Manufaktur des Klangs: 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel

"Hamburg zieht alle Register", unter diesem Motto gedenkt die Hansestadt dem 300. Todestag Arp Schnitgers, einem der berühmtesten Orgelbauer der Welt, und feiert das 2.000 Jahre alte Instrument, das in Hamburg nicht nur in Kirchen steht.
Titelbild
Faszination Orgel: Ausstellungseröffnung "Manufaktur des Klangs: 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.Foto: iStock
Epoch Times4. Juli 2019

Mit über 300 Orgeln besitzt Hamburg eine einzigartige und vielfältige Orgellandschaft. Außer in den Kirchen der Stadt befinden sich unter anderem zahlreiche weitere Instrumente in Schulen, in der Elbphilharmonie, in der Staatsoper und in der Universität.

Zum 300. Todestag Arp Schnitgers (1648–1719), einem der weltweit berühmtesten Orgelbauer, hat die Stadt Hamburg 2019 unter dem Motto „Hamburg zieht alle Register“ ein Orgeljahr ausgerufen. Konzerte und Veranstaltungen in der gesamten Stadt sowie eine große Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) machen neugierig auf das imposante Instrument und seine Geschichte.

Lernen Sie die Orgel kennen

Die Ausstellung „Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel“ lädt die Besucher ein, die gestalterischen, baulichen und
technischen Finessen des Wunderwerks Orgel kennenzulernen. Im Mittelpunkt der Schau stehen Orgelbau und Orgelmusik, die von der UNESCO 2017 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurden.

Über 30 Exponate, darunter 14 historische Instrumente und Rekonstruktionen laden die Besucher ein, spielerisch in den Kosmos Orgel einzutauchen. Wie funktioniert eine Orgel eigentlich? Was passiert, wenn man eine Taste drückt? Wo kommt der Orgelwind her? Was sind Register? Wie klingen verschiedene Orgelpfeifen? Diese und viele andere Fragen beantwortet die Ausstellung anhand von Modellen, interaktiven Displays, medialen Präsentationen und Filmen, die die geheimnisvolle Technik des Instruments sichtbar machen.

An einem eigens für die Ausstellung gebauten Modell können die Gäste zudem das Zusammenspiel von Balg, Windlade und Pfeife selbst erleben und Klänge erzeugen.

Eine traditionelle Holzorgel. Foto: iStock

Gladiatorenkämpfe und Hofzeremoniell

Für den Friseursalon seines Vaters im antiken Alexandria erfand der Grieche Ktesibios vor über 2000 Jahren einen auf- und abfahrbaren Spiegel. Technischer Clou: die Druckpumpe. Diese geniale Erfindung ist die Voraussetzung für den Bau eines Instruments namens organon hydraulikon, das Töne hervorbringt. Wie dieses hydraulische Pumpwerk funktionierte, zeigt in der Ausstellung der Nachbau einer antiken Wasserorgel („Hydraulis“) aus dem 3. Jahrhundert.

Die Orgeln jener Zeit waren mit einer Höhe von bis zu zwei Metern noch vergleichsweise klein und transportierbar. Historische Quellen und archäologische Funde zu Orgeln aus dem Altertum belegen die große Popularität des Instruments. Während im antiken Griechenland vor allem musikalische Orgelwettbewerbe stattfanden, diente sie in der römischen Antike eher zur musikalischen Umrahmung von Sportveranstaltungen – wie den berühmten Gladiatorenkämpfen – oder erklangen in den Villen wohlhabender Römer bei gesellschaftlichen Empfängen und Gastmahlen.

Nach dem Untergang des römischen Reiches im 5. Jahrhundert blieb das Wissen über den Orgelbau im Byzantinischen Kaiserreich erhalten. Dort begleiteten die Instrumente öffentliche Veranstaltungen wie Pferderennen und wurden beim Hofzeremoniell gespielt.


Ausschnitt aus dem Gladiatorenmosaik einer römischen Villa in Bad Kreuznach mit der Darstellung einer Wasserorgel (hydraulis)

Einzug in die Kathedralen

Erst im Mittelalter hielten Orgeln durch geistliche Gelehrte Einzug in christliche Kathedralen, wo man sie zur musikalischen Ausgestaltung des liturgischen Programms einsetzte. Bei den immer noch relativ kleinen, beweglichen Orgeln dieser Zeit handelte es sich um transportfähige Standinstrumente, sogenannte ‚Positive‘ oder noch kleinere ‚Portative‘, die beim Spielen auf den Knien gehalten oder mit einem Band über die Schulter gehängt wurden.

Wie so ein Portativ ausgesehen haben könnte, zeigt die Ausstellung anhand des Nachbaus eines „Portativ Organetto“ nach der Konstruktionsvorlage des Universalgelehrten Arnault von Zwolle (um 1400–1460). Der niederländische Orgelbauer Winold van der Putten orientierte sich bei der Rekonstruktion auch an Darstellungen auf Gemälden flämischer Meister wie Jan Van Eyck (1390–1441) oder Hans Memling (1433–1494).

Die Pfeifen mittelalterlicher Orgeln hatten in der Regel denselben Durchmesser. Mit welchen Gegenständen diese damals mitunter vermessen wurden, macht eine weitere rekonstruierte Orgel mit sogenannter Taubenei-Mensur in der Ausstellung deutlich.

Die Pfeifen einer viktorianischen Orgel aus England. Foto: OLI SCARFF/AFP/Getty Images

Statussymbol Orgel

Großangelegte Orgelbauprojekte dienten im Barock der Demonstration von Reichtum und Macht, auch innerhalb der Kirche. Es entstanden immer imposantere und prächtigere Instrumente. In Europa bildeten sich jetzt regionale Baustile heraus.

Neben den monumentalen Kirchenorgeln verbreiteten sich auch die kleineren Orgeltypen weiter. Sie wurden vom Adel und dem Bürgertum als repräsentative Hausinstrumente geschätzt. Davon zeugen eine ausgestellte Prozessionsorgel, die zu den wertvollsten erhaltenen Trage-Orgeln des italienischen Barock gehört, und eine Kabinettorgel aus der Werkstatt von Johannes Stephanus Strümphler (1736–1807) in Amsterdam.

Ein echter Blickfang aus der Zeit des Rokoko ist das mit vergoldeten Schnitzereien versehene Orgelpositiv des böhmischen Instrumentenmachers Johann Rusch (1728–1791). Seltene originale historische Quellen dokumentieren die Entwicklung des Orgelbaus in dieser Zeit.

Die Rokokoorgel aus der Universitätskirche St. John Kirche in Vilnius, Litauen. Foto: iStock

Arp Schnitger und der norddeutsche Orgelbau

Hamburg entwickelte sich in dieser Zeit zu einer der bedeutendsten Orgelmetropolen Europas. Die vermögende Kaufmannschaft beauftragte die besten Orgelbauer und gönnte sich wahre Luxusorgeln. Der Orgelbauer Arp Schnitger markierte mit seinen ausgereiften, klangmächtigen Instrumenten den Höhepunkt der barocken norddeutschen Orgelbautradition.

Seine Werkstatt baute insgesamt 170 Orgeln, von denen heute noch 47 erhalten sind. Seine 1687 fertig gestellte Orgel der Hamburger St. Nikolai-Kirche, die beim Stadtbrand 1842 zerstört wurde, war bei ihrer Fertigstellung mit 67 Registern und über 4000 Pfeifen die größte Orgel der Welt und machte Schnitger überregional bekannt.

Faszination Orgeldesign

Bis heute hat die Orgel nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Weltweit entwerfen Orgelbauer, Architekten und Designer immer wieder spektakuläre Instrumente. Eine Fotowand in der Ausstellung präsentiert ausgewählte Orgelbauten aus Geschichte und Gegenwart, die die enge Beziehung des Orgelbauhandwerks zu den Disziplinen Design und Architektur veranschaulichen. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl die aufregende Gestaltung des Stararchitekten Frank Gehry (*1929) für die 2004 fertiggestellte Orgel der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles/USA.

Ob traditionell oder futuristisch – die unterschiedlichen Konstruktionsweisen dienen auch der Inspiration der Besuchern, die sich mithilfe einer VR-Brille selbst als Orgelbauer versuchen können. Die Tatsache, dass Orgeln fast immer Unikate sind, die für eine ganz bestimmten Raum als Teil einer Architektur konzipiert sind, setzt den Orgelbauermeister der Gegenwart (fast) keine Grenzen.

Das beweisen eindrucksvoll spektakuläre Orgelbauten der jüngeren Vergangenheit, wie die mit rund 5000 Pfeifen ausgestatteten Orgel der 2016 eröffneten Elbphilharmonie, die die Gäste in einer medialen Präsentation rund um das faszinierende Instrument in Hamburgs berühmtesten Konzerthaus erkunden können. (ts)


Hinter den senkrechten Säulen im 2. und 3. Rang verbirgt sich die Orgel der Elbphilharmonie

Daten zur Ausstellung:

Ausstellung: Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel

Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 4. Juli 2019, 19 Uhr

Ausstellungszeitraum: 5. Juli – 3. November 2019

Ort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg: Steintorplatz, 20099 Hamburg

Öffnungszeiten: Dienstag bis  Sonntag: 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr

Den Flyer zur Ausstellung finden Sie hier (PDF).

Die Orgel im Kaiserdom St. Bartholomäus in Frankfurt am Main. Foto: iStock



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