Eskalation im Kaukasus: Armenier werfen Europa „Doppelmoral“ vor
Trotz des 2020 unter Beteiligung Russlands und der Türkei ausgehandelten Waffenstillstandsabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan bleibt die Lage angespannt. In der Vorwoche griffen aserbaidschanische Truppen mit Artillerie und Drohnen Ziele auf armenischem Territorium an.
Einschläge wurden nahe den Städten Goris, Sotk und Deschermuk sowie bis 50 Kilometer ins Landesinnere gemeldet. Auf beiden Seiten soll es Dutzende Tote und Verletzte gegeben haben.
Aserbaidschan wirft Armenien groß angelegte Sabotage vor
Armeniens Regierung warf Aserbaidschan vor, einen Vorstoß auf armenisches Territorium unternommen zu haben. Aserbaidschan hingegen spricht von erforderlichen Gegenmaßnahmen nach groß angelegten Provokationen. Der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur „Trend“ zufolge hätten Saboteure aus der armenischen Armee Grundstücke und Straßen vermint.
Dies sei zwischen Stellungen der aserbaidschanischen Armee an der Staatsgrenze in den Richtungen Daschkasan, Kalbaschar und Latschin geschehen. Latschin und der größere Teil von Kalbaschar gehörten zu den Gebieten der 1992 von Armenien besetzten Region Bergkarabach.
Im Jahr 2020 konnte Aserbaidschan einen großen Teil davon befreien. Erst im August waren zuvor vertriebene Bewohner unter dem Schutz der aserbaidschanischen Armee in die Gegend zurückgekehrt.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befinden sich die früheren Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan miteinander im Krieg.
Ungewohnte Zurückhaltung des deutschen Auswärtigen Amtes
Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine üben vor allem Angehörige der armenischen Diaspora in Europa Kritik an der Position Deutschlands und der EU in dem Konflikt. In der Bundespressekonferenz enthielt sich der Sprecher des deutschen Außenministeriums, Christian Wagner, einer Stellungnahme. Man könne, so Wagner, „absolut keinen Aggressor ausmachen“, weil es vor Ort „an unabhängigen Beobachtern fehle“.
Eine so vorsichtige Zurückhaltung der sonst eher als meinungsfreudig bekannten deutschen Außenpolitik überrascht etwa die deutsch-armenische Journalistin Anna Aridzanjan. Auf dem „t-online“-Portal deutet sie die Eskalation im Kaukasus als Angriff eines „autokratischen Nachbarlandes“ auf eine Demokratie.
Der als „Diktator“ beschriebene Staatschef Ilham Alijew nutze „für seinen völkerrechtswidrigen Angriff unter anderem die energiewirtschaftliche Abhängigkeit Europas von ihm aus“, so Aridzanjan. Europa bestrafe derzeit Russlands Präsident Putin „zu Recht für seinen blutigen Überfall und die Kriegsverbrechen am ukrainischen Volk“. Ilham Alijew bekomme derweil „von der EU Geld, Lob und eine Behandlung mit Samthandschuhen“. Dies offenbare eine „ekelhafte Doppelmoral“.
Einen möglichen Grund für die ungewohnt zurückhaltende Position der Deutschen wittert die Journalistin auch in der Schutzmachtstellung Russlands für Armenien.
Die Russische Föderation als Stabilitätsanker
Nach dem Bruch mit Russland infolge der Militäroperation in der Ukraine ist die EU auf der Suche nach möglichen Gaslieferanten, die russische Lieferungen ersetzen könnten. Aserbaidschan verfügt über umfangreiche Vorkommen und ist über die TAP- und TANAP-Pipeline an Europa angebunden.
Allerdings wäre, um die EU mit Gas versorgen zu können, ein Ausbau der Anlage erforderlich – und die Türkei hat einer bilateralen Vereinbarung mit Baku zufolge ein Erstzugriffsrecht.
In der Zwischenzeit ist es Russland gelungen, eine Waffenruhe zu vermitteln, deren Dauer erfahrungsgemäß ungewiss ist. Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik macht gegenüber „t-online“ deutlich, dass Russland ein wesentlicher stabilisierender Faktor in der Region sei. Immer noch stehen Teile von Bergkarabach unter armenischer Kontrolle. Meister ist sich sicher: „Ohne russische Präsenz würde Aserbaidschan die umstrittene Region erobern.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.
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