Ex-Pilot Haisenko: Wird die B 737-MAX auf dem Schrottplatz landen?

Ein einfaches Softwareupdate kann die Probleme der 737-MAX nicht lösen. Da muss man schon an die Hardware – denn Software macht das Fahrwerk der 737 nicht länger und genau da liegt das Grundproblem. Oder liegt es doch primär am System, dem Turbokapitalismus und der Gier der Manager?
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Peter Haisenko, Kapitän und ehemaliger Flugzeugpilot, rechnet nicht damit, dass die Boeing 737 MAX jemals wieder abhebt. Im Bild "geparkte" 737-MAX auf dem Southern California Logistics Airport in Victorville, Kalifornien, 28. März 2019.Foto: MARK RALSTON/AFP/Getty Images
Von 7. April 2019

Es sieht nicht gut aus für Boeing. Je mehr Details über die zwei Abstürze der B 737-MAX bekannt werden, wird klar, dass die Piloten genau nach Boeing-Anweisungen vorgegangen sind, um die Notlage zu beherrschen. Immer mehr Berichte von anderen Piloten zeigen auf, dass die Fehler schon mehrfach aufgetreten sind – allerdings in großer Höhe – und Boeing nicht angemessen darauf reagiert hat. Dazu kommt, dass das gesamte Zulassungsverfahren für die B 737-MAX offensichtlich nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Nach dem Absturz der B 737-MAX der indonesischen Lion Air hat Boeing vorschnell den schwarzen Peter den Piloten angehängt. In diskriminierender Weise haben sie deren Professionalität angezweifelt. Als das nicht mehr haltbar war, musste ein vermuteter Vogelschlag Boeing entlasten und zwar gleich zweimal. Der zweite Absturz in Äthiopien wurde analog behandelt, obwohl Ethiopian-Airlines eine tadellose Sicherheitshistorie hat. Wer den Flughafen von Addis-Abeba kennt, weiß, dass man sein Handwerk schon beherrschen muss, wenn man in der Höhe von fast 2.400 Metern zwischen den noch höheren Bergen starten und landen will. Dem entsprechend zeigen die vorläufigen Auswertungen der Flugschreiber auch auf, dass die Piloten in beiden Fällen professionell nach den Verfahrensanweisungen gehandelt haben, die Boeing in seinen Dokumentationen vorschreibt.

Seltsame und widersprüchliche Anweisungen im Bedienungs-Manual

Betrachtet der Fachmann die Dokumentationen von Boeing zur 737-MAX fällt auf, dass sie Fragen offen lassen und sich teilweise widersprechen. Das gilt speziell für die Handhabung von Fehlern im MCAS-System, das für die Abstürze wesentlich war. So wird zwar beschrieben, dass der Trimmmotor für das Höhenleitwerk zwar abgeschaltet werden soll, aber wer genau hinsieht, erkennt einen Haken:

If either switch is positioned to CUTOUT, both the autopilot and main electric trim inputs are disconnected from the stabilizer trimmotor. Control column actuated stabilizer trim cutout switches stop operation of the main electric and autopilot trim when the control column movement opposes trim direction. When the STAB TRIM override switch is positioned to OVRD, electric trim can be used regardless of control column position.

In verständlicher Sprache heißt das: Läuft der Trimmmotor in die falsche Richtung, kann er mit einer Bewegung des Steuerhorns in die Gegenrichtung gestoppt werden. Mit einem hässlichen Geräusch wird ein Sperrriegel eingerastet. Dieser verhindert aber selbst nach Abschaltung des Stroms zum Motor (Position “CUTOUT), dass die Trimmung von Hand korrigiert werden kann, solange das Steuerhorn in der eigentlich notwendigen Stellung gehalten wird.

In den ganz alten Vorschriften für die erste 737-Variante 737-100 gibt es dazu noch eine Lösungsvariante: Man solle noch kräftiger gegenhalten, bis die Nase in den Himmel zeigt, dann nachlassen und ganz schnell die Trimmung von Hand in die notwendige Richtung bewegen. Solange, bis wieder gezogen werden muss, um dann das Verfahren zu wiederholen. Abgesehen davon, dass man spätestens nach dem dritten Durchgang eine vollgekotzte Kabine mit etlichen Verletzten hat, ist ein solches Verfahren eines Verkehrsflugzeugs nicht würdig. Aber es kommt noch schlechter.

Zweifelhafte Zulassungsvorschriften wegen fehlerhafter Grundkonzeption des Flugzeugs

Das Boeing-Manual sagt nur, dass mit den Cutout-switches die elektrische Bedienung des Trims von Hand und die des Autopiloten abgeschaltet werden. Ob auch die Eingriffsrechte des MCAS-Systems abgeschaltet sind, lässt die Dokumentation offen. Der letzte Satz belegt aber, dass es in der 737-MAX möglich ist, dass die Trimmung trotz cutout (Abschalten) weiterhin elektrisch bewegt werden kann, wenn der “STAB TRIM override switch is positioned in OVRD (override)”.

Weil das Boeing-Manual hier keine Klarheit schafft, ist zu vermuten, dass der Zugriff des MCAS nicht abgeschaltet werden kann. Das wiederum ist logisch, denn für die Zulassung der 737-MAX Ist das MCAS Voraussetzung. Das korrespondiert wiederum mit der Stellung der Trimmspindel in den Trümmern der Ethiopian-Airlines 737-MAX, die ganz am Anschlag “Nase nach unten” aufgefunden wurde, ebenso wie die erratischen Auf- und Abbewegungen, obwohl die Piloten streng nach Boeing-Anweisung vorgegangen sind.

Die Notfallanweisung von Boeing (Checkliste) selbst weist darauf hin, dass der Trimmmotor auch nach Abschalten noch laufen kann.

Unter Punkt fünf (siehe Bild rechts) steht: STAB TRIM CUTOUT switches (both) …CUTOUT Und jetzt kommt´s: If the runaway continues: (also wenn sich der Motor trotzdem nicht abschalten lässt) … Stabilzer trim wheel … Grasp and hold. Man soll also die Trimmräder im Cockpit, links und rechts neben der Mittelkonsole, mit der Hand stoppen und festhalten, weil sich der Motor nicht abschalten lässt.

Ich kann aus eigener Erfahrung – im Simulator der B 737 – sagen, dass ich das nicht tun wollte, denn die Gefahr ist immanent, dass man sich dabei nicht nur einen Finger bricht, wenn es einem überhaupt gelingen mag. Liest man dieses Procedure aufmerksam, wird klar, dass Boeing darauf hinweist, dass der Trimmmotor eben nicht zuverlässig abgeschaltet werden kann. Eben wegen der Zulassungsvorschriften.

Und damit bin ich beim Punkt: Es darf nicht sein, dass ein Flugzeug für den Passagiertransport zugelassen wird, das wegen seiner fehlerhaften Grundkonzeption in Grenzbereichen nur beherrscht werden kann durch den Einsatz von zweifelhaften Hilfselementen, die ultimativ in die Steuerung eingreifen. Aber es geht weiter.

In der vernetzten Elektronik kann ein kleiner Fehler vielfältige Auswirkungen haben

Mittlerweile kommen mehr und mehr Berichte ans Tageslicht, die auf weitere Konzeptfehler hinweisen. Dazu sollte man wissen, dass moderne Verkehrsflugzeuge intern elektronisch vollkommen vernetzt sind. Schon bei der alten B 747-200 aus den 1970-er Jahren wurde der Begriff “ramification” geprägt, also “Verästelung”. Das bedeutet, dass sich ein scheinbar unwesentlicher kleiner Fehler an ganz anderen Stellen auswirken und größte Probleme im Gesamtsystem verursachen kann. Auf die modernen Flugzeuge übertragen heißt das, dass jede auch noch so kleine Software-Änderung Auswirkungen an ganz andern Enden haben kann, die auf den ersten Blick als unlogisch oder gar unmöglich eingestuft werden könnten.

So ist jetzt bekannt geworden, dass der zentrale Fluglagencomputer “ADIRU” mit dem MCAS nicht wirklich harmoniert. Das wiederum könnte daran liegen, dass Boeing für die 737-MAX auf die ADIRU der B 787 (“Dreamliner” – den ich schon als Albtraumflieger bezeichnet habe) zurückgegriffen hat, eben weil die schon das Zulassungsverfahren durchlaufen hatte und nicht ein teures neues benötigte. Auch ein Fehlsignal aus der ADIRU kann das MCAS veranlassen, gnadenlos sein tödliches Eingreifen zu starten, obwohl es dafür keinen realen Anlass gibt.

Angesichts dessen muss man sich schon fragen, wie ein solches Flugzeug überhaupt eine Zulassung erhalten konnte. Da liegt wohl der eigentliche Skandal. Nämlich darin, dass die FAA, die amerikanische Zulassungsbehörde, größte Teile der Zulassung von Boeing selbst hat vornehmen lassen und unsere europäische EASA das einfach abgenickt hat. Russland war da von Anfang an kritischer.

Nur ein Softwareupdate kann die erforderliche Sicherheit nicht gewährleisten

Es werden folglich nicht nur bei Boeing Köpfe rollen müssen, sondern auch in der Führung der FAA. Der Schaden für Boeing selbst wird existenziell bedrohlich sein.

Immerhin stehen bereits diverse Schadenersatzklagen an und Boeing wird höchstwahrscheinlich die gesamte B 737-MAX-Produktion von beinahe 400 Exemplaren verschrotten müssen. Der Fehler im Grundkonzept, der entstanden ist wegen Kosteneinsparungen, kann nicht mit einem Softwareupdate behoben werden. Eben wegen der “Verästelungen”, der systeminternen Verquickung aller Komponenten, muss die 737-MAX einem komplett neuen Zulassungsverfahren unterworfen werden, was von Anfang an notwendig gewesen wäre.

So ist von Boeing und FAA schon zu hören, dass die 737-MAX im Jahr 2019 nicht mehr abheben darf. Ich gehe davon aus, dass sie nie mehr Passagiere transportieren wird, eben weil es ein Grundfehler ist, ein Flugzeug zu konzipieren, das nur beherrschbar wird durch komplizierte elektronische Eingriffe in die Steuerung.

Um das Grundproblem nochmals zu verdeutlichen, skizziere ich das Problem: Die großen Motoren sind zu dicht unter dem Flügel angebracht. Im extremen Langsamflug legt sich der Schubstrahl unter den äußeren Bereich der Tragflächen, zerstört dort schlagartig den Auftrieb, was wiederum schlagartig die Nase nach oben richtet und nicht mehr kontrollierbar ist. Es ist ein sogenannter “Deep Stall”, aus dem es keinen Ausweg mehr gibt. Das MCAS soll selbstständig eingreifen, kurz bevor dieser Zustand eintritt und deswegen kann dieses Modell keine Zulassung ohne dieses System haben.

Airbus und russische Hersteller werden von dem Boeing-Desaster profitieren

Besteht nun die Gefahr, dass Boeing an der MAX pleite geht? Sicher nicht. Die US-Regierung kann Boeing nicht kaputt gehen lassen, denn nach den jahrzehntelangen Fusionen und Konzentrationen ist Boeing der letzte und einzige Hersteller von großen Verkehrsflugzeugen in den USA, inklusive der militärischen Sparte. Wie sehr Boeing von der Regierung unterstützt wird, hat das Beispiel mit den Tankflugzeugen der US-Air-Force gezeigt. Die Ausschreibung für neue Tankflugzeuge hatte Airbus mit der A 330-200 gewonnen. Natürlich hat Boeing interveniert und so wurden die Ausschreibungskriterien solange verändert, bis Boeing mit seiner B 767 den Zuschlag erhalten konnte. Das hat sich jetzt bitter gerächt. Die Air Force hat jetzt zum zweiten mal die Abnahme der Boeing-Flieger verweigert, weil deren Qualität unannehmbar war.

Die Luftfahrtbranche insgesamt hat schon jetzt größte Probleme. Nicht nur, dass 370 bereits ausgelieferte B737-MAX nicht fliegen dürfen, sind bereits 5.000 Bestellungen für die nächsten Jahre fest eingeplant. Obwohl bei Airbus die Champagnerkorken knallen, hat Airbus nicht die Produktionskapazität, die Lücke zu füllen.

Das profitgierige Management bei Boeing, das dazu geführt hatte, dass eine solche Fehlkonstruktion überhaupt in den Verkauf kam, hat möglicherweise einen positiven Effekt für die russische Flugzeugindustrie. Die MC 21 des Herstellerkonsortiums “Irkut” steht kurz vor der Serienfertigung und ist ein direkter Konkurrent für die B 737 und die Airbus-Familie A 320. Obwohl Flugzeuge aus Russland generell im Westen abgelehnt werden, kann das Aus für die 737-MAX hier ein Umdenken bewirken. Aus schierem Mangel und weil dieses Flugzeug von der Konzeption und Auslegung den westlichen Modellen zumindest ebenbürtig ist.

Die Verquickung zwischen Boeing und der FAA produzierte jetzt die Leichen

Die Katastrophen mit der B 737-MAX werden Boeing zwingen, endlich ein komplett neues Flugzeug der 737/A 320-Klasse zu konstruieren. Das hatte Boeing eigentlich bereits 2006 so geplant, aber das Management hat sich gegen die Ingenieure durchgesetzt und darauf bestanden, die alte, billige Variante weiter zu bauen. Als dann der Konkurrenzdruck durch die A 320 neo zu groß wurde, musste ganz schnell etwas zusammengeschustert werden, um am Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein.

Das Ergebnis dieses Managementfehlers ist die B 737 MAX und hat etwa 350 Menschen das Leben gekostet. Der Imageschaden für Boeing ist unermesslich. Jetzt wird Boeing doch ein ganz neues Flugzeug bauen müssen, aber die Entwicklungszeit bis zur endgültigen Zulassung und Serienreife wird mindestens vier Jahre dauern und etliche Milliarden kosten.

Damit Boeing daran nicht zugrunde geht, werden massive staatliche Hilfen notwendig sein und sie werden gegeben werden. Damit wird endlich sichtbar, was Insider schon lange wussten: Es ist weniger Airbus, die durch staatliche Hilfen wirtschaftliche Vorteile haben, sondern Boeing, die schon immer auf dem obskuren Weg der militärischen Produktion ihre Subventionen erhalten haben.

Es ist die Verquickung zwischen Boeing und der FAA, die jetzt die Leichen produziert hat. Man kann nur hoffen, dass die EASA jetzt die Produkte von Boeing genauso peinlich kritisch unter die Lupe nimmt, wie Flugzeuge aus Russland.

Ein einfacher Softwareupdate kann die Probleme der 737-MAX nicht lösen. Da muss man schon an die Hardware und da wird es einfacher sein, ein neues Flugzeug zu bauen, denn Software macht das Fahrwerk der 737 nicht länger und genau da liegt das Grundproblem. Oder doch primär am System, dem Turbokapitalismus und der Gier der Manager?

Auf diesem Bild kann man gut erkennen, wo der Konzeptfehler der B 737 MAX liegt. Die Motoren sind zu hoch vor den Flügeln angebracht. Der Schubstrahl der Motoren verläuft direkt an der Unterseite des Flügels und erzeugt so eher Abtrieb als Auftrieb und kann so den Auftrieb im extremen Langsamflug an den äußeren Flügeln zusammenbrechen lassen. Es hat schon seinen Grund, warum die Motoren normalerweise einen halben Meter unter dem Flügel aufgehängt sind, obwohl das ein höheres Gewicht bedingt.

Wird die B 737-MAX also auf dem Schrottplatz landen? Die ersten stehen in den USA schon dort, denn wie anders können die Langzeitstellplätze in Arizonas Wüsten genannt werden, auf denen tausende ausgemusterte Jets schon stehen? Und jetzt eben die B 737-MAX, die nicht fliegen dürfen.

Zuerst erschienen auf AnderweltOnline.com

Peter Haisenko, Verkehrspilot, war nach seiner Ausbildung bei der Lufthansa 30 Jahre im weltweiten Einsatz als Copilot und Kapitän.  Seit 2004 ist er tätig als Autor und Journalist. Er gründete den Anderwelt Verlag. www.anderweltonline.com/

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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