„Geschockt über kriminelle Energie“: Sebastian Kurz sieht sich durch gefälschte E-Mail diffamiert

Die IT-forensische Untersuchung des Screenshots einer E-Mail, die belegen soll, dass Österreichs Ex-Kanzler Kurz und dessen Kanzleramtsminister Blümel bereits im Februar 2018 um das „Ibiza-Video“ gewusst hätten, ergab deutliche Indizien für eine Fälschung. Unterdessen könnten die Ermittlungen des BKA zu dem Video noch in diesem Jahr abgeschlossen sein.
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Der Bundesparteichef und Kanzlerkandidat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Sebastian Kurz, soll schon früher von der Existenz des „Ibiza-Videos“ gewusst haben.Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images
Von 18. Juni 2019

Der Bundesparteichef und Kanzlerkandidat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Sebastian Kurz, hat am Montag (18.6.) in einer Pressekonferenz E-Mails als „Fälschung“ bezeichnet, die belegen sollen, dass er und der damalige Kanzleramtsminister Gernot Blümel bereits im Februar 2018 Kenntnis über das so genannte „Ibiza-Video“ gehabt hätten.

Das ohne Zustimmung der Betroffenen aufgenommene und kurz vor der EU-Wahl veröffentlichte Video von Ex-FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem mittlerweile aus der Partei ausgetretenen Ex-Klubchef Johann Gudenus hatte zu einem vorzeitigen Ende der türkis-blauen Regierungskoalition in Österreich geführt.

Mailadresse seit 2009 nicht mehr zum Versenden eingerichtet

Wie der „Kurier“ berichtet, hat ein nicht genanntes Medium die ÖVP am Freitag (14.6.) mit Screenshots von angeblichen E-Mails konfrontiert, deren Inhalt den bisherigen Aussagen des Ex-Kanzlers widersprochen hätten, erst im Mai 2019, dem Monat ihrer Veröffentlichung, von der Existenz des „Ibiza-Videos“ Kenntnis erlangt zu haben.

Allerdings wies die angebliche E-Mail von Beginn an einige Eigentümlichkeiten auf, die ihren Beweiswert hinsichtlich der Behauptung schmälerte, Kurz und Blümel wären bereits mehr als ein Jahr vor Veröffentlichung über das im Juli 2017 aufgenommene Video im Bilde gewesen.

Aus der ÖVP hieß es nun, man habe sowohl hauseigene Techniker als auch Forensiker des externen Dienstleisters Deloitte mit der Untersuchung beauftragt. Diese habe über das Wochenende stattgefunden und fünf eindeutige Belege für eine Fälschung zutage gefördert.

Dies beginne bereits damit, dass eine der E-Mail-Adressen bereits seit 2009 nicht mehr zum aktiven Versenden von E-Mails eingerichtet sei, außerdem sei ein Datum in der angeblichen Mail einem falschen Wochentag zugeordnet worden. Ebenso deute das falsche Format einer E-Mail-Adresse mit Doppelpunkt statt einfachem Punkt auf dem Screenshot darauf hin, dass Fälscher am Werk waren.

Gegenüber „Futurezone“ erklärte der IT-Forensiker Martin Schmiedecker, die Mail selbst sei „im Vergleich zu den Serverinformationen wenig wert“. Man könne eine E-Mail ebenso modifizieren wie einen Screenshot, allerdings sei der Mailserver der wesentliche Faktor, um die Authentizität einer E-Mail zu untermauern. Tauche die fragliche E-Mail am Server nicht auf, sei sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht.

Nachträglich Inhalte in echte E-Mail eingefügt?

Unregelmäßigkeiten habe es auch beim so genannten Thread-Index des vorgelegten Materials gegeben, der zwei unterschiedliche Nachrichten bezeichnet habe, sowie im Bereich des Sender Policy Frameworks (SPF), über das Domaininhaber Zugriffsrechte festlegen können, analysiert Schmiedecker die Ergebnisse der Deloitte-Überprüfung. In der angeblichen Mail wurde die Pazifische Zeitzone der USA verwendet, zudem sei die zugehörige IP-Adresse (92.51.182.1) nicht, wie der Screenshot zu suggerieren versuche, auf die Wiener ÖVP registriert, sondern auf hosteurope.de.

„Mein Bauchgefühl ist, dass jemand ein echtes E-Mail hergenommen und einige Sachen eingefügt hat“, erklärte der IT-Fachmann gegenüber dem Portal. Anschließend dürfte das modifizierte Mail als Anhang weitergeleitet worden sein, um den Anschein zu erwecken, echt zu sein. Die Fälschung sei zwar erkennbar, aber „nicht laienhaft“.

Die ÖVP spricht im Zusammenhang mit den E-Mails von einem „Fälschungsskandal“. Kurz wittert einen „Versuch, uns massiv zu diffamieren und die ÖVP in die Ibiza-Enthüllungen hineinzuziehen“, und erklärte, „schockiert“ zu sein über die „kriminelle Energie“, die hinter dieser Aktion stecke. Man werde der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung dazu übermitteln. Er appellierte zudem an die Bevölkerung, „allen Informationen, insbesondere auf Social Media, kritisch gegenüberzustehen“. Dies werde „in den nächsten Monaten und Jahren immer wichtiger“.

FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker bezeichnete es als „etwas seltsam“, dass die ÖVP eine Pressekonferenz abhalte, um „etwas zu dementieren, das noch niemand gesehen hat“. Er sprach von einer „Flucht nach vorne“ und sprach davon, dass es bereits im Vorfeld der Veröffentlichung des Ibiza-Videos Äußerungen aus ÖVP-Kreisen gegeben habe, wonach es „den Strache eh nimmer lang geben“ werde. Hafenecker wiederholte seiner Forderung nach einer „lückenlosen Aufklärung“ der Hintermänner des Ibiza-Videos.

„Soko Ibiza“ ermittelt auf Hochtouren

Was diese anbelangt, schreibt das Nachrichtenblog „EU-Infothek“, die Aufklärung von „Ibiza-Gate“ werde schon deutlich früher abgeschlossen sein als im Jahr 2020, das Medien zuvor als voraussichtlichen zeitlichen Endpunkt der Ermittlungen bezeichnet hatten.

Die im Wiener BKA eingerichtete „Soko Ibiza“ arbeitet „professionell und zügig an der Aufklärung“, schreibt das Blog unter Berufung auf eigene Recherchen. Die Aktivitäten von Staatsanwaltschaft und BKA seien „so geheim, dass Beschuldigte nicht einmal erfahren, welche/r Staatsanwalt/anwältin für die Ermittlungen zuständig ist“. Bis dato sei nicht einmal Akteneinsicht aufseiten der Beschuldigten und ihrer Anwälte möglich.

Der Aufklärungsbedarf sei nach wie vor groß. Unter anderem sei zu klären, ob der tatverdächtige Anwalt Ramin Mirfakhrai das angebliche Video, dessen Produktion 600 000 Euro gekostet habe, selbst finanziert hat, welche Rolle die Medien spielten, die es veröffentlicht hatten, wer zu welchem Zeitpunkt Kenntnis davon hatte, wer den Fragenkatalog für die Politiker ausgearbeitet hatte, welche Substanzen man ihnen zugeführt hatte und woher der mutmaßlich involvierte Detektiv Julian Hessenthaler Bargeld bezog. Immerhin hatten Kreditschutzverbände seinem Büro eine äußerst prekäre Bonität attestiert.



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