Norbert Häring: Der Internationale Währungsfonds (IWF) will dem Bargeld – trickreich – an den Kragen

Die vorgeschlagenen Änderungen sind durchaus dramatisch zu nennen. So etwas an Öffentlichkeit und Parlamenten vorbei inszenieren zu wollen, zeugt von einer zutiefst undemokratischen Grundhaltung des IWF und der Anti-Bargeld-Kreuzzügler. Der neuerliche Vorstoß gegen das Bargeld fügt sich in die Strategie zur trickreichen Bargeldbeseitigung ein.
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"Ein Euro Bargeld würde also relativ zu einem Euro Guthaben bei einer Bank immer weniger wert. Wer bar bezahlt, müsste (zunehmend) mehr bezahlen als wer per Überweisung oder Karte bezahlt." (Norbert Häring)Foto: iStock
Von 23. Juli 2019

Unter dem Vorwand, die Wirkungsmacht der Geldpolitik bewahren zu wollen, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) ausführliche Empfehlungen veröffentlicht, wie Notenbanken den Bürgern das Bargeld entziehen oder madig machen können. Es ist bereits mindestens die dritte Studie dieser Art in den letzten zweieinhalb Jahren. Erst vor einigen Monaten hat eine hochrangige Managerin der Europäischen Zentralbank (EZB) mit einer IWF-Beraterin ein ähnliches Papier verfasst.

Christine Lagarde, die IWF-Chefin, unter der all diese Papiere entstanden sind, wird in wenigen Monaten als neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) vereidigt.

Ich spreche von den Erfordernissen einer wirksamen Geldpolitik als Vorwand, weil sich der neuerliche Vorstoß gegen das Bargeld in die Strategie zur trickreichen Bargeldbeseitigung einfügt, die in einem IWF-Papier aus dem Jahr 2017 beschrieben ist. Es lohnt sich, dieses zur Einordnung kurz zu rekapitulieren:

In “The Macroeconomics of De-Cashing” wird das Ziel der Bargeldbeseitigung vorausgesetzt und die geldpolitischen Konsequenzen sind dabei nur manche von vielen. Der IWF empfiehlt darin Regierungen, die Bargeld beseitigen wollen, mit harmlos erscheinenden Schritten anzufangen. Man könne zum Beispiel mit der Abschaffung von großen Geldscheinen und Obergrenzen für Barzahlungen beginnen. Es sei vorzuziehen, den Privatsektor mit harmlos erscheinenden Umstellungen vorzuschicken. Direkte staatliche Eingriffe würden angesichts der Vorliebe der Menschen für Bargeld stärker hinterfragt und die Leute könnten stichhaltige Gegenargumente vorbringen.

Nötig sei aus diesem Grund auch ein gezieltes PR-Programm um Misstrauen bezüglich der Bargeldbeseitigung abzubauen, insbesondere den Verdacht, dass die Regierungen durch die Bargeldbeseitigung alle Aspekte des Lebens der Menschen kontrollieren wollen, oder das Misstrauen dass es darum gehe, die persönlichen Ersparnisse in den Bankensektor zu zwingen. Der Bargeld-Beseitigungsprozess werde besser vorankommen, wenn auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung abgestellt werde.

Man beachte: Der Autor hält das Misstrauen nicht etwa für verfehlt. Er zählt die Möglichkeit, alle finanziellen Transaktionen der Menschen zu überwachen, explizit zu den Vorteilen der Bargeld-Beseitigung und auch dass die Ersparnisse in die Banken gedrängt werden, listet er unter den Vorteilen auf.

„Der Bargeld-Beseitigungsprozess werde besser vorankommen, wenn auf eine Kosten-Nutzen-Abwägung abgestellt werde.

In der Ende April veröffentlichten, 88-seitigen Studie „Enabling Deep Negative Rates to Fight Recessions: A Guide“ ist die Kosten-Nutzen-Erwägung, auf die abgestellt wird, eine geldpolitische. Es soll den Notenbanken möglich gemacht werden, die Zinsen tief in den negativen Bereich zu drücken, um die Konjunktur anzukurbeln. Es ist halt ganz zufällig so, dass das voraussetzt, Bargeld zu beseitigen oder unattraktiv zu machen.

Bisher verhindert die Existenz von Bargeld, dass die Banken tiefe Negativzinsen an ihre Einlagenkunden weitergeben. Denn diese könnten zur Vermeidung der Negativzinsen ihre Guthaben bar abheben und zum Nullzins im Tresor lagern.

Durchgängig wird argumentiert, man solle die direkt erkennbaren Änderungen für die Menschen und Rechtsanpassungen so klein wie möglich halten, damit es möglichst keine öffentliche Diskussion gibt. Dabei sind die vorgeschlagenen Änderungen durchaus dramatisch zu nennen. So etwas an Öffentlichkeit und Parlamenten vorbei inszenieren zu wollen, zeugt von einer zutiefst undemokratischen Grundhaltung des IWF und der Anti-Bargeld-Kreuzzügler.

Dass die von der Zentralbank herausgegebenen Banknoten in Europa, wie in den USA und den meisten anderen Ländern den Status des (einzigen) gesetzlichen Zahlungsmittels haben, erwähnen die Autoren mit keinem Wort. Es gibt nur einen vagen Hinweis auf mögliche rechtliche Hürden. In vielerlei Hinsicht widersprechen ihre Vorschläge jedoch dieser gesetzlichen Vorgabe, ja sie wollen sie sogar beseitigen.

Es soll nämlich dafür gesorgt werden, dass im Fall negativer Zentralbankzinsen Bargeld gegenüber Bankengeld (Giralgeld) beständig abwertet. Ein Euro Bargeld würde also relativ zu einem Euro Guthaben bei einer Bank immer weniger wert. Wer bar bezahlt, müsste (zunehmend) mehr bezahlen als wer per Überweisung oder Karte bezahlt. Damit das die beabsichtigten Wirkungen hat, soll dafür gesorgt werden, dass alle wesentlichen Preise in digitalem Geld ausgezeichnet werden. Dann sei Bankengeld „das wahre Ding“, die Rechnungseinheit. Wenn etwas mit 10 Euro ausgezeichnet ist, sollen also Barzahler mehr bezahlen, nicht etwa Digitalzahler weniger. Alte Schuldverhältnisse sollen so uminterpretiert werden, dass Rückzahlung in digitalem Geld (Bankengeld) die Schuld tilgt, während bei Barzahlung ein Aufschlag verlangt werden kann.

Gesetzliches Zahlungsmittel bedeutet aber, dass man eine Geldschuld mit diesem begleichen kann – es sei denn, auf freiwilliger Basis ist vorher etwas anderes vereinbart worden. Wenn man also jemand 10 Euro schuldet, kann man diese Schuld mit einem 10-Euro-Schein begleichen. Ein allgemeiner Aufschlag gegenüber Bankengeld ist mit dem Status des gesetzlichen Zahlungsmittels nicht vereinbar.

„Der saubere Ansatz bringt die geringste Veränderung für das Geldsystem mit sich und verlange keine neuen Gesetze.

Trotzdem kommen die IWF-Autoren zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene Abschaffung des gesetzlichen Zahlungsmittels, die am wenigsten einschneindende Politikmaßnahme zur Bewahrung der Funktionsfähigkeit der Geldpolitik sei. Sie bringe die geringste Veränderung für das Geldsystem mit sich und verlange keine neuen Gesetze. Das ist dreiste Rosstäuscherei. Weder ist es eine kleine Änderung, wenn Bürger und Händler mit einem sich laufend (wenn auch stetig) verändernden Wechselkurs zwischen Bargeld und Bankengeld zurechtkommen müssen, noch kann man das gesetzliche Zahlungsmittel ohne Gesetzesänderung abschaffen.

Damit die Durchsetzung von Digitalgeld als neuer Recheneinheit besser klappt, soll nach der Empfehlung des IWF die Bargeldnutzung weiter zurückgedrängt werden. Ein probates Mittel dafür könne auch die Ausgabe eines allen Bürgern zugänglichen digitalen Zentralbankgeldes sein. „Solche Innovationen dürften die Rolle von Bargeld weiter reduzieren“, lobt der IWF.

Was laut IWF noch fehlt, ist eine Zentralbank, die den Vorreiter macht und damit den Weg für die Abwertung von Bargeld gegenüber Bankengeld auch für andere freiräumt. Dreimal dürfen sie raten, welche Notenbank das sein wird. Natürlich wie üblich, die Schwedische Reichsbank. Diese arbeitet ja schon intensiv an dem digitalen Zentralbankgeld.

Die technische Umsetzung

Umgesetzt würde dieser vom IWF bevorzugte „saubere Ansatz“ im Zusammenspiel von Notenbank und Geschäftsbanken. Letztere haben Guthaben in Form von Zentralbankgeld bei der Notenbank. Diese Guthaben sind eine (bisher) nur Banken zugängliche digitale Ausprägung des gesetzlichen Zahlungsmittels. Mit diesen Guthaben gleichen die Banken unter sich Salden im Zahlungsverkehr aus. Sie können sie aber auch jederzeit in Form von Bargeld abheben, um Bargeldwünsche von Kunden zu befriedigen. Umgekehrt können sie überschüssiges Bargeld auf ihr Notenbankkonto einzahlen, beides bisher zum Festkurs von 1 zu 1.

Dieses Kursverhältnis von 1 zu 1 will der IWF aufbrechen. Damit es sich für Banken bei negativen Guthabenzinsen nicht lohnt, ihre Guthaben zur Vermeidung der Negativzinsen bar abzuheben, zu lagern und später wieder einzuzahlen, würde Ihnen beim Wiedereinzahlen weniger gutgeschrieben, als Ihnen beim Abheben vom Kontostand abgezogen wurde.

Wenn der EZB-Leitzins zum Beispiel minus 4 Prozent betrüge, würde die EZB ankündigen, dass Banken nach einem Jahr für eingezahltes Bargeld vier Prozent weniger bekommen, als sie heute dafür bezahlen müssen. Nach einem Quartal wäre es ein Prozent weniger. Egal ob die Bank das Geld auf dem Konto lässt, oder bar abhebt und einlagert, es würde sie in beiden Fällen pro Jahr vier Prozent kosten.

Diese laufende Abwertung von Bargeld soll auch im allgemeinen Geschäftsverkehr stattfinden. Die Banken sollen aus Eigeninteresse die Kosten von Bargeld an ihre Bargeld-nutzenden Kunden weitergeben. Sie würden Bargeld am Automaten oder am Schalter laufend billiger machen (in Bankengeld gerechnet). Umgekehrt würden diejenigen, die Bargeld einzahlen, also vor allem die Händler, immer weniger Bankguthaben für das eingezahlte Bargeld bekommen. Die Händler würden dann entweder von Barzahlern höhere Preise verlangen oder Bargeld nicht mehr annehmen.

Wenn Bargeld nicht mehr ohne weiteres verfügbar ist, oder laufend abwertet, ist Bargeldabheben keine Option mehr, um Negativzinsen zu entkommen, und die Banken können ungeniert Negativzinsen an ihre Einlagenkunden weitergeben.

Kalte Enteignung

Verräterisch ist im Abschnitt zum digitalen Zentralbankgeld für Jedermann, das einen positiven, aber auch negativen Zins tragen kann, der verschämte Hinweis:

„Um den Menschen die Sicherheit zu geben, dass ihr digitales Zentralbankgeld nicht konfisziert werden wird, wäre es gut, eine ausdrückliche Garantie zu geben, dass der Zins auf dieses digitale Geld nie um mehr als x-Prozentpunkte unterhalb zum Beispiel von der Verzinsung kurzfristiger Staatsanleihen liegen wird.“

Hier wird implizit eingeräumt, dass man mit hinreichend tiefen Negativzinsen die Menschen auch enteignen kann. Bei minus 5 Prozent, ein Satz, der in diesen Kreisen oft genannt wird, hat man nach fünf Jahren ein knappes Viertel seines Guthabens verloren. Für Bankguthaben und Bargeld schlägt der IWF keine solche Garantie vor, ja er erwähnt das Problem nicht einmal explizit. Letztlich bedeuten tief negative Guthabenzinsen, dass Einleger teilenteignet werden, um Banken zu sanieren, die sich verzockt haben. So schreibt der IWF das natürlich nicht, sondern bei ihm heißt es, dass die Profitabilität der Banken wichtig für die Volkswirtschaft sei. Die Einleger werden daher zum Wohle der Volkswirtschaft enteignet, pardon, nicht einteignet, sondern mit passenden Anreizen konfrontiert.

Verschwiegene Alternativen

Wenn es aber nun mal angeblich so ist, dass man Bargeld nur bewahren könnte, wenn man dafür die ganze Volkswirtschaft über die Klinge springen ließe, dann muss auch der hartnäckigste Bargeldfreund ein Einsehen haben. Wenn Bargeld es der Zentralbank unmöglich macht, in der künftigen Niedrigzinswelt ihre gemeinnützige Arbeit der Konjunkturstabilisierung zu machen, dann ist ein ruchloser Egoist, wer sich aus Sorge um sein Erspartes dem entgegenstellt. Das ist die Botschaft des IWF.

Um diese Botschaft zu vermitteln, tun die Autoren so, als wäre Zinspolitik mit dem Umweg über die privaten Geschäftsbanken nicht nur ein wirkungsvolles, sondern auch noch das einzig verfügbare Mittel der Geldpolitik. Schon darüber, ob die traditionelle Zinspolitik besonders wirksam ist, kann man in Anbetracht der sehr mäßigen Ergebnisse der letzten zehn Jahre trefflich streiten. Auf keinen Fall aber ist diese Politik alternativlos, was sich mühelos schon daraus erschließt, dass sie erst ein paar Jahrzehnte alt ist.

Im Kapitel „Alternativen zur Negativzins-Politik“ fallen den Autoren aber nur Nichtstun oder andere über die Geschäftsbanken laufende Strategien ein, die in den letzten Jahren schon ausprobiert wurden, wie Anleihekäufe, oder eher geringfügige Änderungen der Zinspolitik, etwa das sogenannte BIP-Niveau-Targeting. Was die Autoren dagegen tunlichst vergessen zu erwähnen, sind Möglichkeiten der Geldpolitik, die Konjunktur direkt zu stabilisieren, ohne nebenher die Geschäftsbanken zu mästen.

Da gibt es zum Beispiel den Vorschlag des Helikoptergeldes, der immerhin schon von Nobelpreisträger Milton Friedman und vom ehemaligen US-Notenbankchef Ben Bernanke in die Diskussion gebracht wurde – von letzterem ausdrücklich als Alternative, wenn die Zinspolitik an die Nullzinsgrenze stößt. Helikoptergeld bedeutet, dass die Zentralbank das neu geschaffene Geld nicht an die Banken gibt, sondern direkt zur Nachfragestimulierung an die Bürger verteilt. Für diese Politik ist die Nullzinsgrenze kein Thema. Sie ist auch ziemlich unumstritten wirkungsvoll zur Konjunkturstabilisierung. Hauptargument der Gegner ist, dass dann die Menschen verstehen würden, wie das Geldsystem funktioniert, und dann würden sie ihr Vertrauen in dieses System verlieren.

Bernanke schrieb seinerzeit:

„Das einzige Gegenargument, das ich mir vorstellen kann, ist, dass die Öffentlichkeit eine künftige Kopfsteuer in gleicher Höhe wie der Geldtransfer fürchten könnte, was sie veranlassen würde, das zusätzliche Geld zu halten, anstatt auszugeben. Aber die Regierung hat keinen Grund das zu tun und deshalb hat die Öffentlichkeit auch keinen Grund, es zu erwarten.“

In neuerer Zeit haben sich unter anderem Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzaufsicht, Thomas Mayer, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Mark Blyth (Brown University) und Eric Lonergan Hedgefondsmanager, Daniel Stelter und (mit Abstrichen) Willem Buiter, Chefvolkswirt der Citigroup, für Helikoptergeld ausgesprochen. Man muss den Vorschlag nicht gut finden, aber ihn bei der Darstellung möglicher Alternativen zur Nullzinspolitik nicht zu erwähnen, ist unseriös. Weitere Alternativen zur geschäftsbankenfördernden, zinsorientieren Geldpolitik und Gegenargumente dazu habe ich hier aufgelistet. [21.7.2019]

Nachtrag (22.7.): Der Preis für Gold würde bei einem deutlichen Negativzins, der auch Bargeld erfasst, natürlich in die Höhe schießen. Weil Gold ein prominenter Gradmesser für das Vertrauen in die Buchwährungen gilt, wäre das sehr unschön. Deshalb wäre dafür zu sorgen, dass der Negativzins irgendwie auch auf Gold anzuwenden ist, was schwierig ist, oder die private Goldhaltung wäre zu begrenzen oder zu verbieten. Hier passt eine Meldung der FAZ vom 10.7., wonach die Bundesregierung plant, die Obergrenze für Goldkäufe ohne Identitätsprüfung von 10.000 Euro auf 2000 Euro zu senken.

Zuerst erschienen auf  www.norberthaering.de

Der Autor: Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Der promovierte Volkswirt arbeitete vorher einige Jahre für eine große deutsche Bank. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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