Golfstrom schwächer als je zuvor im vergangenen Jahrtausend

Der Golfstrom transportiert immer weniger Wärme in den nördlichen Atlantik. Forscher befürchten, dass eine weitere Abschwächung zu mehr extremen Wetterereignissen in Europa und steigendem Meeresspiegel an der US-Ostküste führen könnte.
Titelbild
Felsen vor der Küste Cornwalls.Foto: iStock
Epoch Times1. März 2021

Noch nie in den letzten 1000 Jahren war das Golfstrom-System so schwach wie in den letzten Jahrzehnten. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher aus Irland, Großbritannien und Deutschland. Die gigantische Ozeanzirkulation, die offiziell „Atlantische Meridionale Umwälzströmung“ (AMOC) genannt wird, ist für Wetterlagen in Europa und den regionalen Meeresspiegeln in den USA sehr bedeutsam.

Golfstrom bis zum späten 19. Jahrhundert „relativ stabil“

„Das Golfstrom-System funktioniert wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt. Es bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms“, erklärt Rahmstorf in einer Pressemitteilung. Rahmstorf ist Initiator der Studie, die Ende Februar in „Nature Geoscience“ erschien.

Frühere Studien von Rahmstorf zeigten eine Verlangsamung der Meeresströmung um etwa 15 Prozent seit Mitte des 20. Jahrhunderts und brachten dies mit der vom Menschen verursachten, globalen Erwärmung in Verbindung. Ein belastbares Bild über die langfristige Entwicklung fehlte jedoch bisher.

„Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der AMOC-Entwicklung über die letzten 1600 Jahre liefern“, so Rahmstorf. „Die Studienergebnisse legen nahe, dass [der Golfstrom] bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte.“

Von Temperatur zu Strömungsgeschwindigkeit: Die Kunst, Klimaveränderungen in der Vergangenheit zu rekonstruieren

Direkte, langfristige Messungen des Golfstroms gibt es erst seit 2004. Um die neuen Daten mit der Vergangenheit zu vergleichen, griffen die Forscher auf sogenannte Proxydaten zurück. Diese Zeitzeugen stammen aus natürlichen Umweltarchiven, zum Beispiel aus Baumringen, Eisbohrkernen, Ozeansedimenten und Korallen sowie aus historischen Daten wie Schiffslogbüchern.

„Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet, um Informationen über die Ozeanströmungen zu erhalten: die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente, wobei die einzelnen Archive […] 100 bis ca. 1600 Jahre zurückreichen“,  erklärt Levke Caesar. Die Kombination aller drei Datentypen ergab ein besseres Bild des Golfstroms. Levke Caesar ist Gastwissenschaftlerin am PIK und Teil des Irish Climate Analysis and Research Units an der Maynooth University.

Proxy-Datensätze sind im Allgemeinen mit Unsicherheiten behaftet. Diese berücksichtigte die Statistikerin Niamh Cahill von der Maynooth University in Irland bei ihren Tests zur Robustheit der Ergebnisse. Sie fand heraus, dass in neun der elf betrachteten Datensätze die moderne Schwächung des Golfstroms statistisch signifikant ist:

„Wenn wir annehmen, dass die mit den Proxy-Datensätzen gemessenen Prozesse Änderungen in der Strömung widerspiegeln, liefern sie ein konsistentes Bild – und das trotz der Tatsache, dass die Daten an unterschiedlichen Orten aufgenommen wurden und verschiedene Zeitskalen repräsentieren. Die Abschwächung der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiellos.“

Warum schwächelt der Golfstrom?

Den Forscher zufolge deuten eine Reihe von Studien auf die globale Erwärmung als Grund für die beobachtete Abschwächung. Der Antrieb des Golfstroms liegt in der Tiefenkonvektion, verursacht durch die Dichteunterschiede im Ozean.

Konkret bedeutet das: Warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser bewegt sich von Süden nach Norden, wobei es abkühlt und dadurch dichter wird. Wenn es schwer genug ist, sinkt das Wasser in tiefere Ozeanschichten ab und fließt zurück in den Süden.

Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC), alias Golfstrom, transportiert warmes Oberflächenwasser nach Europa. Foto: Levke Caesar, Maynooth University / Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Durch vermehrte Niederschläge und das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes wird dem nördlichen Atlantik Süßwasser zugeführt. Dadurch sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Wassers. Eine geringere Dichte wiederum hemmt das Absinken und schwächt so die Strömung des Golfstroms, so die Forscher.

Gleichzeitig werde die Abschwächung mit einer einzigartigen deutlichen Abkühlung des nördlichen Atlantiks in den letzten hundert Jahren in Verbindung gebracht. Weil der Golfstrom weniger Wärme in diese Region transportiert, entstand eine sogenannte „Kälteblase“.

Europa friert, Nordamerika ertrinkt

Die Folgen der Abschwächung des Golfstroms könnten für die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks vielfältig sein, erklärt Caesar: „Die nordwärts fließende Oberflächenströmung der AMOC führt zu einer Ablenkung von Wassermassen nach rechts, weg von der US-Ostküste. […] Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen. Das kann zu einem verstärkten Meeresspiegelanstieg führen.“

Auf der anderen Seite, in Europa, könne eine Verlangsamung des Golfstroms zu mehr extremen Wetterereignissen führen, zum Beispiel durch eine Veränderung der Zugbahn sowie mögliche Verstärkung von Winterstürmen über dem Atlantik. Andere Studien nennen extreme Hitzewellen oder eine Abnahme der Sommerniederschläge als mögliche Folgen.

Wie genau sich weitere Konsequenzen gestalten, ist Gegenstand der aktuellen Forschung. Die Wissenschaftler wollen zudem im Detail klären, welche Teile des Golfstroms sich wie und aus welchen Gründen verändert haben. Gemäß neuesten Klimamodellen könne sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, so Rahmstorf. „Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.“ (ts)

(Mit Material des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK))



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