Libanon steht am Abgrund – Ein Land braucht Hilfe und blickt gen Osten

Der Libanon kämpft seit Jahren mit einer wirtschaftlichen Katastrophe und wurde nun von den Spannungen zwischen den USA und China eingeholt. Die verheerenden Explosionen am Dienstag offenbaren, wie tief das Land gesunken ist.
Titelbild
Zerstörung in Beirut.Foto: Marwan Tahtah/Getty Images
Von 6. August 2020

Die Explosionen in Beirut reißen den Libanon noch weiter in den Abgrund. Das Land erträgt seit Jahrzehnten eine Krise nach der anderen, welche unlösbar erscheinen. Bis zum Bürgerkrieg in den 1970er Jahren war das Land wirtschaftlich stabil und politisch unabhängig. Der Syrienkonflikt wirkte sich allerdings negativ auf die Sicherheitslage des westlich orientierten und christlich geführten Landes im Nahen Osten aus. Die ehemalige „Schweiz des Orients“, wie Libanon in den 1960er Jahren genannt wurde, blickt nun nach Osten und will finanzielle Hilfe von China.

Von Krisen und Kriegen geplagt

Zwischen 1975 und 1990 wütete im Libanon ein blutiger Bürgerkrieg, der unter religiösen Aspekten geführt wurde. Dann wurden Teile des Landes von Syrien und Israel besetzt. 2005 haben zwar alle ausländischen Truppen das Land verlassen, aber auch zahlreiche Einwohner suchten in Europa das Weite.

Noch bevor die Corona-Pandemie Libanon erreichte, befand es sich schon in einer ernsten Wirtschaftskrise. Dazu kommt ein durchweg korruptes politisches System, das allgemein für „inkompetent“ befunden wird, schreibt „The Guardian“.

Fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes lebt unterhalb der Armutsgrenze. 35 Prozent der Erwerbstätigen sind laut offiziellen Statistiken arbeitslos. Angesichts dieser schweren Wirtschaftskrise hat die Regierung in Beirut Finanzhilfen in Milliardenhöhe beim Internationalen Währungsfonds (IWF) im Mai beantragt.

Damals sprach man von einem „historischen Tag“ für Libanon – der Antrag ist seitdem ins Stocken geraten. Auch siebzehn Gesprächsrunden zwischen der Regierung und dem IWF seit Mitte Mai brachten keine Fortschritte. Als Ausweichlösung wird ein Notverkauf von Staatsvermögen diskutiert.

Libanon blickt gen Osten und hofft auf Investitionen aus China

In dieser aussichtslosen Situation sucht der Libanon aktiv nach Hilfe und blickt gen Osten. Die Hoffnung liegt nun in Investitionen aus China. Doch die Hilfe Pekings birgt die Gefahr, dass sich der Libanon von den Vereinigten Staaten weiter entfremdet.

Beide Länder pflegen eine enge Beziehung. Die USA wollen, dass Libanon seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität beibehält. Die Vereinigten Staaten glauben, dass ein friedlicher und stabiler Libanon einen wichtigen Beitrag zu einem umfassenden Frieden im Nahen Osten leisten kann. Daher ist die Frage, woher letztendlich die Hilfe kommt, geopolitisch gesehen entscheidend. „Jetzt wird er [Libanon] zu einem Brennpunkt der eskalierenden Spannungen zwischen China und dem Westen“, schreibt „The Diplomat“.

Die Regierung von Premierminister Hassan Diab wird von der Hisbollah und ihren Verbündeten unterstützt – diese selbsternannte „Partei Gottes“ ist mit dem Ansatz, vom atheistischen und kommunistischen Regime in China Hilfe zu bekommen, mehr als einverstanden.

Die Terrormiliz Hisbollah terrorisiert Israel seit Jahrzehnten mit Raketen und Anschlägen und wird von Iran unterstützt. Im Libanon ist sie sogar als politische Partei anerkannt und spielt eine große Rolle in der Regierung.

Hassan Nasrallah, der Chef der Hisbollah, erklärte kürzlich in einer Fernsehansprache, dass der Libanon in der gegenwärtigen Krisenzeit „nach Osten“ auf China blicken müsse. Die Absicht war deutlich: Der Libanon solle sich nicht an den IWF wenden.

„Unsere Annäherung an China ist sehr ernst, aber wir kehren dem Westen nicht den Rücken zu“, sagte ein libanesischer Beamter gegenüber „AP“, der um Anonymität bat. „Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation und wir heißen jeden willkommen, der uns helfen will“, fügte er hinzu.

Chinesisches Regime würde auch aus Beziehung mit Libanon profitieren

Nach Information von „The Diplomat“ habe Peking angeboten, Kraftwerke und einen Tunnel durch die Berge zu bauen, um die Reise zwischen Beirut und dem östlichen Bekaa-Tal zu verkürzen. Eine Eisenbahn entlang der libanesischen Küste war ebenfalls im Gespräch.

Anfang Juli empfing Premierminister Diab den chinesischen Botschafter im Libanon, Wang Kejian. Gleichzeitig wurde der libanesische Industrieminister gebeten, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu prüfen. Wang Kejian lehnte Anfragen der Medien zu einem Kommentar ab.

Das chinesische Regime kann von Beziehungen zum Libanon ebenso profitieren. Es ermöglicht den Weg zum benachbarten Syrien, wo China ebenfalls Geschäfte wittert. Auch der libanesische Nordhafen Tripolis könnte in die Pläne des Regimes passen und sein Megaprojekt „One Belt, One Road“, auch „Neue Seidenstraße“ genannt, erweitern. Der Hafenausbau würde die Handelsroute von Ostasien nach Europa erleichtern.

Allerdings wären mit dieser Annäherung die Vereinigten Staaten unzufrieden und dies könnte die Beziehung Beiruts zu Washington beeinträchtigen. Die US-Regierung betrachtet die Hisbollah als Terrororganisation und hat Sanktionen gegen die schiitische Bewegung verhängt.

US-Sanktionen gegen Hisbollah erschweren Hilfeleistung in Libanon

Die Hisbollah schüre die Krise und sei eine informelle „finanzielle Belagerung“ des Libanon, so die Regierung in Beirut.

„Wir wissen sehr wohl, dass es eine große Entscheidung ist, das Land zu belagern. Sie verhindern jegliche Hilfe für den Libanon“, sagte Premierminister Hassan Diab bei einer Regierungssitzung am 2. Juli.

Diab sagte, ohne ein Land zu nennen, dass „sie Transfers in das Land verhindern und Kreditlinien für die Einfuhr von Treibstoff, Diesel, Medikamenten und Mehl blockieren, um den Strom abzuschalten, die Libanesen auszuhungern und sie ohne Medikamente sterben zu lassen“.

„Der Versuch, die US-Sanktionen für die Wirtschaftskrise im Libanon verantwortlich zu machen, ist fehlgeleitet und falsch“, antwortete die Sprecherin des US-Außenministeriums, Morgan Ortagus, auf die Vorwürfe.

Annäherung an China könnte die Beziehungen zu den USA beeinträchtigen

„Wir verstehen, dass der Libanon dringend eine Finanzspritze braucht. Sie brauchen Investoren“, sagte die US-Botschafterin im Libanon, Dorothy Shea, gegenüber dem saudischen Fernsehsender Al-Hadath. Allerdings stehen „die Investoren nicht vor der Tür Schlange“. Shea wertet die Idee ab, dass der Libanon in China Hilfe suchen sollte. Manche betrachten dies „als ob das die Antwort auf alle wirtschaftlichen Probleme des Libanon wäre“. 

Shea warnt davor, dass chinesische Investitionen „auf Kosten des Wohlstands, der Stabilität oder der finanziellen Lebensfähigkeit des Landes oder natürlich auf Kosten der langjährigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gehen könnten“.

Fraglich ist allerdings, ob das Regime nach den verheerenden Explosionen in Beirut und den neuen Entwicklungen um die Hisbollah noch investieren möchte. Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, sagte am Mittwoch (5. August) bei einer Pressekonferenz, dass China zutiefst schockiert und traurig über die massive Explosion im Libanon sei, die große Opfer gefordert hat.

China sei bereit, Hilfe zu leisten, „um dem Libanon dabei zu helfen, mit dem Vorfall angemessen umzugehen und eine nationale Entwicklung nach besten Kräften zu erreichen.“



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