„40 Jahre leben ohne Bananen ist möglich – aber nicht ohne Freiheit“: DDR-Dissident im Interview – Teil 2

Dieter Dombrowski, Vorsitzender der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), gab der Epoch Times ein Interview über seine Erfahrungen und Beobachtungen in der ehemaligen DDR und in 30 Jahren wiedervereintem Deutschland. Hier der 2. Teil.
Titelbild
Das 1988 aufgenommene und am 9. November 2019 zur Verfügung gestellte Bild zeigt eine Straßenszene in Berlin-Mitte (Bezirk Prenzlauer Berg) im damaligen Ost-Berlin.Foto: JEAN-PHILIPPE LACOUR/AFP über Getty Images
Epoch Times5. Oktober 2020

Wir setzen hier den Abdruck des Interviews fort, dessen erster Teil am 3. Oktober erschienen ist. Interview Teil 1

Epoch Times: Herr Dombrowski. Sie sind Vorsitzender des Dachverbandes Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). In der DDR nahmen Sie an Flugblatt-Protestaktionen und Demonstrationen teil. Aber auch in West-Berlin waren sie weiter aktiv. Sie waren vom Westen aus der DDR-Gefangenschaft „freigekauft“ worden. So gab es eine Aktion, wo sie den Eingang eines Reisebüros der sowjetischen Aeroflot nachts zumauerten. Das hatte für ihren Mitstreiter Bernd Moldenhauer ernste Konsequenzen. Was genau passierte damals?

Dieter Dombrowski: Also wir hatten auch in West-Berlin in der Jungen Union, deren Landesvorsitzender ich damals war, alles unternommen, um auch durch kleine Aktionen öffentlich zu machen, was wir von der SED und den Unterstützern in Moskau hielten. Und so habe ich zusammen mit meinem Freund Bernd Moldenhauer an einem Vorabend des 13. August 1980 das Aeroflot-Büro am Bahnhof Zoo zugemauert. Aeroflot ist jetzt eine russische Fluggesellschaft. Früher war sie eine sowjetische Fluggesellschaft. Und alle wussten, die verkaufen auch Flugtickets – aber eigentlich ist da der KGB (sowjetischer Geheimdienst) zu Hause. Und wir haben dann in der Nacht den Eingang des Aeroflot-Büros zugemauert.

Honecker bei BRD-Besuch mit Mörder-Rufen begrüßt

Natürlich war die Presse dann da und hat Fotos gemacht. Das war eine unserer Aktionen. Ich kann auch noch eine andere nennen. Als Honecker damals seine Heimat im Saarland besuchte, war ich mit 300 Leuten da. Und wir haben ihn auf unsere Art begrüßt mit Mörder-Rufen, was er gar nicht kannte.

Mein Freund Bernd Moldenhauer ist 1980 dann im Auftrag des MfS von einem Stasi-Spitzel aus unserem Umfeld erdrosselt worden. Und der Stasi-Spitzel Aribert F. – man kann das sagen, weil das alles öffentlich ist – ist vom Kammergericht Berlin zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Die hat er auch voll verbüßt.

Dokumentenmappen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der Stasi, werden am 17. September 2014 präsentiert. Foto: Carsten Koall/Getty Images

Er hatte auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er gerne für die Stasi gearbeitet hat. Und als er aus der Haft entlassen wurde, war sein erster Weg nicht nach Spandau zu seiner Frau, sondern nach Ost-Berlin, um sich wieder bei der Stasi zum Dienst zu melden. Und ja, das sind Geschichten die glaubt einem eigentlich keiner.

Den Mörder des Freundes wiedergetroffen

Seit 1999 war ich 20 Jahre CDU-Abgeordneter im Landtag Brandenburg und hatte im Jahr 2000, neben meinem Büro in meinem Wahlkreis, auch ein zweites Wahlkreisbüro in Neustadt-Dosse.

Hier hatte ich mit einem Ehepaar einen Gesprächstermin. Sie hatten das Problem, dass sie mit ihrem ersten Wohnsitz auf dem Campingplatz angemeldet waren, was ja nicht geht. Ich habe ihnen erklärt, dass ich ihnen da nicht helfen kann. Da habe ich im Weiteren gemerkt – als ich erzählte, dass ich aus Berlin, aus Spandau komme und sie auch – dass wir gemeinsame Bekannte hatten.

Dann dachte ich: „Du kannst ihnen ja von deinem Freund Bernd Moldenhauer und dem Mitglied unserer Gruppe, Aribert F., der ihn im Auftrag der Stasi ermordet hat, auch einmal erzählen.“ Da merkte ich, dass dem Mann die Schweißperlen auf die Stirn traten. Und dann wollten die bald gehen. Dann habe ich ihnen an der Tür gesagt. „Also ich konnte jetzt nicht helfen, aber wenn Sie Ihre Adresse hier lassen, lade ich Sie gerne zu einer Veranstaltung ein.“ Und dann sagte der Mann: „Ich glaube nicht, dass Sie mich einladen werden.“

„Warum denn nicht“, fragte ich. Die Antwort war: „Ich bin dieser Aribert F.“ Ich habe ihn nicht mehr erkannt, weil er wesentlich älter war als ich. Meine Sekretärin hat mich damals erst drei Tage später darauf angesprochen, weil sie sich vorher nicht getraut hat. Sie hat gefragt, ob sie das richtig verstanden hätte.

ET: Sie haben also den Mörder ihres Freundes wieder getroffen?

Dieter Dombrowski: Ja, der lebt immer noch dort in Wusterhausen, zwar nicht mehr auf dem Campingplatz, sondern mit seiner Frau im Pflegeheim.

Dombrowski: „Warum haben sie das getan?“

ET: Gab es nochmal ein Gespräch zwischen ihnen beiden, wo der Mord Thema war? War das für Sie eine Frage, warum er das gemacht hat, wie er das für sich rechtfertigen konnte?

Dieter Dombrowski: Also als ich ihn damals im Wahlkreisbüro verabschiedet habe und er dann sagte, „Sie laden mich bestimmt nicht ein“, sagte ich: „Herr F., Sie haben ihre Strafe verbüßt. Mich würde aber interessieren, warum sie das taten?“ Er gab daraufhin keine Antwort. Ich konnte ihn auch nicht zwingen, aber es hat dann „Die Welt“ bei mir angefragt.

Sie waren interessiert an einem Interview mit Aribert F. Ich habe ihn dann auf dem Campingplatz angerufen. Zu meiner Überraschung sagte er auch zu. Dann haben wir ihn dort besucht, mit zwei Journalisten und einem Fotografen.

Ehefrau des IM: „Das hat er aber verdient“

Da hat er seine Geschichte nochmal erzählt, die jetzt so ein bisschen abgewandelt war, dass er natürlich unschuldig war. Und seine Frau sie sagte gleich zu Beginn, ich selbst habe mich ja da rausgehalten, aber gegenüber den Journalisten sagte sie zum Tod von Bernd Moldenhauer: „Das hat er aber verdient.“ Ja, es war eine skurrile Zusammenkunft. Während Aribert F. in Haft saß, hat die Stasi den Unterhalt der Frau finanziert. Ja, sie haben zu ihm gehalten. Es war für sie völlig in Ordnung gewesen, was er gemacht hat.

Dieses Bild vom 24. Mai 2007 zeigt verschiedene Geruchsproben in Glasgefäßen, die im Dokumentations- und Informationszentrum des Büros für Datenerhebung der DDR-Staatssicherheit (Stasi) in Erfurt ausgestellt sind. Die DDR legte ein Archiv von Geruchskonserven über seine Bürger an. Sie sollten bei einem Fluchtversuch helfen, die betreffende Person mit einem Spürhund leichter aufzufinden und z.B. die Urheber von Briefen oder Flugblättern mittels Geruchsspuren zu identifizieren. Foto: JENS-ULRICH KOCH/DDP/AFP über Getty Images

Das sind eben Geschichten, zu denen ein Normalbürger gar keinen Zugang hatte, weder damals in der DDR noch in der alten Bundesrepublik. Aber das Unvorstellbare war für uns, dass die Stasi den Auftrag gibt und einen Killer losschickt, um einen deutschen Staatsbürger zu erledigen, wenn sie es wollte.

ET: Nicht jeder hat sich nach Auflösung der DDR ideologisch gewandelt. Man spricht auch nicht so offen darüber. Und viele der jungen Generationen wissen vielleicht gar nicht, wie viele DDR-Spione es wirklich in der BRD gab und in welchen Positionen sie waren. Die BRD war durchweg unterwandert, auch durch den KGB. Und als die Wiedervereinigung dann kam, sind ja viele einfach nahtlos in die Wirtschaft oder in politische Ämter übergegangen. Das haben Sie mitbekommen und auch darauf hingewiesen, beispielsweise im Brandenburgischen Landtag. Worauf genau wollten Sie damals aufmerksam machen?

Dieter Dombrowski: Als ich 2009 bei der Vereidigung des Brandenburgischen Ministerpräsidenten Platzeck in einer DDR-Häftlings-Uniform meinen Abgeordnetenplatz im Landtag eingenommen hatte, wollte ich nicht gegen die Koalition aus SPD und Linke protestieren, sondern dagegen, dass die SPD, die älteste deutsche Demokratische Partei, einen Koalitionsvertrag unterschrieben hat, der auf Seiten der PDS, wie sie damals noch hieß, von zwei Stasi-Spitzeln unterschrieben wurde. Das fand ich nicht in Ordnung und dem galt mein Protest. Zu der Zeit waren sieben Abgeordnete der Fraktion Die Linke Inoffizielle Mitarbeiter des MfS.

Licht fällt in eine Arrestzelle des ehemaligen Gefängnisses des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen am 14. März 2011 in Berlin, Deutschland. Foto: Sean Gallup/Getty Images

„Ihr von der SED, ihr müsst Verantwortung übernehmen“

Auch die Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser gehörte dazu.

Und in einer der ersten Sitzungen der neuen Brandenburgischen Regierung aus SPD und Linken gab es eine Debatte, in die ich eingegriffen habe. Kaiser sagte damals am Rednerpult.

Herr Dombrowski, damals am Runden Tisch haben die Bürger doch gesagt: ‚Ihr von der SED, ihr müsst Verantwortung übernehmen‘. Herr Dombrowski, das tun wir doch – wir regieren nun wieder.“

Da ist man fast sprachlos. Weil jeder, der selbst am Runden Tisch saß oder auch die Prozesse hat beobachten können, natürlich mit der Übernahme der Verantwortung nicht gemeint hat, dass die möglichst schnell wieder regieren sollen, weil es kein anderer kann.

Sondern, dass sie Verantwortung für das Unrecht übernehmen sollen, das im Namen der SED geschehen ist. Davon war Frau Kaiser weit, weit, weit entfernt, stattdessen hat sie letztendlich ihre Häme darüber zum Ausdruck gebracht. „Siehste, ätsch-bätsch, wir haben es doch wieder geschafft!“ Und das ist eigentlich schade. Ich habe ja gesagt, ich selbst bin ja immer einer, der auch versucht, Versöhnung zu ermöglichen.

Ein Banner mit der Aufschrift „Erich, wir fordern Rechenschaft! Strafe für alle Schuldigen!“ und die Stasi. Foto: INA FASSBENDER / AFP über Getty Images

Jugend soll unterscheiden können zwischen Gut und Böse

Dazu kann man ja niemanden zwingen. Da gehören immer mindestens zwei dazu. Und so geht es eben nicht. Unsere Hoffnung und unsere Zuversicht gilt den jungen Menschen.

Deshalb ist meine Erwartung, und da bin ich auch sehr zuversichtlich, dass junge Menschen, die in einer freien, demokratischen Welt aufwachsen, eigentlich nicht mehr wissen müssen, als zu unterscheiden zwischen Recht und Unrecht und Gut und Böse. Eigentlich reicht das schon, um sich selbst und anderen zu genügen.

Und das ist eigentlich das Ziel. Das wurde in der DDR eben nicht antrainiert und nicht erlernt. Solidarität war dort anders definiert, als wir es heute verstehen.

Manche Kombinatsdirektoren wurden die besten Kapitalisten

Es haben auch die ehemaligen Täter, Mittäter und Mitläufer nach der Wiedervereinigung sehr schnell gelernt, sich in das neue System einzuverstehen. Ich kann viele Beispiele nennen, wo ehemalige Kombinatsdirektoren dann die besten Kapitalisten geworden sind. Die wussten natürlich, wie es geht, nur dass sie in der Regel rücksichtsloser waren als die West-Unternehmer, die auch eine andere Sozialisation hatten.

Kapitalismus in der DDR wurde so verstanden, dass es nur mit Ellenbogen geht. Ich wusste, zumindest nach meiner Übersiedlung auf jeden Fall besser, dass eine soziale Marktwirtschaft ohne Demokratie gar nicht funktioniert. Dass sie auch eine Verantwortung für alle und füreinander beinhaltet.

ET: Wenn man sich die jetzige politische Entwicklung hier in Deutschland anschaut, so gibt es doch meines Erachtens auch Ansätze, wo man sieht, dass der Sozialismus oder der Kommunismus immer noch Anhänger findet und sozialistische Gedanken, kommunistische Gedanken, in der heutigen Politik populär sind. In der Berliner Politik z.B. wird offen über Enteignung oder Verstaatlichung von Unternehmen gesprochen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Dieter Dombrowski: Also erfreulicherweise leben wir ja in einer Demokratie, aber in einem demokratischen Rechtsstaat überschätzen sich Politiker oftmals – in vielleicht allen Parteien. Die Politiker werden gewählt, auch die der Linken in Berlin, die davon fantasieren, alles Mögliche zu verstaatlichen, auch Wohnungsgesellschaften zu verstaatlichen, weil sie darin eine Lösung sehen.

„Man versucht, als Partei eine heile Welt aufzubauen um politisch zu überleben“

Aber dadurch wird keine einzige Wohnung mehr gebaut. Von dem Geld, was dafür aufgewendet wird, Wohnungen zurück zu kaufen, sollten wir lieber Wohnungen bauen. Das passiert in Berlin aber nicht.

Und dann liegt die Versuchung nahe, wenn man ein Problem nicht lösen kann, die Ursache woanders zu suchen. Zum Beispiel im Gesellschaftssystem. Und dann zu versuchen, den Leuten eine Hoffnung zu geben, dass der Sozialismus oder die sozialistischen Ideen die Reichen ein bisschen ärmer und die Ärmeren ein bisschen reicher machen würden.

Sabine Leidig (L), Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Die Linke hält während einer Demonstration gegen den deutschen Autogiganten Volkswagen, der am 14. Mai 2019 in Berlin seine Jahreshauptversammlung abhält, ein Transparent mit der Aufschrift „Bus und Bahn statt Geländewagen – Piech und Porsche enteignen – Automobilkonzerne neu aufbauen“. Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Und dass, was ich ja aus der DDR kenne, es keine Privilegien geben soll, die es aber in bestimmten Kreisen in der DDR immer gegeben hat.

Man versucht als Partei einfach eine heile Welt aufzubauen, in der Hoffnung, man könnte damit politisch überleben und mit der Ankündigung von Lösungen auch Wählerstimmen gewinnen. Und das geht sicherlich mal eine Weile gut.

Aber irgendwann fragen die Leute auch: „Wo sind jetzt die Wohnungen?“ Natürlich ist die Verstaatlichung von Banken und Industrie, wie es die Linkspartei nicht als Ausnahme, sondern als Regel vorsieht, in unserem Rechtssystem zudem überhaupt nicht machbar. Zum Glück.

„40 Jahre leben ohne Bananen ist möglich – aber nicht ohne Freiheit“

Am Ende gibt’s allerdings nicht nur eine Partei, die einen Sozialismus will, sondern ein paar andere, die es nicht wollen. Und die Bürger wollen auch keinen Sozialismus. Die ehemaligen DDR-Bürger, die kennen den Sozialismus ja schon. Die wissen alle, man kann 40 Jahre ohne Bananen leben. Das haben wir im Großfeldversuch ja gezeigt. Aber man kann nicht Jahrzehnte ohne Freiheit leben, das geht nicht. Und der Sozialismus wird immer begleitet durch Unfreiheit.

Zudem gibt es kein einziges Beispiel, seit Marx und Engels das aufgeschrieben haben, wo es anders gelaufen ist. Sozialismus, Kommunismus führen immer zu Elend, Not und Unterdrückung. Das ist die Wahrheit, die kein Historiker bestreiten kann.

Sozialismus kann Heilsversprechen nicht erfüllen

Diese ganzen Heilsversprechen kann der Sozialismus nicht erfüllen, erwiesenermaßen. Von daher vertraue ich voll auf die Klugheit und die Erfahrung der Bürger im ehemals geteilten Land, die all das nicht wollen.

Die Bürger wollen einen demokratischen Staat, der solidarisch ist, nicht nur gegenüber dem eigenen Volk, auch gegenüber den Völkern, die auch Hilfe brauchen. Die Deutschen sind in ihrer Mehrheit immer bereit zu helfen. Und wenn Menschen in Not sind, sei es im Land oder sei es bei Katastrophen oder sei es auch in der Flüchtlingspolitik.

Sie wollen helfen und sich nicht wegducken. Und ich finde, darauf können wir stolz sein – in einem Land zu leben, in dem man demokratisch ist und frei sich bewegen kann. Und ein Staat, der nicht nur für sich selbst lebt, sondern auch für andere nützlich sein möchte.

Das Gespräch führte Erik Rusch.

Hier der Teil 1 vom Interview



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