Völlig verändert nach einer OP: Die wenig bekannte Nebenwirkung von Anästhesie

Das sogenannte postoperative Delir, eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns, kann die Persönlichkeit der Betroffenen verändern, vor allem bei älteren Personen. Es gibt aber auch erste medizinische Erkenntnisse und Tipps, wie das Risiko dafür gesenkt werden kann.
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Etwa jede zweite ältere Person hat ihn nach einer Operation: Einen Zustand der Verwirrtheit und Desorientierung.Foto: gorodenkoff/iStock
Von 20. November 2023

Es betrifft meistens die über 60-Jährigen: Nach einer Operation wachen sie als etwas andere Personen wieder auf. Sie verhalten sich seltsam, sind verwirrt, leiden unter Halluzinationen und können ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren. Dieser ernste medizinische Zustand heißt „postoperatives Delir“. 

Der Verwirrtheitszustand nach einer Operation kommt bei älteren Menschen sehr oft vor: Je nach Studie betrifft er 30 bis 80 Prozent von ihnen. Das schreiben medizinische Fachgesellschaften in der S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin“ aus dem Jahr 2020.

Die unbekannte Volkskrankheit

Da so viele Menschen darunter leiden, bezeichnet die München Klinik Bogenhausen das postoperative Delir sogar als eine „Volkskrankheit“. Allerdings ist diese Erkrankung außerhalb von medizinischen Kreisen weitgehend unbekannt. Unerkannt erhöht Delir jedoch das Sterberisiko und das Risiko für Folgeerkrankungen wie Demenz.

Es kann direkt nach dem Erwachen aus der Narkose auftreten oder erst nach einigen Stunden oder Tagen. Normalerweise klingt es nach einigen Tagen wieder ab; in besonderen Fällen dauert es jedoch monatelang an. Trotz neuer Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2023: Die Forschung für Langzeitfolgen dieser vorübergehenden Funktionsstörung des Gehirns steckt laut Einschätzungen aus Fachkreisen noch in den Kinderschuhen.

Symptome eines Delirs

Ein postoperatives Delir kann leicht mit einer Reihe primärer psychischer Störungen verwechselt werden, da die Symptome auch bei Erkrankungen wie Demenz, Depression und Psychose auftreten. Die Beschwerden können auch von Patient zu Patient unterschiedlich sein und sich im Laufe der Zeit ändern.

Die typischen Anzeichen eines Delirs sind:

  • Desorientierung: Die Betroffenen wissen nicht, wo sie sind und welcher Tag es ist. Manchmal erkennen sie ihre Angehörigen und Freunde nicht mehr.
  • Körperliche Unruhe: Die Patienten sind sehr aktiv und unruhig. Manchmal versuchen sie, wichtige Infusionsschläuche oder Drainagen zu entfernen oder aus dem Bett zu steigen und wegzulaufen.
  • Teilnahmslosigkeit: Die Betroffenen wirken depressiv, sind nicht ansprechbar und in sich gekehrt und wollen nicht aus dem Bett aufstehen.
  • Angst und Wahnvorstellungen: Die Patienten sehen bedrohliche Gegenstände oder Gestalten.
  • Gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Alpträume

Laut dem Universitätsklinikum Augsburg beschreiben viele das Delir oft als „Alptraum, der von der Realität nicht zu unterscheiden war und den nur sie wahrgenommen haben“. Andere wiederum können sich später gar nicht oder nur bruchstückhaft an die Zeit der Verwirrung erinnern.

Risikofaktoren

Bei welchen Personen tritt ein postoperatives Delir normalerweise auf? Die Betroffenen haben vor der Operation oft nicht diagnostizierte kognitive Beeinträchtigungen. Es gibt aber auch noch andere bekannte Risikofaktoren.

„Mit zunehmendem Alter treten im menschlichen Gehirn eine Reihe von Veränderungen auf, die dazu führen, dass ein Patient weniger widerstandsfähig gegenüber perioperativem Stress ist. [Das] macht ältere Erwachsene anfälliger für […] perioperative neurokognitive Störungen“, so die Autoren eines Forschungsberichts, der 2022 in der Zeitschrift „Anesthesia & Analgesia“ erschien.

Der Begriff perioperativ bezieht sich auf die Zeit unmittelbar vor, während und nach der Operation.

Unkontrollierbare Faktoren wie das Alter und die Art des Eingriffs erhöhen das Risiko ebenfalls. Besonders gefährdet sind nach Angaben des Berichts Personen, die älter als 60 Jahre sind, sowie Personen, die sich einer orthopädischen oder kardiologischen Operation unterziehen müssen, bei der eine längere Narkose erforderlich ist.

Weitere Risikofaktoren für ein Delir sind unter anderem:

  • schlechte kognitive Fähigkeiten,
  • Gebrechlichkeit,
  • schlechte Ernährung,
  • Alkoholmissbrauch,
  • Depressionen und
  • nicht erkannter Diabetes.

Risikofaktor Narkose

Ein Delirium tritt ebenfalls häufiger bei Patienten auf, die mehrere Medikamente einnehmen. Bei chirurgischen Eingriffen werden fast immer zusätzlich zu den Schmerzmitteln und den vorbeugenden Antibiotika auch Narkosemittel verabreicht. 

Narkosemedikamente gelten generell als sicher, dennoch gibt es inhärente Risiken. Studien zufolge erhöht eine Vollnarkose das Delirrisiko, eine lokale Betäubung senkt es jedoch. Schonende Narkosen mit weniger starken Medikamenten und weniger Anästhesiemitteln senken das Risiko für ein postoperatives Delir ebenfalls. 

Vertraute Gegenstände und Gehirntraining senken das Delirrisiko

Auch eine positive Einstellung und Visualisierungstechniken könnten helfen, die Menge der erforderlichen Anästhesie zu senken. Dies senke das Risiko für ein Delir, erklärte Dr. Matt Hatch gegenüber Epoch Times. Er ist Anästhesist und Mitglied der American Society of Anesthesiologists (US-amerikanische Fachgesellschaft für Anästhesiologie).

Nach dem Eingriff helfe alles gegen ein Delir, was Orientierung und Erinnerung bringe, so der Anästhesist. Dazu gehört beispielsweise ein Foto mit vertrauten Gesichtern auf dem Nachttisch oder auch vertraute Gegenstände wie Hörgeräte, Brillen, Zahnersatz sowie Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel.

Ferner sei es wichtig, dass sich der Patient nach der Operation gesund ernährt, eine gesunde Schlafroutine hat, sich dem Sonnenlicht aussetzt und so schnell wie möglich zu einem regelmäßigen Tagesablauf zurückkehrt, fügte Dr. Hatch hinzu.

Auch betonte er, wie wichtig die kognitive Rehabilitation nach einem Eingriff sei. So würden Patienten nach Operationen dazu angehalten werden, kurz nach dem Eingriff aufzustehen und sich zu bewegen. Das Gleiche gelte auch für das Gehirn, das unter einer Narkose gelitten hat, so Dr. Hatch.

Alles, was die Patienten geistig auf Trab hält, wie Kreuzworträtsel und andere kognitive Aktivitäten, trage dazu bei, einem Delir vorzubeugen.

[Mit Material von Epoch Times USA]



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