Söder im Kampf gegen „Cancel Culture“ – auf einmal?

Der bayerische CSU-Chef Markus Söder hat die Politik der Bundesregierung scharf kritisiert – für ihre Energie-, Migrations- und Umverteilungspolitik, aber auch wegen ihrer „woken“ Agenda. Er selbst hatte es mit der nun geschmähten „Cancel Culture“ auch nicht immer so genau genommen.
Markus Söder droht mit einer Blockade des Gesetzes im Bundesrat.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder.Foto: Sven Hoppe/dpa
Von 28. Februar 2023

„Bayern ist anders als Berlin, wir lehnen Wokeness, Cancel Culture und Genderpflicht ab.“ Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hat sich im Interview mit der „Welt am Sonntag“ (WaS, Bezahlschranke) darum bemüht, ein liberal-konservatives Bild abzugeben. „Wir wollen die Menschen nicht zu politischer Correctness erziehen. Bei uns darf man essen, was man will, sagen und singen, was einem gefällt.“

Eingedenk des Bibelwortes, nachdem man die Menschen nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten erkennen sollte, lassen sich Söders Worte schwerlich mit einigen seiner früheren Entscheidungen in Einklang bringen.

Hardliner bei Corona-Maßnahmen

Wenn Söder heute vorgibt, die „Cancel Culture“ abzulehnen – also die weit verbreitete Sitte, Menschen auszugrenzen, wenn sie eine regierungs- oder zeitgeistkritische Position einnehmen, dann sei daran erinnert: Es war Markus Söder, der im Lauf der Corona-Krise gern die Rolle des Vorreiters und Hardliners übernahm, als es darum ging, die „Schutzmaßnahmen“ immer weiter zu verschärfen. Und dazu gehörte nun mal alles, was mit der Diskriminierung von Menschen zu tun hatte, die sich nicht dem Diktat Söders unterwerfen wollten oder konnten.

Söder war ganz vorne mit dabei, als es galt, sogenannten „Ungeimpften“ weniger Rechte zuzugestehen als Geimpften – zum Beispiel per Verbot von Stadion- oder Hotelbesuchen. „Das ist keine Ausgrenzung der Nicht-Geimpften, sondern eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Rechte der vollständig Geimpften“, verteidigte Söder im ZDF-„Sommerinterview“ vom 1. August 2021 seinen Kurs. „Eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften werde so oder so kommen“, zitierte ihn das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) wenige Tage später.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der gebürtige Nürnberger noch gegen eine allgemeine Impfpflicht positioniert. Nicht einmal vier Monate später machte er sich anlässlich der „vierten Welle“ dann doch dafür stark (Video auf YouTube). Mit den Worten, man müsse nun „weniger Rücksicht auf die nehmen, die selbst keine nehmen“, half Söder maßgeblich mit, die Bevölkerung in zwei Lager zu spalten, für die der Impfstatus als Maßstab von Gut und Böse ausgerufen wurde. Nur die Gruppe der Ungeimpften sollte nach dem Willen Söders im Winter 2021/22 wieder einen „De-facto-Lockdown“ erleben müssen.

Noch vor Weihnachten 2021 hatte Söder den Impfdruck auf ungeimpfte, gesunde Schüler zwischen 12 und 17 Jahren massiv erhöht, indem er sie vom Besuch von gastronomischen Einrichtungen „und beim Ausüben von musikalischen, sportlichen und schauspielerischen Aktivitäten“ ausschließen ließ. Am liebsten hätte er auch ihnen eine Impfpflicht verpasst.

Vom Saulus zum Paulus?

Keine vier Wochen später war es im Februar 2022 allerdings derselbe Söder, der die Richtung für die bayerische Corona-Politik änderte. Diesmal setzte er sich zum Erstaunen der meisten Kritiker aber nicht für Verschärfungen, sondern für Erleichterungen ein: Er ließ die bereits bestehende Impfpflicht für Angehörige des Gesundheitswesens in seinem Bundesland aussetzen und kündigte erste Lockerungen an. „Sind Maßnahmen populär, prescht [Söder] vor, sind sie es nicht, soll der Bund ran“, stellte das ZDF in einem Kommentar fest.

Auch mit dem freien Gesang ist es zumindest in Teilen seines Zuständigkeitsgebietes so eine Sache: Die Stadt Würzburg verbot im Sommer 2022 den Musikern auf dem Kiliani-Volksfest, den umstrittenen Partyhit „Layla“ zu spielen. Von einem Machtwort aus der Bayerischen Staatskanzlei gegen die Zensur aus Würzburg ist nichts bekannt, obwohl – oder vielleicht auch weil – im Würzburger Rathaus ein CDU-Mann namens Christian Schuchardt das Sagen hat. Beim Münchener Oktoberfest im September 2022 aber gab sich Söder wieder jovial: „Jeder soll singen können, was er will.“ Söder weiter: „Diese ganze Verbotsdiskussion, die nervt. Wokeness mag interessant sein, aber wenn sie übertrieben ist, dann ist sie spießig, und die Wiesn ist alles, nur nicht spießig“, so Söder laut RND. Gegen Demonstrationsverbote für Regierungskritiker hatte er im Winter 2021/22 aber nichts einzuwenden.

Was die „Genderpflicht“ angeht, verteidigt Söder seine klar ablehnende Einstellung bis heute – und zwar gegen Vorschriften aller Art, wer wie wo zu reden hat. „Es kann nicht sein, dass wir eine Art Gendergesetz oder Genderstrafzettel bekommen“, sagte er im September 2021 laut „Welt“ anlässlich einer Debatte um obligatorische Leitfäden für „geschlechtergerechte Sprache“ an den Universitäten.

„Absurde Ideologie“ der Grünen schadet dem Land

Doch nicht nur in Sachen „Wokeness“ oder „Gendern“ stellte Söder im aktuellen WaS-Interview seine Abneigung gegen gewisse Grünen-Positionen klar. „Einzig an den Grünen“ liege es beispielsweise, dass die Energiepreise so hoch seien und ein „dauerhafter Wohlstandsverlust und die Abwanderung der Industrie“ drohe.

Es sei „ein schwerer Fehler, die Kernenergie nicht zu verlängern und heimische Gasreserven aus ideologischen Gründen nicht zu prüfen“. Denn Deutschland brauche „grundlastfähige Energielieferanten und günstige Energiequellen“ wie die Kernkraft. „Dazu muss die Ampel endlich neue Brennstäbe bestellen“, forderte Söder. Stattdessen griffen die Grünen aber auf Kohleverstromung zurück, ausgerechnet dem Energieträger „mit der schlechtesten CO₂-Bilanz“. Als ein Sinnbild für die „absurde Ideologie“ der Grünen erwähnte Söder die Ereignisse von Lützerath.

Söder: Grüne wollen „Wohlstand von Süd nach Nord umverteilen“

Vorwürfe der Grünen, nach denen Bayern den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht genügend vorangetrieben hätte, nannte Söder im WaS-Gespräch „eine bewusste Lüge“ und einen „schweren Verstoß gegen die politische Kultur“. Denn Bayern liege „bundesweit an der Spitze“ des Ausbaus, gemessen an der Gesamtleistung. Zudem blockiere die Ampelregierung Photovoltaik, Wasserkraft, Geothermie und Biomasse zur Energiesicherung in Bayern „aus ideologischen Gründen“. Dahinter stecke der Plan, „Wohlstand von Süd nach Nord“ umzuverteilen, meint Söder.

Immerhin hätten norddeutsche Grüne gefordert, „dass die Bayern höhere Strompreise zahlen sollen“, obwohl das Land bereits beinahe zehn Milliarden Euro pro Jahr in den Länderfinanzausgleichstopf stecken müsse. „Bei uns ist der Himmel weiß-blau und nicht grün“, sagte Söder. „Wir glauben auch an Heimat und Tradition. […] Hightech und Heimat passen gut zusammen, das ist der Bavarian way of life. Und wir sind vielen wohl zu erfolgreich. Das gefällt der linken Ampel nicht.“

Tadel für Baerbock

Auch für die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat der bayerische Ministerpräsident einen Tadel parat – nämlich für deren „höchst fahrlässig[e]“ Äußerungen zum Ukraine-Krieg („We are fighting a war against Russia“). „Das darf einer Diplomatin nicht passieren“, kritisierte Söder. Andererseits mahnte er die Ampelregierung, „getroffene Zusagen einzuhalten und die versprochenen Panzer endlich zu liefern und nicht jeden Tag Neues zu diskutieren“. Es seien gerade manche Grüne, die sich bei ihren Forderungen „geradezu in einen Rausch“ redeten.

Die Lage in den Kommunen wegen der Flüchtlingsströme sei überall in Deutschland „angespannt“, der Flüchtlingsgipfel von Nancy Faeser ein „Flop“ gewesen und die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft trotz mangelnder Sprachkenntnisse „ein falscher Weg“ in der Migrationspolitik, ergänzte Söder. „Die Bundesregierung muss endlich umsichtig handeln, denn das Thema Migration darf kein Wahlkampfthema für politische Extremisten werden.“

Markige Worte auch am Aschermittwoch

Beim „Politischen Aschermittwoch“ hatte Söder vor rund 4.000 CSU-Anhängern in Passau die Bundesregierung und die Ampelparteien ebenfalls vor allem wegen deren Flüchtlingspolitik angegriffen: Wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht bald Vorschläge mache, wie der Migrantenzuzug gesteuert werde, die Kommunen entlastet und finanziell besser vom Bund ausgestattet würden, „dann wird sie die nächste Frau Lambrecht im Kabinett von Scholz“, prophezeite Söder. Außerdem würde es „auch dem Kanzler gut anstehen, wenn er sich endlich selber um diese Probleme in Deutschland“ kümmere „und nicht nur durch die Welt“ reise. Bei der rot-grün-gelben Koalition handele es sich um „die schlechteste Bundesregierung, die Deutschland je hatte“.

Landtagswahl am 8. Oktober

In Bayern wird nach fünf Jahren Legislatur am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Seit dem 12. November 2018 ist in Bayern eine Koalition aus CSU und den Freien Wählern an der Macht.

Eine Umfrage vom 19. Februar 2023 zur Landtagswahl sieht eine deutliche Mehrheit für das bestehende Koalitionsbündnis aus CSU (aktuell 41,4 Prozent Wählerpotenzial) und den Freien Wählern (11,4 Prozent). Die Grünen liegen bei 17,2 Prozent. Da alle übrigen Parteien derzeit nur einstellige Werte für sich verbuchen, könnte die Wahl theoretisch auf ein „Königsmacher“-Duell zwischen Grünen und Freien Wählern hinauslaufen. Einem Bündnis mit den Grünen hatten aber sowohl Markus Söder als auch CSU-Generalsekretär Martin Huber wiederholt eine klare Absage erteilt. Die Freien Wähler zeigen sich bislang offen für eine Fortsetzung der Koalition.



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