Sanierungsfall Deutschland – was kann den Abschwung aufhalten?
Deutschland ist ein reiches Land. Dieses Narrativ kann man immer wieder hören, wenn es der Politik darum geht, vermeintliche neue Wohltaten zu beschließen. Sei es noch mehr Investitionen in den Klimaschutz, noch mehr Sozialleistungen, höhere Verteidigungsausgaben oder mehr humanitäre Hilfe – das staatliche Füllhorn scheint eine unerschöpfliche Quelle zu sein. Die Realität, das spüren viele Menschen in Deutschland, sieht leider anders aus.
Politische Unsicherheit lässt Stimmung der Unternehmen sinken
Ein Blick auf die vergangenen Prognosen der Wirtschaftsinstitute zeigen auf, dass unser Land alles andere als gut dasteht. So haben Ende September fünf Wirtschaftsinstitute der Bundesregierung unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben, dass sich Deutschland im Abschwung befindet. In ihrer sogenannten Gemeinschaftsdiagnose schreiben sie: „Deutschland befindet sich seit über einem Jahr im Abschwung.“
Für dieses Jahr erwarten die Institute einen Abschwung um 0,6 Prozent. Noch im Frühjahr waren die gleichen Institute von einem leichten Wachstum von 0,3 Prozent ausgegangen.
Der Grund für das nun prognostizierte schrumpfende Bruttoinlandsprodukt (BIP) sehen die Institute vor allem darin, dass sich die Industrie und der Konsum langsamer erholen als noch im Frühjahr angenommen.
Auch für das kommende Jahr liegen die Wirtschaftsexperten mit ihrer Prognose eines Plus von 1,3 Prozent gute 0,2 Prozent unter ihrer Frühjahrsprognose. Damals rechneten sie noch mit einem Plus von 1,5 Prozent.
„Die Wirtschaftspolitik sollte die Standortqualität verbessern und die politische Unsicherheit auch im Kontext der Energiewende einhegen“, empfehlen die Institute der Politik in Berlin. Gerade wegen der politischen Unsicherheit habe sich die Stimmung in den Unternehmen zwischen Frühjahr und Herbst noch einmal verschlechtert. Auch sei die Produktion „noch einmal spürbar gesunken“, kann man in der Diagnose weiterlesen.
Deutschland muss dringend produktiver werden
Die Konjunktur lahmt und gleichzeitig müsste Deutschland produktiver werden. Das ist kein Ergebnis der Krise mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im letzten Jahr. Seit Jahren stagniert bei uns die Produktivitätsentwicklung als Folge unzureichender öffentlicher und privater Investitionen und unzureichender Leistungen des Bildungssystems.
Darauf wies unter anderem im April der Geschäftsführer des „Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)“, Hubertus Bardt, in einem Interview mit dem „Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft“ hin.
Bardt verweist darauf, dass das im Frühjahr prognostizierte Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent nicht ausreiche, um die in den nächsten Jahren auf Deutschland zukommenden Herausforderungen wirklich stemmen zu können. „Wir bräuchten sogar ein höheres Wachstum als das vor Corona, um wieder auf das Wohlstandsniveau zu kommen, das wir ohne Pandemie und Krieg gehabt hätten“, so der IW-Geschäftsführer. Dann könnte man die „großen Investitionen für die Transformationsprozesse leichter stemmen und mit dem demografischen Wandel besser umgehen“.
Wenn Deutschland das jetzige Wohlstandsniveau halten wolle und die durch die Überalterung der Gesellschaft in den kommenden Jahren immer stärker zutage tretenden Produktionseinschränkungen ausgleichen möchte, dann müsse man ein höheres Produktivitätswachstum organisieren. Einfacher gesprochen: Wenn weniger Menschen in den kommenden Jahren arbeitsfähig sein werden, dann müssen diese wenigen produktiver arbeiten. „Das klappt vorwiegend mit Bildung, Forschung und Investitionen in moderne Ausrüstungen“, so Bardt.
Der IW-Geschäftsführer fordert deshalb eine „grundlegende Investitionsoffensive“: in Infrastruktur, moderne Ausrüstungen und effiziente Gebäude, in Forschung und Entwicklung und natürlich ins Bildungswesen. „Die Liste der Notwendigkeiten ist lang!“, so Bardt.
Produktionswachstum halbierte sich in den letzten zehn Jahren
Dass der deutsche Wohlstand im Moment auf der Kippe steht, das sieht nicht nur IW-Geschäftsführer Bardt so. Im Mai des letzten Jahres veröffentlichte die Unternehmensberatung Deloitte ihre Studie „Perspektiven 2030 – Wachstumschancen für Deutschland“. Trotz technischen Fortschritts und Automatisierung habe sich das Produktivitätswachstum der deutschen Wirtschaft im vergangenen Jahrzehnt gegenüber der vergangenen Dekade halbiert, schreibt die Unternehmensberatung. Das sei für eine alternde Gesellschaft mit sinkender Erwerbsbevölkerung besonders schlecht, so die Experten von Deloitte. „Gelingt es nicht, den negativen Produktivitätstrend umzukehren, wird der Standort an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wachstum und Wohlstand werden deutlich leiden“, warnte der Chefvolkswirt von Deloitte Deutschland, Alexander Börsch.
Es sind also keine goldenen Zeiten, auf die Deutschland in den kommenden zehn Jahren hinsteuert. Deutschland ist nicht das Schlaraffenland, sondern vielmehr ein Sanierungsfall. Das sollte eigentlich auch bei den Verantwortlichen in Berlin angekommen sein. Die träumen aber derweil vom „grünen Wirtschaftswunder“. So sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März dieses Jahres: „Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen.“ Schaut man allerdings auf die Prognosen der Wirtschaftsexperten, dann ist ein „grünes Wirtschaftswachstum“ in naher Zukunft nicht in Sicht. Deutschland steckt nicht nur in einer Rezession, sondern das Land hat auch ein strukturelles Problem.
Deutschland hat strukturelle Probleme
„Die Rezession ist nicht wirklich die größte Frage – die Frage ist eher, ob wir ein strukturelles Problem haben. Und das haben wir“, sagte Thomas Mayer, Geschäftsführer und Gründer des Flossbach von Storch Research Institute im Juli dem Wirtschaftsnachrichtendienst „Bloomberg“. „Wir sind in eine Situation geraten, in der wir meiner Meinung nach zu Recht den Titel des neuen kranken Mannes von Europa verdienen.“
Vor dieser Situation stand unser Land schon einmal. In den 2000er-Jahren galt Deutschland schon einmal als der „kranke Mann in Europa“. Reformen und politische Maßnahmen verhalfen der deutschen Wirtschaft damals zu neuem Auftrieb.
Anders als vor 20 Jahren, scheint sich die Erkenntnis, dass wir in Deutschland grundlegende Reformen brauchen, bei Politik und Gesellschaft noch nicht durchgesetzt zu haben. Lediglich aus der Opposition kommen Vorschläge, wie man verhindern kann, dass Deutschland den Anschluss verliert.
Vorschläge kommen allein von der Opposition
So stellte die AfD Anfang September auf der Fraktionsklausur in Oberhof ihr „Sofortprogramm einer AfD-geführten Bundesregierung“ vor. Die Ampelkoalition führe das Land „in den Ruin“, so damals die Fraktionschefs Chrupalla und Weidel.
Durch Wiederaufnahme und dem Neubau von Atomkraftwerken möchte die Partei eine Senkung der Energiepreise erreichen, führte Parteichefin Alice Weidel damals aus. Die AfD würde zudem das „unsägliche Öl- und Gasheizungsverbot kassieren“, ebenso wie das „völlig unnötige Verbrennerverbot“. Ein solches Verbot für Neuwagen von 2035 an wurde allerdings auf EU-Ebene beschlossen.
Streichen möchte die AfD-Fraktion laut dem Papier auch die CO₂-Abgabe auf Heizöl, Erdgas, Benzin oder Diesel. Zudem plant sie, die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer auf 50 Cent zu erhöhen.
Auch würde die Partei die „sofortige Reparatur und Inbetriebnahme von Nord Stream“ in die Wege leiten. Die unter der Ostsee verlaufenden Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 waren Ende September 2022 durch Explosionen zerstört worden.
Mit diesen Maßnahmen möchte die AfD-Fraktion die „Deindustrialisierung Deutschlands“ stoppen.
Sehr viel mehr findet man in dem Programm der AfD leider nicht zu den Fragen der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wie das Land aus seiner Lethargie herauskommen und Dinge wieder vorantreiben kann, dazu sagt das Papier wenig.
Wie ein Land im Burn-out
Mitte September kamen auch aus der CDU und der CSU Vorschläge, wie man die Wirtschaft in Deutschland wieder stärken könnte. Es bedürfe „einer nationalen wirtschaftspolitischen Kraftanstrengung“, forderten CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und sein CSU-Amtskollege Martin Huber damals nach einem gemeinsamen Austausch der Schwesterparteien. „Arbeit muss sich wieder lohnen. Die Leistungsträger und Familien müssen unterstützt und entlastet werden“, sagten beide.
Zu den wichtigsten Punkten gehören die Einführung von steuerfreien Überstunden, um zusätzliche Arbeit zu fördern, sowie die Senkung der Abgabenlast und Steuern für Gering- und Normalverdiener. Linnemann betonte damals die Notwendigkeit, das Lohnabstandsgebot beim Bürgergeld wieder einzuführen, um Arbeit attraktiver zu machen, und forderte gleichzeitig, die Aufnahme von Arbeit für Langzeitarbeitslose und anerkannte Flüchtlinge zu erleichtern.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der regionalen Anpassung der Erbschaftsteuer und der Befreiung des Elternhauses von dieser Steuer. Der Traum vom Eigenheim soll für eine breitere Bevölkerungsschicht erreichbar sein, und es wurde betont, dass die Lebensqualität sowohl in der Stadt als auch auf dem Land gleichwertig sein sollte.
Mag Deutschland heute noch ein vergleichsweise reiches Land sein, fühlt es sich in vielen Bereichen tatsächlich wie ein Land kurz vor dem Burn-out an. Es scheint allein die Bundesregierung zu sein, die diese Signale nicht hört oder nicht hören möchte. Beides wäre in der jetzigen Situation fatal.
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