Niederlande: Linksextreme Gewalt überschattet Parlamentswahlen – Mehrheitsbildung schwierig

In den Niederlanden haben die Parlamentswahlen begonnen. Nach dem Scheitern des Kabinetts Rutte wird eine schwierige Regierungsbildung erwartet. Die als ultrarechts eingeordnete PVV könnte die meisten Sitze erhalten.
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Werbung für Parlamentswahl in den Niederlanden 2023 am 21.11.2023Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 22. November 2023

Am Mittwoch, 22.11., haben die Wahllokale in den Niederlanden um 7.30 Uhr geöffnet. Vorgezogene Parlamentswahlen waren notwendig geworden, nachdem das Kabinett Rutte IV im Juli zerbrochen war. Anlass war ein Streit um die künftige Ausrichtung der Einwanderungspolitik.

Mark Rutte, der seit 2010 als Ministerpräsident amtiert hatte, steht für eine weitere Amtszeit nicht mehr zur Verfügung. Umfragen zufolge kann bei den Parlamentswahlen, bei denen in den Niederlanden keine Sperrklausel gilt, keine Partei mit mehr als 20 Prozent der Stimmen rechnen.

Entscheidend ist daher, ein Bündnis formen zu können, das zusammen über mindestens 76 der 150 zu vergebenden Sitze verfügt. Umfragen zufolge sind nach wie vor 63 Prozent der Wähler unentschlossen. Bereits in den Monaten zuvor hatte sich eine starke Fluktuation abgezeichnet. Einzelne Parteien erlebten einen steilen Aufstieg, dem wenig später jeweils ein deutlicher Einbruch folgte.

Linksextreme Gewalt zuletzt nicht auf Niederlande beschränkt

Der Wahlkampf in den Niederlanden war stark von einer zunehmenden politischen Polarisierung und Radikalisierung geprägt. Zwei Tage vor der Wahl wurde der Vorsitzende des rechtskonservativen „Forum für Demokratie“ (FvD), Thierry Baudet, mit einer leeren Bierflasche angegriffen. Baudet wurde nahe am Auge getroffen und musste sich zur Behandlung ins Krankenhaus begeben.

Der Tatverdächtige ist einem Bericht der „NL Times“ zufolge noch minderjährig. Vor dem Angriff hatte dieser nach einer Wahlveranstaltung in Groningen um ein gemeinsames Foto mit Baudet gebeten.

Im Gespräch mit der englischsprachigen Epoch Times erläutert Baudet, dass dies nicht der einzige Übergriff auf ihn gewesen sei. Wenige Wochen zuvor hatte ein offenbar linksextremer Angreifer an der Universität im belgischen Gent mit einem Schirm auf ihn eingeschlagen und dabei „Nein zum Faschismus“ gebrüllt.

In mehreren europäischen Ländern war es jüngst zu Angriffen gegen rechtsgerichtete Politiker gekommen. Im Oktober wurde AfD-Chef Tino Chrupalla Opfer einer offenbar mittels einer Spritze ausgeführten Attacke am Rande eines Infostandes. Vor wenigen Wochen schoss ein bisher nicht gefasster Täter dem spanischen Vox-Politiker Alejo Vidal-Quadras ins Gesicht.

Konsenskultur der Niederlande Anfang der 2000er erschüttert

Die zuvor als konsensorientiert geltende politische Kultur der Niederlande erlebte in den frühen 2000ern eine erste tiefgreifende Erschütterung. Im Jahr 2002 ermordete ein – wie es später hieß – „radikaler Tierschützer“ den in dieser Zeit erfolgreichen rechten Politiker Pim Fortuyn. Zwei Jahre später tötete ein militanter Dschihadist den islamfeindlichen Filmemacher Theo van Gogh.

Obwohl führende Politiker, darunter der scheidende Ministerpräsident Rutte, den Anschlag auf Baudet verurteilt haben, spricht dieser von der „Antifa“ als „Sturmtruppen des Establishments“. Die Regierenden und die Geheimdienste sprächen schnell von „Aufruhr“ und einer „Gefahr für die Demokratie“, wenn es zu Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen oder Düngemittelverbote käme.

„Tatsächlich kommt die Gewalt aber von links, und es sieht nicht danach aus, als ob das Establishment etwas dagegen tun wolle.“

Baudet sieht die Wurzel der linken Gewalt in der „Frankfurter Schule“. Deren Ideen von der „autoritären Persönlichkeit“ rückten das Festhalten an traditionellen Wertvorstellungen in die Nähe von Faschismus und Nationalsozialismus. Linksextreme steigerten sich in diese so sehr hinein, dass sie sich legitimiert fühlten, gegen vermeintliche „Faschisten“ zu allen Mitteln zu greifen.

Meinungsforscher zeigen sich vielfach überfordert

Politisch hatte Baudet zuletzt an seine Erfolge Ende der 2010er-Jahre nicht anknüpfen können. Damals hatte er deutliche Zuwächse bei Regional- und EU-Wahlen zu verbuchen. Sein „Forum für Demokratie“ (FvD) galt als moderate und realistische Alternative zur extremen und islamfeindlichen PVV von Geert Wilders.

Skandale um die Jugendorganisation und die Corona-Zeit hatten dieses Image untergraben. Vergleiche der COVID-Maßnahmen mit der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten brachten auch Wohlgesinnte gegen Baudet auf. Außerdem wurde der Ukrainekrieg zu einem Zankapfel zwischen prorussisch und prowestlich eingestellten Exponenten der Rechten. Es kam zu mehreren Abspaltungen. Umfragen zufolge kann das FvD nur noch mit vier Parlamentssitzen rechnen.

Ein Fragezeichen bleibt unter anderem das Abschneiden der FvD-Abspaltung „Juiste Antwoord 2021“ (JA21). Diese hat auf EU-Ebene den Platz der Baudet-Partei in der Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (ECR) eingenommen. Eine Peil-Umfrage, welche „Europe Elects“ zitiert, sieht die ECR mit 15 Sitzen auf Platz 4 in der Wählergunst. Eine andere Umfrage, die sich auf die gleiche Quelle bezieht, gibt ihr nur einen.

PVV profitiert von taktischen Wählern und zerstrittener Konkurrenz

Einig sind sich die Umfragen darin, dass die PVV mittlerweile als die aussichtsreichste Plattform der äußersten Rechten wahrgenommen wird. Dies ermöglicht ihr voraussichtlich Zuwächse an Stimmen und Sitzen auf Kosten anderer Rechtsparteien. Auch die im Frühjahr noch erfolgreiche Bürger- und Bauernbewegung (BBB) hat an Zuspruch eingebüßt. Neben innerparteilichen Konflikten dürften auch hier taktische Erwägungen eine Rolle spielen.

So hat die Spitzenkandidatin der Rutte-Partei VVD, Dilan Yesilgöz, ein Regierungsbündnis unter Beteiligung der PVV nicht ausgeschlossen. Geert Wilders hatte zuletzt in Fernsehdebatten angekündigt, seine extremen islamfeindlichen Positionen hintanzustellen, um eine Koalition für restriktive Asylpolitik mit Mitte-Rechts zu ermöglichen.

Parallel dazu hat sich das linksgrüne Lager hinter dem früheren EU-Kommissar Frans Timmermans in der Hoffnung vereint, einen Rechtsruck in der Regierung verhindern zu können. Der große Unbekannte bleibt der frühere Christdemokrat Pieter Omtzigt. Dessen neu gegründete Partei NSC wollte sich an Angela Merkel und am „rheinischen Kapitalismus“ orientieren. Anfänglich stieg sie stark in den Umfragen und hatte gute Aussichten, stärkste Kraft zu werden.

Bis zu 19 Parteien könnten ins Parlament einziehen

Mittlerweile hat die Partei für den „Neuen Gesellschaftsvertrag“ an Boden verloren – auch, weil Omzigt offen gelassen hatte, selbst in die Regierung gehen zu wollen. Derzeit können mehreren Umfragen zufolge das Linksbündnis von Timmermans, die VVD und die Wilders-Partei auf 26 bis 29 Sitze hoffen. NSC wird bei 19 bis 21 Sitzen gehandelt.

Insgesamt können nach derzeitigem Stand bis zu 19 Parteien damit rechnen, mindestens einen Sitz zu erobern. Das Spektrum reicht dabei von der ex-maoistischen „Sozialistischen Partei“ (SP) über die Pro-EU-Partei „Volt“ oder die protestantisch-fundamentalistische SGP bis hin zu den Migrantenparteien DENK und BIJ1.

Die ersten Prognosen auf Grundlage von Nachwahlbefragungen sind nach Schließung der Wahllokale um 21.00 Uhr zu erwarten.



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