Italien: Wie die Mafia als größter Nutznießer aus der Corona-Krise hervorgehen wird

Von einer bewaffneten bäuerlichen Selbsthilfeorganisation ist Italiens Mafia zu einem globalen Wirtschaftskonzern der organisierten Kriminalität geworden. Für die Bosse ist die Corona-Krise ein weiterer Glücksfall – auch infolge schwerfälliger Bürokratie.
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Die italienische Mafia wird sich ihren Teil am Kuchen zu sichern, wenn der italienische Staat die Hilfsmittel aus Fonds bereitstellt, die teils aus nationalen Quellen, teils aus der EU kommen.Foto: istock
Von 10. Juli 2020

Zu den Gewinnern der Corona-Krise in Italien gehören offenbar die führenden Mafia-Organisationen des Landes.

Was Beobachter bereits zu Beginn der Krise befürchtet hatten, ist eingetreten: Nicht nur haben ihr breites Portfolio und die soziale Kontrolle, wie die Vereinigungen ‘Ndrangheta in Kalabrien oder die Camorra in Kampanien in ihren Hochburgen es auszuüben verstehen, ihnen geholfen, aus der Krise selbst zu profitieren. Auch der Wiederaufbau wird den Clans Erträge sichern und ihre Dominanz über weite Teile Süditaliens festigen.

In breites Portfolio investiert

Die Clans sind gut organisiert, verfügen über Generationen an Erfahrung und haben es in dieser Zeit von ländlich und kleinstädtisch geprägten Syndikaten mit Landsknechtmentalität zu global operierenden Mischkonzernen gebracht. Sie üben in ihren Stammgebieten eine faktische Hegemonie aus, deren Regeln bislang weder die Justiz noch private Investoren aus dem Ausland noch die EU im Rahmen ihrer „Konvergenzförderung“ aushebeln konnten.

Dabei sind die Familien stets sehr strategisch vorgegangen. Nachdem bereits die Cholera 1884 in Neapel zur Folge hatte, dass die Clans von den Mitteln für den Wiederaufbau profitierten, hatten sie in den vergangenen Jahrzehnten ihr Netz an legalen Unternehmen – die freilich in weiterer Folge der Geldwäsche dienen sollten – über mehrere Bereiche verteilt.

Die Investitionen gingen unter anderem in das Bestattungswesen, aber auch der Transport, die Abfallverwertung, Logistik für Öl und Lebensmittel oder Reinigung und Desinfektionen werden in bestimmten Gebieten von der „Familie“ kontrolliert. Und diese hat ihre Macht in der Corona-Krise in nicht zu knappem Ausmaß auch zum eigenen Vorteil genutzt – etwa indem Begräbnisarrangements für Menschen, die in den ebenfalls regional von den Syndikaten beherrschten Krankenanstalten starben, bereits getroffen wurden, bevor die Angehörigen überhaupt dazu kamen, sie zu bestellen.

Kredite von „Freunden“

Auch das bürokratische Gesundheitssystem, das allerdings dezentral verwaltet wird, wurde zunehmend zur Cash Cow für Mafia-Kader. Die „Financial Times“ hat sich jüngst in einer umfangreichen Analyse der Problematik gewidmet.

„Die italienische Mafia kann Bedrohungen in Chancen verwandeln“, vertraute bereits zu Beginn der Krise Giuseppe Governale, Leiter der Anti-Mafia-Behörde (DIA), der „Wiener Zeitung“ an. Und tatsächlich hat der Umstand, dass die Krise bis zu 65 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen des Landes in eine existenzielle Krise gestürzt hat, den Syndikaten einen Startvorteil verschafft.

Viele Unternehmen haben in dieser Situation nicht auf die Handlungsfähigkeit des Staates vertraut, sondern vorschnell Kreditangebote von „Freunden“ angenommen, die sich wenig später als Wucherkredite der „Familie“ herausstellten. Während, wie „MSN News“ berichtet, die Kriminalität in allen Bereichen während des Lockdowns um etwa 60 Prozent gesunken ist, stieg die Zahl der Fälle von Darlehenswucher um ein Vielfaches.

Corona-bedingte Entlassungen verhalfen auch Mafiosi zur Freiheit

Zudem seien Corona-bedingt Ermittlungen gegen mutmaßliche Mafia-Gangster zum Stillstand gekommen und einige Handlanger sogar vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden, weil man die Ausbreitungsgefahr der Pandemie durch Entlastung überfüllter Haftanstalten vermindern wollte.

Governale geht davon aus, dass die Syndikate auch auf die Zeit des Wiederaufbaus bereits gut vorbereitet sind. Es werde „eine Menge Geld im Umlauf sein“, mutmaßt der Ermittler, und nicht zuletzt durch Neugründungen und Scheinfirmen werden die Clans versuchen, sich ihren Teil am Kuchen zu sichern, wenn der italienische Staat die Hilfsmittel aus Fonds bereitstellt, die teils aus nationalen Quellen, teils aus der EU kommen.

Um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen, wären die Clans, so mutmaßen Sicherheitsdienste, sogar in der Lage, im Süden Italiens Unruhen anzuzetteln.

Durch den Wucher gelingt es den Banden, weitere Wirtschaftszweige zu unterwandern. Im Regelfall wird säumigen Kunden oder sogar deren Familien Gewalt angedroht, was viele dazu veranlasst, ihre Betriebe gleich an die Clans zu verkaufen – zu dem von ihnen diktierten Preis.

Die „Empfehlungen“ erhalten die potenziellen Käufer aus ihrem inoffiziellen Netz an Bankangestellten, Treuhändern, Anwälten oder Steuerberatern. Bargeld ist in den Reihen des organisierten Verbrechens zur Genüge vorhanden. Das der Mafia zuzuordnende Kreditvolumen in Italien wird von Experten auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt.

Italien bezahlte 101 verurteilten Mafiosi Grundsicherung

Der Staat hat zwar Hilfspakete im Umfang von insgesamt 80 Milliarden Euro für notleidende Unternehmen beschlossen. Der Umstand, dass vier Millionen Italiener immer noch auf zugesagte Direkthilfen und Kurzarbeitergeld warten, wirkt für die privaten „Kreditvermittler“ wie eine Konjunkturspritze.

Während die Syndikate von der Bürokratie in den Ämtern und den dadurch bedingten Verzögerungen bei der Auszahlung von Hilfsleistungen profitieren, besaßen Medienberichten zufolge in einigen Fällen Mafia-Kader die Chuzpe, Leistungen des 2019 eingeführten Grundeinkommens zu beantragen.

Erst vor wenigen Tagen hatte die italienische Finanzpolizei aufgedeckt, dass mehr als 101 verurteilte Mafiosi, zum Teil solche, bei den mit der Verhaftung Luxusjachten und Villen beschlagnahmt wurden, die Transferleistung bezogen.

Zwar sind wegen der Dringlichkeit der Überweisung von Leistungen dieser Art die Kontrollvorgaben an die Ämter zumindest anfänglich nicht allzu streng. Allerdings hätte ein Blick ins Strafregister ausgereicht, um den Irrtum zu bemerken.

Einsames Leben für Mafia-Gegner

Für Staatsanwälte wie Nicola Gratteri, die versuchen, Mafiastrukturen aufzudecken und zu zerschlagen, oder für Geschäftsleute wie Bauunternehmer Gaetano Saffioti, die sich ungeschriebenen Gesetzen der „Familie“ verweigerten, wird das Leben hingegen schwer und einsam.

Während Gratteri unter permanenter Bewachung steht, mit Panzerfaust-sicheren Wagen fahren muss und kaum Möglichkeiten findet, sich frei in der Öffentlichkeit zu bewegen, hat Saffioti, seit er sich als einziger Fachmann aus der Region bereit erklärt hatte, einen illegal errichteten Bau eines der Bosse abzureißen, keine einzige öffentliche Ausschreibung mehr für sich gewonnen.

Ihm blieb nur, sein Geschäft ins Ausland zu verlagern – und selbst dort machte er Bekanntschaft mit zerstochenen Reifen, gesprengten Maschinen und brennenden Lagerhallen. Der lange Arm der `Ndrangheta reicht weit über die Grenzen hinaus.



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