Norbert Häring: Der neoliberale Angriff auf das Ehegattensplitting

Wirtschaftsverbände und die FDP und viele andere in ihrem Schlepptau laufen Sturm gegen das Ehegattensplitting. Ich gehe davon aus, dass viele Kritiker sich nicht im Klaren sind, dass sie eine neoliberale Attacke auf den Familienverband im Interesse der Arbeitgeber unterstützen.
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Kaum verheiratet, klopft das Finanzamt an die Tür: Ehegattensplitting ja oder nein?Foto: iStock

Das Ehegattensplitting sorgt dafür, dass zwei Eheleute, von denen der eine deutlich mehr verdient als der andere, steuerlich so behandelt werden, als verdienten beide jeweils die Hälfte. Das spart Steuern gegenüber einer individuellen Steuerveranlagung, weil der Steuersatz mit zunehmendem Einkommen ansteigt. Wenn Einkommen für Steuerzwecke vom Besserverdiener zum Ehepartner verlagert wird, spart ersterer mehr Steuern als letzterer mehr bezahlt. Der Vorteil kann sich auf über 10.000 Euro belaufen.

Wenn man sich für die Steuerklassen III und V entscheidet, wird der Vorteil nicht erst bei der Steuererklärung sondern schon mit dem laufenden Gehalt jeden Monat näherungsweise realisiert. Der Arbeitgeber des Besserverdieners zieht dann weniger Steuern ab, der Arbeitgeber des weniger verdienenden Partners mehr. Das ist aber freiwillig und spielt für die endgültige Steuerbelastung keine Rolle. Wenn die FDP jetzt also fordert, diese Steuerklassenkombination abzuschaffen, weil sie angeblich Frauen benachteilige, dann ist das eine ziemlich schräge Argumentation. Aber letztliches Ziel ist natürlich die Abschaffung des Splittings, wie es Wirtschaftsverbände schon lange fordern.

Viele Progressive unterstützen die Forderung. Das ist erstaunlich.

Dort wird es dann schon ehrlicher bei der Begründung. Man will Ehefrauen motivieren, einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, auch wenn der erzielbare Lohn eher kärglich ist.

Viele Progressive und noch mehr Pseudo-Progressive unterstützen die Forderung, weil sie darin einen Schritt hin zu mehr Eigenständigkeit und Gleichberechtigung der Frau sehen. Das ist erstaunlich. Es geht ja hier nicht darum, Frauen für gleiche Arbeit ebenso gut zu bezahlen wie Männer, oder dafür zu sorgen, dass Frauenberufe nicht systematisch schlechter bezahlt werden, oder dafür, dass Frauen, die zunehmend besser ausgebildet sind als Männer, nicht länger den Männern mehrheitlich die besser bezahlten Karriere-Positionen überlassen müssen. Wenn diese Dinge verwirklicht würden, würde Ehegattensplitting, oder der Verzicht darauf, sofort aufhören, etwas mit Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun zu haben.

Nein, es geht darum, eine Sekretärin, die mit einem gut verdienenden Handwerker oder einem Ingenieur verheiratet ist, dazu zu bekommen, dass sie nicht nur 20 Stunden, sondern 30 oder 40 Stunden arbeiten will oder soll, oder muss. Eine andere Frau mit anständig verdienendem Mann, soll in der Fabrik am Band oder im Laden an der Kasse arbeiten, anstatt sich zu Hause um die Kinder zu kümmern. Das hilft nämlich die Löhne zu drücken – vor allem die Löhne der Frauen.

Kein progressives Anliegen

Ich finde das in keiner Weise ein progressives Anliegen. Auch wenn sie keine Kinder haben sollte, oder diese schon groß sind, finde ich es kein progressives Anliegen. Warum soll eine Frau, die keine anständig bezahlte, der Selbstverwirklichung zuträgliche Arbeit in Aussicht hat, genötigt werden, sich für wenig Geld am Arbeitsmarkt abzuschuften, wenn sie mit einem Mann das Leben teilt, der einen viel spaßigeren und noch dazu besser bezahlten Job bekommen hat. Denn davon gehen die Gegner des Splittings aus FDP und Wirtschaft implizit aus: dass der Mann so viel Spaß an seiner Arbeit hat, dass er nach Wegfall des Splitting und Absinken seiner Netto-Vergütung nicht weniger arbeiten will.

Wenn ein Paar mit dem was es verdient zufrieden ist, und lieber mehr Zeit für Kinder, Hobbies und Soziales hat als mehr zu arbeiten und zu verdienen, dann finde ich das hochrespektabel. Dann sollte niemand sich anmaßen, sie durch steuerliche Tricks zur Mehrarbeit für den Markt zu nötigen.

Ich nenne dieses Ansinnen neoliberal, weil der Neoliberalismus auf die Vereinzelung der Menschen abzielt, auf die Schwächung sozialer Normen und Bindungen. Menschen sind im Neoliberalismus nur Arbeitskräfte und Konsumenten, die ihre Rolle den Marktanreizen folgend erfüllen sollen. Institutionen, die sie dagegen (teilweise) abschirmen, sind zu schleifen. Man kann diese Strategie auch einfach kapitalistisch nennen statt neoliberal.

Denn der künstlich geschaffene Zwang, seine Arbeitskraft dem Industriekapital anzubieten, war überall eine wichtige Zutat bei der Ausbreitung dieser Wirtschaftsform. Neben dem Vertreiben von Subsistenzbauern von ihrem Land war das Auferlegen von Steuern eines der beliebteren Mittel, die Menschen zu zwingen, ihre Arbeitskraft zum Markt zu tragen. Um nichts anderes geht es hier.

Steuersystematisch spricht wenig bis nichts für die Abschaffung des Ehegattensplittings.

Steuersystematisch spricht wenig bis nichts für die Abschaffung des Ehegattensplittings, solange man nicht rein individualistisch argumentiert, sondern Ehe und Familie akzeptiert – als Einheiten, deren Mitglieder füreinander einstehen und einen gemeinsamen Lebensstandard teilen.

Dann vergleicht man nicht den verheirateten Mann oder die verheiratete Frau mit einem alleinstehenden Pendant, sondern dann vergleicht man Ehepaare mit anderen Ehepaaren oder mit (zwei) Alleinstehenden. Ein allgemein akzeptiertes Prinzip ist die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Das kann man auch übersetzen als Besteuerung nach dem Lebensstandard, den man sich leisten kann.

Nehmen wir an, ein Mann verdient so viel, dass er als Alleinstehender seine Urlaube im Fünfsternehotel verbringen könnte und würde. Seine Frau verdient weniger und müsste sich mit drei Sternen begnügen. Sie teilen, wie das bei Ehepartnern üblich ist, einen gemeinsamen Lebensstandard und fahren in Viersternehotels in Urlaub. So sollten sie auch besteuert werden: Wie zwei Alleinstehende, die jeweils genug Geld für Viersterneurlaube haben oder wie ein Ehepaar mit gleichem, aber gleichmäßiger verteilten Haushaltseinkommen. Daran ist nichts ungerecht. Alles andere wäre unfair.

Wenn man Fälle von Ehen für relevant hält, in denen die Ehepartner nicht einen gemeinsamen Lebensstandard teilen, könnte man überlegen, das Splitting für Paare auszuschließen, die nicht mindestens Zugewinngemeinschaft vereinbart haben.

Nicht abschaffen, ausweiten auf ein Familiensplitting

Auch mit seinen Kindern teilt man in aller Regel einen gemeinsamen Lebensstandard. Das Argument für Ehegattensplitting gilt daher auch für das bisher nicht vorhandene Familiensplitting unter Einbeziehung der Kinder. Dagegen wird von linker Seite gerne argumentiert, das wäre ungerecht, weil es einkommensstarke Eltern gegenüber einkommensschwachen Eltern begünstigen würde.

Aber das ist wieder der falsche Vergleich. Auch die Abzugsfähigkeit von Werbungskosten bei der Steuer begünstigt Gutverdiener wegen ihrer hohen Steuersätze mehr als Geringverdiener. Deshalb eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit bei Gutverdienern zu fordern, wäre jedoch unsinnig. Nur das ist zu versteuern, was man nach Abzug der Kosten tatsächlich verdient. Bei Familien sollte nur der Lebensstandard besteuert werden, den man mit Kindern tatsächlich noch erreichen kann, nicht der, den man hätte, wenn man seine Kinder unabhängig vom eigenen Einkommen beim Existenzminimum hielte.

Für die Fairness zwischen Gutverdienern und Geringverdienern ist die Progressivität des Steuersatzes zuständig. Ehegattensplitting oder Familiensplitting sollen dagegen Fairness herstellen zwischen Menschen, die ihr Einkommen in einer Bedarfsgemeinschaft teilen, und Menschen, die das nicht tun (müssen). Bei gleichem resultierenden Lebensstandard sollen sie gleich viel Steuern bezahlen. Meint man, das sei dann zu wenig, relativ zu anderen, mit niedrigerem Lebensstandard, dann muss man die Besserverdienenden eben höher besteuern – aber gleichmäßig, nicht einseitig zu Lasten derer mit Kindern oder Ehepartnern, indem man ihnen das Splitting verwehrt und sie besteuert, als wären sie reicher als sie wirklich sind.

Zuerst erschienen bei Norbert Häring – Geld und mehr

Der Autor: Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Der promovierte Volkswirt arbeitete vorher einige Jahre für eine große deutsche Bank. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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