Insekten in Lebensmitteln – nahrhaft oder schädlich?
Während in verschiedenen Teilen der Welt, wie Asien oder Afrika, der Verzehr von Insekten nicht ungewöhnlich ist, sind die kürzlich zugelassenen Mehlkäfer, Wanderheuschrecken, Hausgrillen und Getreideschimmelkäfer im europäischen Raum kulinarisches Neuland.
Bis zum Jahr 2016 war es in der EU sogar verboten, Tiere mit Insektenmehl zu füttern, deren Milch oder Fleisch später von Menschen gegessen wurde. Nun sind Insektenmehl und andere Insektenbestandteile offiziell für Lebensmittel zugelassen. Unter anderem Backwaren, Nudeln, Kekse, Schokolade, Erdnussbutter, Frühstücksflocken, Molkepulver, Suppenpulver, bierähnliche Getränke und diverse Fertiggerichte können laut Verbraucherzentrale seither bis zu zehn Prozent Insektenbestandteile enthalten.
Diskussion um Insekten als „Neuartiges Essen“
Essen, das Insekten enthält, muss klar gekennzeichnet sein. Die Insektenbestandteile werden derzeit auf Lebensmittelverpackungen wie folgt gelistet:
- Mehlkäfer (Tenebrio molitor), im Larvenstadium getrocknet.
- Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), gefroren/getrocknet/pulverförmig.
- Hausgrille (Acheta domesticus), gefroren/getrocknet/pulverförmig.
- Hausgrille (Acheta domesticus), teilweise entfettetes Pulver.
- Getreideschimmelkäfer oder Buffalowurm (Alphitobius diaperinus), gefroren/pastenartig/getrocknet/pulverisiert.
Weniger eindeutig als die Kennzeichnung sind jedoch die Ansichten über Insekten im Essen. Diskussionen über die von der EU als „Novel food“ – also „neuartiges Essen“– eingestuften Krabbeltiere sind sowohl im privaten als auch wissenschaftlichen Bereich voll im Gange. Und das schon seit Jahren.
Für die einen ist es eine „umweltfreundliche Proteinquelle“, für andere „eine grausige Zumutung“. Im gesundheitswissenschaftlichen Bereich ist jedoch die wesentliche Frage: Ist das regelmäßige Essen von Insekten nahrhaft oder möglicherweise schädlich?
„Fleisch der Zukunft“ oder Auslöser für „Krankheiten der Zukunft“?
Während das deutsche Umweltbundesamt Insekten als einen Kandidaten für das „Fleisch der Zukunft“ bezeichnet, sind laut mehreren wissenschaftlichen Studien die Auswirkungen auf den Menschen bei regelmäßigem Verzehr von Insekten nicht vollständig geklärt.
Eine im „Journal of Functional Foods“ erschiene Studie [1] aus dem Jahr 2021 weist darauf hin, dass Insekten ungefähr gleich gesund wie die artverwandten Shrimps sind. Sie enthalten einen ähnlichen Gehalt an Aminosäuren sowie wichtigen B-Vitaminen und wirken sich positiv auf die Darmgesundheit aus. Eindeutig zeigen Studien [2] auch, dass Insekten als proteinreiche Nährstoffquelle in Ländern mit Lebensmittelknappheit helfen können, das Problem der Unterernährung und Mangelerscheinungen zu reduzieren.
Ob sie jedoch zum regelmäßigen Verzehr in großen Mengen geeignet sind, ist nicht ausführlich untersucht. So weisen beide Studien darauf hin, dass umfassende klinische Studien „in-vivo“, sprich am Menschen, dazu noch ausständig sind.
Ein Forscherteam um den Ernährungswissenschaftler Prof. Carlos Alonso Calleja der Universität Léon (Sapnien) warnt ebenfalls davor [3], dass der Konsum von Insekten „Risiken für die Gesundheit bergen könne“. In ihren Augen „seien weitere Untersuchungen erforderlich […], bevor die Aufnahme von Insekten in die Nahrungskette zur Norm werde“.
Genau untersuchen sollten man demzufolge unter anderem die Auswirkungen von Phytaten (Phytinsäure) und Oxalaten, sogenannten Chelatbildnern, in Insekten. Diese verringern unter anderem die Aufnahme von lebenswichtigen Mineralstoffen wie Kalzium, Zink, Mangan, Eisen und Magnesium im menschlichen Körper.
Mangelerscheinungen dieser Mineralstoffe können Muskelkrämpfe, Haarausfall, Immunschwäche, Abnahme der Fruchtbarkeit, Müdigkeit oder Schwindel auslösen.
Hohes Allergiepotential: Warnung für Allergiker
Derzeit sind über 250 einzelne Allergien auslösende Proteine von Gliederfüßern, wie Insekten oder Krebstiere, sogenannten Arthropoden, bekannt. Vor allem, wenn jemand bereits andere Allergien hat, wird zur Vorsicht geraden.
„Wer eine bestehende Allergie auf Schalen- und Krustentiere, Weichtiere oder Hausstaubmilben hat, sollte beim Verzehr von Speiseinsekten vorsichtig sein“, sagt Sabine Holzäpfel von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Problematisch für Allergiker könnten Insekten auch aufgrund der Futtermittel sein. Wer auf Soja oder Weizen allergisch reagiert, verträgt laut Verbraucherzentrale womöglich auch Lebensmittel nicht, die mit den Krabbeltieren versetzt sind.
Die häufigsten Symptome einer entsprechenden Allergie sind Hautausschläge, Schwellungen im Mundbereich und den Augen, Kurzatmigkeit, Hustenanfälle, Übelkeit und Bauchschmerzen.
Auch die spanischen Forscher weisen in ihrer Stellungnahme [3] auf das allergische Potenzial von Insekten hin.
Viele Arthropoden können bei empfänglichen Personen allergische Reaktionen hervorrufen, die hauptsächlich durch das Vorhandensein von Tropomyosin, Argininkinase, Glyceraldehyd-3-Phosphat-Dehydrogenase oder Hämocyanin verursacht werden. Obwohl nicht gut untersucht, wurden Kreuzreaktionen festgestellt, z. B. zwischen Krustentieren, Schaben und Milben. Die Symptomatik der Insektenallergie ist sehr unterschiedlich und reicht von einfacher Urtikaria bis zum anaphylaktischen Schock.“, schreiben die Forscher.
Laut den spanischen Wissenschaftlern sei davon auszugehen, dass zu Beginn „die meisten Menschen ein geringes Risiko für allergische Reaktionen auf den Verzehr von Insekten haben“. Jedoch könnte der wiederholte Verzehr das Risiko von Allergien erhöhen.
Da jedoch die wiederholte Exposition gegenüber einem potenziellen Allergen das Risiko erhöht, sollten Insekten mit Vorsicht verzehrt werden, wenn sie in den Speiseplan aufgenommen werden.“, so die Forscher.
Zusätzlich warnen die Forscher vor dem Verzehr von ‚krypto-toxischen‘ Insekten. Solche Insekten enthalten Steroidhormone, wie Testosteron. Ein dauerhafter Verzehr dieser Insekten kann zu Wachstumsstörungen, Hypofertilität, Vermännlichung bei Frauen, Ödemen, Gelbsucht und Leberkrebs führen. Allerdings umfassen „krypto-toxische Insekten“ bestimmte Käfer- und Schmetterlingsarten, die aktuell nicht in der EU zum Verzehr zugelassen sind.
Chitin – Unverdaulicher Allergieauslöser?
Im Mittelpunkt vieler Debatten steht auch das Polysaccharid Chitin. Dieser Naturstoff stammt aus den Panzern von Insekten und Schalentieren und kommt auch in manchen Pilzen vor.
In der Pharmazie und Medizin wird Chitin seit der erstmaligen Isolierung im Jahr 1811 vielfältig verwendet. Chitin und dessen Derivate, wie beispielsweise Chitosan haben viele positive medizinische Eigenschaften. Es wirkt in verschiedenen äußeren und inneren Anwendungen laut umfassenden Studien [4] antioxidativ, blutdrucksenkend, antientzündlich, gerinnungshemmend, antimikrobiell, cholesterinsenkend, antidiabetisch und schützt die Darmflora.
Chitin ist jedoch laut derzeitigem Stand der Wissenschaft vom Menschen unverdaubar. Dies allein ist kein unbedingt negativer Aspekt. Auch Cellulose – ein Bestandteil nahezu aller Pflanzen – verdaut der Körper nicht. Allerdings dient Cellulose als wichtiger Ballaststoff in einer ausgewogenen Ernährung.
Ein Review [5] aus dem Jahr 2020 zeigt zudem, dass der Körper, abgesehen von Chitin, einen großen Prozentsatz von Insektenbestandteilen aufnehmen kann. Viele Nährstoffe sind bioverfügbar, werden also auch im Körper verwertet. Obwohl der Autor der Jomo Kenyatta Universität in Kenia den Verzehr von Insekten als „vorteilhaft“ einstuft, sieht auch er mehr Forschungsbedarf.
Die wissenschaftliche Literatur über Aspekte der Lebensmittelsicherheit von essbaren Insekten ist begrenzt. Es besteht daher ein Bedarf an mehr Forschung, um die mit dem Verzehr von Insekten verbundenen Risiken zu verstehen und die Gesundheit der Verbraucher zu schützen“, heißt es abschließend in seiner Arbeit.
Gleichzeitig spielt Chitin, laut einer Studie [6] im Journal „Trends in Immunology“, als Auslöser von Allergien eine Rolle. Allerdings ist das Fazit auch in dieser Studie, dass es zu wenige Untersuchungen am Menschen gibt und die meisten Testergebnisse aus Tiermodellen stammen.
Fazit
Insekten enthalten viele Nährstoffe und können eine proteinreiche Unterstützung gegen Unter- und Mangelernährung sein. Ob es jedoch für Menschen gesund ist, Insektenbestandteile in großen Mengen in den Speiseplan zu integrieren, ist bisher nicht klar untersucht.
Darüber hinaus müssen Lebensmittel, die Insekten enthalten, in der EU eine eindeutige Kennzeichnung tragen. Diese Information dient nicht nur Allergikern, denen zu besonderer Vorsicht geraten wird. Auch all jene, die das insektenreiche „Novel-Food“ ausprobieren möchten, wissen dadurch Bescheid. – Genau wie jene, die das „große Krabbeln“ in ihrem Speiseplan vermeiden wollen.
Quellen und Literatur:
[1] Mishyna, Glumac (2021); doi.org/10.1016/j.jff.2020.104316
[2] Adámková et al. (2017); doi.org/10.3390/ijerph14050521
[3] Calleja et al. (2022); theconversation.com/el-consumo-de-insectos-tambien-tiene-riesgos-para-la-salud-hace-falta-mas-investigacion-175479
[4] Park, Kim. (2010); doi.org/10.3390/ijms11125152
[5] Samuel Imathiu (2020); doi.org/10.1016/j.nfs.2019.11.002
[6]
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