Unmut in Türkei und Libanon gegen syrische Flüchtlinge wächst – Regierungen verstärken Druck

Syrische Aktivisten werfen den türkischen Behörden vor, ihre geflüchteten Landsleute gegen ihren Willen aus der Türkei in syrisches Kriegsgebiet abzuschieben. Ankara dementiert. Doch staatlicherseits als auch aus der Bevölkerung wächst der Druck auf die syrischen Flüchtlinge, um sie dazu zu bewegen, in ihre Heimat zurückzukehren.
Titelbild
Flüchtlinge in der Türkei.Foto: ILYAS AKENGIN/AFP/Getty Images
Von 7. August 2019

Die türkische „Willkommenskultur“, unterstützt durch Erdogan, scheint zu kippen und das nicht nur in der Türkei, sondern auch im Libanon.

Vor acht Jahren wurden die ersten Kriegsflüchtlinge, die über die türkisch-syrische Grenze flüchteten, noch mit offenen Armen begrüßt. Erdogan, damals noch als Ministerpräsident tätig, empfing die syrischen Flüchtlinge mit den Worten:

Unsere muslimischen Brüder“, denen die Türkei in ihrer Not helfen müsse.

Seitdem ist viel geschehen und die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die einen temporären Schutz in der Türkei genießen, ist mittlerweile auf mehr als 3,6 Millionen angewachsen. Rund eine halbe Millionen der registrierten Flüchtlinge hält sich dabei schätzungsweise in Istanbul auf.

Damit ist die Türkei weit vor dem Libanon (ca. 1,7 Mio. syrische Flüchtlinge) und Jordanien (ca. 1,3 Mio. syrische Flüchtlinge) weltweit das Land mit den meisten syrischen Flüchtlingen.

Alle nicht-registrierten Migranten sollen Istanbul verlassen

Am 22. Juli gab der Gouverneur der Provinz Istanbul bekannt, dass alle Migranten, die nicht in der Stadt registriert sind, Istanbul zu verlassen hätten. Bis zum 20. August hätten sie Zeit, in die türkischen Provinzen zurückzukehren, in denen sie registriert wurden. Wer kontrolliert wird und keine Papiere vorweisen kann, werde in sein Herkunftsland abgeschoben, heißt es in einer Erklärung dazu.

Der türkische Innenminister Süleyman Soylu verneint allerdings, dass es Abschiebungen von Syrern gebe. Er sagte dem Nachrichtensender NTV, Syrer hätten einen Schutzstatus. Flüchtlinge aus anderen Ländern, wie Afghanistan, werden dagegen in ihre Heimatländer zurückgebracht, zitiert der „Tagesspiegel“.

Der Minister räumte aber ein, dass Syrer, „die freiwillig nach Syrien zurückgehen wollen“, Verfahren offen stünden, um in „sichere Gebiete“ zurückzukehren.

NGO: Türkische Behörden inhaftieren syrische Flüchtlinge

Verschiedene Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten allerdings, dass die türkischen Behörden syrische Flüchtlinge inhaftierten und zwingen würden, Dokumente über ihre freiwillige Rückkehr nach Syrien zu unterschreiben. Anschließend würden sie nach Syrien abgeschoben, auch in das noch umkämpfte Gebiet um Idlib, nahe der syrisch-türkischen Grenze. Das berichtet beispielsweise „Human Rights Watch“ in einer Stellungnahme:

Die Türkei behauptet, Syrern dabei zu helfen, freiwillig in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Tatsächlich drohen die Behörden damit, sie einzusperren, wenn sie nicht zurückgehen wollen. Sie werden gezwungen, Formulare zu unterschreiben, und in ein Kriegsgebiet verfrachtet – das ist weder freiwillig noch rechtmäßig“, so Gerry Simpson, stellvertretender Direktor der Abteilung für Krisengebiete von „Human Rights Watch“.

Die türkischen Behörden würden damit auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung gegenüber den syrischen Flüchtlingen reagieren, schreibt der „Tagesspiegel“. Und begründet dies mit der Wirtschaftskrise, die die Stimmung in der Türkei umschlagen hätte lassen.

So sollen in einer Umfrage fast 90 Prozent der Türken das Argument der Regierung abgelehnt haben, dass die Aufnahme der Syrer eine humanitäre Pflicht sei, berichtet der „Tagesspiegel“.

Türkei: 43.000 Menschen wurden seit Januar abgeschoben

Dem türkischen Innenminister Soylu zufolge wurden seit Jahresbeginn 43.000 Menschen außer Landes geschickt, die ohne gültige Papiere ins Land gekommen waren. Das sollen laut seinen Aussagen, aber keine Syrer gewesen sein. Allerdings bestätigte er, dass die Istanbuler Polizei mit Razzien in verschiedenen Betrieben der Hauptstadt nach illegal beschäftigten Syrern suchte.

Wer nicht freiwillig ging, wurde dann in Auffanglager gebracht. In Istanbul sollen um die 30.000 Flüchtlinge aus anderen Landesteilen oder direkt aus Syrien sich aufhalten, die keine staatliche Registrierung besitzen, berichtet der „Tagesspiegel“.

Syrer berichten NGO telefonisch, wie sie abgeschoben wurden

Human Rights Watch hingegen behauptet mit vier Syrern telefoniert zu haben, die nach ihrer Inhaftierung und Abschiebung aus der Türkei nun wieder in Syrien wären.

Einer der Männer, der aus Ghouta im Umland von Damaskus stamme, soll am 17. Juli in Istanbul verhaftet worden sein, wo er drei Jahre lang ohne offizielle Anmeldung gelebt hätte.

Er berichtete, der Organisation, dass die Polizei ihn und andere syrische Inhaftierte gezwungen hätte, ein Formular zu unterschreiben. Danach hätte man sie alle in ein anderes Gefängnis überstellt und sie dann in einen von 20 Bussen nach Syrien gebracht. Sie befänden sich nun im Norden Syriens.

Ein anderer Mann aus Aleppo, der seit dem Jahr 2013 in Gaziantep im Südosten der Türkei gelebt hätte, wäre dort verhaftet worden, als er und sein Bruder bei der Polizei einen Angriff auf ihren Laden in der Stadt anzeigen wollten. Die Polizei hätte die beiden Männer von der Karşıyaka-Polizeiwache in Gaziantep zum Abschiebezentrum in Oğuzeli gebracht.

Dort wären sie sechs Tage lang festgehalten und gezwungen worden, ein Abschiebeformular zu unterschreiben, ohne dass sie darüber informiert wurden, worum es sich dabei handele. Am 7. Juli hätten die Behörden dann die Männer über den Öncüpınar/Bab al Salama-Grenzübergang – nahe der türkischen Stadt Kilis – nach Azaz in Syrien abgeschoben.

Türkische Küstenwache fing Syrer auf dem Weg nach Griechenland ab

Telefonisch hätten zwei andere Männer der Menschenrechtsorganisation berichtet, dass die türkische Küstenwache und die Polizei sie an küstennahen Kontrollpunkten abgefangen hätten, als sie versuchten, nach Griechenland zu gelangen. Sie wären dann inhaftiert worden und mussten Dokumente über ihre freiwillige Rückkehr unterschreiben sowie ihre Fingerabdrücke geben. Daraufhin hätten die türkischen Behörden sie nach Idlib und in die Provinz Aleppo im Norden Syriens abgeschoben.

Einer der beiden Männer hätte zudem von Personen berichtet, die schon seit bis zu vier Monaten im Aydın-Gefängnis einsitzen würden, weil sie sich weigern, die Papiere zu unterschreiben.

Den Aussagen der interviewten Syrer schlussfolgernd, spielt die Registrierung in der Türkei bei Abschiebungen keine Rolle.

Tausend syrische Flüchtlinge nach Idlib abgeschoben

Der „Spiegel“ berichtete, dass nach Angaben von syrischen Oppositionellen Ende Juli allein innerhalb einer einzigen Woche etwa tausend syrische Flüchtlinge nach Idlib abgeschoben worden wären. In diesem Gebiet gibt es noch Kampfhandlungen. 5.000 Syrer sollen zudem in der Türkei wegen ungültiger Papiere verhaftet worden sein.

Das Gebiet rund um Idlib – nahe der syrisch-türkischen Grenze – wird von der Al-Qaida-nahen Rebellenmiliz „Haiat Tahrir al-Scham“ (HTS) kontrolliert. Russland als Verbündeter der Regierung um Assad unterstützt die Bemühungen, die Milizkräfte von „Haiat Tahrir al-Scham“ zu zerschlagen. Die Türkei unterstützt hingegen die Rebellenmiliz.

Die Große Mauer: Blick auf einen Abschnitt nahe der türkischen Grenzstadt Kilis. Die Türkei baut an der Grenze zu Syrien eine Grenzmauer. Foto: Lefteris Pitarakis/dpa

Im Libanon wächst der Unmut gegenüber syrischen Flüchtlingen

Doch nicht nur in der Türkei, sondern auch im Libanon hat sich die Stimmung gegenüber den syrischen Flüchtlingen verändert. Statt sie, wie anfangs ohne Einwände aufzunehmen, würde man sie nun anscheinend staatlich schikanieren und Druck auf sie ausüben, um sie zu einer Rückkehr in ihr Heimatland zu bewegen. Das vermuten Hilfsorganisationen.

Blick auf ein Lager für syrische Flüchtlinge bei Barelias im Libanon. Foto: Bilal Hussein/AP/dpa

So erklärten die Behörden im Mai alle Unterkünfte der syrischen Flüchtlinge aus Stein für illegal. Denn sie hätten dafür keine Baugenehmigung. Baugenehmigungen haben jedoch auch viele Einheimische nicht. Aufgrund der fehlenden Baugenehmigungen mussten die Flüchtlinge ihre Gebäude bis auf Hüfthöhe selbst abreißen. Anderenfalls würden Bulldozer und die Armee das ab dem 1. Juli übernehmen, was dann auch eintraf.

Panzer und Bulldozer rissen Häuser von Syrern im Libanon ab

Mit Panzern und Bulldozern riss die libanesische Armee am 1. Juli, wie angekündigt, Häuser von Syrern in Flüchtlingssiedlungen ab. Nur Zelte und Behausungen aus Planen, Plastik und Holzlatten seien künftig noch zulässig, hieß es durch die libanesischen Behörden, wie der „Spiegel“ berichtete.

Hintergrund soll die Furcht bei den Libanesen sein, dass die, nach libanesischen Regierungsangaben, 1,7 Mio. syrischen Flüchtlinge in dem gerade mal 6 Mio. einwohnerstarken Land dauerhaft sesshaft werden, wie es die Palästinenser einst taten.

Weitere Gründe wären der Unmut der einheimischen Bevölkerung über die in den letzten Jahren, durch die Aufnahme der Flüchtlinge, nach oben geschnellten Mietpreise und das Sinken der Löhne, weil viele Flüchtlinge zu Dumpingpreisen arbeiten würden.

Randalierender Mob zertrümmerte Läden von Syrern im Libanon

Nach Aussage des „Spiegel“ erging unter der Bevölkerung ein Aufruf, syrische Parkplatzwächter, Bauarbeiter, Arbeiter zu fotografieren und der Polizei zu melden. In einem feinen Hauptstadtvorort Beit Mery soll zudem ein randalierender Mob durch die Straßen gezogen sein, der Läden zertrümmerte, die von Syrern betrieben wurden.

Damit wird deutlich, nicht nur in der Türkei, sondern auch im Libanon wächst der Druck auf die syrischen Flüchtlinge. Sie sollen möglichst in ihre Heimat zurückkehren.



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