Zwei Rekorde und eine Rettungsmission am Nordpol

Schwierige Eisbedingungen am Nordpol hatten eine rekordverdächtige Versorgungsmission zum deutschen Forschungsschiff "Polarstern" gefährdet. Nun hat ein russischer Eisbrecher an derselben Eisscholle festgemacht – und wartet seinerseits auf Hilfe, denn für die Rückfahrt reicht der Sprit nicht mehr.
Titelbild
Die "Polarstern" lässt sich derzeit ein Jahr lang durch bis zu 30 Meter dickes Packeis am Nordpol treiben.Foto: Stefan Hendricks, Alfred Wegener Institut
Von 2. März 2020

1893 stach der norwegische Forscher und Entdecker Fridtjof Nansen mit seinem hölzernen Segelschiff „Fram“ zur ersten Eisdrift-Expedition der Welt in See. Seit 127 Jahren gab es keine vergleichbare Expedition zum Nordpol. Als Zentrum des MOSAiC-Projekts lässt sich nun das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ seit Herbst 2019 durch das Eis der Arktis treiben.

MOSAiC (Multidisziplinäres driftendes Observatorium zur Erforschung des arktischen Klimas) ist die erste ganzjährige Expedition in die zentrale Arktis zur Erforschung des arktischen Klimasystems. Das Projekt unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), hat ein Gesamtbudget von über 140 Millionen Euro.

Dem Nordpol zum Greifen nah

In der vergangenen Woche kam es gleich zu zwei Rekorden in der Geschichte der Polarforschung. Am 24. Februar erreichte die Polarstern auf ihrer Drift eine Position von 88°36´Nord, nur noch 156 Kilometer entfernt vom Nordpol. Nie zuvor war ein Schiff im Winter so weit im Norden.

Kapitän Stefan Schwarze von der „Polarstern“ (im Hintergrund) besucht den russischen Versorgungseisbrecher „Kapitan Dranitsyn“, von dem aus dieses Foto entstand. Foto: AWI

Nur zwei Tage später erreichte der russische Eisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ kurz vor seinem Zusammentreffen mit Polarstern auf 88°28´ Nord die nördlichste Position auf seiner Mission. Noch nie hat es ein Schiff so früh im Jahr aus eigenem Antrieb so weit in den Norden geschafft.

Zuvor hatte festes Meereis das Vorankommen des Eisbrechers in Richtung Nordpol tagelang verlangsamt, wo ihn die Polarstern-Crew erwartete. Schließlich legte Kapitän Alexandr Erpulev sein Schiff 970 Meter von der Polarstern entfernt an der selben Eisscholle an.

Kühlschränke mit Heizung

„Wir müssen den Hut ziehen vor Kapitän Alexandr Erpulev, der mit dem Eisbrecher Kapitan Dranitsyn durch den arktischen Winter bis fast an den Nordpol gefahren ist“, sagte Polarstern-Kapitän Stefan Schwarze. Expeditionsleiter Prof. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam, ergänzte: „Bei der aktuellen Meereissituation ist die Verzögerung absolut im Rahmen dessen, was wir erwarten konnten.“

Rex plante in den vergangenen Tagen die weitere Logistik. Da die Kapitan Dranitsyn aufgrund des festen Meereises mehr Treibstoff benötigte als erwartet, startet ein weiterer Eisbrecher, die „Admiral Makarov“ voraussichtlich am 3. März von Murmansk aus, um die Kapitan Dranitsyn noch im arktischen Meereis zu betanken.

Auch die Logistik auf dem Eis erweist sich als schwierig. Bei bis zu minus 58 Grad Celsius müssen frische Lebensmittel in beheizten Kühlschränken transportiert werden. Die Temperaturen führen jedoch dazu, dass auch die Fahrrinne der Kapitan Dranitsyn 24 Stunden später von Pistenraupen und Motorschlitten befahren werden kann.

Wann der Austausch von Crew und Fracht abgeschlossen werden kann, ist bislang unklar, weil die Kälte auch die Kräne der beiden Schiffe verlangsamt.

Das Umladen von Ausrüstung und Proviant geht aufgrund der Kälte nur langsam voran. Bei bis zu -58 Grad Celsius müssen frische Lebensmittel in beheizten „Kühlschränken“ transportiert werden. Foto: AWI

Reges Leben auf und unter 30 Meter dickem Nordpol-Eis

Nicht nur die Schiffscrew der Polarstern ist in der langen Polarnacht aktiv. Tauchgänge mit Unterwasserrobotern erforschten Zooplankton und Polardorsche und im Februar konnten die Forscher sogar eine Robbe unter dem Eis beobachten, die offenbar selbst kurz vor dem Nordpol ausreichend Nahrung fand. „Auf dem Eis haben wir außerdem wieder einen Eisbären und mehrere Polarfüchse gesehen“, fasst Christian Haas vom AWI zusammen.

Zudem ergaben Eismessungen, dass sich die Eisdicke seit Dezember auf durchschnittlich 160 Zentimeter verdoppelt hat. Das entspricht einer Wachstumsrate von ca. zehn Zentimetern pro Woche, so der Meereisforscher.

Die Wissenschaftler konnten außerdem mit Hilfe von Laserscans des bordeigenen Helikopters, dem Schiffsradar sowie Bojen beobachten, wie sich das Eis deformierte, wie sich Rinnen im Eis öffneten und schlossen und wie starke Winde dünnere Eisschollen zu dicken Presseisrücken von bis zu vier Metern Höhe aufstapelten. Da diese kippen und sehr tief ins Wasser ragen können, ist das Eis an manchen Stellen 20 bis 30 Meter dick. Mit diesem Phänomen hatte auch der Versorgungseisbrecher auf seiner Fahrt immer wieder zu kämpfen.

Der russische Eisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ liegt etwa 970 Meter von der „Polarstern“ entfernt im Eis des Nordpols. Foto: AWI

Im nächsten Abschnitt der Expedition schwindet die Polarnacht und das Sonnenlicht kehrt zurück. Schon jetzt können die Wissenschaftler mehrere Stunden am Tag eine leichte Dämmerung wahrnehmen, die auch die Ladearbeiten erleichtert. Das Meereis hingegen wird in den kommenden Wochen noch kompakter, weshalb die nächste Versorgungsmission im April per Flugzeug stattfinden soll.

Der Abschnitt der Expedition in Zahlen

  • Vom 13. Dezember 2019 bis zum 27. Februar 2020 driftete die Polarstern insgesamt 672 Kilometer durch das Eis. Aufgrund von Schleifen und Kringeln legte sie in der Zeit nur etwa 406 Kilometer zurück.
  • Der Geschwindigkeitsrekord während dieser Zeit war am 1. Februar 2020 mit 1,7 Kilometern pro Stunde.
  • Die Expedition näherte sich bis auf 156 Kilometer an den Nordpol.
  • Forscher auf der Polarstern haben 8.100 Eier, 1.360 kg Kartoffeln und 86 Gläser Nutella verspeist. Natürlich beschränkten sich die Mahlzeiten aber nicht allein darauf.
  • Die längste Exkursion führte Forscher auf Skiern zur Wartung einer autonomen Messstation, die etwa 10 Kilometer von der Polarstern entfernt ist. Diese Exkursion fand aufgrund der Polarnacht in kompletter Dunkelheit statt.
  • Seit Mitte Dezember tauchte nur ein Eisbär auf – und zwar nachts. Eine automatische Kamera hatte zufällig ein Bild von ihm gemacht, als er die Geräte an der Fernerkundungsstation beschnüffelte.

(Mit Informationen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI))



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