Strahlungsrichtlinien für Mobiltelefone „stark beeinflusst“ von Mobilfunklobby und Militär

Die neuen ICNIRP-"Richtlinien zur Begrenzung der Exposition von Personen gegenüber elektromagnetischen Feldern" (Mobilfunkstrahlung) wurden im März dieses Jahres veröffentlicht. Sowohl die Mobilfunklobby als auch das US-Militär sollen maßgeblich an der Auslegung mitgewirkt haben.
Funkturm mit Mobilfunkstrahlung (Symbolbild)
Richtlinien und Grenzwerte zur Mobilfunkstrahlung werden laut zwei Europaabgeordneten direkt von der Mobilfunklobby und dem Militär diktiert.Foto: iStock
Von 24. Juni 2020

Die Internationale Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) ist eine relativ unbekannte, aber mächtige wissenschaftliche Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Deutschland. Die NGO arbeitet eng mit der Europäischen Kommission zusammen und stellt den EU-Mitgliedstaaten Sicherheitsrichtlinien zur Mobilfunkstrahlung zur Verfügung.

Eine Untersuchung im Auftrag der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Michèle Rivasi (Europe Écologie) und Klaus Buchner (Ökologisch-Demokratische Partei) kommt zu dem Schluss:

ICNIRP ist eine parteiische, wissenschaftlich einseitig ausgerichtete Organisation, die viele direkte Verbindungen zur Telekommunikationsindustrie hat.“

Der Bericht untersuchte die Arbeit der ICNIRP sowie der 45 Mitglieder der Kommission und der wissenschaftlichen Expertengruppe. Ziel war es, festzustellen, ob die Kommission „völlig unabhängig funktioniert und ob […] sich ihre Mitglieder in Situationen von Interessenkonflikten befinden.“

Tunnelblick: „Gleichgesinnte Wissenschaftler“ ignorieren anders lautende Forschungen

Obgleich immer mehr wissenschaftliche Publikationen bezüglich Gefährlichkeit und gesundheitsschädlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder erscheinen, wird dies in der öffentlichen Diskussion um die Einführung von 5G weitgehend ignoriert, so die Autoren.

Seit fast drei Jahrzehnten spiele die ICNIRP eine führende Rolle in der wissenschaftlichen Debatte. In ihrer Rolle liefert sie Ratschläge und Richtlinien, die von den Regierungen in aller Welt weitgehend befolgt werden.

Auf der Grundlage der Ergebnisse des Berichts sind die beiden Abgeordneten der Meinung,

dass wir uns für eine wirklich unabhängige wissenschaftliche Beratung nicht auf die ICNIRP verlassen können“.

Weiter heißt es: Eine unabhängigere, europäische wissenschaftliche Bewertung in diesem Bereich sei dringend erforderlich und voll und ganz gerechtfertigt.

Die Zusammensetzung der Kommission sei jedoch sehr einseitig: „Die Mitglieder teilen in Sicherheitsfragen alle die gleiche Position: nichtionisierende Strahlung stellt nur auf thermischer Ebene eine Gesundheitsgefahr dar.“ Prominente ICNIRP-Mitglieder prangern immer wieder die Ergebnisse unabhängiger Studien an. Unter anderem zeigte das U.S. National Toxicology Program (NTP), dass Ratten und Mäuse an Krebs erkrankten, wenn sie telefonischer Strahlung ausgesetzt waren.

„Ein sehr geschlossener Kreis von gleichgesinnten und selbsternannten Wissenschaftlern“ hat die Kommission in einen nachsichtigen Wissenschaftsclub verwandelt. Ein Mangel an medizinischer, biologischer Expertise sowie einem Mangel an wissenschaftlicher Expertise in spezifischen Risikobewertungen, könne dabei zu einem „Tunnelblick“ führen.

Zwei führende Experten, Hans Kromhout und Chris Portier, bestätigen in dem Bericht, dass die ICNIRP eine „geschlossene, nicht rechenschaftspflichtige und einseitige Organisation“ ist.

Interessenkonflikte vorprogrammiert

Mehrere ICNIRP-Mitglieder sind oder waren Mitglied des Internationalen Komitees für elektromagnetische Sicherheit (ICES), erklären Rivasi und Buchner. Diese Organisation umfasst viele Personen aus dem Telekommunikations- und Energiesektor und dem Militär und ist aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt.

Aus Dokumenten der ICES-Jahrestagung 2017 geht zudem hervor, dass „die WHO [nach einer Zusammenkunft mit einem ehemaligen Motorola-Mitarbeiter] zugestimmt hat, die internationale Harmonisierung der [Strahlungsgrenzwerte] zu fördern, insbesondere zwischen ICNIRP und ICES“.

Dies zeige deutlich, dass ICNIRP bei der Erstellung der neuen Sicherheitsrichtlinien „sehr eng mit IEEE/ICES“ zusammengearbeitet hat.

Das bedeutet wiederum, dass große Telekommunikationsunternehmen sowie das US-Militär direkten Einfluss auf die Richtlinien hatten. Diese bilden seit mehreren Jahren die Grundlage für die EU-Politik in diesem Bereich.

Déjà-vu mit Tabak, Klima und Pestiziden

Klaus Buchner sagte dazu: „Die Europäische Kommission und nationale Regierungen von Ländern wie Deutschland sollten die Finanzierung der ICNIRP einstellen. Es ist höchste Zeit, dass die Europäische Kommission einen neuen, öffentlichen und völlig unabhängigen Beirat für nichtionisierende Strahlung schafft“. Die derzeitigen finanziellen Mittel für ICNIRP könnten der Gründung dieser neuen Organisation zugutekommen.

Angesichts des Forschungsrahmens „Horizon Europe“ in Höhe von 75 bis 100 Milliarden Euro, sollte die Finanzierung „keinesfalls eine unüberwindbare Hürde für die Einrichtung einer neuen, wirklich unabhängigen Einrichtung darstellen.“ Weiter sagte Buchner: „Das erinnert an die Verharmlosung von Asbest, wo ebenfalls jahrelang behauptet wurde, es sei ungefährlich.“ Die ersten Forschungen zu Gesundheitsschäden durch Funkstrahlung veröffentlichte der deutsche Mediziner Erwin Schliephake bereits 1932.

Seine Kollegin Rivasi fügte hinzu:

Ich habe wirklich ein Déjà-vu […] wie die Tabakindustrie jahrzehntelang die wissenschaftliche Debatte manipuliert hat, wie Energiekonzerne die Klimapolitik zum Entgleisen gebracht haben und wie Agrochemieunternehmen die Auswirkungen ihrer Pestizide auf die biologische Vielfalt und die öffentliche Gesundheit verfälscht haben.“

„Hier geht es nicht einmal um Lobbying allein, dies geht viel tiefer und hat enorme mögliche Konsequenzen, vor allem für die jüngeren Generationen, die mit Mobiltelefonen an ihrer Seite aufwachsen, und in Zeiten, in denen die EU aggressiv auf eine schnelle Verbreitung von 5G drängt – eine Entwicklung, die wissenschaftlich nicht kontrolliert wird und deren Nutzen für die Gesellschaft überbewertet wird“, so die Europaabgeordnete.

Lobbyismus auf Kosten zukünftiger Kunden

Obwohl der Telekommunikationssektor in der Europäischen Union (sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedstaaten) eine große Lobbymacht hat, setzt sich die European Telecommunications Networks Operators‘ Association (ETNO) nicht für eine Senkung der ICNIRP-Standards ein. Diese werden nicht als Teil des „Regulierungsdrucks“ gesehen, der die technologische Entwicklung behindert.

Im Gegenteil: Die von der ICNIRP vorgeschlagenen Normen sind die „harmonisierten Grenzwerte“, die die ETNO begrüßt. Alles in allem scheint der Telekommunikationssektor mit der Positionierung der Kommission recht zufrieden zu sein.

Das spiegelt sich auch in jedem Jahresbericht großer Telekommunikationsunternehmen wider. Wenn es um die Diskussion über die Sicherheit ihrer Mobiltelefone geht, verweisen diese gern auf die ICNIRP-Richtlinien.



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