Fachkräfte-Einwanderungsgesetz: Kommt jetzt der Ansturm aus der Ukraine?

Im Jahr 2020 wird das deutsche Fachkräfte-Einwanderungsgesetz in Kraft treten. In der Ukraine und in Polen steigt die Sorge, dass eine massenhafte Auswanderung ukrainischer Arbeitskräfte in das verhältnismäßige Hochlohnland Deutschland einen Brain-Drain hervorrufen könnte. Einiges spricht jedoch auch dagegen.
Titelbild
Werden die Ukrainer vom deutschen Fachkräfteeinwanderungsgesetz profitieren?Foto: PromesaArtStudio/iStock
Von 3. Juli 2019

Für die Hoffnung auf Annäherung an die EU, verbunden mit der Aussicht auf Arbeitsmöglichkeiten und Absatzchancen für heimische Produkte, haben die Ukrainer 2013 sogar Umsturzwirren, Krieg im eigenen Land und Gebietsverluste in Kauf genommen. Politiker aus Brüssel und westeuropäischen Staaten haben den „Euromaidan“ einst mit salbungsvollen Worten, später mit Durchhalteparolen unterstützt – und heute ist es um das Thema einer möglichen Beitrittsperspektive ruhig geworden.

Das jüngst verabschiedete deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat nun auch in der Ukraine breite Aufmerksamkeit gefunden. Mit diesem verbinden sich Hoffnungen und Befürchtungen. Anfang 2020 wird das Gesetz in Kraft treten.

Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) berichtet, ist der Run auf Sprachkurse und Beratungsstellen ungebrochen, „Arbeiten in Deutschland“ ist Google Trends zufolge ein beliebter Suchbegriff. Billigflieger Wizzair wird die Zahl seiner Flüge aus der Westukraine nach Berlin und Dortmund verdoppeln.

Etwas höhere Löhne nur in der Hauptstadt

Wie die „Ukraine-Nachrichten“ Anfang des Jahres unter Berufung auf das Ukrainische Komitee für Statistik berichteten, ist der durchschnittliche Monatslohn in der Ukraine im Vorjahr auf 10573 Hrywnja angestiegen, was etwa 333,38 Euro entspricht. In der Hauptstadt Kyjiw sind es umgerechnet 521,74 Euro, leicht über dem Durchschnitt liegen außerdem das Umland der Stadt und die von der Regierung kontrollierten Gebiete von Donezk. Kirowohrad mit 258,56 Euro und Tschernihiw mit 252,42 Euro Monatsbrutto.

Von den Branchen her werden die besten Löhne in der Luftfahrt sowie im Finanz- und Versicherungswesen bezahlt. Die geringsten Löhne erzielen Ukrainer hingegen im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft und bei den Post- und Kurierdiensten. 

Vor allem in Pflege- und Gesundheitsberufen, wo in Deutschland ein drastischer Mangel an Fachpersonal zu beklagen ist, rechnen sich ukrainische Fachkräfte Chancen aus. In den Jahren zuvor hatte es bereits starke Auswanderungswellen nach Polen gegeben. Nun befürchtet man nicht nur in der Ukraine selbst, sondern auch dort einen massenhaften Brain Drain durch auswanderungswillige Ukrainer in Richtung Deutschland.

Nationalbank besorgt über möglichen Inflationsschub

Derzeit leben 140 000 Bürger der Ukraine in Deutschland. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey erklärte vor einem Jahr, allein im Bereich der Alten- und Krankenpflege seien in Deutschland 35 000 Stellen für Fachkräfte und Helfer frei, Tendenz steigend. Ob mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz allerdings ein Massenansturm hoch motivierter ukrainischer Fachkräfte erfolgen wird, ist ungewiss.

Olga Pogarska von der ukrainischen Nationalbank rechnet nicht damit. Sie geht davon aus, dass ukrainische Arbeitskräfte, die ihre Chance im Ausland suchen, primär dort bleiben werden, wo sie auch jetzt mehrheitlich anzutreffen sind, nämlich in Polen. Gegenüber der NZZ erklärt Pogarska, für die es im Lichte der Inflationserwartung besonders bedeutsam ist, den Weg ukrainischer Arbeitsmigranten zu verfolgen:

Wir sehen ein stark steigendes Interesse an Deutschland. Aber wir denken nicht, dass sich dies in eine erheblich stärkere Emigration übersetzen wird.“

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon liegt in den erheblichen bürokratischen Hürden, die auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aufrechterhält oder zusätzlich schafft. Zwar sind die Beschäftigungsmöglichkeiten für Nicht-EU-Bürger künftig nicht mehr an eine Vorrangprüfung gebunden, also den Nachweis, dass kein geeigneter EU-Bürger für die Stelle zur Verfügung steht.

Weniger attraktiv als Polen

Aber die Fachkräfte aus Drittstaaten müssen weiterhin eine gleichwertige Qualifikation nachweisen – und gute Deutschkenntnisse, die nur wenige haben. Die höchste Hürde stellt dabei die Prozedur vor den deutschen Anerkennungsstellen dar. In den meisten Fällen fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Deshalb, so berichtet die NZZ, wurden in jüngster Zeit aus dem Ausland jährlich gerade einmal etwa 3500 Anträge auf Anerkennung gestellt.

Zudem ist der Nutzen hoher Löhne für die ukrainischen Arbeitsmigranten schnell aufgebraucht. Was sie in Deutschland verdienen, ist zwar ein Vielfaches des Lohnes in der Ukraine, für deutsche Verhältnisse jedoch gering – und das bei höheren Lebenshaltungskosten vor Ort. Die Überbrückung der Trennung von den Familien verursacht zusätzliche Kosten, auch wenn Skype & Co. helfen, in Kontakt zu bleiben.

Im geografisch, kulturell und sprachlich näheren Polen fühlen sich die meisten ukrainischen Arbeitsmigranten daher besser aufgehoben, zumal die wenigsten dauerhaft im Ausland bleiben wollen. Auch bei den Polen selbst hat sich gegenüber Deutschland der Wanderungssaldo verändert: Erstmals seit langem mehr Polen aus Deutschland in die Heimat zurückgekehrt als in die Bundesrepublik eingewandert.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion