das wurde jetzt von den Kommissionsmitgliedern in dem Bericht bestätigt. In der Vergangenheit habe ich immer wieder betont, dass Masken für die Allgemeinheit wenig Sinn machen und dass das Tragen von Masken nicht evidenzbasiert ist.

Ich hatte an mehreren Lockdowns erhebliche Zweifel und auf die enorme Datenschwäche hingewiesen. Letztendlich wollte ich mit meiner Kritik erreichen, dass wir in der Sache einfach weiterkommen und die Dinge nicht einfach so hinnehmen. Als Epidemiologe konnte ich die Lage einschätzen, war aber mit meiner Kritik zu früh dran. Deshalb wurde ich strafversetzt und als Querdenker, AfD-Anhänger, Reichsbürger und so weiter verunglimpft. Dieser Zustand hält leider bis heute an!

Es gab also niemanden, der sich jetzt irgendwie aufgrund dessen noch mal bei Ihnen gemeldet und entschuldigt hätte.

Nein, überhaupt nicht. Es hat sich keiner gemeldet und sich in irgendeiner Art und Weise entschuldigt. Noch bis heute warte ich auf meine Rehabilitierung.

Im Evaluationsbericht heißt es auch: „Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar“. Was bedeutet das für die Maskenpflicht?

Im Prinzip bedeutet es das Aus für eine Pflicht. Lassen Sie mich das genauer erklärten: In einem bestimmten Setting haben Masken ganz klar ihre Berechtigung. Jahre lang habe ich mich ausbilden lassen an Masken, an bestimmten Infektionsschutzmaßnahmen, am Tragen von Schutzkleidung. Es ist vollkommen ohne Zweifel, dass man in bestimmten Bereichen vorgeschriebene Masken tragen muss und dass sie auch von Nutzen sind. Im Übrigen muss auch innerhalb der FFP-Masken weiter differenziert werden. FFP1- und FFP2-Masken sind im Umgang mit Mikrorganismen (Baktierien, Viren, Pilze) nicht geeignet. Erst eine FFP-3 ist da zu empfehlen. Diese Masken haben aber einen sehr hohen Atemwiderstand und darunter wird es sehr schnell unangenehm. Viel Menschen könnten diese wohl deshalb auch nicht tragen.

Wir sprechen hier von einer Pflicht für die Allgemeinheit, die aber nicht funktionieren wird. Die Wirksamkeit einer Pflicht ist auch gar nicht nachgewiesen, sie ist nicht evidenzbasiert. Man vermischt hier irgendwelche Studien aus dem Labor, wo man sagt: „Guck mal hier, die FFP-Maske hilft ja doch!“ Diese Studien wurden unter Laborbedingungen gemacht. Im echten Leben, in der Realität schaut das aber anders aus.

Masken müssen ganz korrekt getragen werden, ansonsten sind sie wirkungslos. Dazu braucht es gute Schulungen. Eine Anleitung, die man auf der Verpackung anbringt, oder eine kurze Schulung im Internet reicht nicht aus.

Ich höre oft das Argument: Selbst wenn die Maske schlecht sitzen würde, ist das doch immer noch besser als gar keine Maske. Dieses Argument ist unsinnig. Bei einem Kondom würde das auch niemand behaupten! Oder ein anderes Beispiel: Wer würde sich mit einer schlecht sitzenden Maske einem tödlichen Erreger aussetzen? Wohl niemand.

Sie dürfen mir ruhig glauben; hätten wir es mit einem absolut tödlichen Virus zu tun, dann würden wir hier sofort sehen, wie wenig das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit bringt. Dieser angebliche Schutz für alle ist ja eher eine Illusion. Das Virus ist bei Weitem nicht so gefährlich, wie es uns suggeriert wird. Weil es eben nicht so gefährlich ist, bleiben die vielen schwer Erkrankten und Toten, die immer prognostiziert wurden, aus. Letztendlich schreibt man dann diesen Nichteintritt auch der Maske zu. Ein Irrtum.

Die Maske in der Allgemeinheit ist ein Zeichen, eine Erinnerung an eine Erkrankung, eine Pandemie, aber sicher kein adäquater Schutz für die Allgemeinheit. Ich vermute das Gegenteil. Dort, wo viel Masken getragen werden, steigen die Infektionszahlen. Der Grund dafür könnte eine Übertragung durch Schmierinfektion sein. Der Träger fasst die Masken immer wieder an und überträgt dann die Viren auf andere Gegenstände wie beispielsweise Türgriffe. Im Übrigen braucht es keine Masken für die Allgemeinheit. Die meisten Menschen werden diese Infektion folgenlos überstehen – wirklich, die meisten. So gut wie jeder wird sich mit Corona infizieren; das ist der Lauf der Dinge und das wird man nicht vermeiden können.

Wenn man wirklich auf die Maskenpflicht drängt, dann würde ich aber auch erwarten, dass es eine Rasur-Pflicht gibt. Wenn eine Maske schlecht sitzt, hat sie keinen großen Wert, beispielsweise bei einem Bartträger. Dabei ist es schon fast unerheblich, wie lang der Bart ist. Wenn man sieht, dass Männer mit einem Rauschebart sich beim Einkaufen die Maske überstülpen, ist das unsinnig. Jeder Fachmann, der etwas von Arbeitsschutz und Tragen von Masken versteht, wird mir rechtgeben.

Die Sachverständigen beschreiben es auch als „unglücklich“, dass die Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes erst nach Ablauf von fast zwei Jahren Pandemie evaluiert wurden. Wie hätte man es aus Ihrer Sicht als Epidemiologe besser machen können?

Man hätte viel früher evaluieren und Studien durchführen müssen. Spätestens nach dem ersten Lockdown – da kann ich nur von Bayern sprechen – hätte man schauen müssen, was der Lockdown tatsächlich gebracht hat. Wo sind die Vorteile? Wo sind die Nachteile? Was ist denn da genau passiert? Man hätte auch viel früher Studien durchführen müssen, zum Beispiel eine Erhebung, wie viele Menschen schon Antikörper haben. Man hätte prüfen müssen, was die Maßnahmen wirklich bringen und welche Auswirkungen die Schulschließungen haben. Was macht das mit den Kindern? Haben sie Lerndefizite? Und wie viele Kinder erkranken an COVID-19 und wie schwer?

Als ich damals an der Basis im Gesundheitsamt gearbeitet habe, habe ich Folgendes beobachtet: Ganz selten war es so, dass positiv getestete Kinder in der Klasse noch mehr Kinder mitgerissen haben, die dann erkrankt sind – vielleicht mal ein Banknachbar, aber nicht die ganze Klasse! Also musste man schon sehr früh davon ausgehen, dass auf keinen Fall immer die ganze Klasse in Quarantäne muss, wenn ein Kind infektiös war – trotzdem wurde es lange so gehandhabt; von den ganzen Schulschließungen mal ganz abgesehen.

Es wurde viel zu wenig epidemiologische Feldarbeit geleistet. Was an der Basis gesehen und berichtet wurde, wurde gar nicht zur Kenntnis genommen – es passte nicht ins Narrativ. Das kommt einfach daher, weil bestimmte Menschen in der Politik oder Experten der Behörden überhaupt gar keine Ahnung von der Praxis haben. Die beratenden Experten saßen zumeist irgendwo im Labor und haben sich dort mit Viren beschäftigt. Aber draußen im normalen Leben waren deren Erfahrungen sehr begrenzt, glaube ich. Es ist aber wichtig, dass man Leute aus der Praxis hört, die etwas dazu beitragen können. Man hätte auch viel mehr Studien machen können und initiieren müssen – und zwar viel, viel früher.

Unser Bundesgesundheitsminister ist eigentlich vom Fach und selbst Mediziner. Dann müsste es doch jetzt besser laufen, oder wie sehen Sie das?

Ob er vom Fach ist, da habe ich erhebliche Zweifel. Er ist Mediziner, das bedeutet aber noch gar nichts. Denn es gibt in der Medizin viele Fachrichtungen. Beispielsweise können Orthopäden sicher top operieren und gut Kniegelenke oder Hüften einbauen, aber ich gehe einmal stark davon aus, dass sie von Epidemiologie einfach weniger Ahnung haben. Deshalb gibt es den Nebenzweig Epidemiologie. Es wäre grotesk, wenn man davon ausgeht, dass jeder Arzt alles von allen Fachbereichen versteht. Das kann gar nicht funktionieren.

Ich selbst habe bei Begehungen in Krankenhäusern, in Arztpraxen und in anderen medizinischen Einrichtungen gesehen, wie stark der Infektionsschutz teilweise schon vor Corona vernachlässigt wurde. Wenn ich da nach FFP-Masken fragte, war die Verwunderung sehr groß. Manchen Einrichtungen waren angepasste Hygieneschutzpläne völlig fremd. Einige Einrichtungen haben nicht einmal die korrekten Händedesinfektionsmittel oder Flächendesinfektionsmittel parat gehabt. Es kann also nicht stimmen, dass jeder, der mit Medizin zu tun hat, alles weiß. Man muss Epidemiologie studieren und Erfahrungen haben; dann kann man auch in einer Pandemie fachlich mitreden. Ob das der aktuelle Bundesgesundheitsminister tatsächlich kann, bezweifle ich.

Auf Twitter appellieren Sie derzeit an die Eltern, dass sie sich nicht zur COVID-Impfung ihrer Kinder drängen lassen sollen. Auch eine Masken-Empfehlung für Kinder dürfe es nicht geben. Können Sie das kurz erklären?

Ich bekomme relativ viel Post, unter anderem auch von Eltern. Sie schildern, dass sie jetzt Schul- und Elternbriefe bekommen, die sie von der Sinnhaftigkeit der Maske oder einer Impfung für Kinder überzeugen sollen. Das geht so aber nicht. Schulleiter und Lehrer sind keine Ärzte!

Hier einfach per Elternbrief solche Maßnahmen oder medizinische Eingriffe – und die Impfung ist nun einmal ein medizinischer Eingriff –  zu empfehlen, halte ich für völlig falsch und grenzüberschreitend. Das dürfen Lehrer aus meiner Sicht ganz einfach nicht! Außerdem heizt so etwas natürlich auch noch den sozialen Druck an.

Wenn jetzt Eltern besorgt sind und dem Kind sagen, dass es lieber die Maske aufsetzen soll, auch wenn es keine Pflicht gibt, dann setzt das Kind A eine Maske auf, das Kind B vielleicht aber nicht. Irgendwann wird die Mehrheit darüber entscheiden, was gut und richtig ist. Und die Kinder, die nicht in der Mehrheit sind, werden plötzlich gehänselt und vielleicht diskreditiert. Verstehen Sie mich richtig; ich möchte auch nicht, dass man jetzt mit dem Finger auf jemanden zeigt und ihn schief ansieht, weil er eine Maske trägt. Das will ich nicht, weder im Supermarkt und auch sonst nicht.

Wenn jemand ernsthaft der Auffassung ist, dass er eine Maske braucht, soll er sie bitte tragen dürfen. Deshalb habe ich diesen Tweet verfasst. Es ist auch überhaupt gar nicht evidenzbasiert nachgewiesen, dass Masken für Kinder einen Sinn machen. Also warum sollten Kinder das überhaupt tun?

Was wurde denn alles mit den Kindern gemacht? Das war ja schauderhaft. Sie mussten im Freien und beim Sport Masken tragen; sie mussten im Winter bei offenem Fenster im Klassenzimmer mit Mütze, Schal und Maske sitzen. Das ist doch völlig verrückt! Wenn uns das jemand vor drei Jahren erzählt hätte, dann hätten wir die Kinder wegen Gefährdung aus der Schule geholt. Da bin ich mir ganz, ganz sicher. Das hätten die Eltern niemals mitgemacht. Jetzt aber hat sich diese Grausamkeit etabliert.

Und was ist passiert? Die Ministerien haben den Schulen geschrieben, was gemacht werden muss. Ich glaube, einige Maßnahmen haben sich verselbstständigt. Wie ist es bitte zu erklären, dass Kinder während des Sportunterrrichts Masken tragen mussten? Immerhin sind Sportlehrer ausgebildete Pädagogen und selbst Sportler. Gerade die müssten doch wissen, wie unsinnig Masken während des Sports sind. Die Politiker in den Ministerien und Regierungen, also die vorgesetzten Behörden, haben diese Maßnahmen ins Rollen gebracht und an die Schulen weitergetragen, können diese Verselbstständigung nun aber nicht mehr einfangen. Einige dieser Maßnahmen waren völlig sinnfrei.

Aus meiner Sicht haben diese Politiker diese Grausamkeiten an Kindern zu verantworten. Und weil ich merke, dass sich für Kinder relativ wenige Menschen einsetzen, mache ich das.

Lassen Sie uns noch auf die COVID-Impfung für Kinder eingehen.

Die allermeisten Kinder brauchen nach meiner persönlichen Überzeugung keine COVID-Impfung. Es gibt ein paar Kinder, die besondere Grunderkrankungen haben. In der Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen einer Impfung würde ich den Eltern durchaus eine Impfung empfehlen, wenn ihre Kinder unter bestimmte Erkrankungen leiden, aber das nur in Absprache mit den Eltern.

Grundsätzlich für alle Kinder eine COVID-Impfung auszusprechen, halte ich persönlich für vollkommen unnötig. Kinder erkranken nur sehr selten schwer an COVID; sie haben Erkältungssymptome und auch mal Fieber oder sind für ein paar Tage geschwächt. Da gibt es unterschiedliche Variationen. Aber eine richtige Gefährdung durch COVID besteht für Kinder ganz sicher nicht. Deshalb brauchen Kinder diese Impfung auch nicht.

Sie haben gerade gesagt, dass sich die Maßnahmen verselbstständigt haben und die Politiker das nicht mehr einfangen können. Wie könnte man dafür sorgen, damit das wieder in geregelte Bahnen läuft?

Die Ministerien haben es zum Teil versäumt, in ihrem Verantwortungsbereich nachzufragen und zu schauen, welche Maßnahmen dort noch laufen und was die Schulleitungen machen. Viele Dinge werden unterschiedlich geregelt. Zum Beispiel müssten die zuständigen Ministerien bei ihren Schulen einmal nachfragen, was dort der Stand der Dinge ist und wie sie mit den Kindern im Moment umgehen. Rückblickend glaubt kaum jemand, dass Kinder über lange Zeit Masken in Sport getragen haben. Immer wieder habe ich gehört: „Das kann doch nicht sein!“ Aber es war wirklich so.

Gehen Sie mal in Krankenhaus A und dann in Krankenhaus B. Dort werden Sie teilweise vollkommen unterschiedliche Regelungen finden. Besuchsregelungen mit Maske, ohne Maske, mit einem Test, mit keinem Test, mit Schnelltest, mit PCR-Test – unterschiedliche Ausprägungen, von denen keiner mehr erklären kann, warum das so ist. Wenn man nach einer Vorgabe handeln würde, wären die Regelungen gleich. Das meine ich damit, wenn ich sage, die Dinge haben sich verselbstständigt.

Weder Schulleitung noch ein Krankenhaus- oder Firmen-Chef möchte jetzt dafür verantwortlich gemacht werden, wenn bei ihm Mitarbeiter erkranken. Bedingt durch die Politik gibt es in der Gesellschaft noch immer die Auffassung, dass COVID eine ganz schreckliche Erkrankung sei und man aufpassen müsse. Wenn ein paar Leute krank würden, könnte man zur Verantwortung gezogen werden. Viele Verantwortliche sind deswegen besorgt. Das treibt irrsinnige Blüten. Gehen Sie in fünf verschiedene Betriebe und Sie werden sicher fünf verschiedene Hygienekonzepte und Maßnahmen finden. Das ist unsinnig. Bei dem einen sind die Maßnahmen schärfer, bei anderen weniger scharf. Das ist nicht zielführend und auch für die Bevölkerung ziemlich irritierend, weil sie gar nicht mehr wissen, an was man sich halten muss. Das sorgt auch wieder für Angst und Verunsicherung.

Welche Erwartungen haben Sie in Bezug auf die Corona-Maßnahmen oder auf das, was im Herbst kommt an die Politik?

Dass man es besser macht als in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Man muss endlich wieder einen lebendigen Diskurs zulassen. Aber mittlerweile ist es leider so, dass jede Kritik am Staat, an der Politik oder Politikern, an Einzelnen eine Art Sakrileg geworden ist, auch wenn die Kritik sachlich ist. Also warum darf man plötzlich nicht mehr kritisieren? Warum sind denn nur alle plötzlich so empfindlich geworden?

Bei fast jedem größeren Problem gibt es eigentlich fast immer mehrere Lösungen. Und diese Lösungen oder bestimmten Wege müssen besprochen werden. Gerade das Hinterfragen von bestimmten Dingen gehört zur Wissenschaft. So arbeitet die Wissenschaft. Man stellt eine These auf, versucht Dinge zu belegen und wenn es nicht funktioniert, dann stellt man die These wieder weg und formuliert eine andere. Aber das will man überhaupt nicht mehr.

Wer sich dem nicht stellt oder sich nicht traut, dass bestimmte Dinge hinterfragt werden dürfen, oder nicht mehr den offenen Diskurs eingeht, der hat in meinen Augen in der Wissenschaft nichts mehr verloren.

In Ihrem Buch „Diagnose Pan(ik)demie“ beleuchten Sie das „kranke Gesundheitssystem“, wie Sie es selbst schreiben. Gibt es rückblickend auf die vergangenen Monate etwas Positives aus dem Gesundheitssystem zu berichten?

Leider nein. Das Gesundheitssystem leidet aber schon sehr lange, schon weit vor COVID. Darauf habe ich in meinem Buch aufmerksam gemacht und versucht, die Ursachen zu beschreiben. Nicht Corona ist schuld daran und schon gar nicht die Anzahl der Erkrankten, sondern es ist ganz einfach das System. Dieses System ist aufgrund des aktuellen Abrechnungsmodells auf Profit ausgerichtet.

Natürlich trägt auch der Umgang mit den Mitarbeitern in den Krankenhäusern einen großen Teil der Schuld daran, dass das Gesundheitssystem schon seit vielen Jahren erkrankt ist. Ich meine damit alle, nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Ärzte. Das Ärztesystem ist noch immer sehr hierarchisch aufgebaut. Widerspruch wird da nicht geduldet.

Leider wird in diesem ganzen System eine sehr wichtige Einheit vergessen: Die Reinigungskräfte.

Ein Krankenhaus ohne Reinigungskräfte ist absolut wertlos, das können Sie schließen. Warum? Wenn Reinigungskräfte nicht ordentlich arbeiten, haben Sie in kürzester Zeit Hygieneprobleme im Krankenhaus. Die Reinigungskräfte müssen natürlich verstehen und erkennen, was sie tun. Sie müssen um die Wichtigkeit ihrer Arbeit wissen. Das hat dann auch mit Wertschätzung zu tun.

Die Wertschätzung drückt sich sowohl für Reinigungs- als auch Pflegekräfte in der Bezahlung aus. Wenn man ihnen nur den Mindestlohn gibt und sie wegen Personalmangel ohne längere Pausen und Erholungszeiten arbeiten müssen, führt das relativ schnell zu einem Problem. Das Ganze läuft Hand in Hand. Diese Probleme, die wir jetzt kennen, sind schon seit vielen Jahren bekannt. Die Politiker wussten auch darum.

Bei jeder großen Influenza-Welle waren Notaufnahmen und Intensivstationen überlastet; auch Mitarbeiter sind immer wieder ausgefallen. Aber vielleicht nicht unbedingt nur, weil sie sich mit Influenza oder auch jetzt mit COVID angesteckt hatten, sondern ganz einfach, weil sie erschöpft waren. Die sind kaputt, die sind ausgebrannt. Der ganze Betrieb im Krankenhaus ist absolut familienfeindlich.

Jetzt muss man sich fragen: Wie kann man das Ganze wieder in den Griff bekommen? Das ist natürlich keine leichte Aufgabe, die innerhalb eines Jahres zu lösen ist. Was wir brauchen, ist wieder viel mehr Wertschätzung für die Mitarbeiter in Krankenhäusern und in Gesundheitsberufen. Wir brauchen familienfreundliche Arbeitszeiten und eine adäquate Bezahlung. Sonst wird es nicht funktionieren, denn der Umgang mit Menschen und Kranken ist enorm wichtig. Das muss sich tatsächlich auch in der Bezahlung widerspiegeln, sonst finden Sie auch keine Menschen mehr, die diesen Beruf ergreifen möchten.

Und wenn ich mir vorstelle, wie viel Geld allein durch die Pandemie zum Teil auch sinnlos verschleudert wurde – mit diesem Geld hätten wir ein wunderbares Gesundheitssystem neu etablieren und gleichzeitig auch die Pflegekräfte besser bezahlen können.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Susanne Ausic.

Dr. Friedrich Pürner ist Facharzt und Epidemiologe. Nach Kritik an den Corona-Maßnahmen wurde er seines Postens als Leiter des Gesundheitsamts im bayerischen Aichach-Friedberg enthoben. In seinem Buch „Diagnose: Pan(ik)demie – Das kranke Gesundheitssystem“ gibt der Experte mit langjähriger Berufserfahrung einen umfassenden Einblick in die Zeit, in der ein Virus das Leben der Menschen auf den Kopf stellt.

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Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 54, vom 23. August 2022.



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