Die Deindustrialisierung Deutschlands hat begonnen

Während die globalen Temperaturabweichungen gegenüber dem 30-jährigen Mittel im August 2022 auf 0,28 Grad Celsius gesunken sind (Juli: 0,36), tragen die Maßnahmen der deutschen Klima- und Energiepolitik zur Deindustrialisierung bei. Ein Gastkommentar:
Deindustrialisierung: Das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl
Das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl. (Symbolbild).Foto: iStock
Von 8. September 2022


Bevor wir auf die Deindustrialisierung Deutschlands zu sprechen kommen, die aufgrund der großen Energiekrise beginnt, werfen wir einen Blick auf die Temperaturentwicklung. Die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) ist im August 2022  gegenüber dem Juli von 0,36 Grad auf 0,28 Grad Celsius gefallen.

Die Seitwärtsbewegung der Temperatur seit sieben Jahren setzt sich fort. Auch wenn in Deutschland der Eindruck erweckt wurde, dass der außergewöhnlich sonnenreiche und warme Sommer 2022 ein Indiz für die Klimaerwärmung sei, muss man sich die globale Entwicklung vor Augen führen, die einzig und allein für eine Klimabetrachtung herangezogen werden darf. Danach sind wir nur 0,28 Grad Celsius vom 40-jährigen Mittelwert entfernt. Das ist alles andere als besorgniserregend.

Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass die Energiemärkte bereits vor dem Ukraine-Krieg aus den Fugen geraten waren. Durch Abbau von Erzeugungskapazitäten (Kohlekraftwerke und Kernkraftwerke) in ganz Europa und unterlassene Erschließung neuer Öl-, Gas und Kohlevorkommen sowie einem rasanten, aber politisch gewollten Anstieg der Preise von Emissionszertifikaten vervielfachten sich die Preise von Gas und Strom schon im Jahr 2021. Der Ukraine-Krieg hat diese Tendenz noch einmal verschärft.

Kein günstiges Gas, keine gute Nachricht

Der BDI-Präsident Siegfried Russwurm verwies auf der Regierungsklausur in Meseberg vom 31.8.2022 darauf hin, dass die Industrie im Verlauf dieses Jahres 21 Prozent weniger Gas eingesetzt hat. Ein großer Teil ist aber nicht durch Einsparung oder Wechsel zu anderen Energieträgern erfolgt, sondern durch Stilllegung und Herunterfahren der Produktion.

„Das ist kein Erfolg, sondern Ausdruck eines massiven Problems. Die Substanz der Industrie ist bedroht“, so Russwurm. Weiter sagte er: „Die Lage ist für viele Unternehmen schon jetzt oder in Kürze toxisch.“ Die Antwort der Bundesregierung ist nicht etwa wie in Frankreich einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis zu schaffen, sondern man schaut zu, wie eine Fabrik nach der anderen ihre Produktion schließt.

Bemerkenswert ist die Reaktion von Wirtschaftsminister Habeck auf der Meseberg-Pressekonferenz: „Die Situation, dass wir günstiges Gas aus Russland bekommen, wird nicht wiederkehren … Das ist keine gute Nachricht, weil sie jeweils in den betroffenen Industriezweigen bedeuten kann, dass dort ein Strukturwandel und … ein Strukturbruch passieren kann. Wir antworten darauf, … indem wir die arbeitspolitischen Maßnahmen, Kurzarbeitergeld fortführen werden.“ Er will alternative Geschäftsmodelle unterstützen, was einer eleganten Umschreibung von Deindustrialisierung gleichkommt. Die Industriegewerkschaften sollten sich die Passage ab Minute 30 des Videos mehrfach anhören.

Zehn Prozent der deutschen Mittelständler sehen sich vor dem Zusammenbruch. Stahlfabriken wie in Hamburg und in Bremen machen dicht, Papierfabriken stehen vor dem Aus. Der Papierhersteller Hakle ist erst der Anfang. Die Aluminiumindustrie hat ihre Produktion nicht nur in Deutschland weitgehend stillgelegt –  Europa hat nach WoodMackenzie bereits 1 Million Tonnen Aluminium verloren. Alarmierend ist auch die Lage von Chemiefabriken und insbesondere in den Düngemittelfabriken.

Deutschland braucht einen wettbewerbsfähigen Industriestrom

Die Akademie Bergstraße führt eine bedrückende Liste der Opfer der Energiepreisentwicklung auf ihrer Website. Warum muss das eine Akademie machen, wann endlich schlagen unsere Industriegewerkschaften Alarm? Ihre wichtigste Forderung müsste die Schaffung eines wettbewerbsfähigen Strompreises sein.

Ich hatte mich sehr gefreut, als im Wahlkampf des Jahres 2021 Bundeskanzler Olaf Scholz sein Ziel für das Industrieland Deutschland auf dem Tag der Industrie formulierte: „Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent“. Heute hat er sich fast verzehnfacht.

In Frankreich ist den Industrieunternehmen der direkte Zugang zum preiswerten Kernenergiestrom erlaubt. Für rund 4,5 ct/kWh können Industrieunternehmen insgesamt 120 Terawattstunden, 25 Prozent der französischen Erzeugung, vornehmlich aus Kernkraftwerken beziehen. Die EU-Kommission hatte eine solche Vorgehensweise schon 2010 abgesegnet.

Aber wir diskutieren die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke. Der grüne Wirtschaftsminister bietet einen faulen Kompromiss eines Streckbetriebs von zwei Kernkraftwerken bis zum nächsten Frühjahr an. Er verheimlicht uns, dass die Stilllegung jedes weiteren Kernkraftwerkes die Merit-Order weiter nach links schieben wird und den Strompreis massiv steigen lässt.

Der Teuerste bestimmt den Preis

In der Merit-Order, der Einsatzreihenfolge von Kraftwerken, werden die Kraftwerke nach ihren Erzeugungskosten in ansteigender Form sortiert. Bei steigendem Bedarf werden immer teurere Kraftwerke hinzugeschaltet. Die teuersten sind die Öl- und Gaskraftwerke. Das folgende Bild zeigt, dass bei einem Betrieb von sechs Kernkraftwerken und der Revitalisierung der Braunkohlekraftwerke die Stromkosten sich mehr als halbieren würden. Das verheimlicht uns Robert Habeck und die gesamte Bundesregierung.

Steigende Strompreise, beispieisweise durch Abschaltung günstiger Kraftwerke, begünstigen Deindustrialisierung

Grafische Darstellung der Merit-Order (fiktive Werte) bei Abschaltung der günstigsten (Kern-)Kraftwerke. Die letzte benötigte – und am teuersten produzierte – Kilowattstunde bestimmt den Strompreis, gleichzeitig sinkt die verfügbare Leistungsreserve der verfügbaren Kraftwerke. Foto: ts/Epoch Times, mit Material von Arnold et al. EWI (2022): Merit Order Tool – Dokumentation

Wie man sehen kann, ist der Einfluss gesicherter Grundlast durch Kernkraft und Braunkohle in einem Strommarkt mit extrem hohen Gasstrompreisen von fundamentaler Bedeutung zur Bekämpfung des Preisanstiegs. Nicht das Fummeln an der Merit-Order, wie es die Bundesregierung jetzt plant, hilft uns langfristig weiter, sondern die Beendigung der Stromverknappung mit preiswerter Stromerzeugung.

In dem in der Abbildung gewählten Modell, berechnet nach dem Merit-Order Tool des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität zu Köln, sinken die Stromkosten um ein Drittel, wenn preiswerte Kernkraft und Braunkohlekraftwerke weiterbetrieben würden.

Mit aktuellen Zahlen berechnet, würden sich die Strompreise sogar mehr als halbieren – auf 170 € pro MWh (17 €ct/kWh). Das ist immer noch dreimal so viel wie vor der Energiekrise, aber es würde den Kern des Industriestandorts in Deutschland erhalten lassen. Aber manchmal gewinnt man den Eindruck, dass sich die Politik mit der Erosion des Industriestandorts Deutschland schon abgefunden hat. Aber wir alle dürfen die Arbeitnehmer in den Industriebetrieben nicht im Stich lassen. Es geht um unser aller Wohlstand.

[Anm. d. Red.: Prof. Vahrenholts Grafik zur Merit-Order hat eine geringe Bildauflösung. Epoch Times hat die Grafik und den Text ohne inhaltliche Veränderung angepasst. Die Dopplung der Zahl 170 ist zufällig. Link zum Original siehe unten.]

Über den Autor:

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für Erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.

Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“, 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net

Hat sich umfassend mit dem IPCC-Bericht und der Klimapolitik beschäftigt: Prof. Dr. Fritz Vahrenholt

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Foto: privat

Dieser Artikel erschien im Original auf kaltesonne.de unter dem Titel: Fritz Vahrenholt: Die Deindustrialisierung hat begonnen (Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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