Wie die Entwicklung der Kinder durch „Digitale Bildung“ schwer geschädigt wird

Die Kinder werden durch "Digitale Bildung" in ihrer allseitigen seelischen Entwicklung zurückgehalten und verkrüppelt, was sich, irreversibel, in Gehirnstrukturen niederschlägt. Hirnforscher warnen und prognostizieren geradezu eine „digitale Verdummung“.
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Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff sagt, je früher Kinder mit Smartphones, Tablets und Computern konfrontiert werden, desto „autistoider“. selbstbezogen und in sich abgekapselt, würden sie.Foto: iStock
Von 1. Juli 2019

Ein breites System „Digitaler Bildung“, das den Lehrer überflüssig machen soll, wird in den Schulen vorangetrieben, da eine frühe Medienkompetenz erforderlich sei, um den Anschluss an die globale digitale Entwicklung nicht zu verpassen. Dabei werden jedoch die Bedingungen der verschiedenen Entwicklungsstufen des Kindes völlig außeracht gelassen – mit verheerenden Folgen.

Die Kinder werden in ihrer allseitigen seelischen Entwicklung zurückgehalten und verkrüppelt, was sich, irreversibel, in Gehirnstrukturen niederschlägt. Hirnforscher prognostizieren geradezu eine „digitale Verdummung“.

Das Thema ist so wichtig und die Problematik so schwerwiegend – denn die Digitalisierung der Bildung beginnt bereits im zarten, bildungsfähigsten Alter, bei den Kleinkindern in den KiTas – dass der vorige Artikel „Digitale Verdummung“ hier noch weiter konkretisiert und ergänzt werden soll.

Schon 2015 erschien ein Buch, das auf die bewusste Irreführung des Begriffs digitale „Bildung“ hinwies. Die beiden Autoren Gerald Lembke und Ingo Leipner machten im Vorwort auf die eigentlich treibenden Kräfte der „Digitalen Bildung“ aufmerksam:

In erster Linie geht es nicht um die beste Entwicklung unserer Kinder, sondern um einen Multi-Milliarden-Markt für die IT-Industrie, pädagogische Konzepte dienen vor allem als Deckmäntelchen. Begleitet durch ein Marketing der Angst, verklausuliert mit dem Mantra der »frühen Medienkompetenz«: Eltern sollen fürchten, ihre Kinder gingen im globalen Wettbewerb unter, wenn sie nicht mit drei Jahren ihre erste App programmieren können. Das halten wir für irreführend und gefährlich, deshalb unser provokanter Titel: Die Lüge der digitalen Bildung.“ 1

Das heißt ja: Die Partei-Politiker in den Parlamenten und Regierungen sind so korrupt, dass sie die Türen der staatlichen Schulen, die sie in ihrer verruchten Macht haben, bedenkenlos den Profitinteressen der Industrie öffnen und die weisungsgebundenen Lehrer zwingen, gegen die Entwicklungsinteressen der ihnen anvertrauten Kinder zu handeln. Es ist unglaublich.

Die genannten Autoren stellen gleich zu Beginn die entscheidenden Fragen, die sich eigentlich jeder verantwortungsvolle Pädagoge vor seinem Gewissen beantworten muss:

  1. Wie verläuft die physische und psychische Entwicklung des Kindes?
  2. Welche pädagogischen Konzepte sind für diese Entwicklungsstufen angemessen?
  3. Wie wirken die digitalen Medien auf die unterschiedlichen Stufen der Entwicklung?

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir intensiv mit vielen Experten diskutiert – unter anderem aus der Psychologie, Pädagogik und Neurobiologie. Die Forschung gibt klare Antworten: Kinder brauchen eine starke Verwurzelung in der Realität, bevor sie sich in virtuelle Abenteuer stürzen. Ihr Gehirn entwickelt sich besser, wenn kein Tablet oder Smartphone reale Welterfahrung verhindert. Kinder sollten lieber im Matsch spielen als mit Tablets – das ist der beste Weg, um für das digitale Zeitalter fit zu werden.“2

Die Entwicklungsphasen des Kindes

Die Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, die nur in etwas kleinerem Maßstab bereits dessen Fähigkeiten hätten. Wer kleine Kinder erlebt, der erkennt: Die spätere Persönlichkeit des Menschen ist zwar vorhanden, aber noch hinter der unfertigen Leiblichkeit und den anfänglichen seelischen Fähigkeiten verborgen.

Diese müssen erst durch Kindheit und Jugend zu Instrumenten herangebildet und entwickelt werden, damit durch sie die geistige Individualität immer mehr in Erscheinung treten und sich ihrer schließlich verantwortlich bedienen kann.

Der Schweizer Psychologe Jean Piaget, der „Übervater der Entwicklungspsychologie“ (Spektrum der Wissenschaft), hat auf vier aufeinander aufbauende Entwicklungsphasen aufmerksam gemacht, von denen jede auf Erfahrungs- und Entwicklungsprozessen beruht, die als Grundlage für die folgende abgelaufen sein müssen.

Die ersten 2 Lebensjahre nennt er die sensomotorische Phase, in der die Umgebung mit intensiven Sinneserfahrungen des Sehens, Hörens, Riechens, Tastens, Schmeckens und zum anderen durch krabbelnde, greifende, patschende usw. Bewegungen erkundet wird.

Seiner selbst nicht bewusst, lebt das Kind in orientierender Wahrnehmung und Aktivität völlig der Umgebung hingegeben. Allen Einflüssen ist es vollkommen ausgesetzt, ohne sie abwehren zu können. Es wird von allem im wahrsten Sinne des Wortes bis in seinen Leib hinein „beeindruckt“.

Erweiternd muss man auch auf die seelischen Prozesse hinweisen, die sich zwischen dem Kind und den Erwachsenen abspielen. Ob die Worte und Gesten der Erwachsenen gleichgültig, liebevoll oder hastig sind, ob ihr physiognomischer Ausdruck Sorge, Ärger, Zorn oder Liebe spiegelt, alles wird vom Kind unbewusst wesenhaft erfasst und prägt sich ihm ein.

Die Hirnforschung hat erkannt und nachgewiesen, dass alle diese Sinnes-, Bewegungs- und seelischen Prozesse ihren Niederschlag in der sich ausdifferenzierenden feineren Gehirnstruktur finden. Sie legen die elementaren Grundlagen des Denkens.

Wunderwelt der Farben, Formen und Gefühle.                         Foto: iStock

Jede Minute vor einem Tablet oder Fernseher fehlt dem Kind für seine sensomotorische Entwicklung. Das Geschehen auf dem Bildschirm läuft nur zweidimensional ab und vermittelt keinen realen Eindruck der Welt, sowenig wie das Bild einer Banane gegenüber einer wirklichen Banane, die man anfassen und essen kann. Und vor einem Bildschirm verharrt das Kind künstlich fixiert, sein Bewegungsdrang wird gedämpft und wesentliche Sinnes- und motorische Erfahrungen bleiben aus.

Fazit: Kinder unter drei Jahren haben vor der Glotze, vor Tablets, Smartphones usw. nichts zu suchen.

Die Kinder brauchen die Erfahrungen in der wirklichen Welt, um ihre sensomotorische Phase gründlich und gut zu durchleben.

Sie greifen nach der Welt – und begreifen so die ersten Bausteine ihrer komplizierten Umgebung. Dabei entstehen noch keine Begriffe, der kognitive Prozess setzt auf einer sehr basalen Ebene ein. Im Gehirn entwickeln sich erst die Grundlagen, um später gedankliche Probleme zu lösen.“ Dazu bedarf es vielfältiger Anregungen aus der echten Welt – einfaches, der Phantasie viel Raum lassendes Spielzeug, Bewegung und handgreifliche Erfahrungen in der Natur und der direkte liebevolle körperliche und seelische Kontakt mit den Eltern.“ 3

„Was das Gehirn sagt:
Ich bringe einen eigenen Bauplan auf die Welt mit – und habe entsprechende Ansprüche, damit ich mich gut entwickeln kann. Verschont mich bitte mit digitalen Medien, weil sie sich völlig gegen meine hirnphysiologischen Bedürfnisse richten. Ich bin gerade in ersten Lebensphase auf soziale, sensible, handlungsbezogene und motivational-emotionale Kommunikation angewiesen.

Es geht auch um meine raum-zeitliche Organisation, die ich langsam aufbaue, indem sich mein Körper viel bewegt und meine Sinnesorgane reale Erfahrungen machen. Dadurch reifen Nervennetze, was die Wissenschaft ´Synaptogenese` nennt. Je stärker meine Synapsen werden, desto leichter fällt (später) das Denken.“ 4

Im 3. bis 7. Lebensjahr empfindet das Kind, indem es jetzt nicht mehr in der 3., sondern in der 1. Person von sich spricht, sein anfängliches Ich-Zentrum in sich und setzt sich damit von seiner Umwelt etwas stärker ab. Nun beginnt ein neues Sich-in-Beziehung-Setzen mit Menschen und Dingen durch das eigene freie, phantasievolle, unbekümmerte Spiel, abseits vom Nutzen und Zweck der Erwachsenen-Welt.

Wir wissen nicht, was der kleine Knirps ausprobiert.                Foto: iStock

Das Kind will selbst bauen, verändern, schöpferisch neu gestalten – wenn man es nicht anderweit bindet. Was es nachahmend erlebt hat, will es noch einmal von sich aus vollziehen und nacherleben, sich verkleiden, in Rollen von Menschen und Tieren schlüpfen, immer neu probieren, wieder abbauen und erneut aufbauen.

Es erlebt dabei unbewusst die physikalischen Gesetze der Schwere und Leichte, die Gleichgewichtsverhältnisse, Höhe und Tiefe; und es macht wichtige soziale Erfahrungen im Umgang mit anderen Kindern.5

Das phantasievolle Spiel fördert und ordnet die Beweglichkeit der Gliedmaßen, bringt die seelischen Kräfte in Bewegung und wirkt entsprechend auf die Gehirnbildung als Grundlage für späteres schöpferisches Denken. Im Mittelpunkt dieser Prozesse steht die Freude an der frisch erworbenen Sprache, die Lust an kleinen Versen und Reimen, an der Dynamik des Rhythmischen und Musikalischen.

Das Kind will Sprachschöpfer sein und ist es oft auf überraschend treffliche Weise. Und in der Sprache bildet sich das Denken heran.

In diesem Alter ist das Denken noch nicht logisch abstrakt, sondern bildhaft an die konkrete Anschauung gebunden. Kleine Geschichten und Märchen dürfen nicht platte äußerliche Vorgänge schildern, sondern wesenhafte Bilder, die mehr und tiefere Geheimnisse erahnen lassen, als sich in Verstandesbegriffen ausdrücken lässt.

Denn das Kind lebt noch selbst unbewusst in einer mythischen Vorstellungswelt, in der auch die Naturvorgänge vielfach wesenhaft durchdrungen erlebt werden. Abstraktes operatives Denken ist entwicklungspsychologisch noch nicht möglich.

Der Weg zur echten Reflexion des eigenen und fremden Verhaltens ist weit. … Niemand kann von Vorschulkindern ein realistisches Verständnis für ihre Umwelt erwarten. Wie soll da Werbe- und Medienkompetenz entstehen? Wo doch Kinder rein neurobiologisch nicht in der Lage sind, die entsprechenden gedanklichen Operationen zu bewältigen?“ 6

Werden sie häufig vor die äußere technische Bilderflut digitaler Medien gesetzt, erlebt eine erfahrene Erzieherin, wie sie nur schwer ins unbefangene Spiel hineinkommen. Ihre Vorstellungen sind starr und unlebendig.

So gibt es z.B. Kinder, denen sich alles, was sie in die Hand bekommen, sei es ein Stock oder eine Banane – in einen Revolver verwandelt. Ihre Phantasiekraft ist schablonenhaft. Diese Kinder sind in ihrer Motorik meist ungeordnet, sie sind fahrig, zerstörungssüchtig, oft auch ängstlich und ehrfurchtslos. Das ist die charakteristische Verhaltensweise für das mit unverarbeiteten Eindrücken (Großstadtstraßen, Plakate, Illustrierte, das Fernsehen) überfütterte Kind.“ 7

Diese frühe Schilderung aus 1969 nimmt natürlich bei der heutigen breiten Medienpalette noch viel breitere und vielfältigere Formen der frühkindlichen Deformation an.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff kommt nach 20-jähriger Praxiserfahrung mit schwierigen Kindern, die zu ihm gebracht werden, zu der Erkenntnis: Je früher Kinder mit Smartphones, Tablets und Computern konfrontiert werden, desto „autistoider“ (selbstbezogen in sich abgekapselt) würden sie.

Sie werden von Bewegung, direkter Erfahrung und direkter Kommunikation abgehalten, bleiben in ihrer Sprachentwicklung und in ihrem Sozialverhalten zurück, werden durch die Reizüberflutung völlig überfordert und rutschen in eine Parallelwelt ab.8

Im Alter von 7 bis 12 Jahre entwickelt das Kind die Fähigkeit, sich im Vorstellen von den konkreten Anschauungen zu lösen. Es kann sich Vorstellungen aus der Erinnerung rufen, wenn es gewollt oder gefordert wird, was vorher nicht möglich war. Dies kennzeichnet die Schulreife. Für die Kinder ist das ein ungeheuer freudiges Erlebnis, das ein sechsjähriges Kind einmal so ausdrückte:

Ich kann den Mann (der vorher vorbeigegangen war) immer noch sehen, wenn ich will, ich stelle ihn dann vor meine Augen.“ 8

Die Intelligenz wird frei. Erste Denkoperationen werden möglich, die eher auf Logik als auf Wahrnehmung aufbauen. „Sie verlassen sich nun eher auf Begriffe als auf das, was ihre Wahrnehmung sie sehen und fühlen lässt. Aber Vorsicht: Denken in ersten Begriffen, abgelöst von konkreten Wahrnehmungen – damit beginnt erst die lange Reise der Heranwachsenden, um sich kritisch mit der Umwelt auseinanderzusetzen.“ 10

Genauer: Die Begriffe sind noch in die Vorstellungsbilder eingebettet, die aus der unbewussten Verschmelzung von Wahrnehmung und Begriff bestehen, sie können noch nicht davon abstrahiert kausallogisch gehandhabt werden, was erst ab dem 12. Lebensjahr möglich wird.

Im Vorschulalter waren die Vorstellungen an die konkreten Wahrnehmungen gebunden, sie kamen und gingen mit diesen; mit der Schulreife werden die Vorstellungsbilder frei und unabhängig von den Wahrnehmungen. Das Denken ist aber noch immer bildhaft, noch nicht begrifflich abstrakt.

Daher müssen die Rätsel der Welt, alles, nach dessen innerem Sinn und Wert das Kind sich richten kann, in bildhaften Schilderungen an es herangebracht werden, nicht in begrifflichen Definitionen.

Digitale Unterrichtsmedien arbeiten dagegen durchgehend mit abstrakten Begriffen, die zumeist unanschauliche und dadurch für die Kinder hypothetische Zusammenhänge beschreiben, die sie noch nicht fassen können.

Daher schreiben G. Lembke und I. Leipner mit Recht:

Ein wirklich kompetenter Umgang mit digitalen Medien liegt in diesem Lebensabschnitt in weiter Ferne. Den Grund nennt (Beate) Sodian: ´Die logischen Operationen des Grundschulkindes werden auf konkrete Objekte und Ereignisse angewandt, die Abstraktionsfähigkeiten sind beschränkt, und es fällt Kindern in diesem Stadium schwer, systematisch über hypothetische Situationen nachzudenken`. …

Vor diesem entwicklungsbiologischen Hintergrund stellt sich die Frage: Wie sollen sieben- bis zwölfjährige Kinder in der Lage sein, Medieninhalte kritisch zu prüfen? Wie sollen sie sich vom Sog der Werbung distanzieren, der sie in die digitalen Kanäle hineinsaugt?“ 11

Das bedeutet aber andererseits, dass die Kinder verfrüht in Abstraktionen hineingedrängt werden, so dass das, was in diesem Alter eigentlich in organischer, gesunder Entwicklung zu erleben ist und für eine gesunde Seelen- und damit auch Gehirnstruktur zu sorgen hat, massiv verhindert wird.

Hinzu kommt noch ein weiterer, wenig beachteter Aspekt. Bei allen bildhaften Schilderungen, seien sie gehört oder gelesen, werden die Kinder angeregt, sich selbst konzentriert das Erzählte innerlich vorzustellen, die Vorstellungsbilder selber aktiv aufzubauen.

Dadurch wird die Denkkraft ständig geübt und gekräftigt wie die Armmuskulatur beim Holzhacken. Das ist von großer Bedeutung für alles künftige Denken, das auf Konzentration, Ausdauer und Zielgerichtetheit angewiesen ist, in dem immer ein gewisser innerer Wille lebt.

Digitale Medien nun bringen vielfach in erheblichem Maße Bilder von außen an die Kinder heran, so dass diese sie nicht selbst innerlich aufbauen können. Die Folge ist, dass in dem Maße die innere Vorstellungskraft des Denkens nicht geübt wird, immer mehr erlahmt und zurückbleibt.

Schon vor Jahrzehnten konnte ein erfahrener Lehrer am Verhalten der Kinder genau erkennen, welche Kinder zu Hause starkem Fernsehkonsum ausgesetzt waren. Beim Erzählen von Geschichten, bei historischen Schilderungen im Geschichtsunterricht z. B. und auch im Unterrichtsgespräch klickten sich diese Kinder meist nach zehn Minuten aus und fingen an, sich unter der Bank mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Sie konnten nicht länger zuhören, weil sie nicht mehr genügend innere Kraft hatten, die nötigen Vorstellungen aufzubauen und dadurch dem Unterricht weiter zu folgen. Das ließ sich von anderweit verursachter Unaufmerksamkeit genau unterscheiden.

Dieses Phänomen hat mit den eigenen Fernsehern und Laptops im Kinderzimmer und natürlich den Smartphones in der Tasche noch ungeheuer zugenommen und wird durch die „digitale Bildung“ in der Schule noch weiter forciert – mit den von den Hirnforschern schon angedeuteten katastropalen Folgen.

Wichtige ergänzende Gesichtspunkte siehe in: Das Kind vor dem Bildschirm

Jeder für sich allein.                                                                          Foto: iStock

Vom 12. Lebensjahr an können die Begriffe immer mehr aus den Vorstellungen gelöst und in ihren kausalen Bezügen abstrakt gehandhabt werden. Nun wird erst das eigene begriffliche Durchdringen z.B. physikalischer Gesetzmäßigkeiten möglich.

Jetzt beginnen Kinder, in ihrem Denken Strukturen zu bilden, die es ihnen ermöglichen, komplexe Probleme differenziert zu betrachten und zu lösen. … Daher befinden sie sich jetzt in der formal-operatorischen Phase, denn die Gedanken sollten sich auf einem Niveau bewegen, das in Begriffen die Welt erfasst – und nicht mehr allein in der Wahrnehmung (und Vorstellung hl.) hängen bleibt, wie es bei den jüngeren Kindern der Fall ist.

… Denn die neurobiologischen Grundlagen sind gelegt; Jugendliche können tatsächlich eine wirksame Medienkompetenz aufbauen. Diese Dinge kann Hans viel besser lernen als Hänschen, weil er nun das intellektuelle Rüstzeug hat, um mit digitalen Medien gezielt, effizient und verantwortungsvoll umzugehen.“ 12

Natürlich kann diese Fähigkeit noch nicht schlagartig mit 12 Jahren vorhanden sein, sondern muss langsam mit Hilfe des Lehrers entwickelt werden. Die anfangs vehement und heftig gefällten Urteile, die oft noch haarscharf daneben liegen, müssen immer mehr geordnet und in eine umsichtige und sichere Urteilsbildung gelenkt werden.

Die pädagogische Erfahrung zeigt, dass dieser Punkt frühestens mit 16 Jahren, am Ende der Pubertät erreicht ist. Von jetzt an können digitale Medien, vernünftig eingesetzt, ein Gewinn sein.

Politik

Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff warnt:

Wir sind in einem Digitalisierungswahn. Es wird nicht gesehen, dass wir nicht Kinder brauchen, die mit Computern umgehen können, sondern Kinder, die über eine entwickelte Psyche verfügen.

Wir müssen unsere Kinder nicht auf ein digitalisiertes Zeitalter vorbereiten. Die Digitalisierung ist nur eine Form von Technik, die vieles möglich macht. Ein Mensch mit entwickelter Psyche kann sich mit jeder Technik auseinandersetzen, für die er sich interessiert. Viel mehr brauchen wir Erwachsene, die Ideen haben, die umsichtig sind, weitsichtig, im Voraus und kreativ denken.“ 13

Diese Erwachsenen werden aber durch die frühe Digitalisierung der Bildung gerade verhindert.

Welche Auffassungen und Forderungen haben die politischen Parteien, deren Vertreter in den staatlichen Organen die verruchte Macht haben, das gesamte Schulsystem organisatorisch und inhaltlich zu bestimmen? Hier eine knappe Zusammenstellung der Positionen:

Dass digitale Medien bereits zum Alltag von Kindern gehören, darüber sind sich alle Parteien einig. (Von der AfD fehlte allerdings noch eine Stellungnahme. hl.)

Während die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Nadine Schön, überzeugt ist, ´je früher wir mit der digitalen Bildung anfangen, desto besser`, wird allerdings von der Linken keine Notwendigkeit gesehen, dass sich bereits Kleinkinder mit digitalen Medien beschäftigen.

Spätestens in der Grundschule wollen aber alle Parteien die Medienbildung und -nutzung zu einem festen Bestandteil des Unterrichts machen. Die FDP sieht dadurch eine deutliche Stärkung der individuellen Fördermöglichkeiten.

Die Grünen halten Medienbildung und ein digitales Umfeld sogar für erforderlich, um dem Kinderrecht auf Schutz, Förderung und Partizipation auch zukünftig gerecht werden zu können.

Die SPD und die Linke betonen besonders die Chance, dass Kinder Interesse für Technik und MINT-Themen entwickeln können, noch bevor Geschlechterstereotypen einer solchen Entwicklung im Weg stehen könnten.“ 14

Dass die Politiker von den Entwicklungsbedingungen des Kindes und den pädagogischen Erfordernissen keine Ahnung haben, ist ihnen ja nicht vorzuwerfen.

Dass sie sich in ihrer Dummheit und der mit dieser einhergehenden Hybris jedoch anmaßen, den Lehrern in den Schulen das Gegenteil dessen vorzuschreiben, was die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse der psychologischen, pädagogischen und entwicklungsbiologischen Experten sind, ist das eigentliche Skandalon.

Es offenbart die Verwilderung des demokratischen Diskurses um die rechten Wege gesellschaftlichen Handelns durch die Leidenschaften parteipolitischer Machtgewohnheiten, die sich jenseits jedes sorgfältigen Erkenntnisbemühens bewegen.

Eine Gesellschaft befindet sich bereits im Zustand absoluter kultureller Dekadenz, wenn das Handeln der sich als Eliten fühlenden Kreise nicht mehr aus Erkenntnis erfolgt, sondern von oberflächlichen, leidenschaftlichen Meinungen, bzw. wirtschaftlichen Profit-Interessen diktiert wird.

Wer nach Erkenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge strebt, wird sich schon von vorneherein sagen, dass das Handeln im Bildungswesen von Sachverstand geprägt sein muss und nicht von politischen Dilettanten bestimmt werden darf. Denn aus Unwissenheit oder sachfremden Interessen kann ja nur Schaden über Schaden an den Kindern und ihrer Zukunft angerichtet werden. Den Ärzten wird ja auch nicht vom Staat vorgeschrieben, wie sie die Kranken und mit welchen Medikamenten zu behandeln haben – obwohl das im Rahmen der ebenfalls verfehlten staatlichen Krankenversicherung auch schon begonnen hat.15

Das bedeutet: Das Bildungswesen muss von Politik und auch von der Wirtschaft unabhängig sein und kann nur von denen bestimmt und verantwortet werden, die als Fachleute darin tätig sind.

Vgl.: Sie wissen nicht, was sie beschließen
Allmächtiger Staat
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1    Die Lüge der digitalen Bildung, München 2015, 3. Aufl., S. 9
2    a.a.O.
3    Vgl. a.a.O., S. 24 f., 33-34
4    a.a.O., S. 35
5    Vgl. Klara Hattermann: Werdestufen der Kindheit, in
Sonderheft „Erziehungskunst“ 5/6 1969
6    Wie Anm. 1, S. 63
7    Wie Anm. 5
8    Michael Winterhoff: Deutschland verdummt, 2019, S. 208
9    Wie Anm. 5
10  Wie Anm.1, S. 64
11   a.a.O.
12   a.a.O., S. 65
13   Wie Anm. 8, S. 208
14   die-debatte.org 2.2.2018
15   Vgl.: Die demokratiewidrige staatliche Krankenversicherung

Zuerst erschienen auf FASSADENKRATZER

Herbert Ludwig ist Buchautor und Betreiber des Blogs Fassadenkratzer.wordpress.com. Er veröfeentlicht dort in möglichst regelmäßiger Folge von ca. 10 – 14 Tagen Aufsätze von sich oder Geistverwandten zu Themen des Zeitgeschehens, in denen versucht wird, exemplarisch nach der tiefer liegenden Wahrheit zu suchen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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