China: Finanz-Informationsanbieter Refinitiv schränkt Reuters-Berichterstattung über Hongkong ein

Seit August hat Refinitiv mehr als 200 Berichte über die Proteste in Hongkong sowie zahlreiche andere Reuters-Artikel, die Peking in ein ungünstiges Licht rücken könnten, blockiert. Infolgedessen wurde den Kunden von Refinitiv in China der Zugang zu wichtigen Nachrichten verwehrt.
Titelbild
Ein Blick auf das Thomson Reuters Büro im Canary Wharf in London.Foto: istock
Epoch Times17. Dezember 2019

Als im August die prodemokratischen Demonstrationen in Hongkong begannen, brachte Reuters eine heikle Geschichte: Peking hatte einen geheimen Vorschlag der Regierungschefin Carrie Lam abgelehnt, mehrere Forderungen der Demonstranten zu erfüllen, um die Unruhen zu besänftigen.

Die Geschichte unterstrich den Vorwurf der Demonstranten, Peking mische sich tief in die inneren Angelegenheiten der Sonderverwaltungszone ein. Eine staatliche Zeitung verurteilte die Geschichte als „gefälscht“ und „beschämend“. Der Artikel war auf dem chinesischen Festland bald nicht mehr verfügbar.

Der Artikel wurde von Refinitiv, einem Finanz-Informationsanbieter, der Reuters Nachrichten an Investoren auf Eikon – einer Handels- und Analyseplattform – weltweit verteilt, entfernt. Der Artikel war einer von mehreren Berichten, die Refinitiv auf dem chinesischen Festland auf Druck der Zentralregierung zensierte. Der Informationsanbieter war bis letztes Jahr im Besitz von Reuters Muttergesellschaft Thomson Reuters Corp.

„Restricted News“

Seit August hat Refinitiv mehr als 200 Berichte über die Proteste in Hongkong sowie zahlreiche andere Reuters-Artikel, die Peking in ein ungünstiges Licht rücken könnten, blockiert. Interne Refinitiv-Dokumente zeigen, dass das Unternehmen im Sommer ein automatisiertes Filtersystem installiert hat, um die Zensur zu erleichtern. Das System beinhaltet die Erstellung eines neuen Codes, der an einige China-Storys angehängt werden kann, nämlich „Restricted News“.

Infolgedessen wurde den Kunden von Refinitiv in China der Zugang zu wichtigen Nachrichten, darunter zwei Reuters-Berichte über die Herabstufungen Hongkongs durch Ratingagenturen, verwehrt. Weitere 100 Nachrichtenanbieter auf Eikon waren ebenfalls von der Filterung betroffen.

Die Zensur in China hat sich in den letzten Jahren unter dem chinesischen Führer Xi Jinping verschärft, und westliche Unternehmen sind unter zunehmenden Druck geraten, Nachrichten, die Peking für politisch gefährlich hält, zu blockieren. Refinitiv erwirtschaftet in China einen Jahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich. Wie Reuters im Juni berichtete, begann Refinitiv Anfang des Jahres mit der Zensur, nachdem eine chinesische Regulierungsbehörde damit gedroht hatte, Refinitiv vom chinesischen Markt auszuschließen.

Refinitiv hat sich in eine immer länger werdende Liste von Unternehmen eingereiht, die den chinesischen Anforderungen nachkommen. Dazu gehört der Hotelriese Marriott International, der im vergangenen Jahr seine chinesischen Webseiten vorübergehend stilllegte und sich unter anderem dafür entschuldigte, Taiwan in einem Kundenfragebogen als separates Land aufgeführt zu haben. Auch mehrere US-Fluggesellschaften haben aufgehört, Taiwan auf ihren Webseiten als nicht-chinesisches Territorium zu beschreiben. Peking betrachtet den selbstverwalteten Inselteil als Teil seines Territoriums.

Die Zensur hat die Top-Nachrichtenleute und Geschäftsführer von Reuters sowie die Direktoren der Thomson Reuters Founders Share Co. Ltd. (GmbH), ein unabhängiges Organ, das mit der Wahrung der Unabhängigkeit der Nachrichtenagentur beauftragt ist, massiv verärgert.

Kim Williams, eine australische Medienmanagerin, die dem Gremium vorsteht, sprach im Oktober mit Journalisten von Reuters bei einem Besuch in der Nachrichtenredaktion in Singapur über Refinitiv und nannte deren Aktionen „verwerflich“ und eine Kapitulation vor der „nackten politischen Aggression“ aus Peking. Chefredakteur Stephen J. Adler sagte zu Reuters-Journalisten im November in London, dass die Zensur die Marke „schädigt“. „Das gefällt mir nicht“, sagte er.

Refinitiv Chief Executive – David Craig – und Thomson Reuters CEO – Jim Smith – haben erst vergangene Woche, mehrere Gespräche geführt, in dem Bemühen, das Problem zu lösen. Smith zeigte sich „sehr besorgt“ über Craigs Entscheidung, die Filterung durchzusetzen, sagte ein leitender Thomson Reuters Angestellter. Es ist nicht klar, wie nah die beiden dran sind, eine Lösung zu finden, die beide Seiten für annehmbar halten, sagte einer der Beteiligten.

Wir sind uns bewusst, dass die Anfang dieses Jahres eingeführten Prozesse verbessert werden müssen und wir arbeiten aktiv an Verbesserungen“, sagte Refinitiv-Sprecher Patrick Meyer in einer Erklärung über das Filtersystem. „Als globales Unternehmen muss Refinitiv die Gesetze und Vorschriften der Länder einhalten, in denen wir tätig sind. Dies ist eine Herausforderung, vor der nicht nur Refinitiv, sondern auch andere Unternehmen und Vertreiber von Finanzmarktinformationen stehen.“

Refinitiv wurde im vergangenen Jahr gegründet. Ein Konsortium unter der Führung des Eigenkapital-Giganten Blackstone erwarb einen 55-prozentigen Anteil am Thomson Reuters’ Financial & Risk Business, zu dem auch das Terminalgeschäft von Eikon gehörte, und benannte es (in Refinitiv) um.

Refinitiv und Thomson Reuters bleiben sich nah: Reuters verkauft Nachrichten an Eikon, und Thomson Reuters behält einen Anteil von 45 Prozent an Refinitiv. Refinitiv ist mit Abstand der größte Kunde von Reuters und erwirtschaftet fast die Hälfte seines Umsatzes. Im Rahmen der Abspaltung vereinbarte Refinitiv, Reuters über einen Zeitraum von 30 Jahren inflationsbereinigte jährliche Zahlungen in Höhe von 325 Millionen US-Dollar für Nachrichten zu leisten – ein zuverlässiger Einkommensstrom, der im Mediengeschäft selten vorkommt.

Die Direktoren der Thomson Reuters Founders Share Co. Ltd sind jedoch besonders verärgert. Sie haben sich bei Thomson Reuters CEO Smith beschwert, dass Refinitiv durch die Unterdrückung von Nachrichten gegen die Bedingungen des Abkommens verstößt. Sie befürchten, dass Refinitiv, nachdem es sich den Forderungen Chinas unterworfen habe, anfangen könnte, auch Berichte in anderen Ländern zu zensieren.

Vor dem Blackstone-Deal, als Thomson Reuters das Eikon-Geschäft noch kontrollierte, wurden die Nachrichtenberichte von Reuters in China auf Eikon nicht blockiert. Das chinesische Regime selbst blockiert in China seit Jahren den Zugang zur Reuters Webseite – Reuters.com – sowie zu Webseiten vieler anderer ausländischer Nachrichtenorganisationen.

Lasst die Chinesen entscheiden, ob sie etwas sperren“, sagte Pascal Lamy, ein Founders Share Direktor und ehemaliger Leiter der Welthandelsorganisation. „Aber das ist nicht die Entscheidung von Refinitiv oder Reuters.“ Lamy sagte, dass die Direktoren glauben, dass die Bedingungen des Deals Refinitiv dazu verpflichten, die ethischen Regeln von Reuters bezüglich redaktioneller Integrität und Unabhängigkeit einzuhalten, bekannt als die Trust Principles, die „verhindern, dass Sie die Selbstzensur akzeptieren“.

Refinitiv argumentierte daraufhin, dass das Unternehmen „seine Verpflichtungen in Bezug auf die Treuhandprinzipien erfüllt“. Bei der Filterung politischer Nachrichtenberichte für ihre eigenen Kunden in China, befolge man die lokalen Gesetze und Vorschriften, so wie es von der Betriebsgenehmigung gefordert werde.

Smith, der sowohl im Vorstand von Thomson Reuters als auch von Refinitiv sitzt, reagierte nicht auf Anfragen zu einer Stellungnahme.

Die Londoner Börse hat sich bereit erklärt, Refinitiv für 27 Milliarden Dollar zu kaufen, ein Geschäft, das voraussichtlich in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres abgeschlossen wird. Auch sie lehnte es ab, einen Kommentar abzugeben.

Tiananmen-Tabu

Reuters berichtete im Juni, dass Refinitiv mehrere Reuters-Storys auf Druck der chinesischen Regierung blockiert habe. Die Artikel bezogen sich auf den 30. Jahrestag der blutigen Unterdrückung von Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Nach Angaben von Personen mit Kenntnissen in dieser Angelegenheit reagierte Refinitiv, nachdem die Cyberspace Administration of China (CAC), die die Online-Beiträge kontrolliert, damit gedroht hatte, den Service des Unternehmens in China auszusetzen, falls sie nicht kooperierten.

Am 3. Juni schickten Reuters-Redakteur Stephen J. Adler und Michael Friedenberg, Präsident von Reuters, eine E-Mail an die Mitarbeiter, in der sie erklärten, dass sie ihre Bedenken gegenüber Refinitiv geäußert hätten.

Refinitiv versprach, dass es die Redaktion benachrichtigen würde, wenn es unter Druck der chinesischen Aufsichtsbehörden über die Berichterstattung von Reuters stehen würde. Die Nachrichtenagentur würde dann, wie auch bei anderen erhaltenen Beschwerden von Einzelpersonen oder Institutionen, feststellen, ob ein Grund zur Korrektur eines bereits veröffentlichten Berichtes vorliegt.

Ende Juli bat Refinitiv Reuters, einen Artikel zu überprüfen, in dem detailliert beschrieben wird, wie ein chinesischer Regierungsvertreter in Hongkong die Anwohner aufgefordert hatte, Demonstranten zu vertreiben – nur eine Woche vor einem gewalttätigen Zusammenstoß zwischen Pro- und Anti-Regierungs-Anhängern in der Region.

Trotz der Zusicherungen von Reuters, dass die Geschichte korrekt sei, entfernte Refinitiv die Überschrift der Geschichte in China aus Eikon und machte es den Benutzern schwer, den Artikel zu finden und anzusehen. Am 2. August veröffentlichte Reuters einen Bericht über die Blockade dieses Artikels.

„Strategic China Filter“

Refinitiv begann, seine Bemühungen zur Säuberung der China-Berichterstattung zu verstärken. Interne Refinitiv-Dokumente und E-Mails beschreiben, wie das Unternehmen im Sommer ein automatisiertes Filtersystem eingerichtet hatte – namens Strategic China Filter – um bestimmte Nachrichten für Eikon-Nutzer auf dem chinesischen Festland zu blockieren.

Im Juli forderte der architecture director der Nachrichtenplattform von Refinitiv die Erstellung eines neuen Codes mit dem Namen „Restricted News“, der den Artikeln hinzugefügt werden konnte. Er verlangte, dass es „für alle Benutzer (intern und extern) versteckt werden sollte“, so Quellen einer Telefonkonferenz am 17. Juli, in der der Code diskutiert wurde. Ein Grund dafür war, dass Refinitiv seinen Kunden auf dem chinesischen Festland nicht die Möglichkeit geben wollte, die Filterung zu deaktivieren.

In einer E-Mail an Kollegen erklärte der Direktor der Plattform den Code: „Der Marker (Restricted News) soll Nachrichten hervorheben, die aufgrund von Beschränkungen der chinesischen Regierung vor dem Konsum in China weiter verarbeitet werden müssen.“

Das Filtersystem ist so konzipiert, dass Berichte für Leser auf dem chinesischen Festland blockiert werden, jedoch auf anderen Märkten genutzt werden können. Es sucht, laut Insidern, nach eingeschränkten Schlüsselwörtern in Schlagzeilen wie „Hongkong“ und „Protest“.

Refinitiv-Mitarbeiter diskutierten auch per E-Mail, ob der Code „Restricted News“ China-spezifisch oder „generisch“ sein sollte, damit er in Zukunft dazu verwendet werden kann, Berichte in anderen Ländern zu blockieren. Der E-Mail-Austausch zeigt auf, dass sie sich für einen generischen Code entschieden haben. Reuters fand keinen Beweis dafür, dass Refinitiv das Filtersystem in anderen Ländern eingesetzt hat. Refinitiv hat sich nicht dazu geäußert, ob es beabsichtigt, den Restriktionscode an anderen Orten zu verwenden.

Eikon-Nutzer außerhalb Festlandchinas können Artikel über die Proteste in Hongkong abrufen, indem sie auf Schlagzeilen klicken oder nach Schlüsselwörtern oder Codes suchen. Bei Benutzern innerhalb Chinas erscheint jedoch bei Artikeln, die gesperrt sind, die Information: „Sie haben keinen Zugriff zu diesem Bericht.“

Refinitivs Blockade von Nachrichten über Proteste verschärfte sich nach dem 30. August, als Reuters berichtete, dass Peking ein Angebot der Hongkonger Regierungschefin Lam, einen Kompromiss mit den Demonstranten einzugehen, abgelehnt hatte. Bis dahin waren lediglich fünf von 246 Reuters-Artikeln, die 2019 erschienen und in der Überschrift die Wörter „Hongkong“ und „Protest“ enthielten, auf dem Festland zugänglich. Danach blockierte Refinitiv zwischen dem 30. August und dem 20. November fast vier von fünf solcher Artikel – also 196 von 251 Berichten.

Die Zensur war zwischen dem 4. und 7. September besonders schwerwiegend, als alle 104 Reuters-Artikel, die diese Wörter in der Überschrift enthielten, blockiert wurden. Damals gerieten Demonstranten mit der Polizei in der ganzen Stadt aneinander und die Polizei reagierte mit Wasserwerfern und Gummigeschossen.

Refinitiv zensierte auch potenziell marktbewegende Geschichten, die für die Kernkundschaft von Refinitiv, die aus Finanzexperten besteht, von Interesse gewesen wären. Dazu gehörte ein Bericht vom 6. September, wonach Fitch Ratings Hongkongs langfristiges Ausfallrating von Fremdwährungsemittenten in Hongkong herabgestuft hatte. Ebenfalls blockiert wurden Artikel über die Auswirkungen der Proteste auf die Aktienkurse und Börsengänge.

Refinitiv begann schließlich damit, Mitarbeiter in den Filterprozess einzubeziehen, um die Blockade von Finanznachrichten zu verhindern, laut einer Person, die mit der Angelegenheit vertraut ist. Jedoch bleibt die Filterung unbeständig.

Einige Geschichten lässt der Filter durch, die China als „politisches Tabu“ betrachten könnte. Darunter finden sich einige Artikel über die Masseninternierung von Uiguren, einer muslimischen ethnischen Minderheit in Westchina, durch das chinesische Regime. Viele andere Artikel über die Uiguren wurden jedoch blockiert.

Der Artikel erschien zuerst in der Epoch Times USA: Refinitiv Created Filter to Block Reuters Stories Amid Hong Kong Protests

(Deutsche Bearbeitung von rm)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion