Lässt Griechenland Lesbos und andere Inseln künftig von der EU verwalten? Von Rebecca Sommer + Video

Aus Lesbos erreichte uns ein weiterer Bericht von Gastautorin Rebecca Sommer, die sich seit Jahren für Menschenrechte und Völkerrecht engagiert. Vor zwei Monaten reiste sie nach Lesbos, um die dortige Situation zu beobachten.
Titelbild
Einheimische von Moria protestieren gegen die Vergrößerung und Verfestigung des Aufnahme- und Asylzentrums auf Lesbos.Foto: Rebecca Sommer
Von 22. September 2020

Lesbos 19.9.2020 – Im Flüchtlingslager auf der Insel Samos brennt es weiter, nun im Bereich, wo die UmF (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) wohnen. Die Nachricht, dass man dann nach Deutschland darf, wenn man sein Lager abfackelt, hat sich wie erwartet herumgesprochen.

Auf Lesbos ist inzwischen die Straße, wo die illegalen Migranten, nachdem sie das Moria-Aufnahme- und Asylverfahrenscenter abgebrannt haben, wieder zugänglich. Alles ist vermüllt, Müll und Zerstörung ist überall zu sehen.

Die Riesenzeltstadt um Kara Tepe herum, die in kürzester Zeit von der griechischen Regierung aufgebaut worden war, mit Hilfe des Militärs, des Roten Kreuzes und der UNHCR – ist nun von den meisten bezogen worden. Trotz erheblichen Widerstands vieler Asylsuchender, da sie weiterziehen wollen nach Al-Moneyia und so weiter, anstatt in eine kontrollierte Struktur eingebunden zu werden.

Dazu muss man wissen: viele der Migranten sind schon mehrfach abgelehnt worden, sie befürchten durch eine organsiertere Struktur nicht mehr so einfach untertauchen zu können. Viele versuchen auf anderem Wege aufs Festland zu kommen, diese Möglichkeit, so befürchten viele, soll eher unterbunden werden.

Eine Begegnung mit der „Europäischen Linken“ im Rathaus

Ich erhalte vom Gouverneur aller nordägäischen Inseln eine Nachricht. Die Europäische Linke sei im Rathaus, welches der Hauptsitz aller nordägäischen Inseln ist, in Mythilini. Computer zugeklappt, Presseausweis umgehängt und rein ins Taxi. Angekommen bemerke ich, dass die Chefin von Stonisi, eine Antifanahe Medienplattform auf Lesbos, Anthi heißt, wie Anthifa sozusagen. Und das sie einen Livestream laufen lässt.

Somit nutze ich die Gelegenheit und stelle meine erste Frage, während die Delegierten hektisch meinen Namen googeln, weil ein lokaler Antifant mich erkannt hat und Zettel mit Warnungen über meine Person zirkulieren.

In meiner Frage ist verpackte Information, ich möchte die Einheimischen, die sich den Livestream eventuell anschauen, aufklären: „Zurzeit sagt Griechenland im PACE, also auch in Thessaloniki, dass Griechenland sein Territorium (Kara Tepe) an die Europäische Union abgeben würde, so dass es unter die Kontrolle und Verantwortung von der Europäischen Union (EU) fallen würde.“

Also, dass man das große Flüchtlingslager (Kara Tepe) abgeben will, welches inzwischen einen anderen Namen bekommen hat. Meine Frage lautet: „Wie seht ihr die Situation, die ich so verstehe, dass das bedeuten würde – dass das territoriale Recht von dieser griechischen Insel gefährdet wäre, da es bedeutet, dass über dem Teil, über den die EU Kontrolle übernehmen würde, keine griechische Flagge wehen würde, so wie ich das verstehe, und es würde auch bedeuten, dass z.B. die griechische Polizei, das Militär keinen Zugang mehr hätten. Weil es EU-kontrolliertes Territorium sein würde. Das ist meine Frage: Was wisst ihr darüber?“

Cornelia Ernst, eine maskenvermummte Linke antwortet mir, während der Rest der Delegierten wispernd berät, wie man nun mit meiner Person umzugehen habe:

„Kurz beantwortet, es steht zur Diskussion, dass die EU das neue Lager übernimmt. Es wird diskutiert, ob ‚Hot Spots‘ (Asylaufnahmezentren) in den nächsten Jahren unter EU-Schirmherrschaft kommen sollen. Auch steht zur Frage, wer dort dann tätig sein soll, das stimmt, aber das ist meiner Meinung nach noch offen. Auch ist noch die Frage zu stellen, welche Struktur es haben wird, ist es ein temporäres Aufnahmelager, bis wann, Winter? 6 oder 5 Monate, das ist alles noch offen. Wir denken der nächste EU-Pakt für Migration wird einiges davon klären. Wir sind nicht zufrieden, wir brauchen EU-Unterstützung, schon richtig, aber wir brauchen keine Aufnahmelager. Wir brauchen eine andere Umverteilung unter den Mitgliedstaaten. Unsere Idee ist, zwar die Flüchtlinge zu registrieren, wo sie ankommen, ich muss sie also registrieren, aber dann muss ein EU-Verteilungsmechanismus stattfinden: geh zu diesem oder jenem Mitgliedstaat, das ist unsere Position.“

Kann Griechenland anstatt seiner 11 Millionen Einwohner bis zu 120 Millionen Einwohner vertragen?

Nun regt sich schon sichtbarer Widerstand gegen meine Anwesenheit. An meiner Seite, rechts von mir, wird wild mit wedelnden Armen diskutiert und auf mich gezeigt. In Grüppchen. Die Delegierten stecken die Köpfe zusammen, schauen auf einen Zettel, den der Helfer in Schwarz wild herumreicht.

Ich stelle, obwohl weder gewollt noch genehmigt, meine zweite Frage, in der ich weitere Information an die Einheimischen abschieße:

„Ihr wisst, zurzeit wird in der Europäischen Union verhandelt, unter deutscher Präsidentschaft, der Neue EU-Pakt für Migration und Asyl. Ich habe Direktinformation von der verantwortlichen Kommission, dass die Umsiedlungs-Studie 2010, ich bin mir sicher ihr kennt diese Studie (…) “ ich werde unterbrochen mit dem Ausruf – das ist doch Rebecca Sommer – ich antworte: „Ja, das bin ich“ und rede weiter: „Diese Umsiedlungs-Studie besagt, dass Griechenland, zur Zeit mit 11 Millionen Einwohnern (…) dass Griechenland anstatt seiner 11 Millionen Einwohner bis zu 120 Millionen Einwohner vertragen kann. Deutschland, ein Land mit 80 Millionen bis zu 274 Millionen Einwohner. So, was meint ihr, denn diese Studie füttert gerade den Neuen EU-Pakt für Migration und Asyl in diesem Moment in den Verhandlungen der Europäischen Union (…)“

„YOU ARE NOT WEARING A MASK“

Großes Geschrei im Saal, man hat also eine Lösung zu dem Problem meiner Anwesenheit und Frage (Information) gefunden, „YOU ARE NOT WEARING A MASK“

Meine Antwort: „Ich habe ein Attest.“

Weiter geht es mit Geschrei und ausgestrecktem Arm auf meine Person zeigend, in allen möglichen Sprachen, man ist erregt und hochgradig empört – ganz plötzlich. Ach ach.
Ich beende trotzdem mit „somit würde ich sehr gerne eure Meinung dazu hören“.

„Entweder Sie tragen eine Maske oder Sie verlassen den Raum!” Ein anderer „Sie müssen eine Maske tragen.“
Zum ersten Mal seit Corona setze ich kurz für eine Minute eine Maske auf „Okay“, ich will die Antwort hören.
Neuer Versuch, meine Person abzuwimmeln, bzw. meine Informationen und Fragen.
„Sie sind von welcher Presse?“
„Ich bin akkreditierte internationale Journalistin, mit Presseausweis und publiziere in verschieden Medien.“

Stimmen im Saal: „Okay, hören wir auf.“
Ein Delegierter nuschelt noch unverständlich in das Mikrofon und die Pressekonferenz wird abrupt beendet.

Mein Versuch mit Cornelia Ernst, „Die Linke im Europaparlament“ aus Dresden noch zu sprechen, bleibt fruchtlos. Mit verbiestertem Gesicht, der obere Teil ohne Maske, wendet sie sich ab, als sei ich die hochgradige Feindin. Was ist mit diesen Leuten nur los, frage ich mich immer wieder. Ich werde aggressiv, bedrohlich aus dem Rathaussaal geschoben, dem Regierungsgebäude welches eigentlich den Griechen gehört. Gehören sollte.

Ein Blick zurück

Lesbos, Donnerstag 17. 9. 2020

Ich stehe mit einer Gruppe von Griechen vor dem Regierungsgebäude in Mytilini. Wir warten vor dem Regierungsgebäude auf den Gouverneur Costas Moutzouris, der direkt gewählt wurde, keiner Partei angehört, und alle nordägäischen Inseln vertritt. Ein echter Volksvertreter, dem alle vertrauen, auf dieser Insel mit rund 80.000 Bewohnern. Vor noch gar nicht langer Zeit mussten 40.000 Migranten hinzugezählt werden.

Die Gruppe, die auf Moutzouris wartet, besteht aus entschlossenen Widerstandskämpfern. Ich kenne sie von mehreren Protesten. Sie stemmen sich hier immer wieder gegen die Errichtung eines ständigen festen riesigen Aufnahmelagers für Asylsuchende, schon seit ich ab Mitte Juli auf Lesbos bin.

Sie wollen ihre Insel zurück haben. Sie wollen, dass endlich wieder Frieden einkehrt und die Landnahme von asylsuchenden Migranten auf der Insel Lesbos endlich ein Ende hat.

Stattdessen gibt es ständigen Druck durch die Regierung und Bauverträge für die Errichtung von weiteren Riesenzentren, um die Massen an illegalen Migranten zu beherbergen. Die Insulaner haben erst und nur davon erfahren, nachdem die Fakten geschaffen waren.

Zum Hintergrund der Versammlung vom 17. 9. 2020

Der Aufstand der Einheimischen im Februar gegen die Errichtung eines weiteren riesengroßen Aufnahme- und Asylverfahrenszentrums – irgendwo in der Pampa – machte weltweit Schlagzeilen.

Es kam zu erbitterten Kämpfen zwischen Sondereinheiten der Polizei und den Einheimischen. Auf der Insel Chios geschah dasselbe, dort wurden die vom Festland herbeigerufenen Spezialtruppen (MAT) in ihren Hotels aufgesucht und von den Migrations-Bedrängten und wütenden Insulanern regelrecht verprügelt.

Man fühlte sich an uralte Zeiten erinnert, als man die Schlagzeilen las. Die Insulaner wurden zu heroischen Hellenen, die, ob jung oder alt, ob reich oder arm, ob hochgebildet oder einfacher Olivenbauer, zur Revolte aufstanden. Entschlossen, strategisch gewieft und mutig trotzten sie den vom Festland kommenden MAT-Truppen.Am 16.9.2020 war Gouverneur Costas Moutzouris noch in Athen. Er wollte den von ihm initiierten Ratsbeschluss: „Wir wollen unsere Insel zurück und den Abzug aller illegalen Migranten“, unterstützt von beiden Bürgermeistern von Lesbos, dem griechischen Premierminister unterbreiten. Aber auch hier ist nichts so einfach, wie man es sich denkt.

Persönliche Interessen an Asyl- und Migrationsindustrie?

Über sein Sekretariat teilte einer der Bürgermeister von Mytilene, Stratis Kytelis, dem Regionalgouverneur zunächst mit, dass er nicht an der außerordentlichen Ratssitzung teilnehmen würde, die von Costas Moutzouris einberufen worden war, um eine Beschluss-Entscheidung wegen der Entwicklungen in Kara Tepe zur Einreichung in Athen zu erwirken.

Nun muss man dazu wissen, dass die ganze Insel munkelt, wie der Bürgermeister von Mytilene persönliche Interessen verfolgen könnte – damit er von der Asyl- und Migrationsindustrie profitieren kann. Wie das so viele tun, vor allem in der Hauptstadt Mytilini.

Doch es kam letztendlich zu dem von Moutzouri initiierten Beschluss – dass die Insel sich nicht einverstanden erklärt mit einem ständigen festen Mammutlager. Seit das Camp Moria von den Migranten durch ständiges bewusst-gewolltes Feuerlegen komplett abgebrannt ist, soll es bei Kara Tepe liegen.

Umsiedlung des Camp Moria zu Kara Tepe

Die ersten 4.000 asylsuchenden Migranten sind inzwischen in die funkelnagelneuen teuren festen Qualitätszelte eingezogen, weitere folgen heute.

Die von der Schweiz finanzierten professionellen Langzeit-Edelstahl-Wassertanks für die sanitären Anlagen für zig-zehntausende Menschen sind inzwischen auch angekommen. Allerdings, zum Ärger der Griechen, wurden diese aus der Türkei gebracht und mutmaßlich dort auch eingekauft. Ich aber fürchte, dass es auch in Kara Tepe wieder und wieder brennen wird. Wann begreift Europa endlich, mit was wir es tatsächlich zu tun haben?

Gerade erst eben wurde das Land und Gebäude eines Moria-Bauern noch einmal absichtlich bis auf den Grund abgebrannt. Weil er einer der Letzten war, der sich bis zum bitteren Ende der Landbesetzung von illegalen Migranten um das Moria-Camp herum jahrelang widersetzte. Nun, schon längst vom abgebrannten Camp weggezogen, kehrte man also extra noch einmal zurück. Man wollte diesem Bauern schaden und ihn strafen.

Auf der Insel Chios eine Migrantenrebellion. Auf Samos, am Fluss Evros, überall brennen die Feuer, so wie auch hier auf Lesbos.

Das ist die Realität. Das ist die Wirklichkeit. Gut angezogene asylsuchende Migranten mit teuren Handys legen Feuer, um unseren Kontinent, uns alle, zu erpressen.

Wer ist verantwortlich?

Die Griechen finden, dass es nicht ihr Problem sei, sondern von 2015-Merkel und dem Verhalten Deutschlands verursacht wurde. Das Problem von Europa sei, dass es die Regeln so gemacht habe, dass es die Menschen anlockt. (Dazu sollte man sich das Abkommen zwischen Zypern und dem Libanon ansehen. Funktioniert hervorragend).

Die griechische Regierung meint, man müsste für die illegalen Migranten auf Lesbos ein neues Riesenlager aufbauen, welches nun, so wie es scheint, unter EU-Verantwortung stehen soll.

Lesbos als UN-Schutzgebiet?

Der griechische Vorsitzende des Ausschusses im Europarat, des PACE, schlug gestern vor, Lesbos unter die Verantwortung der UN-Protektion zu stellen (UN-Schutzgebiet). Es gibt ja auch schon jetzt ein UN-Schutzgebiet zwischen dem griechischen und türkischen Gebiet auf Zypern.

Damit würde Lesbos zu einem internationalen Hoheitsgebiet werden und jegliche griechischen Privatgrundstücke und Souveränität entfallen. Das wollen die Einheimischen von Lesbos nicht akzeptieren.

Der Vorschlag, das Filet – das Landstück um Kara Tepe herum, am Meer gelegen mit Blick auf die Türkei – der EU zu übergeben, soll direkt von der griechischen Regierung kommen. Die Insel soll also zu einer Flüchtlingsinsel unter der Verantwortung der EU werden, andere Inseln sollen folgen, da bin ich mir sicher.

Gekürzte und modifizierte Version des Frontberichts IV von Rebecca Sommer für Reitschuster.

Zur Autorin: Rebecca Sommer ist eine internationale, seit 2012 in Berlin sesshafte deutsche Menschen- und Völkerrechtsadvokatin. Bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland 2012 engagierte sie sich mit ihrem speziellen beratenden ECOSOC Status sowohl bei den Vereinten Nationen im New Yorker UN-Hauptquartier in Genf und weltweit für Menschenrechte mit speziellem Fokus auf Indigene Völker und Völkerrecht.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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