Carola Racketes Plan einer umfassenden Demokratie-Reform
Seit „Sea Watch“-Kapitänin Carola Rackete von der „Seenot-“ zur „Klimarettung“ umgesattelt hat, spricht sie offener und deutlicher über ihre politischen und gesellschaftlichen Visionen als noch zu der Zeit, da Medien und Politiker sie zur mutigen Heldin der Menschlichkeit im Angesicht des Rechtspopulismus eines Matteo Salvini erklärt hatten.
Damit hat sie allerdings tendenziell mehr Anhänger verloren als neue dazugewonnen, denn einige ihrer Vorstellungen wirken selbst in Teilen ihrer bisherigen Fangemeinde ungewöhnlich bis bizarr. Kritiker hingegen sehen sich mehr denn je in ihrer Einschätzung bestätigt, dass hinter den radikalen „Klimaschutz“-Forderungen von „Fridays for Future“ oder der noch aggressiveren Vereinigung „Extinction Rebellion“, der auch Rackete angehört, der Wunsch nach der Abschaffung von Marktwirtschaft und freiheitlich-demokratischer Grundordnung zugunsten der neuen Form einer kommunistischen Diktatur stehe.
Aufsehen hat jüngst vor allem Racketes Vorstoß zur Reform der Willensbildung in bestehenden demokratischen Systemen erregt. Die Demokratie, wie sie sich derzeit darstelle, sei „ein schlechtes System, viel zu abhängig von der Lobby und viel zu sehr davon bestimmt, dass Berufspolitiker auf Wiederwahl aus sind“. Dies diagnostiziert Rackete beispielsweise in ihrem Buch „Handeln statt Hoffen – Aufruf an die letzte Generation“.
Mit dieser Einschätzung steht Rackete zweifellos nicht allein. Viele Verfassungstheoretiker haben sich bereits mit möglichen Wegen befasst, Verkrustungen, Korruption oder sachfremde Einflüsse aus dem Willensbildungsprozess zu verbannen und einige Verfassungen haben dazu eigene Kontrollmechanismen geschaffen.
Arno Dübel und Dieter Bohlen statt Claudia Moll und Ulla Jelpke?
Bei ihrer Buchvorstellung am Mittwoch (30.10.) hat die 31-Jährige als möglichen Neuansatz die Bildung von „Bürgerversammlungen“ ins Spiel gebracht, die „per Losverfahren“ bestimmt würden. Statt den Wählern in den einzelnen Stimmkreis soll also künftig Karin Tietze-Ludwig bestimmen, wer die relevanten Entscheidungen für das Gemeinwesen trifft?
Gänzlich neu ist die Idee nicht, wie auch Ansgar Graw in der „Welt“ unterstreicht und vielen noch aus dem Schulunterricht bekannt sein dürfte. Es war Kleisthenes, der in der Attischen Demokratie des antiken Athen den „Rat der 500“ schuf, der die Beschlüsse für die Volksversammlung vorbereiten sollte. Perikles reformierte das System, das zwischen 508 und 322 v. Chr. bestand. Wie im Fall des Geschworenenamtes wurden beliebige Personen ausgelost, sie hatten kein Recht, die Ausübung des Amtes zu verweigern.
Dass x-beliebige Bürger in einer bunt zusammengewürfelten Körperschaft, in der etwa Fräser Fritz, Bäckersfrau Anne, Arno Dübel, „Knöllchenhorst“ Horst-Werner Nilges, Gebrauchtwagenhändler Mustafa und Dieter Bohlen zusammengespannt werden, tatsächlich qualitativ um so viel schlechtere Entscheidungen fällen würden als der Bundestag mit Claudia Roth, Eva Högl oder Norbert Röttgen, würde auch im heutigen Deutschland nicht jedermann für gesichert halten. Vor allem könnte ein solches Gespann, in dem mehr einfache Bürger säßen als im Bundestag mit seinen vielen Akademikern, Juristen, Beamten und Berufspolitikern, sogar noch eher Beschlüsse fassen, die Personen wie Carola Rackete missfallen, als die jetzige Parlamentsmehrheit.
Racketes Konzept dürfte Restriktionen bei der Auswahl vorsehen
Um dies zu verhindern, dürften dieser jedoch Vorkehrungen vorschweben. Auch in der attischen Demokratie waren nicht alle Bewohner Athens stimmberechtigt oder konnten in den „Rat der 500“ gelost werden. Das Losverfahren war auf freie Männer beschränkt, deren Eltern bereits das Bürgerrecht in Athen besaßen. Frauen, Sklaven oder sogenannte Metöken – so etwas wie „Athener mit Migrationshintergrund“ – durften nicht mitmachen.
Es ist davon auszugehen, dass auch die „klimaschutzbewegte“ Fangemeinde Carola Racketes bestimmte Personen oder Gruppen von der Wählbarkeit in einen „Rat der 500“ ausgeschlossen sehen wollten – möglicherweise „reiche Steuerflüchtlinge“, verurteilte „Klimaschädlinge“ [Rackete will „Klimaschädigung“ zum Straftatbestand erheben] oder Personen, über die schon einmal eine Beschwerde bei der neu geschaffenen „RechtsEx“-Hotline des Verfassungsschutzes eingegangen wäre.
Auch Ansgar Graw traut in der „Welt“ dem Braten nicht. Rackete wolle die Demokratie nicht reformieren, sondern einen „radikalen Systemwandel, der dazu führt, dass die Gesellschaft anschließend ganz anders aussehen wird als jetzt“. Ein Zeitreisender würde in 100 Jahren, so schreibt sie, „wenig Bekanntes vorfinden“.
Rackete und Gründer Roger Hallam bestätigten, dass es Gruppen wie „Extinction Rebellion“ im Kern nicht um die Erderwärmung gehe, sondern um einen „Ökosozialismus, für den das Klima als Ersatzproletariat herangezogen wird“.
Ein „Rat der 500“ hätte unter diesen Voraussetzungen wohl eher etwas vom Zentralkomitee der KPdSU.
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