Griechischer Regierungschef: EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei ist tot

"Lassen Sie uns nun ehrlich sein, die Vereinbarung ist tot", sagte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
Titelbild
Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.Foto: STR/AFP via Getty Images
Epoch Times7. März 2020

Für den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis ist der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei hinfällig. „Lassen Sie uns nun ehrlich sein, die Vereinbarung ist tot“, sagte Mitsotakis am Freitag dem US-Nachrichtensender CNN. Schuld sei Ankara, das entschieden habe, „komplett gegen die Vereinbarung zu verstoßen“. Die Türkei habe Flüchtlinge zu Lande und zu Wasser „aktiv“ bei ihren Bemühungen unterstützt, nach Griechenland zu gelangen.

Auch wenn in der Türkei fast vier Millionen Flüchtlinge lebten, werde sich Europa nicht von der Türkei erpressen lassen, bekräftigte Mitsotakis. „Wir haben jedes Recht, unsere souveränen Grenzen zu schützen.“ Die griechischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben seit der Öffnung der türkischen Grenze knapp 39.000 Menschen daran gehindert, die griechische Grenze zu passieren. Ankara spricht von drei Mal höheren Zahlen.

Grünen-Chefin fordert neues Abkommen

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei als „gescheitert“ bezeichnet und eine neue, bessere Vereinbarung gefordert. „Statt dieses gescheiterten Deals brauchen wir ein neues, rechtsstaatlich garantiertes Abkommen, das aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, dafür sorgt, dass Menschen gut versorgt sind und die 27 EU-Staaten nicht wie Dominosteine umfallen, wenn Erdogan einmal pustet“, sagte Baerbock der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Samstagsausgabe).

Das Abkommen mit Ankara sei nicht erst in den vergangenen Tagen, sondern in den „furchtbaren Lagern von Lesbos“ gescheitert, sagte Baerbock mit Blick auf die überfüllten Flüchtlingsunterkünfte auf der griechischen Ägäis-Insel. Europäische Souveränität zeige sich darin, dass die EU weitere verbindliche finanzielle Zusagen mache für die Unterstützung der mehr als vier Millionen Flüchtlinge in der Türkei. Diese bräuchten Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und zum Arbeitsmarkt.

„Zu einer funktionierenden Vereinbarung gehört auch die verlässliche Zusage für die Umsiedlung von besonders schutzbedürftigen Menschen aus der Türkei nach Europa – gerade im Lichte der zugespitzten Situation in der Region Idlib“, sagte Baerbock mit Blick auf die umkämpfte Provinz im Nordwesten Syriens. Die Türkei müsse aufhören, Menschen als Verhandlungsmasse zu missbrauchen und die Rechte von Schutzbedürftigen wahren.

Die EU und die Türkei hatten im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen geschlossen, nachdem 2015 hunderttausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach Mitteleuropa gekommen waren. Ankara verpflichtete sich, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach der Türkei Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.

EU-Kommission will Finanzhilfen für Türkei kürzen

Nach Ansicht der Brüsseler EU-Kommission müssen die Hilfszahlungen für Flüchtlinge in der Türkei künftig deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. „Wir erwarten, dass die erpresserische Politik Ankaras durch die Entsendung von Flüchtlingen in Richtung EU eingestellt wird“, sagte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn der „Welt“ (Samstagausgabe). Dann wäre die EU prinzipiell auch künftig bereit, weitere Finanzhilfen zur Unterstützung von Flüchtlingen bereitzustellen.

„Wie auch schon heute wird aber das Geld ausschließlich zweckgebunden und größtenteils via Hilfsorganisationen ausgezahlt. Und die Summen für die künftigen Flüchtlingshilfen in der Türkei werden deutlich geringer sein als in den vergangenen vier Jahren – viele Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser für Flüchtlinge wurden bereits gebaut und müssen nicht noch einmal finanziert werden.“ Der Bedarf sei also kleiner geworden, so Hahn.

Außerdem sei die EU zu einer „balancierten Finanzierung“ verpflichtet, die auch Länder wie den Libanon und Jordanien „ausreichend“ berücksichtige. „Beide Länder nehmen im Vergleich zur Bevölkerungszahl deutlich mehr Flüchtlinge auf als die Türkei.“

Viel wichtiger als Finanzhilfen aus der EU sei für die Türkei ohnehin „eine stabile Wirtschaft, etwa durch eine modernisierte Zollunion, um die ich mich immer bemüht habe, und sichere Investitionsbedingungen, oder durch einen blühenden Tourismus“.

Hahn sagte weiter, die EU sei grundsätzlich bereit, den Wiederaufbau in Idlib und generell in Syrien finanziell zu unterstützen, „sofern es eine politische Lösung gibt“. Die EU hatte der Türkei im Rahmen des Flüchtlingsabkommens vom März 2016 sechs Milliarden Euro zugesagt, berichtet die Zeitung. Laut EU-Kommission sind bislang 4,7 Milliarden Euro vertraglich vergeben und davon rund 3,2 Milliarden ausbezahlt. Erdogan dringt jedoch auf weiteres Geld.

Grenzöffnung nach Eskalation

Vergangene Woche hatte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nach der Eskalation der Lage in der nordsyrischen Provinz Idlib die Grenzen zur EU geöffnet. Wie eine Sprecherin der Bundesregierung am Freitagabend mitteilte, telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Nachmittag mit Erdogan. Dabei sei es auch um die Lage an der türkisch-griechischen Grenze gegangen.

Zudem hätten die beiden sich über die Ergebnisse des Treffens zwischen Erdogan und Russlands Staatschef Wladimir Putin in Moskau ausgetauscht und darüber gesprochen, „wie den Menschen in Idlib schnellstmöglich geholfen werden kann“, sagte die Sprecherin in Berlin. Putin, der den syrischen Machthaber Baschar al-Assad auch militärisch unterstützt, hatte sich mit Erdogan, der wiederum islamistische Milizen in Syrien im Kampf gegen Assad unterstützt, auf eine Feuerpause in Idlib geeinigt. (afp/dts)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion