Nord Stream: Spur führt zu Geheimdienst-Agent in Kiew — doch der winkt ab
Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee im September 2022 soll von einem ukrainischen Geheimdienstoffizier koordiniert worden sein. Doch der 48-jährige verdächtige Oberst namens Roman Chervinsky streitet offenbar jede Schuld ab: Es handele sich um „russische Propaganda“, habe sein Anwalt mitgeteilt. Der „Spiegel“ und die „Washington Post“ hatten als erste Medien am Wochenende darüber berichtet.
Demnach betrachteten „Sicherheitsbeamte“ in Deutschland und in anderen, namentlich nicht näher genannten Ländern, Chervinsky mittlerweile als den „mutmaßlichen Koordinator“ jener Sabotageaktion, bei der Ende September 2022 drei der vier Unter-Wasser-Gasröhren gesprengt worden waren. Das Attentat hatte für die ohnehin geschwächte deutsche Energieversorgung noch weniger Optionen bedeutet.
Tatverdächtiger wegen anderer Dinge in U-Haft
Der Name Chervinsky sei bislang „nicht an die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei weitergegeben“ worden, erklärte der „Spiegel“ (Bezahlschranke). Nach Angaben von „n-tv“ hätten diese Anlaufstellen „inzwischen zahlreiche Spuren zusammengetragen, die in die Ukraine führen“. Anderen Behörden sei der Name Chervinsky „Quellen zufolge“ durchaus bekannt, wie der „Spiegel“ betont.
Nach Angaben des Nachrichtenmagazins sitzt der Ex-Geheimdienstler Chervinsky bereits seit April 2023 wegen einer anderen Sache in Kiew in Untersuchungshaft. Dabei gehe es um einen tödlichen Fehlschlag bei der Anwerbung eines „russischen Kampfpiloten“: Chervinsky habe dem Gegner auf eigene Faust die exakten Zielkoordinaten eines Landeplatzes genannt, auf dem der Russe hätte landen sollen, um den ukrainischen Streitkräften seine Dienste und seinen Jet zur Verfügung zu stellen. Am Ende aber hätten russische Truppen den Ort angegriffen. Dabei seien „zwei Sicherheitskräfte und ein Soldat ums Leben“ gekommen, so der „Spiegel“. Nach Angaben des ZDF soll sich der Fall im Juli 2022 in der Region Kirowograd ereignet haben. Im Fall einer Verurteilung wegen Überschreitung seiner „Befugnisse“ drohten Chervinsky „bis zu zwölf Jahre Gefängnis“.
Langjähriger Agent – unzufrieden mit Kurs Kiews
Der frühere langjährige Geheimdienstmitarbeiter soll schon unter dem „prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch“ gedient haben – erst für den Inlandsgeheimdienst SBU, später beim Militärgeheimdienst GUR, so der „Spiegel“. 2020 habe eine gescheiterte „Operation zur Lockung von Wagner-Söldnern und mutmaßlichen Kriegsverbrechern“ unter der Regie von Chervinsky viel Staub in der Ukraine aufgewirbelt. Chervinsky habe damals verbal gegen „die politische Führung um Präsident Selenskyj“ ausgeteilt. In jedem Fall habe Chervinskys Karriere einen „Schlag“ erlitten.
Nach Kriegsbeginn im Februar 2022 soll der Offizier dann freiwillig zu einer Spezialkräfte-Einheit der Ukraine gewechselt sein. Dort sei er „für sensible Operationen hinter den feindlichen Linien“ zuständig und „in die militärischen Kommandostrukturen des Landes integriert“ gewesen, schreibt das Nachrichtenblatt. Es sei „schwer vorstellbar“, dass zumindest der „ukrainische Generalstab“ nicht „über die Aktion informiert gewesen“ sei, so die Einschätzung „deutscher Sicherheitskreise“.
Wer wusste was?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestreitet nach wie vor, dass die Ukraine irgendetwas mit dem Nord-Stream-Anschlag zu tun hat.
Womöglich war Selenskyj aber bloß nie von seinem Generalstabschef Valery Zaluzhny, dem ranghöchsten Militär der Ukraine, informiert worden. Denn nach Erkenntnissen des niederländischen Militärgeheimdiensts soll jene „Gruppe“, die angeblich die Sabotageaktion mithilfe einer gemieteten Segeljacht namens „Andromeda“ durchgeführt haben könnte, unter der Befehlsgewalt Zaluzhnys gestanden haben. Der „Spiegel“ hält es mittlerweile für „fast sicher“, dass tatsächlich eine „sechsköpfige Einheit, bestehend aus Tauchern und Sprengstoffspezialisten“, das Attentat im Rahmen „einer fast dreiwöchigen Operation“ vollbracht hatte.
Der niederländische Militärgeheimdienst habe von den Plänen mit der Segeljacht schon „Monate vor der Explosion“ gewusst und eine Warnung an den amerikanischen Geheimdienst CIA abgesetzt. Zaluzhny aber betone bis heute, dass die Ukraine „überhaupt nichts“ mit dem Attentat in der Ostsee zu tun habe.
Chervinsky polarisiert: Patriot und Regierungskritiker
Der „Spiegel“ sieht durchaus mögliche Tatmotive, die die Ukraine gehabt haben könnte. So habe „Kiew […] immer Einwände gegen die Nord Stream-Pipelines gehabt, weil sie billiges Gas aus Russland unter Umgehung der Ukraine direkt nach Deutschland strömen ließen“.
Die Person Chervinsky scheint in der Ukraine zu polarisieren: Seine Anhänger hielten ihn für einen „glühenden, unerschütterlichen und entschlossenen Patrioten“, wie der „Spiegel“ ausführt. Außerdem seien sie der Überzeugung, dass „mächtige Männer aus dem Umfeld des ukrainischen Präsidenten“ Chervinsky „aus dem Weg räumen“ wollten. Sein Anwalt glaube, dass das aktuelle Verfahren, weswegen sein Mandant in U-Haft sitzt, „politischer Natur“ sei. Verlassen könne man sich auf all diese Aussagen aber nicht:
In westlichen Sicherheitskreisen heißt es, dass der ukrainische Sicherheitsapparat von Rivalitäten und Machtkämpfen geplagt sei und dass Informationen aus dortigen Quellen mit Vorsicht zu genießen seien.“ („Spiegel“)
CDU-Geheimdienstexperte glaubt an russische „False Flag“
Roderich Kiesewetter (CDU), der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) für die deutschen Nachrichtendienste, äußerte sich laut ZDF skeptisch zu den aktuellen Informationen über Chervinskyi:
Nach wie vor gehen wir und der Generalbundesanwalt von der Möglichkeit einer russischen False-Flag-Operation aus, die die Ukraine diskreditieren soll.“
Kiesewetter vertritt nach ZDF-Angaben die Auffassung, Deutschland solle der Ukraine auch noch Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung stellen. Immerhin tue „die ukrainische Regierung […] alles, um mitzuhelfen bei der Aufklärung“ in Sachen Nord Stream.
Steckt wirklich die Ukraine dahinter?
Sollte sich tatsächlich beweisen lassen, dass ein ukrainisches Spezialteam unter Leitung eines ukrainischen Geheimdienstmitarbeiters, der unter dem Kommando des Generalstabschefs stand, hinter den schwersten Anschlägen auf die deutsche Energie-Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg steckt, müsste das diplomatische Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Ukraine wohl völlig neu überdacht werden – auch, was weitere Hilfen im Kampf gegen Russland betrifft.
Deutschland unterstützt die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nicht nur mit seiner immer wieder beschworenen unbedingten Solidarität, sondern auch mit Milliardenbeträgen für Waffen und Liquidität. Außerdem versorgt der deutsche Steuerzahler seit anderthalb Jahren rund eine Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge.
Kein Schutz trotz Geheimdienstwarnungen eingeleitet
Zudem müsste sich die Bundesregierung erneut die Frage gefallen lassen, warum sie nicht genügend zum Schutz der deutsch-russischen Pipelines unternommen hatte: Nach Angaben von „n-tv“ hatten der „niederländische Militärgeheimdienst und die CIA“ Berlin nämlich bereits Monate vor den Explosionen „vor einem ukrainischen Sabotage-Kommando und genau dem Szenario gewarnt“.
Nach Angaben des ZDF hatte ein anonymer Informant den Niederländern von einer von „Ukrainern“ geplanten Pipeline-Attacke „Mitte Juni 2022 während einer NATO-Übung auf der Ostsee“ erzählt. Diese Informationen seien an die CIA und von dort aus weiter an den deutschen Geheimdienst BND geleitet worden. Nachdem im Juni 2022 aber nichts geschehen sei, habe die Bundesregierung „die Warnungen als nicht relevant eingeschätzt“, so „n-tv“. Zwischenzeitlich hätten die USA der ukrainischen Regierung zudem „informell […] von möglichen Anschlagsplänen dringend abgeraten“.
Schweigen „aus Gründen des Staatswohls“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte laut ZDF zuletzt immer wieder „Transparenz und Aufklärung“ zu den Anschlägen versprochen. Erst im August habe er beteuert: „Wir versuchen, derjenigen, die das gemacht haben, habhaft zu werden und sie auch in Deutschland vor Gericht zu stellen.“ Scholz habe zuvor „mehrfach mit Beratern“ diskutiert, was zu tun sei, falls es sich tatsächlich um „Täter mit Verbindungen in die Ukraine“ gehandelt habe.
In den ersten Monaten nach der Sprengung hatte es aus Kreisen der Bundesregierung immer wieder geheißen, dass „aus Gründen des Staatswohls“ nichts über den Ermittlungsstand an die Öffentlichkeit gelangen dürfe.
Aus dem Büro des Generalbundesanwalts Dr. Peter Frank ist allerdings noch immer keine offizielle Reaktion bekannt. Seine Behörde ermittelt seit gut 13 Monaten wegen des „Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und verfassungsfeindlicher Sabotage“. Frank und seine Mitarbeiter lehnen öffentliche Stellungnahmen in laufenden Ermittlungsverfahren generell ab.
Das ZDF schreibt allerdings von einer „geheimen Sitzung“, die im Juni 2023 im Bundestag stattgefunden haben soll. Dabei hätten „Vertreter“ der Generalbundesanwaltschaft angegeben, dass „ein solch großer Anschlag“ auch von „einem Segelboot wie der ‚Andromeda‘“ ausgeführt worden sein könne. Ein „mit den Vorgängen vertrauter Beamter“ habe gegenüber dem ZDF jüngst geäußert, dass mit einer raschen Aufklärung aller Umstände aber nicht zu rechnen sei: „Wir brauchen viel Geduld.“
Cui bono?
Neben der Ukraine gibt es einige andere Länder, die getreu dem Motto „Cui bono?“ („Wem nützt es?“) für die Anschläge verantwortlich oder mitbeteiligt sein könnten. Die USA, Norwegen, Schweden, Dänemark, Polen, Großbritannien, die baltischen Länder und womöglich auch Russland hätten durchaus entsprechende Interessen. Für manche gehört sogar Deutschland selbst in den Kreis der Tatverdächtigen.
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