Ungarn „keine Demokratie“ mehr – EU-Beschluss für Orbán ein „Witz“

Das EU-Parlament hat Ungarn den Demokratiestatus abgesprochen und will dem Land künftig EU-Mittel verweigern. Orbán reagiert gelangweilt, auch in der ungarischen Bevölkerung kommt das „Ungarn-Bashing“ nicht immer gut an.
Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn
Viktor Orbán.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 16. September 2022

Eine Mehrheit der Europaabgeordneten ist der Meinung, dass Ungarn keine „vollwertige Demokratie“ mehr ist. In Straßburg wurde am Donnerstag, 15. September, eine Entschließung angenommen, in der es heißt, das Land sei zu einem „hybriden System der Wahlautokratie“ geworden.

Für Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist der Beschluss des Europaparlaments zu seinem Land nichts anderes als ein müder „Witz“.

„Der einzige Grund, warum wir nicht darüber lachen, ist, dass wir es satt haben; es ist ein langweiliger Witz. Es ist das dritte oder vierte Mal, dass sie es tun, indem sie eine Entschließung zur Verurteilung Ungarns im Europäischen Parlament verabschieden.“

„Zuerst dachten wir, es hätte eine Bedeutung, aber jetzt sehen wir es als einen Scherz an“, so Orbán in einer offiziellen Stellungnahme.

Nach Ansicht des ungarischen Premiers sei das EU-Parlament von der europäischen Linken okkupiert, selbst die Europäische Volkspartei (EPP) gleite ebenfalls zunehmend nach links.

Der Antrag der EU-Abgeordneten Gwendoline Delbos-Corfield wurde vom Europäischen Parlament mit 433 Ja-Stimmen, 123 Gegenstimmen und 28 Enthaltungen angenommen. Sie fordert, den ungarischen Sanierungsplan vorerst nicht zu genehmigen und die Mittel nicht auszuzahlen.

Einen entsprechenden Vorschlag an die Mitgliedstaaten könnte die EU-Kommission von Ursula von der Leyen am Sonntag beschließen, wie die „Deutsche Presse-Agentur“ in Brüssel aus EU-Kreisen erfuhr. Es wäre das erste Mal, dass die Behörde wegen rechtsstaatlicher Verstöße die Kürzung von EU-Mitteln vorschlägt.

EU-Abgeordnete sehen Grundrechte in Gefahr

In dem am Mittwoch angenommenen Antrag sehen die Abgeordneten die Grundrechte in Ungarn und Freiheiten der Bürger nicht mehr ausreichend gewährleistet.

Die lange Liste von Bereichen, die Anlass zur Sorge geben, umfasst insbesondere das Funktionieren des Verfassungs- und Wahlsystems, die Unabhängigkeit der Justiz und anderer Institutionen, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie das Recht auf Gleichbehandlung, einschließlich der Rechte von LGBTIQ und die Grundrechte von Migranten.

Erwähnt werden zudem Sorgen wegen Korruption, Schutz der Privatsphäre und Datenschutz, Meinungsfreiheit, einschließlich Medienpluralismus, akademische Freiheit und Religionsfreiheit.

EU-Kommission könnte bis zu 70 Prozent Fördergelder einbehalten

Aus dem Dokument der EU-Kommission geht hervor, dass die Behörde den EU-Staaten vorschlagen könnte, bis zu 70 Prozent aus mehreren Programmen der Strukturfonds zur Förderung benachteiligter Regionen einzubehalten. Berechnungen des Grünen-Europaabgeordneten Daniel Freund zufolge könnten das rund sieben Milliarden Euro sein.

Zudem werde die Behörde am Sonntag Empfehlungen beschließen, wie die Missstände in Ungarn behoben werden könnten, hieß es. Sollte Ungarn alle Empfehlungen umsetzen, könnte es sein, dass das Geld gar nicht erst eingefroren wird.

Fidesz-Partei: Die EU will keine Einigung

Die ungarische Regierungspartei Fidesz reagierte mit Unverständnis auf den Entschließungsantrag. Sie finde es „erstaulich“, was gerade im Europäischen Parlament vorgeht.

Während die Menschen in Europa aufgrund der fehlgeleiteten Brüsseler Sanktionen unter einer Energiekrise leiden, greift die linke Mehrheit im Europäischen Parlament Ungarn auch in dieser Krise weiter an“, so Fidesz.

Auf der Facebook-Seite der Partei heißt es: „Sie wollen erpressen und keine Einigung erzielen. Sie wollen erpressen, weil sie nicht akzeptieren können, dass das ungarische Volk im Frühjahr zum vierten Mal Nein zur ungarischen Linken und zur Belehrung aus Brüssel gesagt und eine rechte, national-konservative Regierung gewählt hat.“

Ungarns Außenminister: Das ist eine Beleidigung des ungarischen Volkes

Außenminister Péter Szijjártó sagte in einem Video auf seiner Social-Media-Seite, die EU-Abgeordneten sollten sich lieber auf den Weg aus der Rezession, den Weg aus der hohen Inflation und den Weg aus den hohen Energiepreisen konzentrieren.

Er fügte hinzu, er halte es für eine Beleidigung des ungarischen Volkes, die Lebensfähigkeit der Demokratie in Ungarn infrage zu stellen. „Das ungarische Volk hat nun in vier aufeinanderfolgenden Parlamentswahlen eindeutig entschieden, welche Art von Zukunft es für das Land wünscht.“

„Wir müssen uns fragen, warum einige Leute in Straßburg und Brüssel denken, dass das ungarische Volk nicht reif genug ist, um über seine eigene Zukunft zu entscheiden“, sagte der Minister.

EU-Abgeordnete: Demokratie ist keine „Tyrannei der Mehrheit“

Die ungarische Europaabgeordnete Katalin Cseh, der Partei Momentum (Liberale), reagierte auf die Aussagen des Außenministers auf ihrer Facebook-Seite:

Demokratie ist keine Tyrannei der Mehrheit. Es wäre eine Beleidigung für das ungarische Volk, wenn die EU so tun würde, als ob mit der ungarischen Demokratie alles in Ordnung wäre.“

Sie betonte auch, dass die Untätigkeit der EU eine Beleidigung für all jene Gruppen wäre, die ihrer Meinung nach aus politischen Gründen zum Schweigen gebracht oder an der gesellschaftlichen Teilhabe in Ungarn gehindert werden. Als Beispiele nannte er Lehrer, Journalisten, Intellektuelle und die homosexuelle Gemeinschaft.

Das sagen Ungarn zum EU-Beschluss

Eine Ungarn-Korrespondentin der Epoch Times fragte innerhalb der ungarischen Bevölkerung nach deren Meinung zum EU-Beschluss.

Marc Vecsey (39), Rechtsanwalt in Budapest und Wien sagte: „Es ist ärgerlich, dass in der öffentlichen Meinungsmache die funktionierende Demokratie wieder einmal mit der Rechtsstaatlichkeit verwechselt wird, die in Ungarn tatsächlich erheblich abgebaut wurde. Die Opposition hat die letzte Wahl im Frühjahr aus eigenem Unvermögen verloren beziehungsweise der Regierung eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit ermöglicht. Das Einfallstor für Machtmissbrauch bleibt also offen. Was die moralisierenden EU-Abgeordneten langsam kapieren sollten, ist, dass ihr Ungarn-Bashing in Ungarn noch nie gut angekommen ist und nur den Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung stärkt.“

Erzsébet Nagy (63), Lehrerin und Vertreterin der Lehrergewerkschaft PDSZ: „Als Lehrerin und Vertreterin der Lehrergewerkschaft PDSZ musste ich tatsächlich feststellen, dass die Diskriminierung von Minderheitengruppen infolge der Anti-Einwanderungs-Kampagne der Regierung leider zugenommen hat. […] Tatsache ist, dass es derzeit keine objektiven und pluralistischen Lehrpläne gibt, dass der Staat den Grundsatz der Säkularisierung nicht respektiert.“

Sándor Fricskó (48), Gartenbauingenieur: „Die EU ist kommunistisch und jetzt ist sie gegen die Ungarn. In Ungarn können alle möglichen Meinungen in der Presse erscheinen, aber nicht in Deutschland. Sie können hier in einen Zeitungsladen gehen und sich über alle Seiten informieren. In einer Demokratie sollte man Rede- und Meinungsfreiheit haben, wir haben das, aber andere EU-Länder zensieren sich oft selbst. Was geschehen ist, ist wirklich ein Angriff auf Ungarns Demokratie.“

(Mit Material von Nachrichtenagenturen)



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