Predator: Deutschlands heimliche Verstrickung im globalen Spyware-Handel

Fortsetzung des Artikels „Wenn sich das Raubtier unbemerkt anpirscht, bleibt keine Nachricht, kein Foto mehr privat.“ Europaabgeordnete Sophie In't Veld fordert das Ende des „Überwachungsalptraums“.
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Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Auch die deutsche Regierung schloss Geschäfte mit den Spyware-Händlern.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images
Von 21. November 2023

Intellexa Alliance heißt ein Firmenverbund, der Despoten und Unrechtsstaaten mit Cyberwaffen beliefert. Ein internationales Rechercheteam hat nun die Machenschaften enthüllt und dargestellt, wie Geheimdienste etwa mit dem Spionageprogramm Predator (Raubtier) unliebsame Regierungskritiker abhören und auf Schritt und Tritt verfolgen können, ohne dass die Opfer das merken. Der erste Teil widmete sich diesem Thema schwerpunktmäßig. Das Team der Journalisten zeigt die internationalen Firmenverstrickungen auf, an denen auch deutsche Geschäftsleute und die deutsche Regierung beteiligt sind. Davon handelt der zweite Teil.

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Die neue Vertriebsgemeinschaft, das Ergebnis aus jahrelang agierenden Unternehmen mit verschiedenen Protagonisten, florierte. Die Hamburger Plath Group, die sich laut eigener Darstellung auf den Bereich der datenbasierten Krisenfrüherkennung spezialisiert hatte, verkaufte Geräte von der Überwachungsfirma Nexa nach Österreich, in die Schweiz und nach Jordanien. Im Gegenzug vermittelte Nexa Produkte von Plath an das französische Verteidigungsministerium. Die Plath Group wiederum öffnete der Firma Ames – ebenfalls der Überwachungsbranche zugehörig – die Türen in Länder wie Mexiko, die Mongolei, Ruanda, Venezuela, Taiwan und auch zum Bundesnachrichtendienst.

Cerebro ermöglicht Überwachung eines ganzen Landes

Ames schloss Anfang 2014 einen Großauftrag für das Premiumprodukt Cerebro ab, das laut Produktbeschreibung die Internetüberwachung eines ganzen Landes ermöglichte. Intern trug das Projekt den Codenamen „Toblerone“. Dahinter verbarg sich als Kunde die ägyptische Regierung von Abdel Fattah el-Sisi, der sich 2013 an die Macht geputscht hatte.

Seither wurden Zehntausende Oppositioneller festgenommen. Die damalige UNO-Berichterstatterin Agnès Callamard bezeichnete die immer häufiger verhängte Todesstrafe als „willkürliche Tötungen“, die den Widerstand der Bevölkerung brechen sollten.

Stéphane Salies reiste dennoch mehrfach in das Land – das geht aus den Unterlagen hervor. Seine Ansprechpartner waren Agenten des Militärgeheimdiensts. Über ihre Dubai-Repräsentanz verdienten die Franzosen rund zwölf Millionen Euro an dem Deal mit Ägypten. Hinzu kam ein hoch dotierter Wartungsauftrag mit mehreren Jahren Laufzeit.

Mit Cerebro war die deutsch-französische Vertriebsgemeinschaft lange Zeit überaus erfolgreich. Den Unterlagen zufolge verkauften Nexa und Ames das Programm unter anderem nach Kasachstan, Singapur, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Zu den Kunden zählten aber auch Frankreich und Monaco.

Cerebro wurde aber wirkungsloser, als wichtige Anbieter wie Google oder WhatsApp als Antwort auf den NSA-Skandal um den Whistleblower Edward Snowden ihre Dienste verschlüsselten. Zudem setzte sich im Internet der sicherere HTTPS-Standard durch.

Riesiges Portfolio für Militär und Geheimdienste

Nexa und Ames benötigten dringend neue Instrumente und wurden bei Tal Dilians Produktpalette – insbesondere mit dem Spionageprogramm Predator (Raubtier) – fündig. Im Februar 2019 verkündeten die Firmen ihre gemeinsame Intellexa Alliance. Die deutschen Plath-Vertreter im Nexa-Aufsichtsrat unternahmen offenbar nichts dagegen, so der „Spiegel“.

Als einziger europäischer Anbieter spielte Intellexa in einer Liga mit dem Marktführer, der israelischen NSO-Group, und deren Pegasus-Software. Sie hatten jetzt ein Riesenportfolio an Überwachungsprodukten für Militär und Geheimdienste.

Interessenbekundungen gab es bald wieder aus Ägypten. Über Ames erwarb das Sisi-Regime Ende 2020 den Predator. Kunde bei dem Geschäft war den Unterlagen zufolge die technische Forschungsabteilung des ägyptischen Geheimdienstes. Der Gesamtwert des Auftrags lag bei 9,5 Millionen Euro.

Praktisch gleichzeitig gelang Ames ein weiterer Predator-Abschluss mit Vietnam. Der Kontrakt wurde für die Dauer von zwei Jahren geschlossen und brachte 5,6 Millionen Euro. In einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe feierten die Bosse der Spyware-Allianz ihre Deals. „Great!!!! Happy New Year“, tippte Dilian am Silvestertag 2020, als die Franzosen das neue Geschäft mit Ägypten vermeldeten. „Woooow!!!!!“, als sie wenige Stunden später verkündeten, auch das kommunistische Einparteienregime Vietnam habe zugeschlagen. Champagnerflaschen-Emojis zierten den Chat zur Feier des Tages.

Geschäftsleute ohne Skrupel

Skrupel scheinen die Geschäftsleute der Intellexa Alliance nicht gehabt zu haben. Das zeigt sich am Beispiel Libyens. Seit dem Sturz von Gaddafi herrscht dort ein blutiger Bürgerkrieg. Das Land ist gespalten. Während in der Hauptstadt Tripolis, im Westen, die international anerkannte Regierung sitzt, hat Warlord Khalifa Haftar im Osten (um Bengasi) das Sagen.

Obwohl die Ermittlungen gegen Stéphane Salies, 59, der aus einer „Lausch-Dynastie“ stammt, wegen des Geschäfts mit Libyen liefen, er schon vernommen worden war und der Vorwurf „Beihilfe zur Folter“ im Raum stand, verhandelte seine Firma Ames 2017 erneut mit dem nordafrikanischen Staat.

Laut einem internen Papier standen die Spionagehändler im Austausch mit einem gewissen Jalal Dira aus Libyen. Er war an Handy- und Internetüberwachung sowie dem Abhören von Satellitentelefonen interessiert. Unter Anmerkungen stand der Name Haftar. Wenige Monate später tauchte Jalal im Zusammenhang mit einer erneuten Kontaktaufnahme auf. Anschließend übersandte Ames ein Angebot an die Haftar-Seite über einen Spionagevan, der dem sehr ähnlich war, den Tal Dilian später dem Magazin „Forbes“ präsentieren würde (siehe Teil eins).

An Bord hatte das Fahrzeug allerlei Ausrüstung aus der Intellexa-Gruppe. Neun Millionen Euro verlangte Ames dafür. Zumindest für einen Teil des Equipments kam tatsächlich ein Kaufvertrag zustande. Anfang Dezember 2020 schrieb ein Mitarbeiter: Die Anzahlung „ist auf unserem Konto eingegangen“.

Deutsche Regierung beantwortet Fragen einsilbig

Auch die deutsche Regierung hatte keine Probleme, Geschäfte mit der Intellexa Alliance zu machen. Die Vorgeschichte der Allianz war jedenfalls kein Hinderungsgrund. Dabei hatte sich die Ampelregierung im Koalitionsvertrag deutlich zu Spyware positioniert: Die Ausnutzung von Schwachstellen stehe „in einem hochproblematischen Spannungsverhältnis zur IT-Sicherheit und den Bürgerrechten“.

Fragen zur Intellexa Alliance und Predator beantwortet die Regierung „einsilbig“. Informationen darüber könnten das „Staatswohl“ gefährden. Nach einer Anfrage der Linkspartei erklärte die Bundesregierung immerhin, die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) stehe seit 2021 „mit Vertretern des Unternehmens Intellexa, genauer gesagt dessen Tochterunternehmen Cytrox in Kontakt“.

Es gehe darum, „Informationen über das Portfolio“ zu bekommen. Die Antwort „irritiert“ laut „Spiegel“, denn wie interne Nexa-Dokumente aufzeigen, ist Zitis bereits seit 2019 Intellexa-Kunde. Die Münchner Behörde verbirgt sich als Abnehmer hinter dem internen Codenamen „Bavaria“. Demnach hat Nexa den Deutschen zwei Überwachungsinstrumente für rund eine Million Euro verkauft – Wartungskosten inklusive. Auf Nachfrage erklärt das Bundesinnenministerium, man könne sich dazu nicht äußern, „um die Ermittlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden nicht zu gefährden“.

Deutschland unterzeichnet Anti Spyware-Erklärung nicht

Auch mit dem deutschen Rüstungsunternehmen Hensoldt führten Vertreter der Allianz Gespräche – obwohl dem Aufsichtsrat von Hensoldt von der Bundesregierung entsandte Vertreter angehören. Die teilstaatliche Firma schloss sogar eine bislang unbekannte Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Intellexa Alliance ab. Aus Papieren geht laut „Spiegel“ hervor, dass Hensoldt „mögliche technologische Integrationen und Entwicklungen“ erörtern wollte.

Ein als „vertraulich“ eingestufter Vertrag über eine Laufzeit von fünf Jahren wurde 2021 unterzeichnet. Darin ist beispielsweise festgehalten, dass auch „vertrauliche Informationen, die einer nationalen Sicherheitseinstufung […] unterliegen“ mit Intellexa geteilt werden könnten.

Auf Anfrage erklärt Hensoldt, man habe den Austausch „nach wenigen Gesprächsrunden“ beendet, die Vertraulichkeitsvereinbarung habe sich dadurch „faktisch“ erledigt. Der Rüstungskonzern habe die Bundesregierung weder über die Vereinbarung mit Intellexa noch über die Gespräche informiert.

Wo also steht die Bundesregierung nun wirklich? Im April haben sich elf Staaten in einer Anti-Spyware-Erklärung verpflichtet, die weitere Verbreitung von Pegasus, Predator und ähnlichen digitalen Angriffswaffen einzuschränken. Deutschland gehörte nicht dazu.

Mehrere europäische Länder nutzten Spionageprogramme

Die im ersten Teil erwähnte liberale Europaabgeordnete Sophie in’t Veld hat sich sehr intensiv mit Spyware und deren Anbietern befasst. Die Niederländerin war Berichterstatterin in einem Untersuchungsausschuss des Europaparlaments, den die Pegasus-Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Forbidden Stories“ ausgelöst hatten.

Erschreckend waren die Erkenntnisse aus Untersuchungen: In mehreren europäischen Ländern wurden Journalisten, Politiker und Oppositionelle mit Spyware ausgespäht. Polen, Ungarn und Spanien sind tief in diese Machenschaften verstrickt.

In’t Veld hat Tal Dilian aufgefordert, Intellexas Aktivitäten offenzulegen. Eine Antwort darauf bekam sie von ihm nie, dafür drohten ihr seine Anwälte. Sie hat die griechische Regierung und andere Länder um Aufklärung gebeten. „Einige waren freundlich und haben uns Kaffee und Kekse serviert, aber sinnvolle Antworten haben wir nirgendwo bekommen“, sagt sie.

Sophie In’t Veld: So schlimm wie heute war es noch nie

Die Europapolitikerin lässt sich aber nicht entmutigen. Sie kämpft weiter, trotz der Widerstände.  Für diese Widerstände hat die 60-Jährige auch eine Erklärung:  So stünden alle Regierungen, auch in westlichen Demokratien, unter dem Druck ihrer Sicherheitsbehörden, die den Kauf modernster Spyware einforderten. Denn sonst seien sie wegen der Verschlüsselung nicht mehr in der Lage, Terroristen und Verbrecher zu überführen.

Die Hersteller der Spionageprogramme wiederum behaupteten stets, mit diesen wenigen Abnehmern nicht genug Umsatz machen zu können und forderten daher möglichst große Handlungsspielräume. „Es ist ein Deal aus der Hölle. So schlimm wie heute war es nie“, sagt sie.

Sophie In’t Veld fordert deshalb eine wirksame Kontrolle der Überwachungsbranche und der nationalen Regierungen. Dies müsse in einer EU-Behörde zusammengefasst werden. Europa, sagt sie, müsse „endlich aufwachen und diesen Überwachungsalbtraum stoppen“.

Das Raubtier wütet weiter

Derweil wütet das Raubtier weiter. Bereits im Sommer 2020 wurde Predator von Aliada auf eine irische Holding namens Thalestris übertragen. Haupteigentümer ist Andrea Gambazzi, ein ehemaliger Banker, der eine Treuhandfirma in der Schweiz unterhält. Der „Spiegel“ nennt ihn einen klassischen Strohmann. Gambazzi hält 51 Prozent der Stimmrechte an der Holding, den Rest ungenannte Dritte.

Er war es auch, der die Vertraulichkeitsvereinbarung mit dem deutschen Rüstungsunternehmen Hensoldt unterschrieb. Eine Überprüfung seines möglichen Geschäftspartners hatte der Konzern zuvor nicht vorgenommen, teilte das Unternehmen laut „Spiegel“ auf eine Anfrage mit.

Auch Nexa agiert mittlerweile unter anderem Namen. RB 42 heißt das Unternehmen seit Februar 2023 und kümmert sich eigenen Angaben zufolge angeblich nur noch um defensive Cybersicherheit.

Die Firma Ames wurde an ihr Management verkauft. Zu den neuen Besitzern gehört Stéphane Salies.



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