AfD bekommt Stimmen aus sämtlichen politischen Lagern

Von der Unzufriedenheit mit der Ampelregierung haben in Hessen die CDU und die AfD stark profitiert – in Bayern die AfD und die Freien Wähler, aber nicht die Traditionspartei CSU. Woran könnte es gelegen haben? Eine Analyse.
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Medienkonferenz nach den Landtagswahlen am 9. Oktober 2023: Alice Weidel (M), Co-Vorsitzende AfD, AfD-Spitzenkandidat in Hessen Robert Lambrou (r), AfD-Spitzenkandidaten für die bayerischen Landtagswahlen Katrin Ebner-Steiner (2. v. l.) und Martin Böhm (l).Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 10. Oktober 2023


Die beiden Landtagswahlen in Hessen und Bayern vom 8. Oktober haben bestimmte Parallelen im Wählerverhalten zutage gefördert, aber auch bestimmte Unterschiede aufgezeigt. Am auffälligsten ist wohl der Umstand, dass der CDU-Kandidat Boris Rhein in Hessen vom Absturz der Ampelparteien sehr stark profitieren konnte, während Markus Söder (CSU) in Bayern praktisch auf der Stelle tritt. Woran könnte das gelegen haben?

Konkret geht es um ein sattes Plus von 7,6 Prozent, das der Hesse Boris Rhein im Vergleich zur letzten Wahl 2018 erzielte. Mit 34,6 Prozent der Stimmen kann er sich seinen Koalitionspartner aussuchen: Macht er mit dem Grünen Tarek Al-Wazir als Vize weiter oder soll es demnächst, vielleicht doch schwarz-rot im Wiesbadener Landtag sein?

Söder stagniert, Rhein profitiert vom Ampelfrust

Für Markus Söder bleibt nach seinen klaren Abgrenzungen realistischerweise nur der Freie Wähler Hubert Aiwanger als Bündnispartner übrig: Den Grünen und der AfD erteilte Söder schon im Vorfeld eine jeweils deutliche Absage. In absoluten Zahlen hatte die CSU Bayern mit 37,0 Prozent zwar noch etwas erfolgreicher abgeschnitten als die CDU in Hessen, aber ein Minus von 0,2 Prozent im Vergleich zu 2018 dämpfte das Ausmaß der Siegesfeier in München doch ein wenig.

Was beim Vergleich der Parteienverluste und -gewinne sofort ins Auge fällt: In Hessen wurden die drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP deutlich stärker abgestraft als in Bayern. Die SPD sank um 4,7 Prozent auf nur noch 15,1, die Grünen bauten um 5,0 Punkte auf 14,8 Prozent ab und die FDP um 2,5 Punkte auf nun gerade mal 5,0 Prozent der Wählerstimmen. Addiert man diese Verluste, waren 12,2 Prozent neu zu verteilen. Und die wanderten eben nicht nur zu den traditionellen Protestparteien AfD (18,4 Prozent, plus 5,3 Prozent), Freie Wähler (3,5 Prozent, plus 0,5) und Sonstige (5,5 Prozent, plus 1,9), sondern eben auch an Boris Rheins CDU (34,6 Prozent, plus 7,6).

Von der Unzufriedenheit mit der Ampel profitierten unterm Strich also nur die amtierende Regierungspartei CDU und die AfD. Die anderen „Kleinen“ schafften es erst gar nicht in den Landtag.

Bayern: AfD und Freie Wähler als Profiteure

In Bayern waren die drei Ampelkräfte ohnehin zuvor nicht so stark wie in Hessen. Die „Denkzettel“ fielen mit minus 3,2 Prozentpunkten für die Grünen (nun 14,4 Prozent), minus 1,3 Punkten für die SPD (8,4 Prozent) und minus 2,1 Punkten für die FDP (3,0 Prozent) dementsprechend moderater aus. Dazu kamen Verluste der Klein- und Kleinstparteien unterhalb der Fünf-Prozentschwelle von 1,8 Prozent.

Neu zu verteilen gab es also nur 8,4 Prozent. Und beinahe exakt diese Summe floss unterm Strich auf das Konto der AfD Bayern (14,6 Prozent, plus 4,4) und der Freien Wähler (15,8 Prozent, plus 4,2). „Nur 42 Prozent der Bayern sind der Ansicht, dass eine unionsgeführte Bundesregierung bessere Arbeit machen würde als die Ampel – Rückenwind sieht anders aus“, heißt es dazu in einer Analyse der „Tagesschau“.

CSU verliert an konservative Konkurrenz

Was nicht bedeuten soll, dass die CSU vom Absturz der Ampel nicht auch profitiert hätte. Im Gegenteil: Hätten die Christsozialen nicht 90.000 ehemals grüne Stimmen, 60.000 FDP-Stimmen, 50.000 SPD-Stimmen und 60.000 beziehungsweise 50.000 Stimmen von Nichtwählern und anderen Parteien auf sich gezogen, hätten Sie ihren 37-Prozent-Status gar nicht halten können. Denn die CSU musste nach einer Erhebung von Infratest dimap diesmal weitere 120.000 Stimmen an die Freien Wähler abgeben und verlor sogar 100.000 an die AfD.

Unterm Strich, schreibt die „Welt“, holte Söders CSU am Sonntag rund 90.000 Stimmen mehr. Wegen der um 1,1 Prozent höheren Wahlbeteiligung (73,3 Prozent) im Vergleich zu 2018 schlug sich dieses Plus aber nicht positiv auf das prozentuale CSU-Gesamtergebnis nieder.

Hessens CDU konnte da weit mehr profitieren. Mit Boris Rhein an der Spitze gewann der Landesverband laut Infratest dimap am 8. Oktober Stimmen aus allen anderen Parteilagern – mit Ausnahme der AfD, an die die Hessen-CDU 2.000 Stimmen verlor. Nicht viel im Vergleich zu dem, was Rhein umgekehrt aus dem Lager der hessischen SPD-Anhänger (72.000), der Grünen (53.000), der FDP (52.000) und der Nichtwähler (35.000) für sich zu mobilisieren verstand.

AfD gibt an keine Partei Stimmen ab

Apropos Wählerwanderung: Ihre 18,4 Prozent (5,3 Prozent plus) in Hessen und damit einen neuen Rekordwert für ein westdeutsches Flächenbundesland erreichte die AfD auch dadurch, dass sie Stimmen aus sämtlichen politischen Lagern zu sich herüberziehen konnte, laut Infratest dimap insgesamt rund 81.000 an der Zahl.

Die Taktik einer „Brandmauer gegen rechts“, mit der auch Markus Söder und Hubert Aiwanger auf Kosten der AfD punkten wollten, ging nach Informationen der „Welt“ auch in Bayern nicht so richtig auf: Auch hier verbuchten die Blauen mit 4,4 Prozent und nunmehr 14,6 Prozent die stärksten Zugewinne unter allen Parteien. Die Stimmen dafür kamen wie in Hessen auch von sämtlichen anderen Parteien. Selbst die Freien Wähler mussten 50.000 Stimmen an die AfD abgeben.

Freie Wähler in Hessen noch zu schwach?

Doch zurück zu den beiden siegreichen Unionsparteien in Hessen und Bayern. Boris Rheins CDU konnte sicherlich davon profitieren, dass die Volkspartei SPD mit Nancy Faeser eine derzeit ziemlich umstrittene Spitzenkandidatin ins Rennen schickte. Außerdem besitzt neben der AfD Hessen derzeit wohl kein Landesverband einer anderen potenziellen Protestpartei genug Popularität und Power, um die Stimmen der frustrierten Ex-Ampel-Wähler abzugreifen.

Ganz anders in Bayern, wo die Freien Wähler unter Hubert Aiwanger schon seit fünf Jahren mit in Regierungsverantwortung stehen und von daher schon länger als Auffangbecken für konservativ orientierte Wechselwähler dienen, die mit der AfD aber auf keinen Fall etwas zu tun haben wollen.

Söder polarisiert

Bleibt noch ein Blick auf die beiden Zugpferde persönlich. Und da ist es Markus Söder, der weit mehr zu polarisieren scheint als sein hessisches Pendant Boris Rhein. Und das nicht erst, seit Söder im März 2018 das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten vom drei Tage zuvor zurückgetretenen Horst Seehofer übernommen hatte.

Dass der Franke bei der regulären Landtagswahl im Oktober 2018 nur noch 37,2 Prozent der Stimmen und damit das schlechteste Ergebnis der CSU seit 1950 eingefahren hatte, brachte ihm schon damals vor allem unter den traditionsbewussten Bayern nicht nur Freunde ein. Inwiefern Söder sein Publikum seither mit seiner harten Coronapolitik verschreckte oder begeisterte, sei heute dahin gestellt. Sein Verhalten gegenüber seinem Vize Hubert Aiwanger angesichts der „Flugblatt-Affäre“ aber dürfte den Franken einige Sympathien gekostet haben: Söder hatte Aiwanger mitten im Wahlkampf wie einen Schulbuben angewiesen, 25 Fragen zu seiner Gesinnung zu beantworten, bevor Söder sich doch noch zum Weitermachen mit seinem wichtigsten Koalitionspartner entschied.

Nach Umfrageergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen „unter 1.391 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten“ hatte die ganze Angelegenheit den Freien Wählern am Ende mehr genutzt als geschadet – das jedenfalls meinten mit 44 Prozent der Befragten beinahe viermal so viele wie jene, die an das Gegenteil glaubten. Womöglich wird der frisch gestärkte Hubert Aiwanger bei Koalitionsverhandlungen nun einen weiteren Ministerposten für seine Partei herausschlagen, wie manche Medien bereits spekulieren.

Unmut beim „Konservativen Aufbruch“ der CSU – Kanzlerkandidatur endgültig passé?

Unter Markus Söder, so die Forschungsgruppe Wahlen weiter, habe die „Traditionspartei“ CSU zudem „ihre Ausnahmestellung verloren und für 51 Prozent der Befragten auch ‚das Gespür für das, was die Bayern wirklich bewegt‘“.

„Die leisen Hoffnungen von Markus Söder auf die Kanzlerkandidatur der Union dürften sich damit vorerst erledigt haben“, meint das Onlinemagazin „NiUS“. Für diese Einschätzung spricht auch eine Pressemitteilung des „Konservativen Aufbruchs“, der Interessenvertretung der „Wertkonservativen und Wirtschaftsliberalen in der CSU“. Die Gruppe gab ihrem Ärger darüber Ausdruck, dass es Söder auch an diesem Sonntag nicht gelang, „den Stimmenanteil der CSU auszubauen“, wie es in einer aktuellen Pressemitteilung heißt.

Der „Konservative Aufbruch“ fordert deshalb fürs Erste, „das Amt des Ministerpräsidenten wieder von der Position des CSU-Vorsitzenden“ zu trennen. Außerdem soll die CSU „endlich die nötige Brandmauer gegen links“ errichten und „jegliche Bündnisse mit den Grünen, auch auf kommunaler Ebene“, ausschließen.



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