Vier Tage vor Detonation: Russische Spezialschiffe am Tatort fotografiert

Das dänische Militär hat bestätigt, dass vier Tage vor der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines ein russischer Schiffsverbund in der Nähe der Tatorte gesichtet wurde, der für Unterwasseroperationen ausgerüstet war. Westliche Geheimdienstexperten halten die Spur für vielversprechend.
Dieses Schiff wird bei einer möglichen Reparatur der Pipeline Nord Stream 2 vermutlich nicht helfen. Das russische Rohr-Verlegeschiff «Fortuna» ankert im Januar 2021 vor Rostock.
Das Symbolbild zeigt das russische Rohr-Verlegeschiff „Fortuna“ im Januar 2021 in der Ostsee. Am 22. September 2022 sollen nach Angaben des dänischen Militärs andere russische Schiffe vor Bornholm gesichtet worden sein – um die Gaspipelines zu sprengen?Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
Von 28. April 2023

Waren’s doch die Russen? Sieben Monate nach dem Sprengstoffanschlag auf die beiden russisch-deutschen Nord-Stream-Gaspipelines vom 26. September 2022 macht eine neue Theorie über die Urheberschaft die Runde.

Demnach soll schon am 22. September ein russischer Schiffskonvoi in der Nähe der Sabotageorte gesichtet worden sein, der über die Fähigkeit zum Attentat verfügt hatte.

Vier Tage vor Anschlag: Russischer Schiffskonvoi bei Bornholm

Wie das dänische Zeitungsportal „Information“ unter Berufung auf das norwegische Verteidigungskommando berichtet, sei das dänische Militärschiff „P524 Nymfen“ am Morgen des 22. September östlich der Insel Bornholm auf Patrouille gewesen. Dabei habe die Besatzung insgesamt 112 Fotos geschossen, auf denen sechs russische Schiffe zu sehen seien. Diese hätten zum Zeitpunkt der Sichtung keine AIS-Positionsfunksignale abgegeben.

Zum Schiffsverbund habe unter anderem die „SS-750“ gehört. Das russische Schiff sei auf 26 Fotos der „P524 Nymfen“ zu erkennen. Das habe das dänische Militär bereits bestätigt, berichtet „Information“.

Ausgerüstet für Unterwasseroperationen

Es handele es sich um ein Spezialschiff, das an Bord unter anderem über ein Mini-Unterseeboot des Typs „AS-26 Priz“ verfüge. Das U-Boot besitze Greifarme und sei somit für Unterwassereinsätze geeignet. Das hatte der schwedische Forscher und Geheimdienstexperte Joakim von Braun im „Information“-Interview bestätigt. Es sei „sehr wahrscheinlich, dass diese Schiffe an der Sabotageaktion beteiligt waren“, sagte von Braun.

„T-online“ berichtet, dass auch zwei andere Schiffe des russischen Verbunds zur Unterstützung von Unterwasseraktionen ausgerüstet gewesen seien. Sämtliche Beweisfotos seien aber nicht veröffentlicht worden, um „die nachrichtendienstliche Arbeit zu schützen“.

Geheimdienstexperten halten Spur für plausibel

Der dänische Militäranalyst Johannes Riber bezeichnete die neue Spur im Gespräch mit „t-online“ als „die bislang plausibelste Erklärung für das, was mit der Nord-Stream-Pipeline passiert ist“.

Der Däne Jacob Kaarsbo, nach Angaben der „Information“ ein „leitender Analyst bei der Denkfabrik Europa“, der „zuvor 15 Jahre lang im Verteidigungsnachrichtendienst tätig“ gewesen sei, halte die „SS-750“ ebenfalls für grundsätzlich fähig, eine Unterwasseroperation durchzuführen.

Auch der dänische Geheimdienstanalyst Oliver Alexander hält es für äußerst wahrscheinlich, dass die Russen vor Ort waren, um eine Unterwasserdetonation vorzubereiten: „Theoretisch könnte dieses Schiff auch aus anderen Gründen dort gewesen sein, aber das Timing, genau zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort zu sein, ist etwas Besonderes“, sagte Alexander laut „Information“.

Auch deutsche Militärschiffe waren vor Ort

Wie die „Information“ bereits am 22. April berichtet hatte, habe um den 21. und 22. September 2022 innerhalb weniger Stunden ein reger militärischer Schiffs- und Flugzeugverkehr rund um die späteren Detonationsstellen bei Bornholm eingesetzt: Neben dänischen und schwedischen hätten auch deutsche Militärschiffe sowie schwedische und polnische Überwachungsflugzeuge vor Ort patrouilliert. „Außerdem waren auch amerikanische Schiffe in der Nähe, ebenso wie ein amerikanischer Überwachungshubschrauber über der Ostsee in der Luft war“, schreibt das dänische Blatt.

Der Geheimdienstexperte Jacob Kaarsbo habe die plötzliche Häufung westlichen Militärs gerade in diesem Gebiet der Ostsee als „höchst ungewöhnlich“ bewertet. Das dänische Verteidigungsministerium wolle aber keine Einzelheiten über den Einsatzauftrag der „P524 Nymfen“ herausrücken.

Reaktionen aus Russland und den anderen involvierten Staaten zu den neuen Erkenntnissen liegen noch nicht vor. Moskau hatte bereits kurz nach dem Anschlag die „Angelsachsen“ verdächtigt, für die Sprengungen verantwortlich zu sein.

Alle bisherigen Theorien falsch?

Sollte sich beweisen lassen, dass die Nord-Stream-Anschläge doch auf das Konto Moskaus gingen, würden sich die früheren Theorien zum Tathergang allesamt als falsch erweisen: Viele Journalisten wären damit getäuscht worden.

Noch immer aber steht die Frage im Raum, welchen Nutzen der Kreml aus der Zerstörung der eigenen Gasleitungen hätte ziehen können: Um Deutschland wegen seines Engagements im Ukraine-Krieg zu bestrafen, hätte es ja genügt, den Hahn zuzudrehen.

März: „Ukrainefreundliche Gruppe“ unter Verdacht

Zuletzt hatte Anfang März ein deutsches Rechercheteam, das aus Mitarbeitern des ARD-Hauptstadtstudios, der ARD-Redaktion „Kontraste“, dem SWR und der „Zeit“ bestand, ein Szenario verbreitet, nach dem vermutlich eine der Ukraine nahe stehende Gruppe die Sprengladungen von einer Segeljacht aus an den Pipelines angebracht und gezündet haben könnten.

Auch die „New York Times“ hatte unter Berufung auf mehrere anonyme US-Regierungsvertreter, die sich wiederum auf die amerikanischen Geheimdienste beriefen, davon berichtet.

Februar: USA und Norwegen unter Verdacht

Wenige Wochen zuvor war ein Bericht des amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh um die Welt gegangen: Der 85-Jährige wollte herausgefunden haben, dass der größte Anschlag auf die deutsche Energie-Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg auf das Konto der USA und Norwegens gehen – und zwar auf Wunsch und Befehl des US-Präsidenten Joe Biden.

Dessen Ziel sei es gewesen, Russland zu schaden und Deutschlands Energieversorgung zu schwächen. Ein Nebeneffekt sei gewesen, dass die USA danach selbst mehr Gas nach Deutschland hätten verkaufen können. Außerdem habe Biden dem Kreml ein Druckmittel gegen Deutschland und Westeuropa aus der Hand nehmen wollen, mit dem Moskau deren Engagement im Ukraine-Krieg hätte schmälern können.

UN-Sicherheitsrat stimmte gegen eigene Untersuchungen

Russland und China hatten daraufhin von den Vereinten Nationen (UNO) verlangt, eine internationale Aufklärung zur Urheberschaft der Nord-Stream-Sprengungen in die Wege zu leiten. Für den Antrag stimmte laut ZDF im UN-Sicherheitsrat neben China und Russland allerdings nur Brasilien – nicht genug, um eigene Untersuchungen durch die Staatengemeinschaft anzustellen.

Offiziell gehen seit Monaten nur die deutschen, schwedischen und dänischen Ermittlungsbehörden den Vorfällen nach. Bisher wurde von den jeweiligen Regierungen aber nicht viel mehr bekannt gegeben, als dass es sich um einen Sabotageakt gehandelt haben musste. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen, hieß es immer wieder.

Sowohl Russland als auch die Ukraine, die USA und Norwegen bestreiten vehement, irgendetwas mit der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines zu tun zu haben.



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