Migrationskrise an der EU-Außengrenze: „Auch die Bevölkerung wird angegriffen“
Kürzlich gelangte eine Gruppe von 180 Personen aus Serbien in den Schengen-Raum, und zwar in der Grenzregion um Ásotthalom in Ungarn. Dabei durchbrachen sie den Grenzzaun, den Ungarn errichtet hatte. Die Polizei griff ein, um die Menschen zu stoppen.
Der Vorfall deutet darauf hin, dass mit dem Herannahen des Herbstes „eine große Zahl aggressiver Gruppen unter der Führung von Menschenschmugglern aufgetaucht ist, die verzweifelt versuchen, in die Europäische Union einzureisen“. Sie wollen das noch vor Beginn der kalten Jahreszeit schaffen, wie der Chefberater von Viktor Orbán für innere Sicherheit, György Bakondi, in einem Interview mit dem ungarischen Staatsfernsehen erklärte.
Das Entscheidende an der Eskalation besteht darin, dass die Gewalt auf bewohnte Gebiete in Serbien übergegriffen hat. Zuvor hatten die Migrantengruppen nur an der Grenze Probleme verursacht. Laut Bakondi hat sich die operative Lage in den letzten Monaten allerdings erheblich verschlechtert:
Das Dasein krimineller Banden auf serbischem Territorium ist zur Regel geworden.“
Nach Ansicht der ungarischen Polizei verdient die Situation besondere Aufmerksamkeit, zumal verzweifelte Anwohner bereits eigenständige Maßnahmen ergreifen, um sich zu schützen. Der ungarische Chefberater ist gleichzeitig in gewisser Weise optimistisch, denn die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 könnten einen Wandel in der Frage der illegalen Migration bringen.
„Es kann eine parlamentarische Mehrheit und eine Europäische Kommission geschaffen werden, die der illegalen Migration das Ansehen verschafft, das ihr aufgrund ihrer Gefährlichkeit und ihres Sicherheitsrisikos gebührt“, sagte Bakondi.
Anschlag auf ein Haus – mit Handgranaten
Migranten auf der Balkanroute wollen in der Regel von Serbien aus nach Ungarn einreisen. Eine beträchtliche Anzahl von ihnen versteckt sich in den Wäldern der Grenzdörfer, statt in Aufnahmezentren zu gehen. Sie warten dort mit dem Ziel, schließlich die Grenze mithilfe von Schmugglern zu überqueren. Einem Bericht des ungarischen Fernsehens zufolge fühlen sich die Bewohner der serbischen Grenzdörfer durch diese Gruppen ernsthaft bedroht.
Besonders kritisch ist die Situation in einem serbischen Dorf, welches von Ungarn bewohnt wird. „Hajdújárás ist voll von Migranten. Die Polizei hat Mühe, sie unter Kontrolle zu halten. Die Menschen in dem Dorf sind verängstigt. Und das aus gutem Grund“, heißt es in dem Bericht.
Ende August erhitzten sich die Gemüter weiter, als unbekannte Angreifer in diesem Dorf ein Haus mit Granaten bewarfen. Das Haus wurde von einem Mann bewohnt, der wiederholt ein Eingreifen der Behörden wegen der unzureichenden Unterbringung der Migranten gefordert hatte.
Analysten der ungarischen Polizei gehen daher davon aus, dass der Angriff auf das Haus höchstwahrscheinlich kein Zufall war. Die Einheimischen erzählten dem Fernsehteam, dass sie um ihre Häuser, ihre Autos und ihr Leben fürchten.
„Wir sind mit unserer Geduld am Ende. Wenn die Polizei nichts unternimmt, werden wir die Kontrolle übernehmen und notfalls die Autobahn oder die Bahnlinie sperren, um sie zu stoppen“, erklärten die verärgerten Anwohner auf einer Versammlung.
Schließlich begannen sie, die Wälder zu durchkämmten, um die Migranten zu verjagen, die gerade dort waren. „Sie nahmen alle Kissen, Zelte, Kabel, Kleidung, Lebensmittel und Messer mit, die sie fanden. Die Bewohner kamen schließlich überein, in Zukunft immer wieder ähnliche Aktionen zu organisieren, um für sich selbst und füreinander einzustehen“, berichtet „Hirado.hu“. „Hirado“ ist die wichtigste Nachrichtensendung von „MTVA“, der ungarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt.
Aus Angst verlassene Dörfer
Erschwerend wirkt sich aus, dass vielen Migranten auf ihrer Reise nach dem Westen das Geld ausgeht, sodass sie sich nicht nur für ein oder zwei Tage in Grenzdörfern verschanzen. Dies führt zu einer von Angst geprägten Lage in den betroffenen Gebieten.
„Es gibt Dörfer in Serbien, die bereits verlassen sind, weil die Einheimischen von den Migranten vertrieben wurden“, so Klaudia Tóth, Expertin am ungarischen Institut für Migrationsforschung, gegenüber dem Fernsehsender M1. Ferner fügte sie an, dass die illegalen Einwanderer in der Gegend mehrere Zeltlager errichtet haben, die jeweils einen „eigenen Staat im Staat“ darstellen.
Viele bleiben in Transitländern stecken. Sie können die Schlepper nur bezahlen, nachdem sie eine Einkommensquelle gefunden haben, um weiter nach Westeuropa zu gelangen.“
Das Problem in den Grenzgebieten besteht also darin, dass diese Migranten zwar „versuchen, Geld zu verdienen, aber dennoch eine Bedrohung für die Menschen in der Region darstellen“. Das bedeutet in erster Linie Schießereien innerhalb der Migrantengruppen und -banden.
Den lokalen Behörden sind durch rechtliche Regelungen in Serbien die Hände gebunden. Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten für den Einsatz des Militärs, und die begrenzten Polizeikapazitäten werden von der Bevölkerung als unzureichend angesehen.
Auf ungarischer Seite haben Rechtsreformen zum Einsatz des Militärs und einer speziellen Grenzschutzeinheit geführt. Darüber hinaus helfen ungarische Grenzschützer in Serbien aus, sowohl an der ungarisch-serbischen Grenze als auch an der südlichen Grenze Serbiens.
Ergebnisbilanz: 100.000 illegale Migranten, 750 Schleuser
Nach Angaben von László Balázs, dem Leiter der Grenzpolizei in Ungarn, hat die Zahl der Maßnahmen gegen illegale Migranten in diesem Jahr bereits 100.000 überschritten. Außerdem wurden Strafverfahren gegen 747 Menschenschmuggler eingeleitet. Wie viele nicht aufgegriffen wurden und illegal einen Grenzübertritt schafften, ist unbekannt.
Gewalt gegen Grenzschutzbeamte sei besonders ausgeprägt, so Balázs. In diesem Jahr wurden bisher sieben ungarische Polizeibeamte bei Angriffen verletzt, 113 Fahrzeuge wurden von illegalen Einwanderern beschädigt. Auch die Beschädigung von Zaunspfählen und Kameras ist keine Seltenheit. „Was für uns noch schmerzlicher ist, ist die Tatsache, dass unser Personal auch ständig mit Steinen, großen Holzstücken, Steinschleudern und all den Werkzeugen angegriffen wird“, sagte Balázs.
Aufgrund der ständigen Versuche der Migranten, sich Zugang zu verschaffen und den Zaun zu durchbrechen, müsse auch der Grenzzaun fortlaufend verbessert werden. Allein in diesem Jahr wurden dafür 260 Millionen Forint (676.000 Euro) ausgegeben.
Der ungarische Ministerpräsident hat stets eigene Vorstellungen von der Migrationskrise in der EU. Das war auch 2015 beim Bau des Grenzzauns der Fall, der von vielen kritisiert wurde. Es wiederholt sich immer wieder, wenn die ungarische Regierung ein Veto gegen einen Vorschlag der EU für verbindliche Quoten einlegte. Die aktuelle Debatte dreht sich um die ungarischen Einwände gegen den neuen Migrationspakt.
Gleichzeitig wurden in diesem Jahr 28 Prozent der Maßnahmen, die in der EU gegen Migranten ergriffen wurden, in Ungarn durchgeführt. Ungarn ist besonders betroffen. Von dort ziehen die Migranten in der Regel nach Österreich und Deutschland weiter.
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