Warum der Euro schwächelt

Mittlerweile kann der Euro eins zu eins in Dollar umgetauscht werden. Was bedeutet das?
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Der Wechselkurs gibt das Tauschverhältnis der jeweiligen Währungen wieder. Läge der Wechselkurs beispielsweise bei 1,20 Dollar pro Euro, so hieße dies, dass man für einen Euro 20 Dollarcents mehr bekäme.Foto: iStock

Der Euro befindet sich seit dem Juni 2008, als er einen Wechselkurs von 1,58 zum Dollar erreichte, in einem Abwärtstrend und ist im Juli 2022 auf einen Tauschwert von fast eins zu eins zum Dollar gesunken.

Damit ist der Euro-Wechselkurs aber noch von seinem historischen Tiefpunkt entfernt, der im Mai 2001 mit einem Wechselkurs von 0,82 zum US-Dollar erreicht wurde, wie bei TradingEconomics zu sehen ist. Besteht trotzdem Grund zur Sorge, dass die Euroschwäche anhält und vielleicht sogar das Ende des Euros gekommen ist?

Wechselkurs und Kaufkraft

An und für sich ist es gleichgültig, ob der Euro numerisch mit dem Dollar gleichsteht oder nicht. Ob eine Währung „stark“ oder „schwach“ ist, hängt von der jeweiligen Kaufkraft ab. Parität, richtig verstanden, bemisst sich daran, was man für eine Währungseinheit jeweils an Gütern kaufen kann. Wenn die Gütermenge gleich ist, spricht man von Kaufkraftparität. Diese hat aber mit der numerischen Parität nichts zu tun.

Der Wechselkurs gibt das Tauschverhältnis der jeweiligen Währungen wieder. In diesem Sinne besagt ein Wechselkurs eins zu eins nichts weiter, als dass auf dem Devisenmarkt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Dollareinheit gegen eine Euroeinheit getauscht wird. Läge der Wechselkurs beispielsweise bei 1,20 Dollar pro Euro, so hieße dies, dass man für einen Euro 20 Dollarcents mehr bekäme. Ob das allerdings auch bedeutet, dass dann der Euro stärker ist als der Dollar, liegt an der Kaufkraft ab. Es kann also sein, dass man bei einem Kurs von 1,20 weniger an Waren bekommt als bei einem Kurs von eins zu eins oder von 0,9 zum Beispiel.

Die Entwicklung der Kaufkraft hängt hauptsächlich von den jeweiligen Inflationsraten ab. Wenn ein Land eine höhere Inflationsrate hat als das andere, so müsste sich der nominale Wechselkurs dementsprechend anpassen, um die Kaufkraftparität zu bewahren. Die Währung mit der höheren Inflationsrate müsste also abwerten.

Auf den Devisenmärkten zählt aber nicht nur die Kaufkraft, sondern es spielen auch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle und im Hinblick auf diese Faktoren gibt es Gründe, dass sich der Euro gegenüber dem Dollar abschwächt.

Rolle der Zinsen

Der andere wichtige Faktor, der neben der Kaufkraftparität den Wechselkurs bestimmt, ist das jeweilige Zinsniveau. Eine Währung dient nicht nur dem Kauf von Gütern, sondern auch dem Kauf von Finanzanlagen. Wenn das Zinsniveau im Dollarbereich höher ist als in der Eurozone, lohnt es sich, liquide Mittel aus dem Euro abzuziehen und in Dollar anzulegen. Das ist gegenwärtig der Fall. Im Unterschied zur Europäischen Zentralbank hat die amerikanische Notenbank ihre Leitzinsen deutlich angehoben.

Während der sogenannte Basiszinssatz der Europäischen Notenbank noch bei null Prozent verharrt, hat die amerikanische Notenbank ihre Zinssätze bereits auf 1,75 Prozent erhöht. Angesichts der immensen Geldvolumen, die an den internationalen Devisenbörsen gehandelt werden, haben selbst kleine Zinsdifferenzen deutliche Auswirkungen. Bei Anlagen in mehrstelliger Millionenhöhe macht sich der Unterschied von derzeit 175 Basispunkten als Gewinnfaktor deutlich bemerkbar.

Der Wechselkurs einer Währung wird aber nicht nur von Zinsunterschieden und der Kaufkraft bestimmt, sondern auch von den Erwartungen, wie sie auf den Finanzmärkten jeweils vorherrschen. Und hier liegt wohl der eigentliche Grund für die derzeitige Euroschwäche.

Rolle der Erwartungen

Obwohl auch in den Vereinigten Staaten nicht alles Gold ist, was glänzt, sind die Aussichten für die Eurozone düster. Die Sanktionen, die gegen Russland ergriffen wurden, treffen die europäische und insbesondere die deutsche Volkswirtschaft viel härter als die Vereinigten Staaten. Ein möglicher Lieferstopp von Erdgas aus Russland bedroht nicht nur temporär die europäische Konjunktur, sondern gefährdet fundamental die industrielle Basis Europas und insbesondere deren größte Volkswirtschaft, die der Bundesrepublik Deutschland.

Dabei muss bedacht werden, dass die jeweilige Stärke und Schwäche einer Volkswirtschaft auf das Zinsniveau zurückwirken. Hier rechnen die internationalen Märkte zurecht damit, dass sich die jetzt schon bestehende Zinsdifferenz zwischen der Eurozone und dem Dollar ausweitet.

Die europäische Wirtschaft ist nicht nur durch das Ausbleiben russischer Gaslieferungen bedroht. Hinzukommt, dass eine ganze Reihe von Mitgliedsländern des Euroraums unter einer hohen öffentlichen Schuldenlast leiden. Dies gilt nicht nur für Griechenland, sondern auch für Spanien, Portugal, Italien und sogar für Frankreich, wo die öffentliche Schuldenquote (Staatsschulden in Prozent des Inlandsprodukts) deutlich über hundert Prozent liegen.

Zwar ist auch der US-Staatshaushalt hoch verschuldet, aber die amerikanische Wirtschaft ist derzeit robuster als die in Europa. Dies gilt vor allem für den Arbeitsmarkt. Während in den USA die offizielle Arbeitslosenquote 3,6 Prozent beträgt, liegt sie derzeit im Euroraum bei 6,6 Prozent. Auch die Wachstumsraten sprechen für die USA. Zwar ist auch dort die allgemeine Wachstumsstärke im Schwinden begriffen, doch ist dieser Trend in Europa ausgeprägter.

Oft noch wichtiger als die wirtschaftlichen Kennzahlen ist für die Entwicklung des Wechselkurses das Vertrauen in die jeweilige Währung. Geld ist Vertrauenssache und in diesem Sinne gibt es zunehmend Gründe, das Vertrauen in den Euro zu verlieren. Die Europäische Währungsunion wurde mit dem Versprechen in die Wege geleitet, die Geldwertstabilität zu garantieren. Dazu sollte auch das strikte Einhalten von Fiskalregeln der Mitgliedstaaten dienen. Der Aufkauf von Staatsschulden durch die Notenbank wurde ausdrücklich untersagt. Der Europäischen Notenbank wurde ein hoher Grad an Autonomie eingeräumt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Geldpolitik sollte unabhängig von politischer Einflussnahme erfolgen. Inzwischen wurde eine Regel nach der anderen gebrochen. Das Verhalten der Amtsträger ist immer dreister geworden und hat unter der gegenwärtigen Führung einen neuen Höhepunkt erreicht.

Weltreservewährung

Der US-Dollar hat weiterhin das exorbitante Privileg, die hauptsächliche Weltreservewährung zu sein. Der Anteil des Euros ist nicht über dreißig Prozent hinausgekommen und hat in den letzten Jahren sogar abgenommen. Derzeit beträgt der Anteil des Euros an den internationalen Reserven 21 Prozent, während der des Dollars bei 59 Prozent liegt. Die chinesische Währung ist weiterhin international als Reservewährung unbedeutend. Indem die USA die Leitwährung stellen, können sie sich unbeschwert andauernde Leistungsbilanzdefizite leisten und mehr importieren als exportieren. Dieses Privileg hat kein anderes Land.

Der zum Ausgleich von Handelsbilanzdefiziten notwendige Kapitalimport geht im Falle der USA gleichsam automatisch vonstatten, da der Dollar weltweit nicht nur die wichtigste Handelswährung, vor allem im Rohstoffbereich, nachgefragt wird, sondern auch deshalb, weil der Dollar der offiziellen Reservehaltung dient.

Aus diesem Grund ist der Dollar anhand seiner Kaufkraft tendenziell überbewertet. Wenn nun der Dollar noch weiter aufwertet, und dies geschieht derzeit nicht nur gegenüber dem Euro, sondern gegenüber den meisten anderen Währungen, dann nimmt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft ab und das amerikanische Handelsbilanzdefizit dürfte weiter steigen. Der Dollarindex ist seit Mai 2021 im Steigen begriffen. Inzwischen hat der Dollarindex den höchsten Stand seit 2002 erreicht.

Wenn der Kurs des Dollars weiter steigt und das Handelsbilanzdefizit sich entsprechend ausweitet, wird sich auch die amerikanische Auslandsverschuldung, die jetzt schon 23,9 Billionen US-Dollar beträgt, noch mehr erhöhen. Ob dann weiterhin das Vertrauen in den Dollar bestehen bleibt, wird so ebenfalls zweifelhaft. In dieser Perspektive sind die Dollarstärke und die Eurokrise Anzeichen bevorstehender globaler Finanzkrisen.

Obwohl die amerikanische Währung gemessen an der Kaufkraft schon jetzt etwa zwanzig Prozent überbewertet ist, könnte sie noch weiter steigen. Der US-Dollar gilt immer noch als „sicherer Hafen“. Allerdings ist das weniger aufgrund der inhärenten Solidität der Vereinigten Staaten der Fall als aufgrund fehlender Alternativen.

Fazit

Zusammenfassend gilt für das gegenwärtige globale Währungssystem, dass der US-Dollar als Leitwährung nicht aufgrund der Solidität der amerikanischen Volkswirtschaft und des politischen Umfelds vorherrscht, sondern wegen fehlender Alternativen.

Der Euro hat es nicht geschafft, sich zu einer vertrauenswürdigen Währung zu entwickeln, die dem Dollar Konkurrenz bieten könnte. Die chinesische Währung ist weit davon entfernt, als Konkurrent des Dollars überhaupt in Betracht zu kommen. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) versuchen zwar, dass ihre eigenen Währungen eine größere internationale Rolle spielen, aber dazu ist mehr als nur Willensbekundungen notwendig.

Die Welt ist mit der Herausforderung konfrontiert, dass das gegenwärtige, vom Dollar dominierte Weltwährungssystem sich seinem Ende zuneigt, ohne dass eine klare Alternative sichtbar würde. Dies lässt nichts Gutes ahnen. Während derzeit die Wechselkursverschiebungen sich noch im Normalbereich befinden, könnte sich das schon bald ändern und zu noch heftigeren Ausschlägen führen, wobei es nicht absehbar ist, in welche Richtung sich diese Extreme bewegen werden.

Die Problemlagen sind derzeit zu gewaltig und zu vielfältig, um erkennen zu können, in welche Richtung die Volkswirtschaften laufen werden und welche politischen Verwerfungen drohen.

Über den Autor:

Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor für Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor Kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 54, vom 23. Juli 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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